Titel: | Das Mannesmann'sche Walzverfahren. |
Fundstelle: | Band 269, Jahrgang 1888, S. 455 |
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Das Mannesmann'sche Walzverfahren.
Mit Abbildungen.
Das Mannesmann'sche Walzverfahren.
In Band 265 S. 541 brachten wir nach der Oesterreichischen Patentschrift vom 18.
Februar 1886 das Wesentliche des „Walzverfahrens mit Schrägwalzwerk“, sowie
den Wortlaut der Patentansprüche aus dem D. R. P. Nr. 34617 vom 27. Januar 1885. Wir
beschränkten uns auf die Wiedergabe des Wortlautes der Oesterreichischen
Patentschrift, da dieselbe vor der ebenso dunkel gehaltenen Patentschrift des
Deutschen Reiches wenigstens den Vorzug gröſserer Kürze hatte. Inzwischen beginnt
das Dunkel, dank der Veröffentlichungen in der Official
Gazette of the United States Patent Office unter Nr. 361954 bis 361963 vom
28. Februar 1886 u.s.w., sowie 365482 vom 31. Januar 1887, sowie auſserdem der
Besprechungen in technischen Kreisen sich etwas zu lüften. Es hat in Folge dieses
Bekanntwerdens auch nicht an Einsprüchen bezüglich der Neuheit des Verfahrens
gefehlt, worauf wir weiterhin zurückkommen.
Wir werden im Nachstehenden einige der wichtigeren Aeuſserungen über das Verfahren
wiedergeben, sowie auch diejenigen Vervollständigungen, welche wir den
Amerikanischen Patenten verdanken.
Ueber das Wesen und die Wichtigkeit des Verfahrens äuſsert sich Fr. Siemens in einem Vortrage vom 30. April 1888 vor
dem Sächsischen Ingenieur- und Architekten-Vereine wie folgt:
Die verallgemeinerte Anwendung des Stahles und namentlich dessen Ersatz für
Schmiedeeisen hat durch Jahrhunderte nur merkwürdig langsame Fortschritte gemacht;
erst neuerdings ist darin ein rascheres Tempo zu bemerken, was zum Theile seinen
Grund in der Erfindung neuer Herstellungsweisen für Stahl, anderentheils aber in der
Ausbildung neuer Hilfsmittel hat, denselben zu verarbeiten.
In letzterer Beziehung ist nun wieder eine hervorragende Erfindung gemacht worden,
welche den Gegenstand meines heutigen Vortrages bildet. Dieselbe besteht zwar nur in
einem Verfahren zum Walzen nahtloser Röhren, trägt aber dazu bei, der Anwendung des
Stahles ein auſserordentlich erweitertes Feld der Anwendung zu verschaffen und
bezeichnet auſserdem einen entschiedenen Fortschritt in mehreren Zweigen der
angewandten Technik.
Wohl alle Ingenieure werden schon von dem Mannesmann'schen Röhrenwalzverfahren gehört haben, welches sich mit ganz
bescheidenem Titel einführt, so daſs sich so leicht Niemand veranlaſst fühlt, die
hohe Wichtigkeit dieser Neuerung genügend zu schätzen. Ich selbst habe mich
anfänglich nur deshalb dieser Erfindung zugewendet, weil ich Interesse an der
erweiterten Anwendung von Herdstahl habe, welches Material besonders dafür geeignet
ist, während Schweiſseisen vergleichsweise weniger verwendbar sich erweist.
Bekanntlich finden Röhren eine sehr vielfältige Verwendung im Haushalte der
Menschheit; aber die Röhre ist zugleich auch eine der besten Formen für Träger,
Stangen, Wellen, Achsen, Säulen und andere technische und bauliche Hilfsmittel,
indem durch ihre Verwendung mit einer gegebenen Materialmenge die gröſste
Haltbarkeit erzielt wird.
Wenn man nun in Betracht zieht, daſs bisher Röhren aus Stahl fast gar nicht, aber aus
Schmiedeeisen nur mittels eines weitläufigen Verfahrens und in unvollkommener Weise
hergestellt werden konnten, daſs jetzt aber aus einem rohen Stahlknüppel mit
zweimaligem und sogar mit einem einzigen Durchgange durch die neue Maschine ein
fertiges Rohr gewalzt wird und zwar in fast jeder beliebigen Weite und Länge (? D.
