Titel: | Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. |
Autor: | Oscar Guttmann |
Fundstelle: | Band 270, Jahrgang 1888, S. 215 |
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Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
(Fortsetzung des Berichtes Bd. 268 S.
516.)
Mit Abbildungen.
Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
A. S. Fitch in New York (Englisches Patent Nr. 7497 vom
22. Mai 1888) lieſs sich einen Explosivstoff patentiren, welcher aus 10 Th.
Nitroglycerin und 90 Th. eines Sprengpulvers als Saugstoff besteht, das aus 73 Th.
Natronsalpeter, 12 Th. Holzkohle und 10 Th. Schwefel mit 5 Th. Stärke und 18 Th.
Wasser hergestellt wird. Dieses Pulver erhält durch die Verdampfung ein
„bienenzellenartiges“ Aeuſsere, und saugt dadurch leichter auf. Es ist
ganz identisch mit dem vom Referenten bezieh. W. Reunert in Armen
schon früher (1884 254 * 112) angegebenen Pulver, dessen
erhöhte Saugfähigkeit sehr zu bezweifeln ist.
Englischen Quellen zu Folge soll man in Hamburg (?) Pulver
mit Korkkohle herstellen, um den Rauch zu vermindern, und es gegen
Feuchtigkeit besser zu schützen; wir verzeichnen dies wegen der Aehnlichkeit der für
das Carbodynamit aus der Korkkohle resultirenden Eigenschaften.
Ein gewisser W. T. Chamberlain in London soll nach der
Woolwich Gazette es erreicht haben, Chlorstickstoff in Granaten ohne jede Gefahr zu füllen,
und diese Geschosse aus Kanonen harmlos abzufeuern. Diese, nach unseren
gegenwärtigen Begriffen einfach unglaubliche Erfindung soll dem englischen
Kriegsministerium angeboten worden sein, und in Woolwich versucht werden.
Ein von Prof. Hebler in Zürich für sein
Kleinkalibergewehr verwendetes comprimirtes Pulver mit
achsialem Zehrloche enthielt nach den Mittheilungen über
Gegenstände des Artillerie- und Geniewesens, 1888 S. 289, den Salpeter zu ⅚
als Ammoniaksalpeter und zu ⅙ als Kalisalpeter, was wohl zum Zwecke der
Rauchverminderung geschah.
Hermann Güttler in Reichenstein (D. R. P. Nr. 44078 vom
19. December 1887) hat an seinem schon patentirten Verkohlungsofen (1888 268 * 516) einige
Aenderungen gemacht, welche ein rascheres und gleichmäſsigeres Arbeiten gestatten.
Vor Allem wird der Verkohlungscylinder ausziehbar angeordnet, um denselben sofort
weiter beschicken und auch leichter abkühlen zu können. Sodann werden in den
Cylinder verschiedenartige Einsätze gegeben, damit das Wärme tragende Gas gezwungen
werde, einen weiten Weg zurückzulegen, und so eine thunlichst innige Berührung mit
dem zu behandelnden Stoffe gesichert sei. Zu dem gleichen Zwecke wird auch das Holz
in der Form von Holzwolle zur Beschickung verwendet und die geringen Kosten der
Zerfaserung werden durch die ungleich kürzere Verkohlungsdauer sicher reichlich
aufgewogen. Einsätze der erwähnten ArtVgl.: Bericht über Verfahren und Einrichtungen zum Trocknen u.s.w. von
Kohlen. S. 193 dieses Heftes. bestehen entweder aus gelochten
oder ausgesparten und mit ihren Oeffnungen entgegengesetzt gestellten Scheiben oder
aus Hülsen, welche letzteren auch aus durchlochtem Bleche, Drahtgeflechte u. dgl.
hergestellt sein können, oder in dem Falle der Bienenzellenform auch nur abwechselnd
gefüllt werden können, um eine Erhitzung auch von auſsen her stattfinden zu lassen.
