Titel: | Das Weldon-Pechiney-Verfahren zur Herstellung von Chlor. |
Autor: | P. Naef |
Fundstelle: | Band 269, Jahrgang 1888, S. 321 |
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Das Weldon-Pechiney-Verfahren zur Herstellung von
Chlor.
(Fortsetzung des Berichtes S. 28 d.
Bd.)
Verfahren zur Herstellung von Chlor.
Nach der Ansicht von C. T. Kingzett (Journal of the Society of Chemical Industry, 1888 Bd. 7
S. 286) sind die Reactionen, auf welchen der Weldon-Pechiney-Prozeſs beruht, noch nicht genügend aufgeklärt. Da das in
die Zersetzungsöfen chargirte Oxychlorid über 20 Proc. Wasser enthält, wäre es
möglich, daſs Chlor nicht nur durch Wirkung von Sauerstoff auf trockenes Chlorid
oder Oxychlorid, sondern auch durch Oxydation von Salzsäure durch Luft entstünde.
Wenn nach dieser Reaction bedeutende Mengen von Chlor gebildet werden, könnte eine
geringe Menge Magnesia abwechselnd durch Salzsäure in Chlormagnesium umgewandelt und
letzteres nachher wieder bei höherer Temperatur zu freiem Chlor und Magnesia
zersetzt werden; oder man könnte durch Ueberleiten eines Gemisches von Salzsäure und
Luft über Magnesia als Contactsubstanz Chlorbildung erzielen. In beiden Fällen wäre
der Verbrauch an Magnesia so geringfügig, daſs er überhaupt nicht in Betracht kommen
würde. Kingzett hat daher mehrere Versuche in dieser
Richtung angestellt.
Beim Durchleiten einer Mischung von trockenem Salzsäuregase und Luft durch eine auf
helle Rothglut erhitzte Verbrennungsröhre, welche mit Magnesia und Asbest gefüllt
war, wurden während einer Stunde in einer mit Wasser beschickten Vorlage 0g,596 Chlor aufgefangen. Der Inhalt der Röhre
enthielt 2g,58 MgCl2.
Beim Durchleiten einer gleichen Gasmischung unter gleichen Bedingungen durch eine mit
Asbest gefüllte Röhre während 1¾ Stunden wurden in einer vorgelegten Jodkaliumlösung
0g,536 Chlor aufgefangen. Salzsäure wird also
bei heller Rothglut durch den Sauerstoff der Luft zu Chlor und Wasser zersetzt; die
Chlorbildung ist aber geringer als bei der Gegenwart von Magnesia.
Um zu untersuchen, ob auch durch direkte Zersetzung von trockenem Chlormagnesium mit
Luft Chlor erhalten werden kann, wurden 13g
geglühte Magnesia gemischt mit Asbest in einer Röhre während einer Stunde bei
dunkler Rothglut mit trockenem HCl-Gase behandelt. Nach Verdrängung des im Apparate
vorhandenen Salzsäuregases durch Luft wurde die Temperatur schnell auf helle
Rothglut gesteigert und fünf Stunden Luft durchgeleitet Während dieser Zeit wurden
3g,62 Chlor ausgetrieben; längeres
Luftdurchleiten hatte keine weitere Chlorbildung mehr zur Folge. Der Rückstand in
der Röhre enthielt 1g,47 MgCl2.
Aus den erwähnten Versuchen schlieſst Kingzett, daſs
folgende Reactionen beim Weldon-Peckiney-Verfahren vor
sich gehen:
1)
MgCl2 + H2O2HCl + O
= MgO + 2HCl= H2O + 2Cl
2)
MgCl2 + O
= MgO + 2Cl.
Die Umsetzung von Salzsäure und Luft wird, wie erwähnt, durch die Gegenwart von
Magnesia gefördert, so daſs der Weldon-Pechiney-Prozeſs
in dieser Hinsicht dem Deacon'schen Verfahren
gleicht.
Um zu prüfen, ob Magnesia – wie beim Deacon'schen
Verfahren Kupfer –, als Contactsubstanz verwendet werden könnte, hat Kingzett einen weiteren Versuch angestellt. 50cc Salzsäure (enthaltend 18g,98 HCl) wurden in einem Kolben auf 70° erwärmt.
Der Kolben war mit einer auf helle Rothglut erhitzten Röhre verbunden, welche mit in
Magnesiumchloridlösung getränkten und nachher stark ausgeglühten Bimssteinstücken
gefüllt war. An die Verbrennungsröhre schlössen sich weiter eine mit Kalk gefüllte
Röhre und zwei Kaliumjodidlösung haltende Waschflaschen. Durch den ganzen Apparat
wurde während sechs Stunden Luft gesaugt. Die im Kolben entstehende Mischung von
Salzsäure und Luft wurde in Berührung mit der erhitzten Magnesia zersetzt und das
gebildete Chlor dann weiter in der Röhre mit Kalk und den Kaliumjodid enthaltenden
Waschflaschen absorbirt. Während des ganzen Versuches wurden 3g,0 HCl (entsprechend 2g,9 Chlor) durch den Apparat geleitet. Im Kalke
fanden sich 1g,6 Chlor, und im Jodkalium 0g,05, so daſs im Ganzen 1g,65 freies Chlor gebildet wurde. Kingzett glaubt daher, daſs bei Benutzung von Magnesia
oder von mit Magnesiumverbindungen getränkten porösen Stoffen als Contactsubstanz
direkt aus Salzsäuregas und Luft Chlor und auch Chlorkalk hergestellt werden
könne.
