Titel: | Neuere Verfahren und Apparate für Zuckerfabriken. |
Autor: | Stammer |
Fundstelle: | Band 270, Jahrgang 1888, S. 173 |
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Neuere Verfahren und Apparate für Zuckerfabriken.
(Fortsetzung des Berichtes S. 89 d. Bd.)
Neuere Verfahren und Apparate für Zuckerfabriken.
J. Suchomel berichtete über Versuche mit Knochenkohlefiltration (Oesterreichisch-Ungarische Zeitschrift für
Zuckerindustrie und Landwirthschaft, 1888 Bd. 17 S. 289), welche zwar schon
vor längerer Zeit ausgeführt, aber nicht veröffentlicht wurden, und die gerade in
der Gegenwart, wo so viele irrthümliche Ansichten über Ausführung und Wirkung der
Filtration der Zuckersäfte verbreitet sind, Beachtung und Beherzigung verdienen.
Die vom Verfasser aus seinen Versuchen abgeleiteten Schluſsfolgerungen stimmen im
Wesentlichen mit den früher von Stammer nachgewiesenen
Thatsachen überein, wie dies auch nicht anders zu erwarten stand; eine solche
Bestätigung ist aber immer werthvoll, insofern diese allgemeinen Gesetze der
Filtration bei der Nachlässigkeit, womit diese Station vielfach behandelt wird,
häufig in Vergessenheit zu gerathen droht. Der Verfasser sagt nach Darlegung seiner
Versuche:
Es steht unzweifelhaft fest, daſs durch Filtration von Dünnsaft
nach Dicksaft, bezieh. durch Verdrängung des Dicksaftes mittels Dünnsaftes und
darauf folgendes Absüſsen mit Wasser dem Spodium eine gröſsere Menge der aus
Dicksaft absorbirten Nichtzuckerstoffe wieder entzogen wird, als durch unmittelbare
Absüſsung mit Wasser. Die Absüſsung mit Dünnsaft und Wasser nimmt jedenfalls mehr
Zeit in Anspruch, als eine Absüſsung mit Wasser allein, das Spodium kommt daher im
ersteren Falle mit gröſseren Mengen dünner Absüſsflüssigkeit und für längere Zeit in
Wechselwirkung, weshalb es auch nicht zögern wird, an die Absüſs- oder
Waschflüssigkeit mehr Nichtzuckerstoffe wieder abzugeben, als es bei alleiniger
Verwendung von Wasser gethan haben würde.
An der Verschlechterung der Reinheit des Nachlaufes und des
Absüſses haben sich vorwiegend die Alkaliverbindungen betheiligt, woraus wieder
hervorgeht, daſs die einmal absorbirten organischen Nichtzuckerstoffe vom Spodium
mit einer gröſseren Kraft zurückgehalten werden als die Alkaliverbindungen.
Die Ergebnisse der in Rede stehenden Versuche lassen sich in
folgenden Punkten zusammenfassen:
1) Der Dünnsaft wirkt auf erschöpfte Dicksaftfilter, wie schon
früher ausgeführt wurde, ähnlich dem Wasser.
2) Durch Filtration von Dünn- auf Dicksaft, bezieh. durch
Abdrücken des Dicksaftes mittels Dünnsaftes und erst darauffolgendes Absüſsen mit
Wasser, wird dem Spodium eine namhaft gröſsere Menge der vorher aus Dicksaft
absorbirten Nichtzuckerstoffe entzogen, als durch direktes Absüſsen mit Wasser
allein.
3) Bei der Filtration von Dünn- nach Dicksaft vermag das Spodium
dem Dünnsafte im Allgemeinen noch ganz bedeutende Kalkmengen zu entziehen.
4) Ein für Dicksaft auch hinsichtlich der Farbe bereits
erschöpftes Spodium vermag noch auf Dünnsaft eine entfärbende Wirkung auszuüben.
Es wäre wohl überflüssig, hier noch über die zweckmäſsigste Art
der Verwendung der Dickfilter-Nachsäfte und -Absüſse viel Worte zu verlieren, ein
einfacher Hinweis auf die ermittelten Reinheiten derselben führt eine zu deutliche
Sprache. Es hieſse ja eine der werthvollsten Leistungen der Spodiumfiltration
einfach rückgängig machen, wollte man den Nachlauf noch zum Hauptsafte laufen
lassen!
