Titel: | Ueber das Verhalten der salpetrigen zur schwefligen Säure. |
Fundstelle: | Band 266, Jahrgang 1887, S. 276 |
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Ueber das Verhalten der salpetrigen zur
schwefligen Säure.
Ueber das Verhalten der salpetrigen zur schwefligen
Säure.
Unter diesem Titel veröffentlicht F. Raschig in den
Berichten der deutschen
chemischen Gesellschaft, 1887 Bd. 20 S. 584 eine
äuſserst interessante Arbeit, welche wir hier wiedergeben.
Im J. 1845 beschrieb FremyLiebig's Annalen 56. 315. eine Reihe von Kalisalzen, welche beim Zusammenbringen von
schwefligsaurem mit salpetrigsaurem Kali entstehen und die seitdem als Kalisalze der
Schwefelstickstoffsäuren bekannt geworden sind. Entsprechend dem Standpunkte der
chemischen Forschung zu jener Zeit stellte Fremy nur
die empirische Zusammensetzung dieser Körper fest und enthielt sich jeden Urtheils
über ihre Constitution. Später hat ClausLiebig's Annalen 152 und 158. die Verbindungen von Neuem untersucht und Constitutionsformeln
dafür aufgestellt. Er ist der Ansicht, daſs die Substanz, welche sich aus einer
Kaliumnitritlösung auf Zusatz eines Ueberschusses von neutralem Kaliumsulfit nach kurzer Zeit
in langen Nadeln ausscheidet, als ein Derivat des hypothetischen Körpers NH5, nämlich als NH(SO3K)4 + 3H2O, tetrasulfammonsaures Kali zu betrachten ist. Versucht man dieses Salz aus
alkalischen Flüssigkeiten umzukrystallisiren, so spaltet es eine Sulfogruppe in
Gestalt von schwefelsaurem Kali ab und es scheidet sich trisulfammonsaures Kali
NH2(SO3K)3 + 2H2O aus.
Letztere Verbindung in siedendem Wasser unter Zusatz von wenig Mineralsäure gelöst,
gibt noch eine Sulfogruppe ab, und es entsteht das disulfammonsaure Kali NH3(SO3K)2, welches bei weiterer Behandlung mit Säuren in der
Wärme schlieſslich vollständig unter Bildung von Schwefelsäure und Ammoniak
zerfallen soll.
Letztere Angabe steht aber mit der Formel NH3(SO3K)2 nicht im
Einklänge; wenn ein solcher Körper, der ja immer noch ein Derivat der hypothetischen
Verbindung NH5 ist, seinen ganzen Stickstoffgehalt
als Ammoniak, allen Schwefel als Schwefelsäure abgibt, so muſs nothwendig freier
Wasserstoff auftreten, was aber nirgends erwähnt ist. Besonders aber stehen die Claus'schen Formeln im Widerspruch mit Angaben von Berglund.Lunds Universitets Arskrift 12 und 13. Letzterer hat die Verbindungen untersucht, welche bei der
Einwirkung von trockenem Ammoniak auf Schwefelsäureanhydrid bezieh. auf
Chlorsulfonsäure entstehen und findet, daſs dabei vor allen Dingen ein Körper
auftritt, der als imidosulfonsaures Ammonium HN(SO3NH4)2 zu
betrachten ist. Aus dieser Verbindung läſst sich durch Behandeln mit Kali, wobei nur
⅔ des Stickstoffes als Ammoniak entweicht, ein imidosulfonsaures Kali NH(SO3K)2 darstellen und
dieses Salz erwies sich mit dem disulfammonsauren Kali von Claus, das die Zusammensetzung NH3(SO3K)2 haben soll,
identisch. Berglund verwirft letztere Formel und nimmt
an, daſs auch dem trisulfammonsauren Kali nicht die Formel NH2(SO3K)3, sondern die um 2 Wasserstoffatome ärmere N(SO3K)3 zukomme.
