Titel: | Die Fabrikation des Arsensäurefuchsins; von Dr. Otto Mühlhäuser. |
Autor: | Otto Mühlhäuser |
Fundstelle: | Band 266, Jahrgang 1887, S. 455 |
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Die Fabrikation des Arsensäurefuchsins; von Dr.
Otto Mühlhäuser.
Mit Abbildungen auf Tafel 26 und 27.
Mühlhäuser, über die Fabrikation des
Arsensäurefuchsins.
Da bis dahin unsere Literatur eine der Wichtigkeit des Farbstoffes Entsprechende
Darstellung der Fabrikation des Arsensäurefuchsins, namentlich unter voller
Berücksichtigung des entwickelungsgeschichtlichen Momentes nicht besitzt, so hat der
Verfasser die Bearbeitung des Stoffes von dieser interessanten Seite aus
unternommen. Eigene Erfahrungen in der Fuchsinfabrikation erlaubten die Ergänzung
der meist der fremdländischen Literatur entnommenen Resultate.
Die Art und Weise dieser Behandlung des Stoffes dürfte namentlich dem sich für
Technologie-Historik interessirenden chemischen Technologen erwünscht sein, aber
auch dem der Farbenindustrie näher Stehenden wird ein Einblick in die Fabrikation
und in die historische Entwickelung, welche dieselbe im Laufe der Jahre durchgemacht
hat, nicht uninteressant erscheinen, zumal die Fuchsinfabrikation derjenige
Farbbetrieb ist, in welchem die die organische Farbentechnik charakterisirenden
Arbeitsweisen und Kunstgriffe, welche immer wieder da zur Anwendung kommen, wo es
sich um die Uebertragung einer Laboratoriumsmethode in den Groſsbetrieb handelt,
ihre Ausbildung erfahren haben.
Um dem weniger mit der Sache vertrauten Interessenten das Studium der Abhandlung zu
erleichtern, ist der quantitativen Seite der Fabrikation meist die qualitative nebst
kurzer Charakteristik des betreffenden Apparatensystemes vorangestellt. Dadurch
werden in einigen Fallen Wiederholungen nöthig, aber diese flüchtigen Skizzen,
welche der eigentlichen Ausführung vorhergehen, gestatten das tiefere Eingehen auf
den Gegenstand. Diese Ausführlichkeit der Darstellung chemischer Prozesse und
Manipulationen bringt allein den Gegenstand der Behandlung der Wirklichkeit nahe, es
ist daher angezeigt, auch geringfügig erscheinende Operationen und Kunstgriffe,
welche zum Gelingen der Operation beitragen, in einer Abhandlung zu schildern,
welche vielleicht später geschichtliches Interesse erlangen wird.
I. Die Rothschmelze.
Erhitzt man ein Gemenge der zweifach sauren Arseniate des Anilins des o- und p-Toluidios auf 180 bis 190°, so entsteht unter
Reduction der Arsensäure zu Arsentrioxyd eine cantharidengrüne Masse, welche die
Fuchsinbasen: Pararosanilin, Methyl-Pararosanilin und wahrscheinlich auch
Dimethyl-Pararosanilin; die Phosphinbasen: Chrysanilin und Methyl-Chrysanilin und
die Indulinbasen: Violanilin und Mauvanilin in Form der Arsenite bezieh. Arseniate enthält.
Die Bildung des einfachsten Rosanilins, des Pararosanilins geschieht durch
Herausoxydiren von Wasserstoffatomen aus einem Gemisch von 1 Mol. Paratoluidin und 2
Mol. Anilin nach folgender Gleichung:
Textabbildung Bd. 266, S. 456
In analoger Weise erfolgt die Bildung des Methyl-Pararosanilins (Rosanilin) und des
Dimethyl-Pararosanilins (Rosotoluidin) aus entsprechenden Alkaloidgemengen.
Auſser diesen der Schmelztemperatur und den Angriffen der
Arsensäure Widerstand leistenden Pararosanilinen werden wahrscheinlich noch
drei, jenen drei isomere, Verbindungen vorübergehend gebildet, nämlich das aus 1
Mol. o-Toluidin und 2 Mol. Anilin entstehende
Diparaamido-orthoamidotriphenylcarbinol
Textabbildung Bd. 266, S. 456
das aus 2 Mol. o-Toluidin und 1
Mol. Anilin entstehende Diparaamido-orthoamidodiphenyltolylcarbinol
Textabbildung Bd. 266, S. 456
und das aus 3 Mol. o-Toluidin
entstehende Diparaamido-orthoamido-phenylditolylcarbinol
Textabbildung Bd. 266, S. 456
Diese 3 letztgenannten Rosaniline werden voraussichtlich in gleicher Weise in die
entsprechenden Phosphine zerlegt werden, wie O. Fischer
und KörnerO. Fischer und Körner, Berliner Berichte 17, S. 203. es beim Diparaamido-orthoamidotriphenylmethan dargethan haben.