Ein besonderer Versuch ergab die Thatsache, daſs das für Dünnsaft
erschöpfte Spodium die Fähigkeit besaſs, aus dem nachher darüber filtrirten
Dicksafte noch namhafte Mengen Nichtzucker zu absorbiren.
Diese Versuche zeigen ferner (abweichend von den von Stammer aufgestellten Sätzen), daſs das für Dünnsaft
bereits erschöpft gewesene Spodium noch im Stande war, dem unmittelbar nach Dünnsaft
gefolgten Dicksafte mehr Nichtzuckerstoffe, insbesondere aber mehr
Alkaliverbindungen zu entziehen, als vorher in gleichen Zeiträumen aus gleichen
Mengen Dünnsaft; zum mindesten aber läſst sich daraus und in völliger
Uebereinstimmung mit den Ergebnissen des ersten Versuches folgern, daſs das Spodium
aus concentrirteren Rübensäften, Syrupen und überhaupt aus unreinen Zuckerlösungen
in Summe eine gröſsere Menge Nichtzucker aufzunehmen befähigt ist als aus
verdünnteren, und daſs somit die Absorptionsfähigkeit des Spodiums für
Nichtzuckerstoffe mit der steigenden Concentration der zu filtrirenden Zuckerlösung
auch eine gröſsere wird.
Hervorzuheben sind noch folgende Sätze, welche der Verfasser aus
seinen Versuchen ableitet:
1) Die Absorptionsfähigkeit des Spodiums gegenüber dem Nichtzucker
des Rübensaftes u.s.w. steigt und fällt mit der Concentration der zu filtrirenden
unreinen Zuckerlösung; es vermag daher das Spodium aus concentrirteren Lösungen
namhaft mehr Nichtzuckerstoffe aufzunehmen als aus verdünnten. Demgemäſs wird ein
für Dünnsaft erschöpftes Spodium noch auf Dicksaft reinigend wirken können; hingegen
wird aber ein für Dicksaft erschöpftes Spodium an den nachher darüber filtrirten
Dünnsaft einen dem (zwischen Dünn- und Dicksaft) bestehenden
Concentrations-Unterschiede entsprechenden Antheil der aus Dicksaft absorbirten
Nichtzuckerstoffe wieder abgeben und denselben verunreinigen.
2) Gegenüber dem Farbstoffe des Rübensaftes, der Syrupe u.s.w.
zeigt das Spodium ein dem vorigen entgegengesetztes Verhalten; es vermag den ihm
dargebotenen gefärbten Zuckerlösungen um so mehr Farbstoff zu entziehen, je
niedriger die Concentration derselben ist, woraus wieder folgt, daſs ein für
Dicksaft auch in Bezug auf Farbstoff erschöpftes Spodium noch Dünnsaft, und zwar in
einem dem Saftconcentrations-Unterschiede entsprechenden Maſse entfärben kann;
hingegen aber wird ein für Dünnsaft erschöpftes Spodium an den darauf folgenden
Dicksaft eine dem Saftconcentrations-Unterschiede entsprechende Menge Farbstoff
wieder abgeben.
3) Aehnlich wie auf den Farbstoff wirkt das Spodium auch auf den
Kalkgehalt der Säfte und Syrupe u.s.w.; es ist befähigt, um so mehr Kalk aus der
Zuckerlösung zu absorbiren, je geringer die Dichte derselben ist, und auch
umgekehrt. Ein für Dicksaft auch hinsichtlich der Kalkabsorption erschöpftes Spodium
vermag daher noch auf den ihm dargebotenen Dünnsaft in einer dem
Saftconcentrations-Unterschiede entsprechend kräftigen Weise entkalkend einzuwirken;
hingegen aber wird ein für Dünnsaft auch hinsichtlich der Kalkabsorption erschöpftes
Spodium an einen nachher darüber filtrirten Dicksaft noch eine gewisse von dem
Concentrations-Unterschiede der Säfte abhängige Menge Kalk wieder abgeben.
4) Wie sich aus Punkt 1, 2 und 3 ergibt, so ist ein für Dicksaft
in jeder Hinsicht erschöpftes Spodium befähigt, an den darüber filtrirten Dünnsaft
Alkaliverbindungen und organische Stoffe abzugeben und gleichzeitig aus demselben
Dünnsafte Kalk und Farbstoff zu absorbiren; hingegen vermag ein für Dünnsaft in
jeder Hinsicht erschöpftes Spodium noch aus dem noch darüber filtrirten Dicksafte
Alkaliverbindungen und organische Stoffe aufzunehmen und gleichzeitig an denselben
Dicksaft Farbstoff und Kalk wieder abzugeben.