Ref.), ohne daſs anderweite erhebliche Manipulationen nöthig sind, so kann man sich
einen Begriff von der Tragweite dieser Erfindung machen; zumal wenn man sich noch
vergegenwärtigt, daſs man aus Stahl für geringeren Preis ein 3- bis 4fach stärkeres
nahtloses Rohr herstellt, dessen Fasern schraubenlinig verlaufen, während bisher nur
Röhren aus Schmiedeeisen mit Schweiſsnaht und Längsfaser herzustellen waren. Demnach
ergibt sich aus diesem Walzverfahren ein ausgezeichnetes Fabrikat, welches aus dem
festesten Materiale hergestellt und auf einfache Weise in die haltbarste Form
gebracht wird. Abgesehen von der allgemeinen Verwendung von Röhren zu Leitungen
aller Art, sowie für Heizzwecke, Feuerwaffen u.s.w., ist es die Verwendung für
Maschinentheile und Bauzwecke, welche nicht hoch genug geschätzt werden kann. Man
wird in Zukunft alle massiven Stücke vermeiden, um dafür auf die hohle Form und
zugleich zu dem haltbarsten Materiale überzugehen. Die so hergestellten
Constructionen werden auſserordentlich leicht und daher für viele Zwecke anwendbar,
wofür früher das groſse Gewicht ein Hinderniſs bot.
Um uns die Wirkungsweise des neuen Walzwerkes klar zu machen, denken wir uns den
Fall, daſs wir mittels gewöhnlicher Kaliberwalzen einen Rundstab herstellen. Wir
verwenden dazu zwei über einander Hegende wagerechte Walzen, deren Drehung nach
entgegengesetzten Richtungen erfolgt, dergestalt, daſs das stabförmige Werkstück auf seiner unteren
und oberen Seite gepackt und in seiner Längsrichtung transportirt wird, indem es
zugleich seine Querschnittsform nach der Kaliberform abändert; das Werkstück bewegt
sich ausschlieſslich in der Längsrichtung, empfängt also keine Drehbewegung; wir
wollen ein solches gewöhnliches Walzwerk ein Verschiebungswalzwerk nennen; unter
Hinzufügung eines festliegenden Dornes dient dasselbe zur Schlieſsung der
Schweiſsfuge bei den bisherigen patentgeschweiſsten Röhren aus Eisenblech. Daneben
kennt die Technik auch schon eine zum Richten und zur Herstellung gewisser
Rotationsformen dienliche Maschine, bei welcher zwei oder drei wagerechte im
gleichen Sinne rotirende Walzkörper auf ein stabförmiges Walzstück, welches zwischen
sie gebracht wurde, einwirken, dasselbe rotiren machen und umgestalten; das
Walzstück bewegt sich hier nur drehend um seine Längsachse, nicht verschiebend; man
hat diese Walzwerke wohl Querwalzwerke genannt; wir wollen dieselben
Drehungswalzwerke nennen, weil das Werkstück nur drehende, nicht verschiebende
Bewegung empfängt.
Eine Mittelstellung zwischen diesen beiden Walzwerken, dem Verschiebungs- und dem
Drehungswalzwerke, nehmen die bekannten Polirwalzwerke ein, welche nur zum Poliren
und Richten der Oberfläche von massiven Rundstäben und Röhren, nicht aber zu deren
Formänderung dienen, und sodann das von Mannesmann zur
Ausübung seines neuen Walzverfahrens angewendete hier zu besprechende
Schrägwalzwerk.
Bei beiden liegen die Achsen der zwei oder mehr Walzkörper, welche auf ein stabförmig
gestaltetes Werkstück einwirken, weder normal noch parallel zur geometrischen Achse
desselben, sie kreuzen sich vielmehr im Raume mit der Achse des Werkstückes unter
spitzen, nach entgegengesetzten Seiten liegenden Winkeln; daraus folgt, daſs sie dem
Werkstücke sowohl eine verschiebende Bewegung entlang
seiner Achse, als auch eine drehende Bewegung um diese
Achse mittheilen, oder mit einem bekannten Ausdrucke eine Schraubenbewegung, deren
Centralachse die geometrische Achse des Werkstückes ist. Diese beiden Walzwerke
geben dem Werkstücke eine Schraubenbewegung, die sich aus Verschiebung und Drehung
zusammensetzt; es sind im Sinne der vorstehend gebrauchten Bezeichnungen
Verschiebungs- und Drehungswalzwerke zugleich, oder Walzwerke mit schraubenförmig
bewegtem Werkstücke.