Die vorgenannten Verbesserungen haben wesentlich zu der, übrigens noch nicht
abgeschlossenen, Vereinfachung des Verfahrens beigetragen, welches, nach dem bereits
allseitig zu Tage tretenden Interesse dafür zu urtheilen, wohl bald eine Rolle in
der Pulverfabrikation spielen wird.
Der bekannte Chronograph von Le
Boulengé ist mit Rücksicht auf die gegenwärtig für Geschosse verlangten höheren
Geschwindigkeiten in seinen Ausmaſsen abgeändert worden. Die hauptsächlichste
Aenderung besteht darin, daſs die beiden Zielrahmen auf 100m (statt wie bisher 50m) von einander aufgestellt werden, und dementsprechend ist denn auch die
zu messende Zeit doppelt so groſs. Eine besondere Einrichtung gestattet die
Benutzung des Apparates auch an Orten, wo eine freie Bahn von 100m nicht zur Verfügung ist.
Fig. 1., Bd. 270, S. 217Fig. 2., Bd. 270, S. 217Bei der elektrischen Beleuchtungsanlage in der k.
k. Pulverfabrik Stein sind für die Beleuchtung der Läuferwerke und
Satzlager von der Firma B. Egger und Comp. in Wien die
Glühlampen in besonderen, mit Wasserverschluſs
versehenen Mauernischen angebracht worden. Ein Modell davon ist auf der
niederösterreichischen Gewerbeausstellung in Wien zu sehen, und in Fig. 1 und 2 nach den
Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und
Geniewesens, 1888 S. 404, abgebildet. Ein guſseiserner Rahmen trägt einen
Lappen zur Befestigung der Glühlampe, und gegen ihn legt sich ein mit destillirtem
Wasser durch eine kleine Oeffnung von oben gefüllter, durch eine Kautschukschnur
abgedichteter Deckel. Die Eintrittsöffnungen der Drähte dienen zugleich zur Lüftung,
so daſs das Wasser sich nur wenig über die Temperatur des zu erleuchtenden Raumes
erwärmen kann. Blendschirme erhöhen die Lichtwirkung.
Textabbildung Bd. 270, S. 217W. Lorenz in Karlsruhe (D. R. P. Nr. 41318 vom
4. November 1886) preſst in Patronen, welche oben eingezogen sind, die Pulverladung
mit Hilfe von ringförmigen Stempeln A (Fig. a), in welche eine Nadel von unten eintritt, oder
mit solchen, welche die Nadel an sich selbst tragen A1 (Fig.
b), und will auf diese Weise durch Neufüllung und Pressung verschiedene
Schichten F, F1, F2 (Fig. c) erzielen.
In der Keith und Perry Kohlengrube in Rich Hill,
Nordamerika, fand eine
Kohlenstaubexplosion statt, bei welcher 23 Personen durch Ersticken um das Leben
kamen. Aus einer im Engineering and Mining Journal,
1888 S. 79, enthaltenen Darstellung folgt, daſs die Sprengungen in der daselbst
sonst harmlosen Kohle in geradezu unsinniger Weise ausgeführt wurden. Da nach dem
Gesetze des Staates Missouri die Häuer für Staubkohle genau so bezahlt werden
müssen, wie für Stückkohle, so haben dieselben weder geschrammt noch geschlitzt,
sondern Bohrlöcher von 1m,20 bis 1m,80 Länge und 65mm Weite normal auf die Brust getrieben, und bis zu 2 ¼l Pulver hineingeladen. Wie ungeheuer dabei der
Pulververbrauch war, mag daraus ermessen werden, daſs die Häuer auf je 11k,340 (25 lbs.) Pulver nur 18t,81 Kohle erzielten, während sonst in Missouri
82l,12, in Illinois 59l,6 im Jahresdurchschnitte resultirten. Eine
natürliche Folge dieser oft 9 bis 15m lange
Flammen entsendenden Kanonenschüsse war, daſs, nachdem die Grube durch 20 hinter
einander vorher abgefeuerte Schüsse mit Kohlenstaub erfüllt war, derselbe
schlieſslich Feuer fing.