Die Deutsche Zuckerindustrie, 1888 Bd. 13 Nr. 26 S. 796,
theilt Nachstehendes über den Prozeſs einer Raffinerie wegen
Beschädigung durch Bienen mit. Ein Hauptgebäude der Actiengesellschaft Raffinerie parisienne liegt in der Gemeinde St. Ouen
bei Paris. In diese Gemeinde pflegen nicht derselben angehörende Bienenwirthe mit
dem Beginne der Blüthezeit ihre Stöcke zu bringen, damit die Bienen den Honig aus
den Futterpflanzen holen, welche dort in der Ebene von Gennevilliers in groſser Ausdehnung angebaut
werden. Als Futterpflanzen werden insbesondere verschiedene Kleearten genannt, wie
rother, weiſser, Luzerne u.a., obgleich bekanntlich die Bienen nicht im Stande sind,
aus dem rothen Klee den Honig herauszuziehen. Die Bienen nun ziehen es vor, statt
weite Flüge über die Felder zu machen und mühsam aus Blüthe nach Blüthe die
Süſsigkeit zu sammeln, die letztere aus der ihnen nahe gelegenen Raffinerie zu holen
(einige Stöcke sind nur 150m von derselben
entfernt), aus welcher sie nicht nur eine Menge Zucker tragen, sondern wo sie die
bis zum Gürtel entbloſsten Arbeiter durch ihre Stiche schwer belästigen.
Die Raffineriegesellschaft hat nun drei Eigenthümer der in ihrer Nähe aufgestellten
Körbe auf Entfernung der letzteren, und auf Schadenersatz eingeklagt. Die Beklagten
wandten ein, daſs Bienen wilde Thiere seien, für deren Verhalten sie nicht
aufzukommen hätten, dann aber sei es nicht erwiesen, daſs gerade ihre Bienen die
Raffinerie heimsuchten, da der mit der Ermittelung der Eigenthümer betraute
Sachverständige diese Aufgabe nicht hätte lösen können.
Das Gericht entschied durch Urtheil vom 8. Februar 1888, daſs Bienen, welche im Juni
hin und im September fort gebracht würden, keine wilden Thiere seien, somit
grundsätzlich deren Eigenthümer für ihre Thaten verantwortlich wären; da aber nicht
nachgewiesen worden, daſs in dem vorliegenden Falle die Eingeklagten die Eigenthümer
wären, sei die Klage abzuweisen.
[Zu dieser nach der Revue industrielle wiedergegebenen,
der Sucrerie indigene entnommenen Darstellung, fügt
unsere Quelle hinzu, daſs in sehr vielen Fällen die Beraubung der Raffinerien durch
Bienen seitens der Bienenhalter systematisch betrieben wird. In Paris wurde daher
durch einen Erlaſs des Polizeipräfecten vom 10. Januar 1882 das Halten von Bienen
innerhalb der Stadt von einer besonderen Erlaubniſs des Präfecten abhängig
gemacht.]
Die Zeitschrift für Berg-, Hütten- und Salinenwesen in
Preuſsen brachte eine Darstellung der Entwickelung des
Strontianit-Bergbaues im Centrum des westfälischen Kreidebeckens während des
letzten Jahrzehntes. Die Vorgeschichte sowie die Anfangsentwickelung dieses
Bergbaues als bekannt voraussetzendUeber das Vorkommen des Strontianites in Westfalen und seine bergmännische
Gewinnung sind zu vergleichen: 1) Menzel,
Beschreibung des Strontianit-Vorkommens in der Gegend von Drensteinfurt,
sowie des daselbst betriebenen Bergbaues (Jahrbuch der kgl. Preuſsischen
geologischen Landesanstalt und Bergakademie zu Berlin, Jahrgang 1881) und 2)
Venator, Ueber das Vorkommen und die
Gewinnung von Strontianit in Westfalen (Berg- und
Hüttenmännische Zeitung, Jahrgang 1882). Ueber die Anwendung des
Strontianits in der Zuckerfabrikation vgl. Stammer's Lehrbuch der Zuckerfabrikation. 2. Aufl. S. 1054
ff., ist die oberste Abtheilung der Kreideformation, das Ober-Senon,
dessen aus Mergel mit Kalkbänken bestehende Schichten wegen des häufig in ihnen
vorkommenden Belemnites mucronatus
„Mukronaten-Schichten“ genannt worden. In den südlich von dem hier in Rede
stehenden Gebiete gelegenen „Quadraten-Mergeln“ – nach dem Belemnites
quadratus so benannt –, welche dem Unter-Senon angehören, ist das Auftreten von
Gängen allerdings ebenfalls beobachtet, dieselben haben aber nur geringe Mächtigkeit
und Ausdehnung gezeigt. Die Mukronaten-Mergel füllen die östliche Hälfte des von dem
Teutoburger Walde und dem westfälischen Hügellande umschlossenen Kreidebeckens aus.