Nun unterscheidet sich aber das neue Mannesmann'sche
Walzverfahren durchaus wesentlich von dem mit den bekannten Polirwalzwerken
ausgeübten Polirverfahren dadurch, daſs man bei den Polirwalzwerken eine Verdrehung
der Faser ängstlich zu vermeiden suchte und eine wesentliche Streckung des
Materiales und Verminderung des Werkstückquerschnittes auf diesen Walzwerken nicht
bewirken konnte, weil
das Material zerbröckelte und aus einander fiel, wenn man eine mit
Querschnittsverminderung verbundene erhebliche Streckung versuchte.Dies wird von anderer betheiligter Seite nicht zugegeben, siehe spätere
Mittheilung von Lismann. Ganz im
Gegensatze hierzu gibt Mannesmann bei seinem Verfahren
sowohl eine gröſstmögliche Faserdrehung, als auch eine enorme Verminderung des
Querschnittes und Streckung des Materiales. Er erreicht dies dadurch, daſs er ein
bestimmtes Verhältniſs zwischen Faserdrehung und Streckung einhält, und ermöglicht
dadurch sowohl die Erzielung einer starken Faserdrehung, wie einer beliebig starken
Streckung ohne Zerbröckeln und ohne Ueberanstrengung des Materiales.
Die schraubenförmige Vorwärtsbewegung des Werkstückes im Schrägwalzwerke ist ganz
unabhängig von der absoluten Walzenlänge; die gleichzeitige Verschiebung, Drehung
und Bearbeitung des Werkstückes tritt auch ein, wenn die Walzkörper nur dünne,
flache Scheiben sind; ist die Dicke derselben unendlich klein und nimmt man an, daſs
ein Gleiten zwischen Scheibenrand und Umfläche des Werkstückes nicht stattfindet, so
kann man sagen: die Geschwindigkeit der erzeugten Schraubenbewegung auf der
schraubenlinigen Berührungsspur einer Scheibe, an dem Werkstücke gemessen, ist
gleich der Umfangsgeschwindigkeit der Walzscheiben. Daraus folgt, daſs dem
Werkstücke an verschiedenen Stellen auch verschieden groſse Geschwindigkeiten
mitgetheilt werden können, wenn man sich vorstellt, daſs jeder der einwirkenden
Walzkörper aus mehreren verschieden groſsen, daher mit verschiedenen
Umfangsgeschwindigkeiten einwirkenden Scheiben zusammengesetzt ist. Es wird sich
dann an dem durch das Walzwerk sich hindurch schraubenden Werkstücke eine gewisse
Strecke (Arbeitsstrecke) angeben lassen, innerhalb deren eine lokale Verdrehung des
als genügend bildsam vorausgesetzten Materiales erfolgt. Hiernach wird man das neue
Mannesmann'sche Walzverfahren als ein
Tordirungswalzverfahren bezeichnen dürfen, weil es dem Walzstücke – ähnlich wie eine
Spinnmaschine den Gespinnstfäden – eine Verdrehung oder Tordirung ertheilt. Für die
Herstellung von Röhren aus massiven Blöcken läſst Mannesmann
– unter Verwendung conoidischer Walzkörper – eine Schraubenbewegung an der
Austrittsstelle mit gröſserer Geschwindigkeit einleiten, als an der Eintrittsstelle
und man kann leicht ermessen, daſs bei einem sehr groſsen Werthe der Differenz
dieser beiden Grenzgeschwindigkeiten das an der Austrittsstelle in der Zeiteinheit
abgeführte (als Product von Querschnitt und Geschwindigkeit aufgefaſste) Volumen
gröſser sein kann, als das an der Eintrittsstelle zugeführte; in diesem Falle kann
der kreisförmige Querschnitt an der Austrittsstelle nicht ausgefüllt werden; reicht
bei einem groſsen Unterschiede der beiden Geschwindigkeiten und einem geringen
Unterschiede der beiden Querschnitte an der Ein- und Austrittsstelle die im
Beharrungszustande an der Eintrittsstelle zugeführte Materialmenge nicht aus, um den dargebotenen
Querschnitt an der Austrittsstelle auszufüllen, so muſs nothwendig ein ringförmiger
Querschnitt entstehen, wenn nicht etwa in Folge unregelmäſsiger Beschaffenheit des
Werkstückes ein Zerreiſsen desselben eintritt.Hierüber vergleiche die nachstehenden Auseinandersetzungen von Balcke, Ritter und Hofmann. So lange der äuſsere Durchmesser des
Werkstückes während der Bearbeitung eine Abminderung erfährt, wird unter den
gemachten Voraussetzungen der ringförmige Querschnitt an der Austrittsstelle, also
die Rohrform, aus der Form des massiven Cylinders auch schon dann resultiren, wenn
man nicht auf einen drehbar angeordneten Dorn von passender Dicke aufwalzt; daſs der
Erfinder einen solchen Dorn im Interesse der Dichtheit der Rohrwand und der inneren
und äuſseren Glätte gleichwohl anzuwenden pflegt, darf nicht zu der irrthümlichen
Auffassung verführen, als könnte die Höhlung im Werkstücke überhaupt nicht ohne Dorn
erzeugt werden; sie erfährt durch den Dorn thatsächlich nur die erwünschte
Vergleichmäſsigung der Rohrwand.
