Titel: Die neue schnellwirkende Westinghouse-Bremse.
Fundstelle: Band 268, Jahrgang 1888, S. 433
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Die neue schnellwirkende Westinghouse-Bremse.Vgl. 1886 259 * 342. 1884 252 * 311. 1877 225 * 33. 223 * 18. 1874 213 * 9. Mit Abbildungen auf Tafel 24. Neue schnellwirkende Westinghouse-Bremse. Die Güterzüge der amerikanischen Bahnen enthalten nicht selten bis zu 50 Wagen, deren jeder 10m,7 lang und mit 28t beladen ist, so daſs die ganze Länge des Zuges gegen 580m und die Last 900t beträgt. Bei der früheren Westinghouse-Bremse, mit welchen die Züge meistens ausgerüstet waren, stellte sich der Uebelstand ein, daſs der vom Locomotivführer gegebene Anstoſs zum Bremsen sich nicht rasch genug bis an das Ende des Zuges fortpflanzen konnte, so daſs die vorderen Fahrzeuge des Zuges erheblich früher gehemmt wurden, als diejenigen des Endes. Die Folge davon war natürlich, daſs das Ende des Zuges auf die vorderen Wagen aufstieſs, wieder zurückprallte und dadurch eine Reihe von Stöſsen hervorbrachte. Versuche, ein gleichzeitiges Anziehen sämmtlicher Bremsen mit Hilfe des elektrischen Stromes zu erzielen, waren zwar von Erfolg begleitet, jedoch war dadurch ein neues Zwischenmittel eingeführt und mit demselben eine Reihe von neuen Störungen angebahnt. Nach diesen Versuchen machte Westinghouse sich an die Aufgabe, seine Construction so zu vervollkommnen, daſs das ursprüngliche Mittel – gepreſste Luft – für seinen Zweck ausreiche und ein weiteres Zwischentitel ausgeschlossen bleibe. Wie bekannt, wird die Thätigkeit der Westinghouse-Bremse vom Führer aus eingeleitet, indem mittels des Führer-Bremsventiles ein freier Durchgang von der Hauptleitung in die Atmosphäre hergestellt wird. Damit wird der gepreſsten Luft gestattet, mit gröſserer oder geringerer Geschwindigkeit zu entweichen. Berücksichtigt man, daſs auſser der geraden Länge von 580m noch die durch die Verbindung der einzelnen Wagen erforderlichen Krümmungen, Kuppelungen und Schläuche vorhanden sind, so ist leicht zu ersehen, daſs eine beträchtliche Zeit verstreichen muſs, bevor die Spannung in der Hauptleitung so weit abgenommen hat, um die Bremse in Wirkung treten zu lassen. Man ist mithin auf eine Aenderung angewiesen. Bei der neuen Anordnung entweicht die Luft aus der Hauptleitung, wenn der Locomotivführer sein Bremsventil öffnet, so lange bis der Luftdruck genügend vermindert worden ist, um den Kolben des Functionsventiles am ersten Fahrzeuge, dem Tender, bis zur Grenze seines Hubes fortzubewegen. Sobald dies eintritt, wird ein weiter Durchgang von er Hauptleitung in den Bremscylinder des betreffenden Fahrzeuges geöffnet und während eines Theiles einer Secunde wird derselbe offen gehalten, um der Luft zu gestatten, ungehindert überzuströmen. Dies trägt wesentlich dazu bei, den Leitungsdruck in der Nähe des folgenden Functionsventiles zu vermindern, und dieses öffnet nun sofort einen anderen Kanal, durch welchen abermals Luft aus der Leitung in den zugehörigen Bremscylinder überströmt. So läuft dieser Vorgang weiter durch den ganzen Zug, da jedes Fahrzeug für das Entweichen der Luft aus dem zugehörigen Theile der Hauptleitung sorgt. Die Luft wird somit an Ort und Stelle ausgelassen, anstatt gezwungen zu sein, ihren Weg durch das lange Leitungsrohr mit seinen Krümmungen und seiner beständigen Reibung zu nehmen. Dieser Vorgang pflanzt sich von Wagen zu Wagen im fünfundzwanzigsten Theile einer Secunde fort und durchfliegt die volle Länge eines amerikanischen Güterzuges in 2 Secunden, wie bei dem in den Werken der Westinghouse Brake Company in London für die im Mai stattfindende Brüsseler Ausstellung bestimmten Bremsapparat für 50 Wagen in Verbindung mit der vollen Länge der Hauptleitung zu