Die Dessauer Gesellschaft für Zuckerraffinerie begann
im J. 1874 die ersten Tiefbauanlagen, die beiden Schächte Bertha und Maria, in etwa
1km Entfernung vom Bahnhofe Drensteinfurt.
Nebenbei wurden die Schürfarbeiten fortgesetzt und zahlreiche kleine Haspelschächte
abgeteuft, um das Auftreten und Fortschreiten der Gänge möglichst genau kennen zu
lernen. Die Aufschlüsse, welche man auf den obersten beiden Sohlen der genannten
Tiefbauschächte machte, waren auſserordentlich günstig, indem die Mächtigkeit des
Ganges auf der 21m Sohle des Schachtes Maria 2m,25 reinen Strontianits betrug, eine Mächtigkeit,
wie sie im ganzen Bezirke später niemals wieder gefunden worden ist. Die Förderung
konnte in den ersten Jahren, wo zunächst nur Vorrichtungsarbeiten betrieben wurden,
naturgemäſs keine bedeutende sein und betrug thatsächlich bis zum Betriebsjahre
1877/78 bei einer Belegschaft von 28 Mann nur 5550 Centner. Da die erwähnten
günstigen Aufschlüsse der Schächte Bertha und Maria sich nach der Tiefe hin
verschlechterten, so wurden bis zum Jahre 1880 9 neue Tiefbauschächte angelegt. Die
Jahresförderung erreichte damals bei einer Belegschaft von 390 Mann schon eine Höhe
von 24776 Centner.
Nur auf den beiden Schächten Bertha und Maria hatte man anfangs eigentliche
Fördermaschinen von 12 bezieh. 15 aufgestellt, auf den später errichteten
Anlagen (auch denjenigen anderer Gesellschaften) bediente man sich stationärer
Locomobilen von 18 bis 4 , welche, mit Vorgelege versehen, Förderung und
Wasserhaltung zugleich betreiben konnten. Zur Bewältigung der Wasserzuflüsse
reichten die Locomobilkräfte sehr bald nicht mehr aus und muſsten bei Drensteinfurt
sowohl, wie später bei Ahlen gröſsere liegende oder stehende, direkt wirkende
Maschinen von 30, 60, ja 135 aufgestellt werden.
Von einzelnen Agenten wurden in der Folge Schürfversuche angestellt und mit den
Grundbesitzern Verträge betreffs der Gewinnung des Strontianits abgeschlossen,
allerdings zu theilweise ganz gewaltigen Preisen. Als es nun Dr. Scheibler gelang, ein Patent für das Verfahren zur
Darstellung des Strontian-Zuckers aus Melassen und Syrupen zu erhalten, und dadurch
auch das Geheimniſs der Anwendung des Strontianits offenbar wurde, bemächtigte sich
plötzlich die Spekulation des Strontianit-Bergbaues. Die Berliner Strontianit-Societät-Actien-Gesellschaft kaufte das Dr. Scheibler'sche Patent und schloſs mit einer Anzahl
Zuckerraffinerien Verträge auf eine Reihe von Jahren und zu auſserordentlich günstigen Preisen ab,
gemäſs welchen jeder derselben die Anwendung des Strontianit-Verfahrens gestattet
war. Dagegen muſsten sich die Raffinerien verpflichten, sämmtlichen zu verwendenden
Strontianit von der Berliner Strontianit-Societät zu
kaufen oder im anderen Falle eine gewisse Summe an dieselbe zu zahlen. Genannte
Gesellschaft begann im J. 1880 die Schürf- und Ausrichtungsarbeiten in groſsartigem
Maſsstabe. In dem einen Jahre wurden neben einer Menge kleinerer Haspelschächte 4
Tiefbauschächte abgeteuft, denen im J. 1881 12 weitere Tiefbauanlagen folgten. Die
von der Gesellschaft beschäftigte Belegschaft stieg auf 555 Mann, die Förderung im
J. 1881 auf 22 766 Centner mit einem durchschnittlichen Gehalte von 85 Proc.
Strontianit.