Daſs nach dem neuen Mannesmann'schen Verfahren die so
vielfach angezweifelte Möglichkeit, ohne Anwendung eines Dornes oder eines innerlich
thätigen Werkzeuges aus einem massiven Stücke ein gesundes Rohr herzustellen,
thatsächlich vorliegt, beweist ein Probestück, das ich Ihnen hier vorlege, ein
Rohrstück, welches ganz ohne Dorn aus dem Massiven herausgewalzt ist und welches an
dem einen Ende massiv gelassen wurde, um den Anfang der Lochbildung zu zeigen;
dasselbe erweist sich als ein durchaus gesundes Rohr. Daſs das Rohr ohne Dorn
gewalzt ist, beweisen die feinen Krystalle im Inneren. Walzt man ein Rohr an beiden
Enden massiv bleibend, so kann, obgleich das Rohr im glühenden Zustande gewalzt war,
die innere Rohrwand nicht oxydiren; dieselbe bleibt metallisch glänzend, weil die
Luft keinen Zutritt zu dem gebildeten Loche hatte.
Der Dorn ermöglicht recht wohl die Anwendung von Druck und Gegendruck, welche ein
Beurtheiler des Mannesmann'schen Verfahrens in Nr. 7
und 8 der Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure
mit Unrecht vermiſst, ohne daſs jedoch die ungeheuren Kräfte aufzuwenden wären,
welche zum Auspressen glühenden Stahles aus einem ruhenden Mundstücke mit
ringförmiger Austrittsöffnung erforderlich sein würden. Der Dorn ermöglicht auch –
unter Ueberwindung des geringen Biegungs- und Streckungswiderstandes der Rohrwandung
– den äuſseren Durchmesser des Rohres gröſser ausfallen zu lassen, als der
Durchmesser des verwendeten Rohstabes ist, so daſs z.B. ein Rohr von 150mm äuſserem Durchmesser und 7mm Wandstärke aus einem massiven Stahlcylinder von
80mm Durchmesser erzeugt werden kann.
Wie der Mannesmann'sche Prozeſs in Bezug auf die Mittel
der Metallverarbeitung viele der bisherigen Erfahrungen und Vorschriften auf den Kopf stellt, indem er
statt der bisher ängstlich vermiedenen Faserdrehung und der für den Stich begrenzten
Streckung in Verschiebungswalzwerken und der aus guten Gründen bisher vermiedenen
Streckung in Schrägpolirwalzwerken eine gröſstmögliche Faserdrehung und in einem
Stiche eine fast unbegrenzte Streckung ermöglicht und praktisch durchführt, ebenso
durchbricht derselbe die bisher ohne Ausnahme gebliebene Regel (?)Dies ist wohl nicht richtig, wir erinnern nur an Winkeleisen, Einfach- und
Doppel-⊤-Eisen, welche das Gegentheil
beweisen.D. Ref., daſs man beim Walzen den äuſseren
Durchmesser der Walzproducte vermindert, so daſs das fertige Walzproduct ausnahmslos
einen kleineren Durchmesser hat, als der rohe Block. Denn wir sehen bei dem Mannesmann'schen Verfahren unter anderem die
überraschende Erscheinung, daſs aus einem Blocke von geringeren Dimensionen ein
Walzproduct mit sehr stark vergröſsertem äuſseren Durchmesser hergestellt werden
kann.
Nach dem Vorgeführten wird man zugeben müssen, daſs das Mannesmann'sche Verfahren zum Walzen von massiven und hohlen Stäben eine
Veränderlichkeit der für den Erfolg wesentlichen Momente und eine Allgemeinheit
darbietet, welche von den bisher bekannten Gestaltungsmethoden nicht entfernt
erreicht werden. Grund genug, daſs die geschäftlichen Concurrenten des Erfinders mit
schlecht verhehlter SorgeNach den bisher bekannt gewordenen Ergebnissen scheint dem Referenten eine
solche Sorge noch nicht angezeigt zu sein., aber mit dem
Anscheine sachverständiger Beurtheilung an die praktischen Schwierigkeiten sich
anklammern, welche bei Durchführung der bedeutungsvollen Erfindung unfehlbar zu
überwinden sind.
Ueber den Vorgang im Inneren der Stäbe bei der Walzung hat Balcke in dem Niederrheinischen Bezirksvereine deutscher Ingenieure am 3.