Fig. 3., Bd. 270, S. 218Thomas de Coar und William Keast in Rüssel Gulch, Colorado, haben in Amerika einen Zündhütchenschützer patentirt. Nach dem Scientific American vom 21. April 1888 besteht derselbe
aus einer unten in Spitzform geschlossenen Hülse (Fig.
3), auf deren Deckplatte ein Schlitz zur Einführung des Zündhütchens
angebracht ist. Die durch Ausschneiden des Schlitzes entstandene Zunge wird dann
herabgebogen und an die Zündschnur gedrückt, so daſs das Zündhütchen gegen
Beschädigung beim Besetzen geschützt ist. Bei Versagern läſst sich dann wohl auch
etwas leichter ausräumen (wenn dies gestattet ist), oder die Hülse kann ohne
Beschädigung des Zündhütchens an der Deckplatte herausgezogen werden.
Die französische Explosivstoff-Commission hat die
Bedingungen untersucht, welche Veranlassung sind, daſs gewisse Sprengstoffe die
Schlagwetter entzünden. Nach einem Berichte von Mallard
und Le Chatelier in der Revue
industrielle, 1888 S. 298, hat sie gefunden, daſs die Explosivstoffe erst
dann das Grubengas zünden, wenn ihre eigene, bei der Explosion entwickelte Wärme
2200° überschreitet. Auf diese Weise konnte die Commission feststellen, daſs Gemenge
von gleichen Theilen Dynamit und Krystailsoda, oder schwefelsaurem Natron mit 10
Aeq. Wasser (Glaubersalz), oder Ammoniakalaun, oder salzsaurem Ammoniak, inmitten
von Schlagwettern detonirt, dieselben nicht zünden. Ein Gleiches erfolgt, wenn fein
gepulverte Steinkohle beigemengt wird. Gemenge von Nitroglycerin oder Schieſswolle
mit Ammoniaksalpeter sind besonders vortheilhaft, weil der Salpeter sich wie ein Explosivstoff
verhält, dabei aber die Temperatur herabsetzt, da seine eigene Explosionstemperatur
11300, die von Dynamit 2940°, von Nitroglycerin 3170° und von Schieſsbaumwolle 2636°
beträgt. Die Commission fand, daſs ein Gemenge von 20 Th. Dynamit oder Nitroglycerin
und 80 oder mehr Theilen Ammoniaksalpeter die stärksten Schlagwetter nicht
zünde.
Fig. 4., Bd. 270, S. 219Ein von Alois Zettler in München in den Handel
gebrachter magnetoelektrischer Zündapparat (Fig. 4) besteht aus einem Magnetinductor, ähnlich den
Läutinductoren bei Telephonen, dessen ⌶-Anker in besonderer Weise umwickelt ist.
Nach Versuchen von Prof. Carl soll derselbe bis zu 80
parallel geschaltete Zünder abthun; sein Gewicht beträgt nur 7k.
Bergrath Wilh. Jicinski in Mähr.-Ostrau schlägt mit
Rücksicht auf die günstigen Erfolge der Sandverdämmung, Sandbesatz u.s.w. eine Sandpatrone für Sprengungen in Schlagwettergruben vor.
Dieselbe besteht aus einer Hülse aus Glycerinpapier b
(Fig. 5), in welche eine Dynamitpatrone a centrisch gesteckt wird. Der Zwischenraum c wird mit feuchtem Sande oder Kieselguhr gefüllt, ein
elektrisches Zündhütchen f eingesetzt und ein
Sandpfropfen g aufgefüllt, worauf die Patrone
zugebunden wird. Derlei Patronen haben nach den bisherigen Versuchen allerdings
Schlagwettergemische von 9 Proc. nicht gezündet, und auch die Centrirung macht nicht
bedeutende Schwierigkeit, da selbst eine Sandschicht von 7mm genügt haben soll; es bleibt aber doch
wahrscheinlich, daſs die immerhin mühsame Herstellung und die Nothwendigkeit, ein Bohrloch von
dreifach gröſserer Oberfläche auszubohren, wesentliche Nachtheile für die allgemeine
Einführung sind.