Textabbildung Bd. 266, S. 457
Wenn wir die Formel
Textabbildung Bd. 266, S. 457
als Ausdruck der Zusammensetzung des einfachsten der leicht
oxydirbaren Rosaniline wählen, so dient die Formel:
Textabbildung Bd. 266, S. 457
als entsprechendes Symbol für die Zusammensetzung des beim
Erhitzen von Diparaamidoorthoamidotriphenylcarbinol mit Arsensäure entstehenden
einfachsten Phosphins des Chrysanilins und wir können uns den in der Arsenschmelze
statthabenden Prozeſs nach folgender Gleichung verlaufend denken:
Textabbildung Bd. 266, S. 457
Ebenso dürften auch die homologen Chrysaniline das
Methylchrysanilin (Chrysotoluidin):
Textabbildung Bd. 266, S. 457
und das Dimethylchrysanilin:
Textabbildung Bd. 266, S. 457
aus den correspondirenden Rosanilinen entstehen.
Während man die Bildung der Rosaniline und der secundär entstehenden Phosphine in der
oben ausgeführten Weise deuten muſs, so ist es schwer, sich Vorstellungen über die
Bildungsweise der Indulin artigen Farbstoffe zu machen. Am besten gelingt dies noch,
wenn man ihrer Entstehung analoge Vorgänge zu Grunde legt, wie der Rosanilin-
bezieh. Phosphinbildung. Man gelangt dann für die einfachsten Glieder der Reihe zu
folgenden Formeln:
Textabbildung Bd. 266, S. 458
entsprechend dem Chrysanilin und dessen Zwischenproduct
Textabbildung Bd. 266, S. 458
Geschichtliches.
Wenige Monate nach der Aufsehen erregenden Entdeckung Emanuel
Verguin's fanden der englische Arzt H. Medlock
und der Chemiker Edward Chambers Nicholson fast
gleichzeitig und unabhängig von einander ein Verfahren zur Herstellung von Fuchsin
durch Erhitzen von arsensaurem Anilin. Dieses Verfahren, das in England zum ersten
Male von Medlock1860 158 146. am 18. und von Nicholson am 26. Januar
1860 zum Patent angemeldet wurde, erhielt Ersterer patentirt. Nach der Medlock'schen PatentvorschriftTraité des derivês de la Houille 1873 p. Girard et de
Laire, 1873 S. 554. erzeugt man das Fuchsin durch Mischen von 2 Th. Anilin mit 1 Th.
wasserfreier Arsensäure und Erhitzen zum Sieden, welches so lange fortgesetzt wird,
bis das Gemisch satte Purpurfarbe annimmt. In Frankreich wurde dasselbe Verfahren
den französischen Chemikern Charles Girard und Georges de Laire1861 159 229 und 452. am 1. Mai 1860 patentirt. Die Genannten geben in ihrem Patente ein
ausführlich beschriebenes Verfahren zur Herstellung der Schmelze an. Danach bringt
man in einen Destillirapparat 12 Th. Arsensäureanhydrid und 12 Th. Wasser. Sobald
die Säure sich hydratisirt hat, setzt man unter Umrühren 10 Th. Anilin zu. Das
Gemenge wird in Folge der Bildung von arsensaurem Anilin fest. Darauf erwärmt man
behutsam. Die Masse wird wieder flüssig und es beginnt Wasser zu verdampfen. Bei
einer Temperatur von 120°, die nicht höher als 160° steigen darf, geht das Anilin in
den rothen Farbstoff über. Nach 4 bis 5stündiger Einwirkung erhält man eine unter 100° flüssige
Masse, die beim Erkalten hart und spröde wird und Bronzeglanz besitzt. Bald nach der
Entdeckung von Girard und de
Loire erfolgte die Ausbeutung der Erfindung in der Fabrik der Herren Rénard frères und Franc in Lyon. Wie Adolf WurtzRapports du Jury international de l'exposition de
Londres de 1862 Bd. 1 S. 295. im J. 1862 mittheilt, stellte man in der genannten Fabrik die
Schmelze wie folgt dar: Man erhitzt in einem im Luftbade sitzenden guſseisernen
Kessel ein Gemenge von 15k Anilin und 25k Arsensäure von 76 Proc. As2O5-Gehalt während 3
bis 4 Stunden auf 150 bis 170°. Von Zeit zu Zeit entnimmt man der Reactionsmasse mit
einem Stabe eine Probe. Sobald dieselbe beim Erkalten erstarrt, Bronzeglanz und
spröden Bruch besitzt, wird der Kessel entleert und die Masse erkalten gelassen.