sehen ist. Die Bremscylinder sind neben einander angeordnet, und ihre Wirkung kann genau verfolgt werden. Wenn das Führerventil gedreht wird, so machen die Bremskolben ihren Hub in so schneller Aufeinanderfolge, daſs es schwierig ist, dieselben mit dem Auge zu verfolgen. Es wird vielleicht dieser neuen Aenderung der Westinghouse-Bremse geringer Werth beigemessen, da selbstthätige Bremsapparate für unsere Güterzüge bisher nicht verwendet sind. Wir glauben jedoch, daſs wir sehr bald dem in den Vereinigten Staaten gegebenen Beispiele werden folgen müssen. Obgleich ferner der Güterzugsverkehr zu den hier beschriebenen Verbesserungen Anlaſs gegeben hat, so folgt doch keineswegs, daſs sich dieselben auf diesen Verkehr beschränken müſsten. Die hauptsächlichste und wichtigste Aufgabe der durchgehenden Bremse ist, bei Unfällen das Leben zu schützen, und zu diesem Zwecke kann eine einzige Secunde den ganzen Unterschied zwischen Sicherheit und verhängniſsvollem Unglück ausmachen. Bei einem langen Personenzuge von etwa 30 Wagen sind bei der früheren Bremse wenigstens 4½ Secunden zur Erzielung der vollen Bremswirkung am letzten Wagen erforderlich. Es ist dies zweifellos sehr schnell und völlig genügend, alle unangenehmen Stöſse zu vermeiden. Bei der neuen Anordnung wird die fragliche Zeit jedoch auf nur 1 Secunde herabgemindert. Bei einer Zugsgeschwindigkeit von 80km in der Stunde würde dies bedeuten, daſs die neue Bremse um 76m früher voll in Thätigkeit sein würde, als die alte Anordnung, eine Entfernung, welche bei einem drohenden Zusammenstoſse von gröſster Bedeutung sein würde. Was die Einrichtung der Bremse anbetrifft, so ist schon dadurch eine wesentliche Verbesserung eingeführt, daſs der Bremscylinder, der Luftbehälter und das Arbeitsventil jetzt zu einem Stücke vereinigt sind, welches, in der Werkstatt fertig gestellt, an Ort und Stelle nur angeschraubt zu werden braucht. Das Arbeitsventil, welches früher senkrecht stand, liegt jetzt wagerecht. Es hat seine frühere Einrichtung behalten, wozu nur die neue Einrichtung noch hinzugekommen ist. Es sei deshalb im Nachstehenden der frühere Apparat mit der hinzugetretenen Verbesserung und Erweiterung beschrieben. Das Gehäuse des Arbeitsventiles besitzt drei Abzweigungen C, B und E (Fig. 1 und 2 Taf. 24), welche bezieh. mit dem Hilfsluftbehälter, dem Bremscylinder und der Hauptleitung verbunden sind. Die letztere Abzweigung steht durch den Durchgang k und die Oeffnungen ll mit einem Cylinder in Verbindung, in welchem sich der Ventilkolben 5 befindet. Die entgegengesetzte Seite dieses Kolbens steht durch die Abzweigung C in Verbindung mit dem Luftbehälter und wenn sich die Theile in der gezeichneten Stellung befinden, so kann gepreſste Luft aus der Hauptleitung durch die Nuthen d und f zur entgegengesetzten Seite des Kolbens überströmen, bis der Druck im Luftbehälter demjenigen in der Hauptleitung gleich ist. Während dessen steht der Bremscylinder durch den Durchgang B, den Kanal a, den Ausschnitte des Schieberventiles 6 und den ins Freie mündenden Kanal c mit der Atmosphäre in Verbindung. Wird durch Oeffnen des Führerbremsventiles der Druck in der Hauptleitung vermindert, so wird der Kolben 5 durch die Expansion der Luft im Luftbehälter nach rechts fortbewegt. Für gewöhnlich wird der Kolben nur um die Hälfte seines Hubes fortbewegt, da der Druck im Luftbehälter auf denjenigen in der Hauptleitung vermindert wird, indem ein Theil der Luft auf folgende Weise in den Bremscylinder überströmt: Die Stange des Kolbens 5 geht durch das Schieberventil 6, und sind die Verbindungen zwischen beiden so ausgeführt, daſs sich der Kolben um ein Geringes fortbewegen kann, ohne den Schieber zu bewegen. Der Kolben nimmt beim Beginne seiner Bewegung das Ventil 7 