Titel: | Ueber Drahtseile. |
Fundstelle: | Band 267, Jahrgang 1888, S. 302 |
Download: | XML |
Ueber Drahtseile.
Ueber Drahtseile.
Der Deutschen Industrie-Zeitung, 1887 Nr. 45 entnehmen
wir Folgendes über die Anfertigung von Drahtseilen.
Ein Drahtseil wird bekanntlich durch Vereinigung einer Anzahl sogen. Litzen um einen
Hanfkern oder um eine Drahtkernlitze erhalten. Die Litzen schlägt man um einen
geglühten Draht, einen Hanfkern oder um eine Kernlitze. Wenn man 4, 5, 6, 7 oder 8
Litzen (mit oder ohne Hanfseele) um eine Haupthanfseele oder Kerndrahtlitze
zusammenschlägt, so erhält man die gewöhnlichen Rundseile, wie sie beim Langbau, bei
der Schifffahrt u.s.w. als Aufzugs-, Uebertragungs-, Fähr- oder Zugseile Verwendung
finden.
Mehrere Rundseile zu einem gröſseren Seile vereinigt, geben ein Kabelseil. Dasselbe
zeichnet sich durch groſse Biegsamkeit aus und empfiehlt sich daher namentlich als
Tragseil oder Krahnseil beim Heben schwerer Lasten u. dgl.; besonders, wenn nur
kleine Trommeln und Scheibendurchmesser zur Verfügung stehen.
Flach- und Bandseile bestehen aus einer Anzahl von neben einander liegenden
Rundseilen, die auf dem Seilnähtisch mittels einer Anzahl von Nähdrähten
zusammengenäht worden sind. Meistens verwendet man dazu vierlitzige Rundseile und
näht diese derart, daſs immer zwei Litzen über und zwei unter die Nähdrähte zu
liegen kommen. Man kann nötigenfalls auch Rundseile mit mehr als vier Litzen, sowie
auch Kabelseile zu Bandseilen vereinigen.
Spiralseile, wie sie als Laufseile bei Luftseilbahnen, Leitseile bei Fähranstalten,
Schachtführungsseile im Bergbau und als Tragseile ganz kleiner Brücken vorkommen,
sind Litzen, meist aus 7, 19 oder 37 dicken Drähten bestehend.
Bei der Vereinigung der Litzen zu einem Seile unterscheidet man zwei verschiedene
Arbeitsmethoden. Nach dem älteren Verfahren – dem sogen. alten Machwerk – werden
Litzen und Seile im nämlichen Sinne gewunden oder geschlagen. Bei dem neueren
Verfahren – dem sogen. Kreuzschlag – schlägt man, wie beim Hanfseil, Seil und Litzen
im entgegengesetzten Sinne.
Beim Kreuzschlag liegen die einzelnen Drähte auf nur verhältniſsmäſsig kurzen
Strecken frei am Seil; sie verschwinden rasch wieder im Seil und bilden auf
demselben nur kurze Buckel, dagegen liegen die Drähte beim alten Machwerk auf einer
längeren Strecke frei und bieten dem mechanischen Verschleiſs mehr Fläche als beim
Kreuzschlag, weil bei diesem nur die Buckel ganz verschleiſsen können, während im
Inneren des Seiles die Drähte ihren vollen Querschnitt behalten. Während ferner beim
alten Machwerk die einzelnen Drähte mit der Seilachse einen Winkel bilden, kommen
beim Kreuzschlag die Drähte parallel zur Seilachse zu liegen, werden also in
letzterem bei eintretender Biegung des Seiles weit stärker in Anspruch genommen, als
bei jenem. Die einzelnen Drähte können daher beim alten Machwerk wegen ihrer
geringen Inanspruchnahme auf Biegung verhältniſsmäſsig dicker gekommen werden;
dieses Arbeitsverfahren eignet sich aus diesem Grunde für Seile, deren
unvermeidlicher starker Verschleiſs möglichst starke Drähte erfordert, also für
solche Seile, welche über Trommeln und Scheiben von sehr kleinem Durchmesser laufen
müssen. Für Seile mit mehr als 19 Drähten in den Litzen, sollte man nur den
Kreuzschlag anwenden.
Die Seildrähte sind gewöhnlich kreisrund, jedoch sind neuerdings auch andere
Querschnittsformen zur Anwendung gelangt. Man wendet Drähte mit segmentförmigem
Querschnitt an, besonders für Deckdrähte, um die leeren Räume zwischen den Drähten
möglichst zu verkleinern, d.h. also um eine gröſsere Tragfähigkeit zu erzielen und
eine glattere Seiloberfläche zu erhalten.