Raschig's eingehende Untersuchung dieses Gegenstandes
hat nun gezeigt, daſs Berglund ganz zweifellos im Recht
ist; das disulfammonsaure Kali von Claus NH3(SO3K)2 ist in Zukunft als imidosulfonsaures Kali NH(SO3K)2, das
trisulfammonsaure Kali NH2(SO3K)3
+ 2H2O als
nitrilosulfonsaures Kali N(SO3K)3 + 2H2O
aufzuführen; das tetrasulfammonsaure Kali NH(SO3K)3 +3H2O
schlieſslich ist keine einheitliche chemische Verbindung, sondern ein Gemisch,
dessen Hauptbestandtheil das vorige Salz N(SO3K)3 ist. Das imidosulfonsaure Kali NH(SO3K)3 zerfällt nicht,
wie Claus meint, beim Behandeln mit Säuren direkt in
Ammoniak und Schwefelsäure, sondern es besteht eine Zwischenstufe, welche von Bergend eingehend untersucht wurde, das
amidosulfonsaure Kali, NH2SO3K. Die demselben zu Grunde liegende
Amidosulfonsaure ist im freien Zustande beständig und kann in groſsen Krystallen
erhalten werden, während Imidosulfonsäure kaum und Nitrilosulfonsäure gar nicht herstellbar ist, weil sie
im freien Zustande unter Abspaltung von Schwefelsäure in Amidosulfonsäure übergehen.
Die vorliegenden Körper sind also keine Derivate des hypothetischen Körperss NH5, sondern sie leiten sich vom Ammoniak ab und
bilden folgende Reihe:
N(SO3K)3,
nitrilosulfonsaures Kali.
NH(SO3K)2,
imidosulfonsaures Kali.
NH2(SO3)K,
amidosulfonsaures Kali.
NH3,
Ammoniak.
Eine andere Reihe von Verbindungen, die sich aber nicht vom Ammoniak, sondern vom
Hydroxylamin herleitet, kann aus schwefligsauren und salpetrigsauren Alkalien unter
veränderten Versuchsbedingungen hergestellt werden. Obenan steht ein Salz, welches
Claus disulfhydroxyazosaures Kali nennt und dem er
die Constitution \left\mbox{H.N}\atop\ \ \ \ddot{\mbox{O}}\right. \left
:(\mbox{SO}_3\mbox{K})_2\atop\right zuertheilt. In Wirklichkeit ist
diese Verbindung das hydroxylamindisulfonsaure Kali HO.N(SO3K)2. Auch dieses
Salz ist, ähnlich wie das nitrilosulfonsaure Kali, in saurer Lösung unbeständig; es
spaltet eine Sulfogruppe ab und geht in die Hydroxylaminmonosulfosäure
\left\mbox{HO}\atop\ \
\mbox{H}\right>\mbox{N}(\mbox{SO}_3\mbox{H}) über, welche durch
Alkalien leicht in Hydroxylamin und Schwefelsäure zu spalten ist. Aber auch gegen
Säuren ist die Hydroxylaminmonosulfosäure lange nicht so widerstandsfähig wie die
Amidosulfosäure und geht beim andauernden Erwärmen hiermit glatt in schwefelsaures
Hydroxylamin und Schwefelsäure über. Zur Gewinnung des ersteren braucht man nur
hydroxylamindisulfonsaures Kali mit Wasser längere Zeit zu erhitzen, um ein
Zerfallen des Salzes nach der Gleichung:
2HON(SO3K)2 + 4H2O = (NH2OH)2SO4H2 + 2K2SO4 + SO4H2
zu bewirken. Da das schwefelsaure Hydroxylamin leicht und in
groſsen Mengen erhältlich ist, so ergibt sich auf diese Weise ein neues Verfahren
zur Darstellung von Hydroxylamin, welches diesen Körper
voraussichtlich zu billigem Preise herzustellen gestattet.
Auch ein Derivat des hypothetischen Dihydroxylamins
\left\mbox{HO}\atop\mbox{HO}\right>\mbox{NH} kann
unter Umständen aus schwefligsaurem und salpetrigsaurem Kali erhalten werden und
diese Substanz, der die Constitutionsformel
\left\mbox{KO}\atop\mbox{HO}\right>\mbox{N\,(SO_3K)}
zukommt, ist schon von Fremy unter dem Namen
sulfazinigsaures Kali beschrieben worden. In die gleiche Gruppe gehört Fremy's sulfazinsaures Kali, das man sich aus 1 Mol.
sulfazinigsaurem Kali und 1 Mol. des für sich bis jetzt noch nicht erhaltenen Salzes
\left\mbox{HO}\atop\mbox{HO}\right>\mbox{N\,(SO_3K)}
durch Wasserabspaltung entstanden denken kann:
Textabbildung Bd. 266, S. 278
Diese Salze werden durch Säuren unter Entwicklung von Stickstoffoxydul zersetzt, es
entsteht dabei jedenfalls zuerst das Dihydroxylamin (OH)2NH, das dann weiter unter Wasseraustritt in untersalpetrige Säure HNO und
deren Anhydrid N2O, das Stickstoffoxydul
übergeht.