Januar 1888 einen dankenswerthen Vortrag gehalten, dem wir nach Nr. 4 und Nr. 8 der
Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure das
Nachstehende auszüglich entnehmen, um damit die bezüglichen Andeutungen des
Vorhergehenden zu ergänzen:
Bisher waren wir gewöhnt, beim Ausstrecken von Metallen durch Schmieden und Walzen
Druck und Gegendruck arbeiten zu lassen.
Bei dem vorliegenden Walzverfahren wird ein Ausstrecken ohne diese Vorbedingungen
angestrebt, und zwar mittels zweier Constructionen, welche im Wesentlichen denselben
Zweck verfolgen: die eine mit zwei gegen einander geneigten Planscheiben, deren
wagerechte Achsen in verschiedenen Ebenen liegen, die andere mit schräg zu einander
liegenden Walzen.
Beide Anordnungen sind seit Jahren bekannt und besonders zum Runden, Richten und
Glätten runder Stäbe und Röhren in Gebrauch. Auch das Strecken von Röhren ist von mir vor etwa 10 Jahren schon auf einer
Maschine mit schräg liegenden Walzen ausgeführt worden.
Man kann auf diesen Maschinen Röhren zermalmen, jedoch auch sauber runden und
glätten. Nicht bekannt war mir, daſs bei diesem Arbeiten ein warmer Rundstab von
innen heraus zerrissen und auf diese Weise aus einem massiven Blocke ein Hohlkörper
hergestellt werden kann.
Liegen bei gegen einander geneigten Planscheiben mit entgegengesetzt drehender
Bewegung die Achsen in verschiedenen Ebenen, so wird einem zwischengesteckten
Rundstabe eine schraubenförmig fortschreitende Bewegung mitgetheilt, weil die
arbeitenden Punkte der Planscheiben keine senkrechte Bewegungsrichtung haben (Fig. 1). Bei schräg liegenden Walzen von gleicher
Umdrehungsrichtung findet genau dasselbe statt (Fig.
2).
Fig. 1., Bd. 269, S. 460Fig. 2., Bd. 269, S. 460Fig. 3., Bd. 269, S. 460Fig. 4., Bd. 269, S. 460Die Ganghöhen der schraubenförmigen Bewegung wachsen in beiden Fällen mit der Abweichung der
Achsenstellung von derjenigen in einer Ebene.
Die Umdrehungsrichtung wechselt mit der Abweichung der Achsen nach der einen oder der
anderen Seite.
Betrachten wir zunächst die Anordnung der geneigt gegen einander arbeitenden
Planscheiben, deren Achsen in zwei ein wenig von einander entfernten wagerechten
Ebenen liegen. Die Arbeitslinie a b (Fig. 3) liegt zwischen letzteren. Die excentrische
Stellung der beiden Scheiben bedingt die schraubenförmige Fortbewegung eines
zwischengesteckten Rundstabes.
Weil nun jeder folgende Punkt der Arbeitslinie von a
nach b eine seinem Radius entsprechende gröſsere
Umfangsgeschwindigkeit hat, so folgt daraus eine Beschleunigung der
schraubenförmigen Fortbewegung der Oberfläche des
Rundstabes, falls er dehnbar ist, hingegen ein Gleiten
zwischen Scheiben und Stab, wenn er nicht dehnbar
ist.
Der letztgenannte Fall kommt beim Runden, Richten und Glätten von Rundstäben in
Anwendung, wenn diese kalt oder wenig erwärmt verarbeitet werden- der erste Fall, in
welchem der Stab dehnbar ist, beschäftigt uns heute.
Der einfacheren Anschauung wegen nahmen wir an, es finde kein Gleiten zwischen
Scheiben und Stab statt.
Die Arbeitslinie theilen wir in x gleiche Theile (Fig. 3 und 4). Ist die
der Staboberfläche mitgetheilte Umdrehungsgeschwindigkeit in dem Punkte 1 = v, so ist sie in Punkt 2 = 2v, in Punkt 3 = 3v, in Punkt x = xv.
Da nun die Umfangsgeschwindigkeit in jedem folgenden Punkte der Arbeitslinie gröſser
ist, ein Gleiten aber nicht stattfindet, so muſs nothwendiger Weise eine Dehnung der Staboberfläche in der Richtung der
erwähnten Schraubenlinie erfolgen.
Es ist bekannt, daſs die Verlängerung eines Stabes auf Kosten des nebenliegenden
Materiales geschieht.