Fig. 5., Bd. 270, S. 220Daſs unsere Bemerkungen über die schwierige
Handhabung der Lauerschen Frictionszünder (1888 267 376) begründet waren, erweist ein Bericht in den Tagesblättern, daſs
am 13. Juni 1886 auf dem Bahnhofe in Mähr. – Ostrau eine Kiste dieser Zünder beim Ausladen explodirte und drei Arbeiter verletzte.
In der Fabrik der Dinamita Nobel in Ciudad Bolivar
(Venezuela) hat eine verheerende Explosion stattgefunden, als deren Direktor Benjamin Lee eben eine Ladung Dynamit (angeblich 731
Centner) übernahm. Nach der einen Angabe soll Unvorsichtigkeit, nach der anderen
Böswilligkeit Fremder Schuld haben. Referent beklagt lebhaft den in treuer
Pflichterfüllung erfolgten Tod seines ehemaligen Collegen Lee, eines Amerikaners von deutscher Mutter, welcher in Clausthal studirt
und eine bedeutende Zukunft ob seiner Tüchtigkeit vor sich hatte.
Dr. Rudolf Benedikt und Mathias
Cantor in Wien haben eine neue Methode zur
Bestimmung des Glyceringehaltes von Rohglycerinen angegeben (Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der
Wissenschaften, Juni 1888), welche darauf beruht, daſs Glycerin beim Kochen
mit Essigsäure-Anhydrid quantitativ in Triacetin übergeht, welches nach dem Auflösen
und Neutralisiren mit Natronlauge durch Verseifung und Zurücktitrirung des
Ueberschusses bestimmt werden kann.
Da die Fälle der Untersuchung von Rohglycerinen in den Explosivstofffabriken selten
sind, so mag Näheres über dieses Verfahren in den erwähnten Berichten gesucht
werden.
Die gesteigerten Anforderungen an die Beschaffenheit und Güte der Explosivstoffe haben es mit sich gebracht, daſs die Herstellung
derselben allerwärts nach rationellen, wissenschaftlichen Grundsätzen angestrebt
wird. So ist man denn auch dazu gelangt, den elektrischen
Erscheinungen im Verlaufe der Pulvererzeugung von Explosivstoffen gröſsere
Aufmerksamkeit zuzuwenden, wenngleich die geringe Zahl sachverständiger
Beobachtungen bisher noch keine sicheren Schlüsse gestattete.
Der wichtigste und leider auch häufigste Fall ist die Ansammlung bezieh. Anziehung
atmosphärischer Elektricität bei Gewittern. Die Gebäude von Explosivstofffabriken
stehen in der Regel frei, häufig auf erhöhten Punkten, und sind deshalb an und für
sich schon bequeme Entladungsstellen für Blitzschläge. Obzwar sie gewöhnlich aus Fachwerk oder
Steinen hergestellt sind, so enthalten sie doch im Inneren Maschinen und sonstige
Vorrichtungen aus Metallen, welche die Anziehung der Elektricität begünstigen.
Während nun z.B. in England die Anbringung von Blitzableitern auf die Gebäude selbst vorgeschrieben ist, genügt es
anderwärts dieselben auf hohen Stangen neben die
Gebäude zu stellen, und selbst die Weglassung jeden Blitzableiters wurde schon
bewilligt. Wir haben schon früher (1884 251 * 121) unsere
Ansicht ausgedrückt, daſs es sehr schwierig sei, einen Blitzableiter jederzeit in tadellosem Zustande zu erhalten, und
insbesondere die verschiedenen Metallmassen so mit ihm in Verbindung zu bringen,
daſs deren Einfluſs der Wirksamkeit des Blitzableiters nicht entgegen arbeite. Wir
waren deshalb auch stets der Meinung, daſs bei der besonderen Natur der fraglichen
Gebäude ein neben denselben in entsprechender Höhe und
in richtiger Construction angebrachter Blitzableiter weit gröſsere Beruhigung
gewähren müsse. Die vielen Fälle, wo der Blitzableiter die Entladung geradezu
begünstigte, und die, wenn wir nicht irren im vorigen Jahre, stattgehabte Explosion
eines Pulvermagazines bei Salonichi, wo der Blitz in die Auffangstange schlug,
dienen nur zur Bestätigung.