Nur wenig Beachtung verdient ein im J. 1864 von D.
DawsonChemical News, Bd. 9 S. 271. genommenes Englisches Patent, nach welchem man das Fuchsin durch
Erhitzen einer wässerigen Arsensäurelösung mit Anilin unter Druck erhält. Aehnliche
Angaben wie A. Wurtz macht auch Max ReimanTechnologie des Anilins von M. Reiman, 1866, S. 62. im J. 1865. Bald darauf, im J. 1867, ist der
Arsensäureschmelzprozeſs in der Weise, wie er heute noch ausgeführt wird von A. W. Hofmann, Ch. Girard und G. de LaireRapports du Jury international de l'exposition
universelle de Paris de 1867, Bd. 7 S. 241. beschrieben worden. Spätere Mittheilungen von Charles LauthDictionnaire de Chimie p. Wurtz Bd. 1 S.
315. (1867), Girard und de LaireTraité des derivés de la Houille p. Girard
et de Laire 1873 S. 555. (1873), A. WurtzProgrès de l'industrie des matières colorantes p.
Wurtz, 1876 S. 52. (1876) und Paul Schoop1885 258 * 276. (1885) haben die ausführlicheren Mittheilungen der erstgenannten
Forscher theils bestätigt, theils ergänzt. Die Zusammensetzung der die günstigsten
Resultate gebenden Arsensäureanilinmischung haben schon Girard und de Laire in ihrem Patente
Angegeben. Untersuchungen über diesen Gegenstand führte R.
Brimeyr1866 179 395. aus. Er kommt zur Ansicht, daſs man eine um so günstigere und
schönere Ausbeute an Fuchsin erhält, je näher das Mischungsgewicht von Säure und
Anilin dem Molekularverhältniſs 1 : 2 steht und je rascher die Operation zu Ende
geführt wird. Die meisten der oben angeführten Fabrikationsvorschriften weisen in
der That – wie Tabelle auf S. 460 oben zeigt – Mischungsgewichte auf, welche mit Brimeyr's Resultat in Einklang stehen.
Zur Ausführung der Arsenschmelze bediente man sich zu Anfang der Fabrikation
guſseiserner Schmelzkessel von 50l InhaltTraité des derivés de la Houille p. Girard et
de Laire, 1873 S. 555., eine Gröſse, die man im J. 1861 für ungeheuer fand. Später führte man
Kessel
Zeit
Autoren
Anilin
Arsensäure
Temperatur
Arsensäure
Anilin
MoleküleAnilin *
MoleküleAs2O5
Theile
Theile
GehaltanAs2O5
1860
H. Medlock
2
1
100
Siedepunkt
230
460
4,6
1
1860
Girard und de
Laire
10
24
50
120–60°
230
191
1,9
1
1862
Rénard frères et Franc
15
25
76
150–70°
230
182
1,8
1
1864
D. Dawson
–
–
77
–
230
279
2,3
1
1867
A. W. Hofmann undGirard und de Laire
800
1370
72
190–200°
230
187
1,9
1
1867
Ch. Lauth
100
140
75
Siedepunkt
230
219
2,2
1
1873
Girard und de
Laire
10
16
75
180–90°
230
191
1,9
1
1876
A. Wurtz
1000
1500
75
190–200°
230
204
2,0
1
1885
P. Schoop
500
1000
75
–
230
246
2,5
1
* Das Molekulargewicht des Anilins ist = 100 angenommen.
von 300lDictionnaire de chimie p. Wurtz Bd. 1 S.
315., 25001Traité des dérivés de la Houille p. Girard et
de Laire, 1873 S. 568.; ja selbst 4000lProgrès de l'industrie des matières colorantes p.
Wurtz 1876 S. 52. Inhalt in den Fuchsinschmelzereien ein. Groſse Schwierigkeiten und
Unannehmlichkeiten hat seiner Zeit die Entleerung der Kessel verursacht. Während man
heute die Schmelze gerade soweit eindickt, daſs sie noch ausgeschöpft werden kann,
oder von selbst aus einer am untersten Theile des Schmelzkessels angebrachten
Oeffnung abflieſst, ging man früher in französischen WerkenRapports du Jury international de l'exposition de
Paris p. Hofmann, de Laire et Girard
Bd. 7 S. 241. mit dem Eindicken so weit, daſs weder ein Ausschöpfen noch ein Ablassen der
Schmelze möglich war. Man machte daher die noch heiſse Schmelze unter Zusatz von
Wasser wieder plastisch und entleerte den Kessel mittels Dampfdruck in den
Abkochkessel. Diese Art der Kesselentleerung ist, wie schon erwähnt, verlassen. Bei
hinreichend groſsem Kaliber der Ausfluſsöffnung des Schmelzkessels gelingt die
Entleerung ohne Schwierigkeit, vorausgesetzt, daſs die Schmelze nur so weit
eingedickt wird, als es überhaupt nöthig ist.