Auch die Kölner Strontianit-Actien-Gesellschaft war
nicht müſsig geblieben und hatte in der Nähe von Rinkerode, etwa 6km nördlich von Drensteinfurt, 4 Tiefbauschächte
abgeteuft. Ihre Förderung belief sich innerhalb der beiden Jahre 1880 und 1881 bei
einer Belegschaft von 323 Mann auf 6500 Centner 85procentigen Strontianit. –
Wie schon erwähnt, zeigten die später aufgeschlossenen Gänge nicht die Mächtigkeit
und den Adel gleich den zuerst entdeckten, der Dessauer
Gesellschaft gehörigen. Die Folge davon war, daſs derber Strontianit bei
der Gewinnung immer nur in geringen Mengen fiel und das Haufwerk nur einen geringen
Procentgehalt (höchstens 10 bis 15 Proc.) an kohlensaurem Strontian besaſs. Die Dessauer Gesellschaft, welche nur für ihre eigenen
Zuckerraffinerien lieferte, legte anfangs keinen hohen Werth auf reines Product.
Dagegen errichtete die Berliner Societät eine
Centralwäsche etwa 2km vom Bahnhofe Ahlen, dicht
an der Köln-Mindener Bahn. Die schmalspurige Eisenbahn, welche die Wäsche mit dem
genannten Bahnhofe verband, wurde später auf etwa 10km Länge nach den sämmtlichen bedeutenderen Tiefbauschächten ausgedehnt.
Die Centralwäsche verarbeitete in 10stündiger Schicht 1500 Centner 10procentiges
Haufwerk, welches sie auf einen Gehalt von durchschnittlich 83 Proc. kohlensaurem
Strontian anreicherte; sie beschäftigte gegen 60 Personen. Auf den 4 Schächten,
welche keinen Anschluſs an die Secundärbahn hatten, legte man maschinelle Vorwäschen
an, welche das Haufwerk bis auf 30 bis 40 Proc. anreicherten.
Aehnliche Vorwäschen, aber mit Handarbeit, wurden von der Kölner Gesellschaft errichtet. Auch die Dessauer
Gesellschaft sah sich in Folge der ungünstigeren Aufschlüsse auf den
tieferen Sohlen veranlaſst, eine gröſsere Aufbereitung anzulegen. Dieselbe ist
allerdings nicht in so groſsartigem Maſsstabe angelegt wie diejenige der Berliner Societät, lieferte seiner Zeit aber doch
täglich gegen 200 Centner 83procentiges Haufwerk. –
Seine höchste Entwickelung erreichte der Strontianit-Bergbau im J. 1883, welches eine
Gesammtförderung der 3 Gesellschaften von rund 155500 Centner Strontianit mit 83
Proc. Gehalt an kohlensaurem Strontian erreichte, bei einer Belegschaft der Gruben von 2226 Mann.
Wenn auch im folgenden Jahre die Berliner Societät noch
für sich allein 101121 Centner oder 5454 Centner mehr als in 1883 förderte, so war
dies nur eine Folge der Ausbeutung der auf fast allen Betriebspunkten vorgerichteten
Abbaue. Im Allgemeinen beginnt mit 1884 der Rückgang des Strontianit-Bergbaues.
Konnte man anfangs noch hoffen, daſs die eingetretene Krisis nur eine vorübergehende
sein würde, so wurde doch der Absatz von Jahr zu Jahr geringer, der Preis für
Strontianit ging immer mehr zurück, und im J. 1886 stand nur noch die Berliner Societät, welche mit einzelnen Raffinerien
Verträge auf eine Reihe von Jahren zu günstigen Preisen abgeschlossen hatte, in
Förderung, während die übrigen Gesellschaften ihre sämmtlichen Betriebe nach und
nach hatten einstellen müssen.
Nachstehende Uebersicht gibt eine Nachweisung von der Strontianit-Förderung (Haufwerk
mit durchschnittlich 83 Proc. kohlensaurem Strontian) und der Arbeiterzahl der 3
groſsen Gesellschaften innerhalb der einzelnen Jahre von 1876 bis 1886.
Jahr
Kölner Gesellschaft
Dessauer Gesellschaft
Berliner Societät
FörderungCtr.