Erscheinen uns sonach die Anbringung der Auffangstangen neben den Gebäuden, die mindestens allmonatliche fachmännische
Untersuchung der Leitungen, und die Anpflanzung von Bäumen in der Nähe der Gebäude
als vorläufig die sichersten Mittel zum Schütze dieser Häuser, so müssen doch auch
für die Maschinen besondere Vorkehrungen getroffen werden. Dies ist nicht nur wegen
der möglichen Anhäufung der atmosphärischen Elektricität nöthig. Bei der Erzeugung
von Schieſspulver ist einer der wichtigsten Bestandtheile der Schwefel, dessen stark
elektrische Eigenschaften bekannt sind. Obwohl nun derselbe sich nur in geringeren
Mengen und in feinvertheiltem Zustande im stets angefeuchteten Pulversatze befindet,
so muſs doch mit der Wahrscheinlichkeit gerechnet werden, daſs bei der nahzu
unausgesetzten Reibung, welcher das Pulver unterzogen wird, sei es auf Kollergängen
und Mengtrommeln oder in Körnmaschinen, Polirfässern, Sieben u.s.w., eine starke
Ansammlung von Elektricität stattfinden könne, die unter günstigen Umständen groſse
Entladungsfunken geben mag. In der Pulverfabrik von W.
Güttler sind die Schwefelbrechwerke zur Ableitung der Elektricität mit der
Erde in leitende Verbindung gebracht, und in der That hatte diese Firma seit
Einführung dieser Verbesserung keinen der früher häufigeren Schwefelbrände zu
beklagen. Die gleiche Fabrik hat, durch die Untersuchung der Ursachen der Explosion
eines Kollerganges veranlaſst, nunmehr auch die Königswellen der Läuferwellen mit
der Erde verbunden.
In einer anderen groſsen deutschen Pulverfabrik hat vor nicht langer Zeit eine
Explosion der Kuchenpresse nach einem Gewitter stattgefunden. Das Pulver war, wie üblich,
zwischen Hartgummiplatten aufgestapelt, und wurde eben dem Drucke des Preſswassers
ausgesetzt, als das Gewitter herannahte. Dieses veranlaſste den bedienenden
Arbeiter, das Gebäude vorschriftsgemäſs zu verlassen. Als er jedoch nach dem
Vorüberziehen des Gewitters die Presse auſser Druck stellte, und die Kuchen aus
einander nehmen wollte, da entlud sich ihm – wie er noch vor seinem Tode aussagen
konnte – ein 10cm langer Funke in den Finger.
Es ist bekannt, daſs auch die Schieſsbaumwolle durch Reibung elektrisch wird. Während
die Erzeugung der Schieſswolle eine ganz gefahrlose Arbeit ist, finden noch
Explosionen beim Pressen und besonders beim Trocknen derselben statt, wenn letzteres
verlangt wird, was allerdings selten ist. Beim Pressen wird wohl seltener ein Nagel
oder sonstiger fremder Metalltheil, meist aber das „Ecken“ der Formen und
Stempel, an der Explosion Schuld haben. Nicht so leicht ist aber die Erklärung für
eine Explosion in einem Trockenhause, wo sich selten Menschen befinden, wo die
Stoffe wenig Handhabungen unterliegen, und wo insbesondere die Temperatur nie über
40° steigt. Trotzdem haben Explosionen und Brände stattgefunden, sei es von
Schieſsbaumwolle, welche durch einen warmen Luftstrom getrocknet wurde, wie in
Stowmarket, sei es von Collodiumwolle, deren Erwärmung ein vorzüglicher
Dampftrockenapparat besorgte, wie in Avigliana.