Die Schmelze.
Zur Herstellung der Schmelze dient der mit Rührwerk versehene Guſskessel A (Taf. 26 und 27). Der Deckel des Kessels besitzt ein
Mannloch zur Eingabe der Materialien- einen Stutzen zur Verbindung mit der
Kühlschlange B und eine in den Deckel eingelassene –
zur Aufnahme des Thermometers dienende und theilweise mit Gel gefüllte – Kanüle. Am
Boden des Kessels befindet sich eine weite, mit einem guſseisernen Zapfen
verschlieſsbare Ablaſsöffnung.
Ein anderer Kessel A1
steht in Reserve. Die Kessel A und A1 sind derart
eingemauert, daſs das Feuer den Boden bestreicht und in einem 5mal den Kessel
umstreichenden Abzugskanal als Rauchgas dem Schornstein zugeführt wird. Beide Kessel
sind mit einer gemeinschaftlichen Kühlschlange B
verbunden, welche durch einen Strom kalten Wassers abgekühlt wird, um die während der Reaction sich
entwickelnden Dämpfe zu condensiren. Das Destillat wird in einem Gefäſs D, das mit einem Ablaſshahn und einem Wasserstand
versehen ist, aufgefangen. Ein an der Abfluſsſeite der Schmelzkessel etwa 25cm hoch aufgemauerter Raum E dient zur Aufnahme der heiſsen Schmelze und als Zerkleinerungsraum. Vor
dem Anfeuern bezieh. während desselben wird der Schmelzkessel zunächst mit Anilinöl
und Arsensäure beladen. 570k syrupförmige
Arsensäure von 74° B. und 340k Rothöl von 1,008
spec. Gew. bei 15° werden gleichzeitig unter Umrühren einlaufen gelassen. Man erhält
so ein Gemisch der Arseniate des Anilins, o- und p-Toluidins in Form einer weiſsen Gelatine, die schon
bei mäſsiger Erwärmung schmilzt. Zur Einleitung der Reaction bezieh. Destillation
wird die, während der ganzen Schmelzdauer in Bewegung gehaltene Mischung durch
Unterhaltung eines schwachen Feuers vorsichtig und langsam auf etwa 120° erhitzt, um
ein Ueberschäumen, das bei allzuschnellem Erhitzen leicht eintritt, zu verhindern.
Ist diese Temperatur annähernd erreicht, so beginnt auch schon die Destillation und
jetzt kann man die Hitze durch vermehrtes Heizen steigern, ein Uebersteigen des
Kesselinhaltes ist nicht mehr zu befürchten.
Nach etwa 7stündigem Erhitzen der durch Umrühren in Bewegung gehaltenen Mischung
kommt die Temperatur im Inneren des Kessels auf ungefähr 180°, von nun ab führt man
den Prozeſs so, daſs die Temperatur nur noch langsam ansteigt, so daſs nach weiteren
2 Stunden diejenige Temperatur erhalten wird, bei der die Oxydation zu Ende geführt
wird. Dieselbe ist 185 bis 189°. Sobald das Thermometer 184° anzeigt, werden dem
Kessel von Zeit zu Zeit Proben entnommen, um das Ende des Prozesses zu erfahren und
dasselbe mit der Kesselentleerung zusammenfallen zu lassen. Von diesem Abpassen des
richtigen Augenblickes hängt sowohl die Ausbeute als auch die mehr oder weniger
leichte Verarbeitbarkeit der Schmelze ab. Erhitzt man nämlich die Masse nicht lange
genug, so wird eine zu dünne, klebrige Schmelze erhalten, die sich nicht allein
schlecht verarbeiten läſst, sondern dazu noch schlechte Ausbeute ergibt, erhitzt man
im Gegentheil zu lange, so wird die Schmelze zu dick, bleibt im Kessel stecken und
läuft nicht mehr heraus. Sie muſs dann im Kessel erkalten gelassen und
herausgebrochenDiese harte Arbeit endet meist damit, daſs derjenige, der sie ausführt, sich
eine Arsenvergiftung zuzieht, die zwar mit dem stets bereit liegenden Fuchs'schen Mittel schnell gehoben und
ungefährlich gemacht wird. Man wird aber unter solchen Umständen unter einem
die Fabrikation beeinträchtigenden Arbeiterwechsel zu leiden haben, da ein
Arbeiter zum zweiten Male zu einer derartigen Arbeit nicht zu bewegen
ist. werden. Zeigt die Probe das Ende des Prozesses an, so zieht man sogleich den
Zapfen, behält aber das die Entleerung fördernde Rührwerk im Gang. Dem Kessel
entströmt die cantharidenfarbige Schmelze als etwa 18cm dicker Strom, der sich in der ausgemauerten Vorlage E ausbreitet und dieselbe in etwa 10cm hoher Schichte anfüllt. Oft gelangt die heiſse Masse nach dem Ablassen
aus dem Kessel nochmals ins Arbeiten. Sie bläht sich auf und vergröſsert ihr Volum.