Uebersichtlich wird der zwischen salpetriger und schwefliger Säure in alkalischer
Lösung statthabende Prozeſs, wenn man die beschriebenen Körper in einer Tabelle
vereinigt und an deren Ende das Hydrat der salpetrigen Säure NO3H3 setzt:
N (SO3K)3,Nitrilosulfons.
Kali
–
–
–
NH(SO3K)2,Imidosulfons.
Kali
HON(SO3K)2,Hydroxylamindi-sulfons.
Kali
–
–
NH2SO3K,Amidosulfons. Kali
HONHSO3K,Hydroxylamin-monosulfons. Kali
(HO)2NSO3K,Dihydroxylamin-sulfons.
Kali
–
NH3,Ammoniak
HONH2,Hydroxylamin
(HO)2NH,Dihydroxylamin
(HO)3N,Salpetrige
Säure
–
–
(Hydrat der unter-salpetrigen SäureONH und
des Stick-oxyduls N2O)
–
Man sieht sofort, daſs zuerst aus 1 Mol. salpetrigsaurem und 1 Mol. schwefligsaurem
Kali das Salz (HO)2NSO3K entsteht, daſs dieses durch Einwirkung eines weiteren Moleküles von
Sulfit in das Salz HON(SO3K)2 übergeht, welches durch nochmalige Behandlung mit
1 Mol. schwefligsaurem Kali das Endproduct N(SO3K)3 liefert. Auch der Mechanismus dieser
Reaction erscheint überraschend einfach, sowie man nur annimmt, daſs das Hydrat der
schwefligen Säure die unsymmetrische Constitution H.SO2.OH besitzt, eine Annahme, deren Berechtigung schon häufig nachgewiesen
wurde. Gibt man dieses zu, so erscheint der ganze Prozeſs als eine Condensation, bei
welcher je eine an Stickstoff gebundene Hydroxylgruppe mit einem an Schwefel
gebundenen Wasserstoffatom der schwefligen Säure in Gestalt von Wasser austritt, und
steht also in vollkommener Uebereinstimmung mit den mannigfachen
Condensationsprozessen, welche in der organischen Chemie allemal beobachtet werden,
wenn salpetrige Säure mit Verbindungen zusammentrifft, welche besonders
reactionsfähige Wasserstoffatome enthalten.
Es kann auch nicht zweifelhaft sein, daſs die gleiche Reaction mit schwefliger Säure
eintreten wird, wenn nicht 3 Hydroxylgruppen, wie in der salpetrigen Säure, sondern
nur zwei oder eine an Stickstoff gebunden sind. Man würde also aus Dihydroxylamin,
(HO)2NH, oder der ihm zu Grunde liegenden
untersalpetrigen Säure, ONH, bei Behandlung Hut schwefliger Säure in alkalischer
Lösung zuerst das hydroxylaminmonosulfonsaure Kali und dann imidosulfonsaures Kali
erhalten. Der Versuch
ist nicht angestellt worden, weil untersalpetrige Säure sehr schwer zugänglich ist;
dagegen ist Hydroxylamin mit schwefliger Säure zusammengebracht worden und hat, wie
erwartet wurde, Amidosulfonsäure, NH2SO3H, ergeben; man braucht nur die wässerige Lösung
von salzsaurem Hydroxylamin mit schwefliger Säure zu sättigen und die Flüssigkeit
einzudampfen, um beim Erkalten eine reichliche Menge schön krystallisirter
Amidosulfonsäure zu erhalten. Auch ist es nicht nothwendig, daſs gerade
Hydroxylgruppen an Stickstoff gebunden sind, sondern auch Verbindungen des
Stickstoffes mit anderen elektronegativen Radicalen treten mit schwefliger Säure
zusammen, so z.B. die Halogenstickstoffe. Man kann dieses Verhalten allerdings kaum
an den anorganischen Vertretern dieser Gruppe studiren, dagegen befinden sich unter