Herr Walter F. Reid in Addlestone sagte mir nun auf
Grund eigener Beobachtungen, daſs der warme Luftstrom, welcher über die
Nitrocellulose streicht, in besonderem Maſse Elektricität entwickele, und dies
insbesondere bei der Collodiumwolle. Er selbst habe häufig von Entladungen solcher
Elektricität zu leiden gehabt, und erst dann, und zwar gründlich abgeholfen, als er
für eine Ableitung derselben sorgte. Zu diesem Zwecke brach er vollständig mit der
bisherigen Ueberlieferung hölzerner Träger und Rahmen. Er machte Gestelle aus
Messingröhren und Schienen, fertigte die Rahmen aus Messingröhren, welche an den
Kreuzungsstellen entsprechend ausgeschnitten und verlöthet waren, spannte
Metallsiebe darüber, und legte auf diese Unterlage die Tücher mit der Schieſswolle.
Selbstverständlich war diese ganze Metallmasse mit der Erde in gut leitende
Verbindung gebracht.
Es gibt wohl auch noch andere Industrien, bei welchen die Bildung von Elektricität im
Verlaufe der Erzeugung vorkommt, jedoch sind dem Referenten, welcher diese Frage
seit Jahren verfolgt, nur wenige Fälle bekannt, bei welchen dies mit einer
unmittelbaren Gefahr verbunden ist. So erinnert er sich eines Falles, wo in einer
Fabrik von Gummizügen für Schuhe die über eine Trommel gespannten Kautschukfäden
durch Benzin liefen, um oberflächlich erweicht zu werden, und dann zwischen warmen
Walzen in zwei Stofflagen gepreſst wurden; hierbei gab es regelmäſsig
Funkenentladungen. In einer chemischen Reinigungsanstalt bei Zürich fanden vor drei
Jahren hinter einander Benzinexplosionen in der Trommel statt, in welcher die
Kleider, Stoffe u. dgl. drehend behandelt wurden, und der als Sachverständiger
berufene Prof. Dr. Georg Lunge konnte auch nur die
Bildung von Elektricität als Ursache annehmen.
Unter solchen Umständen mag es vielleicht bedenklich erscheinen, daſs die Verwendung
von Hartgummi, Ebonit u. dgl. in der Explosivstoff-Industrie immer ausgedehnter
wird. Der Umstand, daſs dieser Stoff sich nur sehr wenig abnutzt, eine gewisse
Elasticität bei groſser Festigkeit besitzt und auf Schlag keine Funken gibt, macht
ihn sehr beliebt, und neuerlich kleidet man damit in England sogar die Einlaufgossen
von Sortirsieben, die Anlaufflächen von Körnmaschinen u. dgl. vollständig aus, um
das Absplittern von Holz und die Beschädigung der Pulverkörner durch unebene Flächen
zu vermeiden. Unter Umständen können solche Hartgummiplatten aber wie Elektrophoren
wirken, und man wird deshalb auch hierbei Vorsicht walten lassen müssen.
Nehmen wir noch hinzu, daſs in den meisten Fällen längs der Gebäude Werksbahnen
laufen, daſs Rohrleitungen, Transmissionen, und neuestens auch elektrische
Lichtleitungen ein solches Fabriksgrundstück durchkreuzen, so ist es wohl klar, daſs
der Frage der Ansammlung und Anziehung von Elektricität eine erhöhte Aufmerksamkeit
zuzuwenden sein wird, und daſs in erster Linie eine leitende Verbindung der im
Inneren der Gebäude befindlichen Maschinen und Apparate mit der Erde ein Gebot der
Nothwendigkeit ist.
Oscar Guttmann.