Die Salzsäure könnte als Gas, wie solche bei der Leblanc-Sodafabrikation erhalten wird, benutzt werden oder es könnten auch
Salzsäuredämpfe durch Verdampfen von Salzsäurelösungen erzeugt werden. Da die
Chlorbildung durch Wasserdampf befördert zu werden scheint, könnte auch wässerige
Salzsäure in fein vertheiltem Zustande in die die katalytische Substanz enthaltende
Kammer eingeführt werden.
L. Mond erwähnt bei der Discussion der Kingzett'schen Arbeit, daſs nur bei einem Versuche die
Procente Salzsäure, welche in Chlor umgewandelt worden waren, bestimmt wurden. Auch
über das Verhältniſs von Sauerstoff und Salzsäure, wie auch über die
Versuchstemperatur, macht Kingzett nicht die mindesten
Angaben. Nach den früheren ausgezeichneten Versuchen von Hurter (1887 266 * 176) sind diese Umstände
aber von sehr groſser Wichtigkeit, so daſs aus den Versuchen Kingzett's keine Schlüsse darüber gezogen werden können, ob das neue
Verfahren vor dem gewöhnlichen Deacon'schen
Chlorprozesse wirklich Vortheile bieten wird. Auch bei dem neuen Verfahren wird
jedenfalls, wie bei Deacon's Prozeſs, nur Salzsäuregas
zur Zersetzung benutzt werden können. Nach L. Mond ist
es aber gerade dieser Umstand, welcher eine allgemeine Einführung des schönen Deacon'schen Verfahrens, nach welchem Chlor billiger
hergestellt werden kann als nach jedem anderen Verfahren, verhindert hat. Um die
Zersetzung sämmtlicher beim Leblanc-Prozesse gewonnener
Salzsäure nach dem Deacon'schen Verfahren zu ermöglichen, haben Solvay (1880) und Hasenclever (1884) zwei Verfahren zur Herstellung von reinem Salzsäuregas
aus unreinen Gasen oder aus Lösungen patentirt erhalten. Hasenclever benutzt zu diesem Zwecke Schwefelsäure, Solvay dagegen Chlorcalcium. L.
Mond selbst hat sich im J. 1886 ein Verfahren patentiren lassen, welches
sich namentlich dazu eignet, Chlor aus unreinen Salzsäuregasen, wie solche in den
Röstern der Sulfatöfen und beim Hargreave's Prozesse
entstehen, herzustellen. Die unreinen Gase werden bei geeigneter Temperatur über
gewisse Metalloxyde oder -salze geleitet und nachher wird durch Ueberleiten von
heiſser Luft aus den gebildeten Chloriden Chlor ausgetrieben und die Oxyde wieder
zurückgebildet. Mond empfiehlt namentlich die Oxyde von
Nickel und Kobalt, da sie eine vollkommene Umwandelung von Salzsäure in Chlor
ermöglichen. Magnesiumchlorid, welches immer Wasser zurückhält, bildet bei der
Zersetzung theil weise Salzsäure zurück.
Das Weldon-Pechiney-Verfahren hat L. Mond in Salindres genau studirt und auch er spricht
über die Ausführung desselben die vollste Bewunderung aus. Er ist der Ansicht, daſs
für Fabriken, welche Chlormagnesiumlaugen als Nebenproduct erhalten, das Verfahren
auch bei bedeutend niedrigeren Chlorpreisen als den jetzigen sehr gewinnbringend
sein wird und daſs solche Fabriken das Verfahren einführen und verbessern können,
ohne befürchten zu müssen, daſs ein noch vortheilhafteres Verfahren zur Zersetzung
von Chlormagnesium ausgearbeitet werden wird. Trotz all den Vortheilen des Weldon-Pechiney-Verfahrens ist L. Mond aber doch nicht der Ansicht, daſs die Chlorindustrie aus England
verdrängt werde. Er glaubt im Gegentheile, daſs die Bemühungen von Solvay aus dem beim Ammoniaksoda verfahren abfallenden
Chlorcalcium Chlor zu gewinnen und sein eigenes Verfahren zur Herstellung von Chlor
aus Chlorammonium, welches er bestimmt zu einer erfolgreichen Anwendung zu führen
gedenkt, England in den Stand setzen werden, in der Chlorindustrie gegen alle
anderen Länder zu concurriren.
J. Dewar, welcher ebenfalls an der Besprechung von Kingzett's Vortrag theilnahm, erklärt, daſs beim Weldon-Pechiney-Prozesse die Salzsäure sofort nach dem
Beschicken des Oxychlorides in die weiſsglühenden Kammern ausgetrieben wird, und
daſs in diesem Zeitpunkte noch kein Chlor entweicht. Seit Dewar's Bericht sind nach Mittheilungen von Pechiney an Dewar in Salindres bedeutende
Fortschritte gemacht worden. Pechiney erwähnt
namentlich, welch groſsen Einfluſs das neue Verfahren auf die Chloratindustrie
ausüben wird, da mit demselben aus einer Reichen Menge Salzsäure fünfmal mehr
Chlorat hergestellt werden kann als früher. Ein einziger, Pechiney bekannter Sodafabrikant würde so in den Stand gesetzt, den ganzen
Bedarf an Kaliumchlorat auf der Erde zu decken.
Dewar ist nicht der Ansicht, daſs die in den letzten
Jahren von
Muspratt und Eschellmann
genommenen Patente über Herstellung von Chloraten mit Magnesia die Benutzung von
Magnesia statt Kalk allgemein hindern können, da sie wesentlich mit den Patenten von
Weldon und Pechiney
vom Jahre 1871 und 1881 übereinstimmen (vgl. 1887 266 *
175 und 184).
P. Naef.