Im vorliegenden Falle kann die Dehnung, die am Umfange des Stabes geschieht, nur auf
Kosten des weichen Kernes geschehen, denn ebenso, wie bei einer Dehnungsprobe mit
einem geraden Stabe das seitliche Material herangeholt wird, so muſs hier der weiche
Kern herangeholt, d. i. es müssen die mittleren Fasern aus einander gerissen werden
und nach auſsen wandern, genau so, wie das nebenliegende Material bei der
gewöhnlichen Dehnungsprobe nach innen wandert. Die pressende Wirkung der
Planscheiben oder Walzen gegen das entstehende Rohr ist nicht gleichbedeutend dem
Drucke beim gewöhnlichen Walzen, weil hier selbstverständlich der innere Gegendruck
fehlt. Die gesammte Kraft wirkt nur tangential auf den Stab bezieh. das Rohr und
bringt eine rotirende Bewegung der Staboberfläche mit im Fortschreiten
beschleunigter Geschwindigkeit hervor; sie bewirkt auf diese Weise das Ausziehen des Rohres ohne
gröſsere radiale Pressung als zum Mitreiſsen der Staboberfläche genügt.
Betrachten wir nun den Hergang in den einzelnen Punkten der Arbeitslinie a b (Fig. 4).
In Punkt 1 erhält der Stab die Umfangsgeschwindigkeit
v und gleichzeitig die schraubenförmige
Fortbewegung mit beschleunigter Geschwindigkeit, so daſs bei Ankunft in 2 die Umfangsgeschwindigkeit gleich 2v ist. Die Oberfläche muſs dabei auf 1b gestreckt werden, und zwar so, daſs der
Rotationskörper 1bc gleich ist dem kubischen Inhalte
des Cylinders 1 bis 2. Bei
weiterem Fortschreiten des Stabes und der Umfangsgeschwindigkeiten – bei 2 = 2v, bei 3 = 3v – wird
die Oberfläche des Stabes auf 1d gedehnt, und zwar so,
daſs der Rotationskörper 1dc gleich ist dem kubischen
Inhalte des Cylinders 13. Bei weiterem Fortschreiten
des Stabes und der Umfangsgeschwindigkeiten bis xv wird
die Oberfläche des Rohres bis auf 1e gedehnt, und zwar
so, daſs der Rotationskörper 1ec gleich ist dem
kubischen Inhalte des Cylinders 1x. Bei weiterem
Fortschreiten der Arbeit bleibt der dritte Fall unverändert, die Wandstärke wird
durch die Linie x bestimmt, d.h. bei gröſserem
Planscheibendurchmesser nimmt die Wandstärke ab.
Es dürfte nun als erwiesen gelten, daſs der Stab beim Passiren der Arbeitslinie ab hohl werden muſs.
Mit gröſseren Schwierigkeiten ist das Hohlwerden bei dem beabsichtigten Ausstrecken
massiver Körper zu vermeiden.
Planscheiben und Walzen werden in der Praxis unvermeidlich theilweise gleiten,
wodurch ein Glätten der Oberfläche des Rohres erzielt wird. Keineswegs ist aber
anzunehmen, daſs durch die Pressung von Scheiben oder Walzen gegen das Rohr eine
Verdichtung der Rohrwand auch nur annähernd wie beim gewöhnlichen Walzen stattfände.
Der Hergang bei Entstehung des Rohres ist also derselbe wie der des Ausziehens eines
warmen Stabes bei der Dehnungsprobe mit dem Unterschiede, daſs die Zuglinie nicht
eine gerade, sondern eine schraubenförmig fortschreitende ist. Als belastender
Umstand tritt noch das Auseinanderreiſsen der inneren Faser hinzu. Die Glättung der
inneren Oberfläche des Rohres beim Austritte aus den Planscheiben bezieh. Walzen
durch einen festgehaltenen Dorn kann das vorher stattgehabte Lockern der Fasern
nicht mehr beseitigen. Der Vorzug des neuen Verfahrens dürfte demnach durch den
Nachtheil der geringeren Dichtigkeit der Rohrwand aufgehoben werden.
Bei Anwendung von Walzen anstatt Planscheiben ist es dem Constructeur überlassen, die
Art der Beschleunigung der schraubenförmigen Fortbewegung durch Gestaltung der
Arbeitsflächen zu bestimmen und der Dehnbarkeit des zu verarbeitenden Stoffes
anzupassen. Aus diesem Grunde, und weil bei drei oder mehr Walzen eine besondere
Führung des Werkstückes
überflüssig wird, ist das Walzensystem dem Planscheibensysteme vorzuziehen. Im Wesen
ist die Arbeit bei beiden Anordnungen dieselbe.
Es erübrigt noch der Vergleich des Betriebsbedarfes des neuen mit dem des alten
Verfahrens.
Bekanntlich steht der Kraftaufwand für die Formveränderung beim Ausstrecken von Eisen
im Verhältnisse zu der Masse des fortzustreckenden Metalles und wird zum
Fortstrecken von 1cbmm Eisen 10k Druck als ausreichend angenommen.
