Titel: | Der neueste artesische Brunnen zu Paris; von E. Gad in Darmstadt. |
Autor: | E. Gad |
Fundstelle: | Band 270, Jahrgang 1888, S. 253 |
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Der neueste artesische Brunnen zu Paris; von E.
Gad in Darmstadt.
Gad, der neueste artesische Brunnen zu Paris
Der vor kurzer Zeit auf dem Platze Hébert in La Chapelle, dem nördlichsten
Stadttheile von Paris, zur Vollendung gelangte artesische Brunnen, dessen Wasser
allerdings vorläufig noch, bis zu der noch ausstehenden Fertigstellung von
Vertheilungseinrichtungen, durch eine gemauerte Galerie den Abzugskanälen zuflieſst,
nimmt unter den Werken seiner Art eine der ersten Stellen ein. Die Arbeit ist von
der bekannten Bohrfirma Lippmann und Co. zu Paris
ausgeführt, welche sich auch in Deutschland, besonders durch die von ihr in den
Jahren 1874 bis 1876 bei Gelsenkirchen in Westfalen niedergebrachten
Schachtbohrungen, einen Ruf erworben hat. Die Bedeutung des Werkes läſst sich am
besten durch den Vergleich mit den übrigen artesischen Hauptbrunnen von Paris
ermessen. Der neue Brunnen von La Chapelle ist 718m tief, oben 1m,30, unten 1m,075 weit. Der Brunnen von Passy im westlichen
Theile der Stadt, von dem deutschen Bohrtechniker Kind
in den Jahren 1855 bis 1861 mit vielen Mühen erbohrt, besitzt nur eine Tiefe von
586m,50 bei oberer Weite von Im und unterer
Weite von 0m,62. Der in Grenelle, im Südwesten von
Paris, von Mulot in den Jahren 1832 bis 1842 gebohrte
Brunnen ist nur 540m tief und unten nur 20cm weit, während der 1869 von Léon Dru in den Zuckerfabriken von M. Say im Südosten der Stadt vollendete Brunnen 570m Tiefe und 47cm,5 Durchmesser hat.
Die artesischen Brunnen im Pariser Becken beziehen ihr reines Wasser der Regel nach
aus dem Grünsande der Kreideformation und lassen das vielfach verunreinigte Wasser
der oberen Tertiärschichten unberücksichtigt. Das so gewonnene Wasser hat
muthmaſslich seinen Ursprung in der Champagne und mithin auf seinem weiten Wege
durch mächtige Sandschichten hinreichende Gelegenheit, sich zu klären. So ist denn
auch das der Bohrung von La Chapelle entströmende Wasser von solcher Reinheit, daſs
es fast an der Grenze der Brauchbarkeit für industrielle Zwecke steht, da bekanntlich Wasser ohne jegliche
Beimengung, wie z.B. das destillirte, Metall, besonders Eisen, bedeutend angreift.
Die Temperatur beträgt etwas über 30° C. und der gröſseren Brunnentiefe entsprechend
einige Grad mehr als bei den übrigen Pariser artesischen Brunnen.
Von groſsem wissenschaftlichen Interesse ist der auffallende Unterschied zwischen der
Höhenlage und Mächtigkeit der bei beiden nur 7km
getrennt liegenden Bohrungen von Passy und La Chapelle durchsunkenen Schichten,
welcher Unterschied sich nur durch Spaltung oder Verwerfung der Formationen zwischen
beiden Orten erklären läſst, wie man eine derartige Störung schon bei Meudon
kennt.
Die Höhenverhältnisse der Schichten sind im Vergleiche zum Meeresspiegel, wie
folgt:
Passym
La Chapellem
1) Erdoberfläche
+ 53,15
+ 48,00
2) Tertiärkalk
+ 49,15
+ 38,00
3) Plastischer Thon
+ 27,16
– 16,55
4) Kreidemergel
– 5,55
– 76,30
5) Weiſse Kreide
– 390,07
– 456,00
6) Gault
– 512,96
– 634,55
7) Grünsand
– 523,96
– 657,20
8) Bohrsohle
– 533,35
– 670,00
Die Wasser führende Schicht war in Passy mit 547m
Bohrlochstiefe erreicht worden. Die dem neuen Brunnen täglich entströmende
Wassermenge wird zu 3000cbm gemessen. Die
Beeinträchtigung des Brunnens von Grenelle durch den neuen Abzug aus dem
Grünsandlager mittels des Brunnens von La Chapelle ist recht beträchtlich. Schon die
Anbohrung dieser Wasserschicht durch den Brunnen von Passy hatte den Wasserzufluſs
von Grenelle von 900cbm in 24 Stunden plötzlich
auf 650cbm gemindert, worauf derselbe mit der Zeit
bis auf 350cbm sank, als nunmehr nach der
Niederbringung des Bohrloches von La Chapelle in die Grünsandschicht eine erneute
Herabminderung, und zwar auf 250cbm, erfolgt ist.