mit sich, welches sich in einer Ausbohrung des Schiebers befindet, und die Luft kann alsdann durch die Oeffnung m (Fig. 3) in den Kanal e gelangen. Die weitere Bewegung des Kolbens verschiebt sodann auch den Schieber nach rechts, bis der Kanal e dem Kanal a gegenüber steht, dessen freie Verbindung mit der äuſseren Atmosphäre vorher abgeschlossen worden ist. Die Luft strömt alsdann durch a in den Bremscylinder über und zieht die Bremsen an. Sobald jedoch der Druck derselben mäſsig unter denjenigen in der Hauptleitung gefallen ist, bewegt sich der Kolben 5 wieder etwas zurück, schlieſst das Ventil 7 und schneidet somit den ferneren Luftübertritt ab. Wenn alsdann der Druck in der Hauptleitung abermals mäſsig vermindert wird, so wird das Ventil 7 wiederum durch den Kolben geöffnet, und können auf diese Weise die Bremsen nach und nach bis zu jedem gewünschten Grade der Kraftäuſserung angezogen werden. Wenn dagegen der Führer beabsichtigt, die Bremsen schnell und mit voller Kraft in Thätigkeit zu setzen, so kommt der neue Theil des Apparates mit in Anwendung. Indem das Bremsventil weit geöffnet wird, wird der Druck in der Hauptleitung so weit vermindert, daſs der Kolben 5 bis zur äuſsersten Grenze seines Hubes fortbewegt wird und sich gegen die Lederscheibe 10 legt. Dieses bringt den Kanal e des Schiebers dem Kanal h gegenüber und ebenso die Oeffnung g in eine Stellung gegenüber dem Kanal a. Luft aus dem Luftbehälter geht nunmehr durch den Kanal A, wirkt auf den Kolben 13 und drückt denselben abwärts, indem dieselbe dadurch gleichzeitig das Ventil 18 öffnet. Sobald dies eintritt, wird auch das Rückschlagventil 19 durch den darunter wirksamen Luftdruck geöffnet, und es ist nunmehr ein freier Durchgang von der Hauptleitung in den Bremscylinder vorhanden. Es ist ferner auch ein Durchgang vom Luftbehälter in den Bremscylinder durch die Kanäle g und a vorhanden, da jedoch die Querschnitte der letzteren nur verhältniſsmäſsig klein sind im Vergleich zu der Oeffnung durch die vorgenannten Ventile, so hat die Hauptleitung Zeit genug, sich genügend zu entleeren, bevor der bei B sich ansammelnde Druck das Rückschlagventil 19 schlieſst und dadurch das Zurückströmen von Luft in die Hauptleitung verhindert. Nachdem der Führer seinen Zweck erreicht hat, werden die Bremsen in der bekannten Weise gelöst, indem die Hauptleitung mit dem Hauptreservoir auf der Locomotive oder dem Tender in Verbindung gebracht wird. Der Luftdruck bewegt alsdann den Kolben 5 und das Schieberventil 6 in die gezeichnete Stellung zurück. Die Auslaſsöffnung b verbindet den Durchgang h mit der äuſseren Atmosphäre; der Kolben 15 wird durch den darunter wirksamen Cylinderdruck gehoben und das Ventil 18 durch die Feder 20 geschlossen. Die in dem Bremscylinder enthaltene Luft strömt durch den Kanal a und die Ausströmungsöffnung b ins Freie über, die Federn in den Bremscylindern drücken die Bremskolben zurück und heben die Bremsklötze ab, und der Luftbehälter wird durch die Nuthen d und f wieder aufgefüllt. Um die durch die hier beschriebenen Verbesserungen gewonnenen Resultate zu beleuchten, haben wir in der Tabelle S. 437 und 438 bei jeder Versuchsreihe in der vierten Columne die in jedem Falle erzielten VerzögerungsprocenteDurch „Verzögerungsprocente“ wird die wirkliche Durchschnitts-Verzögerung während des ganzen Verlaufes der Bremsung, ausgedrückt in Procenten des Zuggewichtes, bezeichnet. Ist v die Geschwindigkeit des Zuges, englische Meilen in der Stunde und d der Bremsweg in englischen Fuſs, so erhält man die Verzögerung x in Procenten des Zuggewichtes durch die Formel x=3,34\,\frac{r^2}{d} eingeschrieben. Es gewährt dies ein bequemes Mittel, die bei verschiedenen Geschwindigkeiten ausgeführten Bremsungen mit einander zu