Diese Volumvergröſserung findet unter heftigem Aufwallen der Schmelze statt, Gase
entbinden sich und das Ganze zeigt dieselben Erscheinungen wie das Erstarren des
Magmas vulkanischer Laven unter Bimssteinbildung.
Die Regulirung der Wärmezufuhr während des Schmelzens geschieht durch verminderte
oder vergröſserte Zufuhr von Kohle, durch Bedecken des Feuers mit Asche oder endlich
durch Herausziehen des Feuers aus dem Herde und Oeffnen der Feuerthür, behufs
Abkühlung des Kessels durch Luftcirculation in den Zügen des Ofens. Die bequemste
Art der Heizung ist hier, wie in vielen anderen Fällen, die Gasfeuerung, wie solche
in den dem Verfasser näher bekannten Fuchsinwerken des Staates New-York eingeführt
ist.
Auſser an der Schmelzprobe kann das Fortschreiten des Prozesses und das Ende
desselben auch an der Menge Anilin und Wasser, welche aus dem Kessel A in die Vorlage D
überdestilliren, erkannt werden. Arbeitet man – wie es in der That geschieht – immer
unter denselben Bedingungen in Bezug auf Concentrationsgrad der Arsensäure,
Temperatur, Schmelzdauer, Mischungsverhältniſs von Arsensäure und Anilin bei
constanter Zusammensetzung des Anilins, so wird auch ein constantes Verhältniſs
zwischen erzeugter Schmelze und dem bei der Reaction entweichenden Destillate zu
constatiren sein. Die Destillationsmenge wird also den Maſsstab abgeben, mit dem der
Prozeſs controllirt werden kann. Man kann in der That in übersichtlicher Weise am
leicht zugänglichen Wasserstande der Vorlage das Ende der Reaction durch Messen des
Destillatvolums feststellen. Hat nämlich dieser die Höhe der Marke – die man sich
ein für allemal feststellt – erreicht, so kann die Schmelze aus dem Kessel entleert
werden. Es ist jedoch unzweckmäſsig, sich auf dieses Indicium allein zu verlassen,
wird es vielmehr nur als ungefähren Hinweis auf das Ende der Operation, das
Probeziehen aber als absolutes Mittel der Feststellung der Garheit der Schmelze
betrachten.
Aus der nachfolgenden Tabelle ist die Temperatursteigerung einiger Ansätze zu
entnehmen. Die endständigen Zeit- und Temperaturnotirungen sind in dem Augenblicke
gemacht, wo die gezogene Probe das benöthigte Ablassen der Schmelze anzeigte und die
Destillatsmenge das – durch die am Wasserstande angebrachte Marke – begrenzte
Normalvolum von 330l annähernd eingenommen, gerade
erreicht oder nur wenig überschritten hatte.
Im milchigen Destillate scheidet man Anilin und Wasser durch Einrühren von 50k Kochsalz. Das auf der Salzlauge schwimmende Oel
wird abgehebert, erstere verloren gegeben. Da das ungefähr 140k wiegende Anilindestillat wegen seines Gehaltes
an Paratoluidin noch
Zeit
1
2
3
4
5
Temperatur
Temperatur
Temperatur
Temperatur
Temperatur
Grad
Grad
Grad
Grad
Grad
7h,30
–
–
–
115
–
8h
–
115
–
119
–
8h,30
114
120
–
121
116
9h
118
121
115
126
121
9h,30
121
124
119
132
125
10h
127
130
121
140
130
10h,30
132
139
125
148
138
11h
136
150
130
153
147
11h,30
144
160
138
161
158
12h
154
168
148
167
167
12h,30
163
176
158
170
172
1h
170
180
167
175
176
1h,30
174
182
173
178
178
2h
178
182
175
180
180
2h,30
180
183
177
182
181
3h
180
185
180
182
182
3h,30
187
189
180
185
183
4h
–
–
182
189
187
4h,30
–
–
184
–
–
5h
–
–
187
–
–
5h,10
–
–
187
–
–
einmal zu einer Schmelze verwendet „ausgenutzt“ werden
kann, so wird dasselbe bei der folgenden Operation – nachdem sein Gewicht durch
frisches Gel auf 340k gebracht worden ist – wieder
verschmolzen. Das nunmehr resultirende Destillat, die échappés par excellence –
welche der Hauptmenge nach aus o-Toluidin und Anilin
bestehen – kann nicht mehr mit Vortheil mit Arsensäure verarbeitet werden, findet
vielmehr Verwendung zur Herstellung von Saffranin und Azofarbstoffen.