Arbeiterzahl
FörderungCtr.
Arbeiterzahl
FörderungCtr.
Arbeiterzahl
1876
–
–
8255
47
–
–
1877
–
–
5441
34
–
–
1878
–
–
5550
28
–
–
1879
–
–
28194
130
–
–
1880
1800
135
24776
390
88
99
1881
4700
323
41440
469
22766
555
1882
9300
430
44600
625
56649
758
1883
15200
500
37733
506
95667
1220
1884
18000
475
38537
270
101121
690
1885
8700
165
26160
105
59035
453
1886
2387
50
17534
70
55468
335
Was die technischen und wirthschaftlichen Verhältnisse des Strontianit-Bergbaues
anbelangt, so sind dieselben im Allgemeinen nicht als günstig zu bezeichnen.
Die Ausfüllung der Strontianitgänge ist eine sehr unregelmäſsige. Im Streichen, wie
im Fallen wechselt die Mächtigkeit und der Adel innerhalb geringer Entfernungen so
sehr, daſs man häufig genöthigt ist, auf 40 bis 50m völlig taube Partien zu durchörtern, um wieder ein edles Mittel
auszurichten. In Folge dieser Verhältnisse ist die Förderung in den meisten Fällen
eine sehr ungleichmäſsige, und muſs man stets eine gröſsere Anzahl von Schächten
gleichzeitig in Betrieb erhalten, um etwaige Ausfälle der Förderung auf dem einen
oder anderen Schachte auszugleichen. Es ist leicht erklärlich, daſs hierbei die
Selbstkosten in einer Weise erhöht werden, wie man sie sonst beim Gangbergbaue in so
geringen Teufen nicht kennt.
Wenn auch die Wasserzuflüsse nach der Tiefe zu abnehmen, so war doch die zu hebende
Wassermenge auf den seiner Zeit in Betrieb stehenden Gruben der Dessauer Gesellschaft so groſs, daſs die
Wältigungskosten die Hälfte aller sonstigen Selbstkosten überstiegen. Nur eine
sorgfältige Auszimmerung der Förderstrecken durch Thürstöcke mit dichtem Verzug der
Stöſse und Firste kann Sicherung vor Unglücksfällen gewähren. Da, wo feste Kalkbänke
anstehen, ist eine so dichte Zimmerung allerdings nicht immer nöthig, weil die
Kalkbänke weniger unter den Einflüssen der Grubenluft leiden. Die Erfahrung hat
gelehrt, daſs die Strontianitgänge nach der Teufe zu bedeutend an Mächtigkeit
abnehmen. In Folge des Abnehmens der Mächtigkeit der Gänge kann man sich bei den
Gewinnungsarbeiten nicht, wie dies anfangs geschah, auf die Förderung reinen
Stuff-Strontianits beschränken, sondern es muſs, um den Bergbau überhaupt noch
lohnend zu erhalten, mehr oder minder rauhes Haufwerk zu Tage geschafft werden.
Dieses rauhe Haufwerk aufzubereiten, erfordert bedeutende Kosten, so daſs
durchschnittlich 50k aufbereiteten Strontianits
auf 13 M. 80 Pf. zu stehen kommen. Diese hohen Selbstkosten konnten zu einer Zeit,
wo man in der Zuckerraffinerie für den Strontianit noch keinen Ersatz hatte, durch
einen hohen Verkaufspreis ausgeglichen werden, sind aber später eine Hauptursache
des Niederganges der Industrie geworden.
Als hemmend für eine gesunde Entwicklung des Strontianit-Bergbaues ist auch der
Umstand zu erwähnen, daſs der Strontianit nicht wie metallische Erze gesetzlich vom
Verfügungsrechte des Grundeigentümers ausgeschlossen ist. Die an den Grundbesitzer
zu zahlenden Abgaben stiegen in einzelnen Fällen bis zu 10 M. auf den Centner
Strontianit. Auſserdem hatten die Gruben, weil ihnen das Enteignungsrecht nicht
zustand, bei ihren Tagesanlagen (Wäschen, Abfuhrwegen u.s.w.) die gröſsten
Schwierigkeiten und Kosten zu überwinden.
Die wichtigste Ursache des so raschen Niederganges des Strontianit-Bergbaues ist
allerdings weniger in diesen ungünstigen äuſseren Verhältnissen zu suchen, als
vielmehr in der abnehmenden Verwendung von Strontianit bei der Zuckerindustrie.
Stammer.