Um ferner das bei Anwendung von kreisrunden oder segmentförmigen Drähten vorkommende
Heraustreten und Querlegen einzelner gebrochener Drähte zu verhindern, wendet man sogen.
verschlossene Drahtseile (D. R. P. Kl. 47 Nr. 31790 vom 3. Oktober 1884) an, in
denen die einzelnen Drähte eine „ oder “ o. dgl. Form haben und
so in einander fassen, daſs gleichzeitig auch ein möglichst groſser metallischer
Seilquerschnitt erhalten wird.
In Deutschland ist erst ein verschlossenes Drahtseil auf einer Seilbahn der Stumm'schen Werke in Neunkirchen ausgeführt. In England
sind dieselben als Förderseile schon mehrfach in Gebrauch.
Brückenkabel für kleinere Spannweiten sind einfache Spiralseile; für mittlere
Spannweiten wählt man die Litzenanordnung und vertheilt meistens 6 äuſsere Litzen um
eine Kernlitze, jede Litze aus 7, 19 oder 37 Drähten, ohne Hanfeinlage. Für groſse
Spannweiten vertheilt man die Drähte nicht mehr, sondern spannt jeden Draht für
sich, vereinigt eine Anzahl von Drähten durch Umwickeln mit dünnerem Draht zu einem
Drahtbündel und weiter, je nach Erforderniſs, eine Anzahl solcher Bündel zu einem
Kabel. Ein groſsartiges Beispiel derartiger Ausführung bietet Roebling's East-River-Brücke.
Bei den Kabeln der französischen Brücken kommen neuerdings neben den cables tortus simples, bei denen alle Drähte im
nämlichen Sinne gewunden sind, die sogen. cables tortus
alternativs in Anwendung.
Man kann solche Kabel Kreuzschlagkabel nennen, weil das Verfahren ihrer Herstellung
dem Kreuzschlag ähnlich ist. Sie bestehen nämlich aus einem Spiralseil, das um einen
Herzdraht geschlagen ist und mehrere weitere Drahtumhüllungen enthält, von denen
jede in einer Richtung gewunden wird, welche derjenigen der nächstfolgenden
Umhüllung entgegengesetzt ist. Diese Kabel besitzen den besonderen Vorzug, daſs alle
Drähte, mit Ausnahme des Herzdrahtes, gleich lang sind, so daſs sie bei der
Beanspruchung des Kabels gleichmäſsig gedehnt werden. Ingenieur Arnodin in Chateau-neuf-sur-Loire benutzt nach der
„D. B.-Z.“ zu diesem Zwecke eine
besondere Drahtseilmaschine, deren Gang derartig geregelt wird, daſs die Steigung
jeder Drahtspirale in ihrer Abwickelung dem Durchmesser der zugehörigen
Umhüllungsschicht proportional wird. Dadurch werden die Spiralen der verschiedenen
Schichten einander ähnlich und alle Drähte gleich lang.
In der Regel kommt Eisen oder Stahl zur Verwendung; nur in einzelnen Fällen gebraucht
man Kupfer – für Blitzableiterseile u. dgl. – selten Bronze. Beim Eisen
unterscheidet man: Kokseisen, Holzkohleneisen, gehämmertes schwedisches
Holzkohleneisen und Thomas-Fluſseisen; beim Stahl: Bessemer-, Martin-, Siemens- und Tiegelguſsstahl. Es wird auch sogen.
Patentguſsstahl verwendet mit einer Zugfestigkeit von 8 bis 20t auf 1qc,
welcher die besondere Eigenschaft haben soll, daſs seine Festigkeit sich nicht wie
bei anderen Drähten, in Folge des Einflusses der harten äuſseren Haut mit dem
Durchmesser ändert. Diese Eigenschaft erhält der Draht durch ein besonderes Anlaſs-
und
Härtungsverfahren. In der Regel kommt Eisen- und Stahldraht mit 5,5 bis 6t,6 und Guſsstahldraht mit 12 bis 13t Zugfestigkeit auf 1qc in Anwendung, obwohl die Festigkeit des Guſsstahldrahtes bis 26t und darüber gesteigert werden kann.
Guſsstahldraht ist zweckmäſsig zu verzinken, obwohl seine Festigkeit durch das
Verzinken etwas leidet. Guſsstahldraht kommt seiner hohen Elasticitätsgrenze und
seiner auſserordentlich geringen Dehnung wegen neuerdings vielfach für die
Drahtkordeln und Drahtzüge bei Eisenbahnläutewerken, Weichen- und Signalstellwerke
u.s.w. in Anwendung.