Folgende Tabelle ergänzt das eben Besprochene und zeigt an einigen Beispielen den
Wechsel der Mengen an überdestillirendem Anilin, das im Mittel 135 bis 140k betragen soll.
NummerderSchmelze
Frisches Rothöl
Destillat
NummervonSchmelze
Gesammtöl
Arsensäure
I
340k
–
–
340k
570k
II
204
136
I
340
570
III
340
–
–
340
570
IV
205
135
II
340
570
V
340
–
–
340
570
VI
200
140
V
340
570
Das Gewicht einer Schmelze beträgt im Mittel 11½ Centner.
Die unter normalen Verhältnissen dargestellte Rothschmelze enthält:
1) Arsenige Säure,
2) Arsensäure,
3) Farbstoffe:
a)
Fuchsinc:
Pararosanilin,
Methylpararosanilin (Rosanilin),
Dimethylpararosanilin (Rosotoluidin),
b)
Phosphine:
Chrysanilin
Methylchrysanilin (Chrysotoluidin),
c)
Induline:
Violanilin,
Mauvanilin,
d)
Braune Farbstoffe,
4) Humusartige Substanzen von unbekannter Natur.
Die Bildung phenylirter Fuchsine, Phosphine und Induline wird eintreten, sobald aus
Versehen mehr Anilin angewendet worden ist, als dem Verhältniſs 1 As2O5 auf 2 Mol.
Anilin entspricht. Dann wird, sobald alle Arsensäure zu arseniger Säure reducirt
ist, auch Phenylirung statthaben. In der That bemerkt man gegen das Ende der
Reaktion stets eine Ammoniakentwickelung. Endlich kann die Menge der braunen
Farbstoffe bedeutend gesteigert werden, wenn die zum Schmelzen vorgeschriebene
Temperatur überschritten wird.
Die qualitative und quantitative Zusammensetzung der Schmelze hängt wesentlich auch
von der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Anilinöles ab. Seit
Anfang der Fabrikation hatten die Fabrikanten die Wahrnehmung gemacht, daſs der
Erfolg ihres Betriebes wesentlich von der Natur des Anilins, welches sie in Reaction
brachten, abhängig sei, jedoch ohne sich über die Ursachen, denen man den Grund
dieser Erscheinung zuschreiben muſste, genauere Rechenschaft abzulegen. Sie
constatirten wohl das Vorhandensein einer gewissen Beziehung zwischen den
Siedepunkten des angewendeten Anilinöles und der Ausbeute an Farbstoff, aber damit
hörte alle ihre Wissenschaft auf. Sie beschränkten sich bei der Werthbestimmung des
Anilinöles darauf, dasselbe zu destilliren und verwendeten zur Fabrikation nur
solche Oele, die verglichen mit einem Type, d.h. mit einem Oele, das gute Resultate
gab, ungefähr in denselben Temperaturgrenzen überdestillirte. Die Epoche machenden
Arbeiten A. W. Hoffmann'sA. W. Hofmann, Compt. rend. Bd. 54 S.
428. über das Rosanilin, die Ermittelung seiner Zusammensetzung und
namentlich die Mittheilung der überraschenden Thatsache1863 169 374 und 376., daſs diese Base keineswegs, wie man bis dahin annahm, ein Derivat des
reinen Anilins sei, sondern seinen Ursprung der Gegenwart einer gewissen, im
Anilinöl enthaltenen Menge Toluidin verdanke, gaben den Schlüssel zur Ausarbeitung
eines auf rein empirischem Wege gefundenen Verfahrens. Die Hoffmann'sche Rothbildungstheorie und die Erfahrung, daſs die Ausbeute und
Qualität der Schmelze wesentlich von dem Verhältniſs, in dem sich Anilin und
Toluidin im Handelsanilin vorfinden, abhängt, lieſs die Herstellung des Rothöles
durch Mischen der Bestandtheile wünschenswerth und dringend erscheinen, denn nur mit
einem Oele von bekannter Zusammensetzung entging man allen Eventualitäten, denen man beim Arbeiten
mit einem unbekannten Stoffe, wie ihn das frühere Handelsanilin darstellte,
ausgesetzt war. Man verdankt namentlich Theodore
CoupierCoupier, Bulletin de la société industrielle de
Mulhouse, Bd. 36 S. 260 und 1866 181
385. den auſserordentlichen Erfolg, von welchem diese zeitgemäſsen
Bestrebungen begleitet waren. Indem er sich auf die von A.