Der Einfluſs des neuen Brunnens auf den Brunnen von Passy läſst sich nicht mit
gleicher Sicherheit feststellen, da die genauen Messungen, welche bis zur Aufgabe
des Bassins auf Platz Victor Hugo 1884 an demselben
stattgefunden hatten, seitdem eingestellt waren und erst in neuester Zeit, und zwar
am 16. Juni 1888, nach Fertigstellung besonderer Meſseinrichtungen, wieder
aufgenommen sind. Die letzte Messung im J. 1884 hatte 6535cbm Wasserabfluſs aus dem Brunnen von Passy
ergeben, die neueste im J. 1888 dagegen hat 6000cbm festgestellt, so daſs der in der Zwischenzeit erfolgte Wasserabzug in
La Chapelle auf die Ergiebigkeit des Brunnens von Passy keinen gleich
beeinträchtigenden Einfluſs zu haben scheint, wie auf den Brunnen von Grenelle.
Die Ausführung der Bohrung ist eine sehr schwierige und zeitraubende gewesen. Sie
wurde im J. 1863 in Angriff genommen und bis zum Jahre 1874 bis auf die Tiefe von
677m mit einem Durchmesser von 1m,30 fortgeführt, wobei das Durchdringen der
mächtigen zähen Lettenschichten, wie stets, den gröſsten Aufenthalt bereitete. Als
man 1874 nur noch 28m von der Wasser führenden
Grünsandschicht entfernt war, und beim Durchsinken der Chlorit haltigen Kreide den
letzten Strang von Eisenblechröhren von 1m,29
lichter Weite und 2cm Wandstärke, womit die ganze
Bohrung von oben bis unten ausgekleidet werden sollte, einbrachte, brach ein Stück
dieser Verrohrung in Länge von 120m ab und stürzte
in die Tiefe. Es hat der Arbeit von fast 11 Jahren bedurft, um das Bohrloch von den
Trümmern dieser Eisenmasse zu befreien. Erst 1885 konnte die Bohrarbeit wieder
aufgenommen werden, und wurde die Bohrung nunmehr mit einer Verrohrung von nur 1m,075 lichter Weite und gleicher Wandstärke von
2cm fortgesetzt. Ohne gröſseren Unfall, nur
durch kleinere Brüche von Geräthen, Gestänge u. dgl. und leichte dadurch verursachte
Stopfungen des Bohrloches unwesentlich aufgehalten, erdichte man am 27. Juli 1887
die erste Wasserader im Grünsande, dieselbe, welche auch den Brunnen von Grenelle speist. Das Wasser,
das bisher stets etwa 15m hoch auf der Bohrsohle
gestanden hatte, stieg plötzlich 11m höher auf
26m. Man hegte nunmehr die gegründete
Hoffnung, ohne weitere Fährlichkeit noch einige Meter weiter in den Grünsand hinein
bohren zu können, um auch die ferneren Wasseradern zu erschlieſsen, welche dem
Brunnen von Passy solch reichlichen Zufluſs öffnen, als plötzlich ein Unfall
eintrat, der das der Vollendung nahe mühevolle Werk mit völliger Vernichtung zu
bedrohen schien.
Textabbildung Bd. 270, S. 254Am 7. November 1887 fanden nämlich die Arbeiter, welche am Sonnabend den 5.
November Abends 6 Uhr die Arbeitsstelle verlassen hatten, als sie Morgens ihr
Tagewerk beginnen wollten, die innere Verrohrung, deren Kopf, durch Rohrbündel
gehalten, bereits 3 Jahre lang aus dem Bohrloche herausgeragt hatte, während der
Fuſs sicher auf der Bohrsohle aufstand, in. der Tiefe verschwunden, ohne daſs irgend
ein Vorzeichen eine drohende Zerstörung hätte befürchten lassen. Die Untersuchung
ergab, daſs der obere Theil der Verrohrung 159m
tief in das Bohrloch gerutscht war und auf einem verquetschten Röhrencomplex von
247m ehemaliger Länge, welcher das Bohrloch
88m hoch von der Bohrsohle auf anfüllte, aufstand.
Ueber die Ursache dieses Zusammenbruches konnten nur Vermuthungen aufgestellt
werden; brachte man doch auch dieses Ereigniſs mit einem Erdbeben in Verbindung, das
an demselben Datum in Italien, sowie bei Mâcon in Frankreich gespürt worden war. Dem
sei, wie ihm wolle, es ist sehr bemerkenswerth, daſs die Brunnenbohrung von Passy
seiner Zeit von einem ganz analogen Miſsgeschicke betroffen worden ist, welches die
Arbeit über 6 Jahre verzögert und die mit 240000 M. veranschlagten Kosten auf 800000
M. erhöht hat. Die Herstellung des letzten Schadens am Brunnen von La Chapelle war
allerdings nicht so zeitraubend und schwierig, als zuerst befürchtet wurde, denn
nach einigen Monaten war die neue Verrohrung eingebracht und mit Cement zum
Abschlusse gegen die Wasseradern der höheren Schichten hinterfüllt. Eine solche
wasserdichte Verrohrung hat sich nämlich als ungemein wichtig erwiesen, und zwar
weniger aus dem Grunde, daſs das tiefer erschlossene Wasser durch die höher
gelegenen Wasseradern verunreinigt wird, als vielmehr deshalb, weil ein bedeutender
Abfluſs der tiefen Gewässer durch die oberen Communicationen stattzufinden pflegt.