Bei Herstellung eines Rohres aus massivem Stabe ist der Kern in die Form der Rohrwand
zu strecken. Nehmen wir zur Berechnung einen bestimmten Fall; es sei ein Rohr von
80mm äuſserem und 74mm innerem Durchmesser herzustellen, und ferner,
es sei in einer Secunde die Stablänge von 50mm zu
verarbeiten.
Der kubische Inhalt des zur Formveränderung bereiten Metalles ist also
74^2\,\frac{\pi}{4}\,50=4300\,.\,50=215000^{cmm}.
Die gröſste Weglänge der innersten Faser nach dem Umfange des Rohres ist gleich dem
Radius = 40mm. Nehmen wir als durchschnittliche
Weglänge 20mm an, so erfordert die Arbeit in einer
Secunde
\frac{215000\,.\,10^k\,.\,20^{mm}}{75\ \
1000}=570.
Nach dem alten Verfahren werden 3¾ Wandstärke auf 3mm ausgewalzt. Die Geschwindigkeit betrage 1m in der Secunde, der Arbeitsweg der Ausstreckung (radial) 2mm; dann sind fortzustrecken:
74^2\,\frac{\pi}{4}-72,5^2\,\frac{\pi}{4}=4300-4128
=172^{qmm}\,\times\,1000
=172000^{cmm}.
Alsdann erfordert die Arbeit
\frac{172000\,.\,10^k\,.\,2}{75\,.\,1000}=45,
wobei im ersten Falle 350mm,
im zweiten Falle 1000mm Rohrlänge gewonnen
werden.
Es verhält sich also die Kraft beim neuen Verfahren zu der beim alten nahezu wie
570 : 15 = 38 : 1.
Das Neue und Wesentliche des Schrägwalzverfahrens liegt:
1) in der Art des Ausstreckens unter Rotation zwischen entgegengesetzt bewegten
Walzenflächen,
2) in der Fertigstellung des gewünschten Profiles in einem einzigen Durchgange,
und
3) in der Möglichkeit, mit denselben Walzen verschiedene Profile zu walzen.
Bei dem bisherigen Walzverfahren haben die Walzen bekanntlich entgegengesetzte
Drehungsrichtung, in den arbeitenden Flächen aber gleiche Bewegungsrichtung. Bei dem
neuen Verfahren dagegen haben die Walzen gleiche Drehungsrichtung und die
arbeitenden Flächen entgegengesetzte Bewegungsrichtung.
Bei dem bisherigen Walzverfahren durchwandert der Stab die Walzen rechtwinkelig zu
den Achsen, bei dem neuen dagegen geht er parallel oder annähernd parallel den
Achsen. Beim Walzen zwischen Planscheiben haben diese entgegengesetzte Drehung,
daher in den arbeitenden Flächen entgegengesetzte Bewegungsrichtung. Aus diesen
Ausführungen ist klar, daſs das Werkstück eine rotirende Bewegung erhält.
Bezüglich des Ausstreckens unter Rotation zwischen entgegengesetzt bewegten
Walzenflächen habe ich bereits nachgewiesen, daſs dasselbe nichts anderes ist, als
ein Ausziehen unter der Beschränkung, daſs die Zuglinie keine gerade, sondern eine
schraubenförmig fortschreitende ist, wobei die äuſsere – zwischen den Scheiben oder
Walzen conische, nach dem Austritte cylindrische – Form gewahrt bleibt. Das
Ausziehen des Materiales kann aber nur durch die Beschleunigung der
schraubenförmigen Oberflächenstreckung geschehen.
Genau dasselbe findet statt, wenn massive Profile gewalzt werden sollen. Soll das
Hohlwerden vermieden werden, so kann das nur geschehen, wenn die Neigung der
Scheiben gegen einander wenigstens so stark ist, daſs der hohle Kegel ece (Fig. 7) gleich 0 wird, d.h., die Entfernung der
beiden Scheibenkanten beim Austritte des Stabes muſs so weit verringert werden, daſs
sie mindestens gleich wird der doppelten Wanddicke des Rohres (Fig. 7) beim
Austritte aus den Scheiben, während die Entfernung am Anfange der Arbeitslinie
dieselbe bleibt. Die Oberflächenstreckung des Werkstückes wird dem Kerne radial in
abnehmendem Maſse mitgetheilt, so daſs sie in der Achse des Werkstückes gleich 0
wird und nur eine Dehnung in der Längenrichtung des Stabes übrig bleibt. Folge davon
ist, daſs die Fasern im Querschnitte, von der Achse aus anfangend, eine
spiralförmige Verdrehung erhalten. Die durchaus nöthige starke Verjüngung des
Werkstückes zwischen den Scheiben bedingt aber ein ebenso starkes Wachsen der
Winkelgeschwindigkeit des Werkstückes zwischen den Scheiben.