W. Hofmann aufgestellte Theorie stützte, stellte er, um eine den
theoretischen Anforderungen völlig entsprechende Oelmischung zu ermöglichen,
diejenigen Basen in reinem Zustande dar, die zur Rosanilinbildung beitragen.
Dank der Einführung des Kolonnenapparates in die Kohlenwasserstoffrectification durch
Coupier wurde die Trennung von Benzol und Toluol
und also auch die Einzelnitrirung dieser Kohlenwasserstoffe technisch möglich, und
nachdem Rosenstiehl1866 181 389. das Handelstoluidin Coupier's in seine
Componenten o- und p-Toluidin trennen gelehrt und auch eine Methode zu ihrer quantitativen
Bestimmung1872 204 326. angegeben hatte, war es erst möglich, das constante Verhältniſs zu
entdecken, in welchem sich o- und p-Toluidin stets im technischen Toluidin vorfinden. Die
von Rosenstiehl1866 181 389. angeregten Versuche, welche der Fuchsintechniker mit Oelen
ausführte, die er durch Mischen der 3 Componenten darstellte, ergaben die für den
Schmelzprozeſs günstigste Anilinmischung, deren Zusammenstellung nunmehr auch
jederzeit im Groſsen ausgeführt werden konnte. Nach einer Privatmittheilung, die der
Verfasser Herrn Dr. Carl Häuſsermann in Griesheim a. M.
verdankt, „hat das Rothöl in fast allen Fabriken, welche
nach dem Arsensäureverfahren arbeiten, ein spec. Gew. von 1,008, es
destillirt zwischen 190 bis 198° über und wird durch Mischen von 1 Th.
Anilin, mit 2 Th. gewöhnlichem Toluidin erhalten. Da das fabrikmäſsig
hergestellte Toluidin fast immer aus 36 Proc. p-Toluidin und etwa 64 Proc.
o-Toluidin besteht, so ergibt sich als Zusammensetzung ein Gehalt von 33,3
Proc. Anilin, 24,0 Proc. p-Toluidin und 42,7 Proc. o-Toluidin.“
Thatsächlich erhält man auch durch Mischen dieser 3 Componenten in den angegebenen
Verhältnissen ein mit dem gewöhnlichen Rothöl hinsichtlich Siedepunkt und spec. Gew.
völlig übereinstimmendes Product.
Die genannten Zahlen stehen nun keineswegs in Einklang mit der Theorie, welche zur
Herstellung des Rosanilins ein Oel von folgender Zusammensetzung fordert: 30 Proc.
Anilin, 35 Proc. p-Toluidin und 35 Proc. o-Toluidin.
Eine Mischung dieser Zusammenstellung gibt aber eine allzu geringe Ausbeute an
Fuchsin; um die Maximalausbeute zu erhalten, müssen weit gröſsere Mengen o-Toluidin in Anwendung gebracht werden, als die Theorie verlangt.
Die Gegenwart eines gewissen Toluidinüberschusses auſser demjenigen Toluidin,
welches zur Rosanilinbildung verwendet wird, scheint zur Erleichterung der Reaction
beizutragen.
Von groſsem Einfluſs auf die qualitative und quantitative Zusammensetzung der
Schmelze ist auch die Temperatur. Leider ist dieser Einfluſs bis heute nur
ungenügend studirt worden. Es ist aber wahrscheinlich, daſs jeder der Farbstoffe,
welche aus Anilin und den beiden Toluidinen unter dem Einfluſs der Arsensäure
entstehen, sich nur bei einer gewissen Temperatur, die immer für denselben Körper
dieselbe ist, entwickelt. Die Schwierigkeit der Bestimmung der Bildungspunkte der
einzelnen Farbstoffe mag die Ursache sein, daſs dieselbe, trotz des Interesses, das
man hat, sie zu kennen, nicht ausgeführt worden ist.