Daſs letzteres der Fall ist, hat sich z.B. nach Vollendung des zunächst mangelhaft
verkleideten Brunnens von Passy dadurch gezeigt, daſs das kühle Wasser in den
flacheren Brunnen der Umgegend unter bedeutendem Steigen sofort fast die hohe
Temperatur des artesischen Brunnenwassers angenommen hat. Einen ferneren Beleg für
diese Thatsache hat ein teueres Bohrunternehmen von Lippmann in Tours geliefert. Im dortigen Hospitale ist letzthin ein
Brunnen 170m tief durch drei Wasser führende
Schichten hindurch, unter deren wasserdichtem Abschlusse, bis zu einer vierten
Schicht hinunter abgebohrt, wobei 4000l Wasser in
der Minute zur Erdoberfläche dringen, während ein benachbarter älterer Brunnen von
gleicher Tiefe und denselben Abmessungen, aber ohne solch wasserdichten Abschluſs,
nur den vierten Theil jener Wassermenge liefert.
Lippmann hat zur Niederbringung des Brunnens von La
Chapelle das deutsche Bohrverfahren angewandt. Der Bohrschwengel wird an seinem
Schwanzende von der an einer Scheibe sitzenden Zugstange derart auf und ab bewegt,
daſs das Bohrgeräth 10- bis 15mal in der Minute 30 bis 40cm hoch steigt und fällt. Die Scheibe erhält ihre
Bewegung durch ein mächtiges mit Dampf getriebenes Vorgelege. Ein Prellbalken, unter
dem Boden verlagert, gegrenzt die Bewegung des Schwengelschwanzes und erleichtert
den Uebergang in die entgegengesetzte Bewegungsrichtnng. Vom Bohrschwengelkopfe, der
vom im Radius des Schwingungskreises abgerundet ist, hängt an einer kurzen Kette und
einer Nachlaſsschraube das zusammengefügte Gestänge mit dem Bohrgeräthe durch den
gemauerten Schacht und die mittels Rohrbündel gehaltene Vorrohrung hindurch in das
Bohrloch hinein. Vier Arbeiter geben Büttels eines Hebels dem auf und ab steigenden
Bohrgeräthe eine umsetzende Bewegung. Auf den Bühnen des Bohrthurmes sind Arbeiter
beschäftigt, beim fördern des Gestänges die Stangenzüge abzuschrauben und beiseite
zu setzen. Die Förderung geschieht durch eine Kettentrommel und eine mittels
Flaschen-Zuges wirkende Kette.
Das bei der Arbeit gebrauchte Bohr- und Löffelgeräth ist in der Abbildung
zusammengestellt:
1) Das Freifallgeräth mit stählernen Meiſseln charakterisirt sich dadurch, daſs das
Fall stück beim Sinken des Gestänges durch Aufstoſsen der Aufstoſsstangen zum Falle
und zur Wirkung kommt, während es sich beim Heben des Gestänges selbsthätig wieder
einklinkt. Die Meiſsel sind derart angeordnet, daſs ein möglichst gleichmäſsiger
Angriff auf das Gestein der ganzen runden Bohrsohlfläche erfolgt, was durch das oben
erwähnte Umsetzen des Geräthes beim Bohren wesentlich unterstützt wird. Falls die
Gewinnung eines Bohrkernes zur genauen Feststellung der durchsunkenen Schichten
gewünscht wird, ist es erforderlich, den groſsen Quermeiſsel in der Mitte zu
entfernen, worauf eine Säule auf der Mitte der Bohrsohle unversehrt stehen bleibt.
Der Durchmesser des Bohrgeräthes beträgt 1m,30,
das Gewicht etwa 3800k.
2) Die Ventilbüchse, mit sieben Ventilen am Boden, ist zum Aufholen des Bohrschmantes bestimmt,
sobald alle Meiſsel, der Quermeiſsel eingeschlossen, in Thätigkeit waren.
3) Eine andere Büchse, mit einer Sandpumpe im Inneren, kommt in sandigen Schichten
zur Anwendung.
4) Ein Kranz von acht einzelnen Ventilbüchsen wird zur Entfernung des Bohrschmantes
um den zu gewinnenden Bohrkern herum benutzt.
5) Ein Bohrkern.
6) Ein Instrument zum Abbrechen des Kernes von der Bohrsohle, und Heben
desselben.
7) Ein Apparat mit acht Rollen, um verbogene Rohrtheile aufzuglätten und zerbrochene
Rohrstücke abzuschleifen.
Das groſse Werk, dessen Vollendung volle 24 Jahre in Anspruch genommen und zwei
Millionen Mark Kosten verursacht hat, ist, abgesehen von seinem praktischen Nutzen,
auch für die Wissenschaft und Technik von hervorragender Bedeutung.