Um die Vermehrung der Umdrehungszahlen neben der Beschleunigung der schraubenförmigen
Fortbewegung der Oberfläche klarzustellen, nehmen wir einen bestimmten Fall.
Es soll ein Rundstab 50mm Durchmesser zu Draht von
3mm,2 Durchmesser ausgewalzt werden. Die
Scheiben (Fig. 5) haben 320mm Durchmesser, also
1000mm Umfang, und machen eine Umdrehung in
der Secunde. Die Arbeitslinie, d. i. der Radius der Scheiben, sei in 16 Theile
getheilt. Die wagerechte Entfernung der Scheiben von einander sei in Punkt 1 = 50mm, in Punkt 16 (= x
in Fig. 5) 3mm,2. Dann ist:
in Punkt 1
in Punkt 16
der Durchmesser des Werkstückes
50
3,2mm
der Umfang des Werkstückes
157
10
die Umfangsgeschwindigkeit der Schei- ben 2rπ
62,8
1000
62,8
1000
die Umdrehungszahl des Werkstückes
––––
––––
157
10
= 0,4
= 100
Bei einer Umdrehung des Werkstückes in Punkt 1 hat dasselbe Stück in Punkt
16\,\frac{100}{0,4}=250 Umdrehungen, während die
Umfangsgeschwindigkeit von Punkt 1 bis Punkt 16 von 62,8 bis 1000mm wächst. Der klareren Rechnung wegen habe ich
auf das theilweise Gleiten zwischen Scheiben und Werkstück keine Rücksicht genommen.
Durch die in der Länge der Arbeitslinie fortlaufend vermehrte Umdrehungszahl des
Werkstückes wird dessen spiralförmige Verdrehung bedingt.
Auf diese Verdrehung – „seilartige Windung“ nennt sie die Patentschrift – legt
der Erfinder einen hohen Werth; es soll die Zugfestigkeit, die Dehnung und
Contraction des Eisens, sowie die Elasticitätsgrenze für seitliche Durchbiegung
dadurch erhöht werden. Obgleich nun Fluſseisen ein sehr gefälliges Metall ist, so
dürfte doch abzuwarten sein, ob durch diese energische Verdrehung der Fasern dem
Materiale eine gröſsere Festigkeit gegeben wird. Die Patentschrift behauptet, daſs
durch den Zug der äuſseren Fasern in der Richtung der Schraubenlinie ein
Zusammenpressen des Kernes stattfinde, so etwa, wie wenn man einen Riemen
schraubenförmig um einen Rundstab windet und anzieht. Diese Behauptung, auf welche
der Erfinder die vorzüglichen Eigenschaften seines neuen Verfahrens gründet,
zerfällt aber in sich, weil nicht allein beim Walzen von Hohlkörpern, sondern auch
in vorliegendem Falle beim Walzen massiver Stäbe die inneren Fasern nach auſsen
wandern müssen, gerade dem vermeintlichen Drucke des Erfinders entgegen, und
unfehlbar einen Hohlkörper ergeben, wenn dies nicht durch sehr starke Neigung der
Arbeitsflächen, also durch sehr schleunige Verjüngung des Querschnittes vermieden
würde. Es fehlt dem neuen Streckverfahren die bisher mit Sorgfalt ausgeführte
Pressung der Fasern quer zur Fläche des Stabes, welche durch Druck und Gegendruck
die Verdichtung des Materiales bewirkt, und es bleibt, selbst beim Auswalzen
massiver Rundstäbe mit dem neuen Verfahren, nichts weiter übrig, als das
Warmausziehen unter den angegebenen Beschränkungen.
Selbst mit dem bisherigen Ausziehen von glühenden Röhren
oder Draht läſst sich das neue Verfahren nicht auf gleiche Stufe stellen, weil bei
ihm das geschlossene Zieheisen mit dem allseitig radialen Drucke fehlt; denn durch
die zwei oder drei tangential arbeitenden Scheiben bezieh. Walzenflächen kann der
gleichzeitig in allen Punkten des Umganges wirkende radiale Druck des Zieheisens
nicht ersetzt werden. Es
gibt ja sehr viele Fälle, in denen geringere Ansprüche an Röhren gemacht werden, als
z.B. an Kesselröhren. Wenn es daher gelingen sollte, mit dem neuen Verfahren einen
wirthschaftlichen Vortheil gegen das bisherige zur Anfertigung von Röhren zu
erlangen, so dürfte dieser an sich so interessanten Fabrikationsweise eine groſse
Zukunft beschieden sein.
(Fortsetzung folgt.)