Nicht ohne Einfluſs ist die Temperatur auf die gebildeten Arsenite und Arseniate am
Schluſse der Operation: die Endtemperatur. Unter 190° wird wohl keiner der in der
Schmelze vorhandenen Farbstoffe sonderlich angegriffen werden, selbst nicht bei
Gegenwart von überschüssiger Arsensäure. Ueber 190° aber erleiden alle diese
Farbstoffe, insbesondere aber bei Gegenwart von Arsensäure, eine Zersetzung. So wird
das Rosanilin schon durch Erhitzen mit Wasser auf 230° zersetzt und die
Zersetzungsproducte sind im Allgemeinen ein mehr oder weniger gelbes Roth. Bei
ungefähr 210° zersetzt sich das Rosanilin in ein unlösliches Violett. Andererseits
erleiden Violanilin und Mauvanilin ähnliche Zersetzungen. Man muſs dieser doppelten
Wirkung der hohen Temperatur und der Arsensäure auf die Farbstoffe die Bildung
granatrother und brauner Farbstoffe zuschreiben. Daraus folgt, daſs man gegen das
Ende der Operation die Temperatur mäſsigen und ein höheres Erhitzen als 190°
vermeiden soll. Es ist eine jener Temperaturgrenzen, welche man, da sie nicht
überschritten werden darf, kluger Weise auch nicht zu erreichen strebt. Im
Allgemeinen ist zu bemerken, daſs eine höhere Temperatur die Dauer der Schmelzung
abkürzt, das Gewicht des überdestillirenden Anilins vermehrt, das Gewicht der
Rothschmelze aber vermindert. Eine zu niedere Temperatur verlängert die Dauer der
Schmelze, vermehrt das Gewicht des nicht umgewandelten Anilins, das, da es in der
Schmelze hinterbleibt, auch das Gewicht der letzteren, nicht aber die Ausbeute an
Fuchsin erhöht.
II. Die Zerkleinerung der
Schmelze.
Zu einer Zeit, als die Schmelze noch in offenen Bütten abgekocht wurde, war die
vollständige Extraction des Farbstoffes nur möglich, wenn die Schmelze dem heiſsen
Wasser in fein vertheiltem Zustande dargeboten wurde. Man bemühte sich daher, die
Schmelze zu zerkleinern und nahm diese Arbeit in den ersten Anfängen der Fabrikation
in Mörsern vor. Um die Arbeiter von dieser überaus schädlichen Beschäftigung zu
befreien, wurden später Pulverisirapparate in den Fuchsinwerken eingeführt. Da aber das
Zerkleinern der Schmelze mit Störungen verknüpft ist, sie sich beim Mahlen
hinreichend erwärmt, um theilweise zu erweichen und plastisch zu werden, so war die
Beschaffung passender Mahlvorrichtungen sehr schwer. Andererseits konnte trotz der
Anwendung geschlossener Mühlen die Verbreitung des giftigen Mehlstaubes in der
Atmosphäre des Arbeitsraumes nicht verhindert werden. Seitdem jedoch die Schmelze in
geschlossenen und mit Rührwerk versehenen Kesseln unter Druck abgekocht wird, hat
man das trockene Mahlen der Schmelze aufgegeben und behielt das nasse Pulverisiren
nur da bei, wo es sich um die Wiedergewinnung der im Ueberschuſs zugesetzten
Arsensäure handelt. In diesem speciellen Falle wird, wie Schoop1885 258 * 276. berichtet, die Schmelze in einem Kollergange unter Zusatz von
Wasser zerrieben, Schlamm und verdünnte Arsensäure durch Filtration getrennt und
letztere auf den Gebrauchsgrad eingedampft. Diese Zerkleinerungsoperation bezweckt
aber nicht eine Vertheilung behufs erleichterter Extraction des Farbstoffes, sondern
vielmehr die vollständige Aussüſsung von im Ueberschuſs verwendeter Arsensäure. Da
man in der Mehrzahl der Fuchsinbetriebe nur so viel Arsensäure anwendet, als zur
Oxydation des Anilins nöthig ist, so nimmt man von einer derartigen, etwas
umständlichen Behandlungsweise Abstand und begnügt sich damit, die Schmelze mit
einem Brecheisen in handgroſse Stücke zu zerstoſsen, eine Operation, welche rasch
auszuführen ist, verhältniſsmäſsig geringes Stauben verursacht und dem Zwecke
vollständig genügt. Als Schutzvorrichtung gegen den Arsenstaub wird den Arbeitern
gewöhnlich das Umbinden eines Tuches um Mund und Nase anempfohlen. Es ist
augenscheinlich, daſs sich ein solcher Schutz als ungenügend erweist. Der Staub,
dessen man sich erwehren will, ist zerflieſslich, der Wasserdampf der Respiration
verdichtet sich im Tuche, befeuchtet es nach und nach, macht den Staub anhaften und
imprägnirt die Binde mit Gift, welches alsdann auf Gesicht und Lippen wirkt. Es
können auf diese Weise eicht Vergiftungsfälle vorkommen, im günstigsten Falle haftet
der Staub auf der Haut fest und zerfriſst sie unter Bildung schmerzhafter
Geschwüre.
(Fortsetzung folgt.)