vergleichen, und zeigt ferner auch die Zunahme in der Wirksamkeit im Vergleich mit der früher gebräuchlichen Bremse. Es hat hiernach den Anschein, daſs die verbesserte Bremse bei langen Güterzügen durchschnittlich etwa die gleiche Wirksamkeit erreicht, welche bei gewöhnlichen Personenzügen mit der alten Bremse Versuchsorte NothbremsungbeiGüterwagen Handbremsen50 Bremser auf Posten Nothbrem-sung beivergrösser-tem Hebel-verhältniſs Wett-bremsung 50 Wagen 50 Wagen 50 Wagen 20 Wagen 20 Wagen 20 Güterwagenmit neuer Bremse 20 Personenwagenmit alter Bremse St. Paul Geschwindigkeit in   engl. MeilenBremsweg in engl.   FuſsZeit (Secunden)Verzögerungs-Proc. 1917276,8 3649014,758,9 375837,9 2010912,6 3732714,0 Chicago Geschwindigkeit in   engl. MeilenBremsweg in engl.   FuſsZeit (Secunden)Verzögerungs-Proc. 22184107,2 37488,5159,4 3447015,58,2 201200621,1 2012410,9 3327213,4 St Louis Geschwindigkeit in   engl. MeilenBremsweg in engl.   FuſsZeit (Secunden)Verzögerungs-Proc. 2017610,67,4 36507188,6 35502178,1 21,521151280,73 201095,512,6 383771112,8 Cincinnati Geschwindigkeit in   engl. MeilenBremsweg in engl.   FuſsZeit (Secunden)Verzögerungs-Proc. 25284,512,27,4 35542,517,57,5 3757317,48 202000790,7 201026,413,9 41425,51213,3 Cleveland Geschwindigkeit in   engl. MeilenBremsweg in engl.   FuſsZeit (Secunden)Verzögerungs-Proc. 26265128,6 4371920,58,6 3863619,57,6 201711650,8 20966,414,2 40,537512,514,6 Albany Geschwindigkeit in   engl. MeilenBremsweg in engl.   FuſsZeit (Secunden)Verzögerungs-Proc. 20158108,3 3656018,257,7 37580197,9 20,51342160,51,05 1978515,2 40,535812,2515,4 Boston Geschwindigkeit in   engl. MeilenBremsweg in engl.   FuſsZeit (Secunden)Verzögerungs-Proc. 1912310,510 32,540615,758,7 34483178 211035531,4 20111,57,7512,2 383191515,2 38574,5178,9 Philadelphia Geschwindigkeit in   engl. MeilenBremsweg in engl.   FuſsZeit (Secunden)Verzögerungs-Proc. 2326414,56,8 3659319,57,3 3657918,57,5 201889750,75 2087615,5 49,56471913,7 49,5932238,7 Versuchsorte NothbremsungbeiGüterwagen Handbremsen50 Bremser auf Posten Nothbrem-sung beivergrösser-tem Hebel-verhältniſs Wett-bremsung 50 Wagen 50 Wagen 50 Wagen 20 Wagen 20 Wagen 20 Güterwagenmit neuer Bremse 20 Personenwagenmit alter Bremse Washington Geschwindigkeit in   engl. MeilenBremsweg in engl.   FuſsZeit (Secunden)Verzögerungs-Proc. 19,515910,58 4269420,758,5 42718218,2 201643670,8 2381620,8 4035911,515 Pittsburg Geschwindigkeit in   engl. MeilenBremsweg in engl.   FuſsZeit (Secunden)Verzögerungs-Proc. 20,5184117,6 40649218,3 40673207,95 201720720,75, 2095614,2 4549414,513,7 468908,9 Die Versuchsstationen waren nahezu horizontal, jedoch betrug das Gefälle in St. Louis 58' in der Meile, in Cincinnati 50', in Cleveland 40', in Albany 35', in Philadelphia 40'. erzielt wird. Der Grund dafür, daſs die Wirksamkeit nicht noch höher ist, liegt darin, daſs sich bei den Versuchen herausstellte, daſs ein Luftdruck von 60 Pfund anstatt von 80 Pfund und eine etwas geringere Hebelübersetzung, als gewöhnlich üblich, die besten Resultate gab in Bezug auf Vermeidung von Stöſsen im hinteren Zugtheile. Die vermehrte Wirksamkeit der neuen Bremse wird jedoch deutlich illustrirt durch Anwendung derselben bei Zügen von nur 20 Wagen, wie solche beim Betriebe von Personenzügen üblich sind (s. die in der Tabelle aufgeführten Noth- und Wettbremsungen mit 20 Fahrzeugen). In diesem Falle übertrifft die Wirksamkeit um mehr als ein Drittel die mit der alten Bremse erzielten Resultate bei sogar viel kürzeren Zügen, wodurch die Erhöhung der Sicherheit bei Personenzügen durch die Anwendung der neuen Bremse ins klare Licht gestellt wird (nach Engineering vom 9. December 1887 und Glaser's Annalen vom 15. April 1888).

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