den zahlreichen organischen Halogenstickstoffverbindungen solche, welche beständig
und zugänglich genug sind, um in dieser Hinsicht untersucht zu werden. Solche
Untersuchungen liegen auch bereits vor. Ein sehr bekannter, hierher gehöriger Körper
ist die Phenylhydrazinsulfonsäure von E. Fischer, welche direkt aus Diazobenzolchlorid mit
Natriumbisulfit erhalten wird, welcher von ihrem Entdecker die Constitution C6H5NH.NHSO3H gegeben wurde. Die Amidophenolsulfosäure, welche
Schmitt und Bennewitz (Journal für praktische
Chemie, Bd. 8 S. 1) aus Chinonchlorimid durch
Einwirkung von schwefliger Säure oder schwefligsaurem Natron erhalten haben, und
welche diese Forscher als
\mbox{SO}_3\mbox{H.C}_6\mbox{H}_2\left<\mbox{NH}_2\atop\mbox{OH}\right
auffassen, dürfte wohl die Sulfogruppe an Stickstoff gebunden
enthalten und die Constitution
\mbox{C}_6\mbox{H}_4\left<\mbox{NH.SO}_3\mbox{H}\atop\mbox{OH}\
\ \ \ \ \ \ \ \right besitzen, da nur diese Auffassung mit der
Bildungsweise der Verbindung in Einklang zu bringen ist, und ebenso wird man der
Chloramidophenolsulfosäure, welche Kolrepp (Liebig's
Annalen, 1887 Bd. 234 S. 21) kürzlich aus
Chlorchinonchlorimid mittels Natriumbisulfit herstellte,
nicht die vom Entdecker gegebene Formel
\mbox{SO}_3\mbox{H.C}_6\mbox{H}_2\mbox{Cl}\left<\mbox{NH}_2\atop\mbox{OH}\
\right, sondern die Constitution
\mbox{C}_6\mbox{H}_3\mbox{Cl}\left<\mbox{NH.SO}_3\mbox{H}\atop\mbox{OH}\
\ \ \ \ \ \ \ \right zuertheilen müssen; ihre Empfindlichkeit gegen
Alkalien und die Leichtigkeit, mit welcher sie die Sulfogruppe verliert, steht mit
dieser Annahme vollkommen in Einklang. Ja es läſst sie behaupten, daſs sowie man
sich nur erst an die augenblicklich etwas fremdartige Anschauungsweise, wonach
Sulfosäuren aromatischer Basen die Sulfogruppe nicht nothwendig im Kern enthalten
müssen, sondern dieselbe auch an Stickstoff gebunden enthalten können, gewöhnt ha,
sich eine gröſsere Zahl der bekannten, hierher gehörigen Sulfosäuren als Repräsentanten der letzteren
Gruppe erweisen werden; denn es liegt gar kein Grund vor anzunehmen, daſs beim
Behandeln aromatischer Basen mit concentrirter oder rauchender Schwefelsäure die
Sulfogruppe in den Kern treten müsse. So ist z.B. die eben erwähnte
Amidophenolsulfosäure von Schmitt und Bennewitz, der
man, wie erwähnt, die Constitution
\mbox{C}_6\mbox{H}_4\left<\mbox{NH.SO}_3\mbox{H}\atop\mbox{OH}\
\ \ \ \ \ \ \ \right geben muſs, von ihren Entdeckern auch aus
Amidophenol und Schwefelsäure gewonnen worden.
Eine solche Constitution würde hier und in allen ähnlichen Fällen als bewiesen zu
erachten sein, sowie es gelingt, durch Behandeln mit Säuren oder mit Alkalien die
Sulfogruppe unter Ersatz durch Wasserstoffe also durch
Regenerirung der zu Grunde liegenden Base abzuspalten.
Zum Schlusse stellt Raschig weitere Mittheilungen in
Aussicht, insbesondere auch darüber, wie salpetrige und schweflige Säure in saurer Lösung auf einander einwirken und was für
Schlüsse aus dieser Reaction für die Chemie des Bleikammerprozesses zu ziehen sind.