Titel: | Die Fortschritte der chemischen Technologie der Textilfasern; von Dr. Otto N. Witt. |
Autor: | Otto N. Witt |
Fundstelle: | Band 270, Jahrgang 1888, S. 316 |
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Die Fortschritte der chemischen Technologie der
Textilfasern; von Dr. Otto N. Witt.
(Schluſs des Berichtes S. 273 d. Bd.)
Witt, Fortschritte der chemischen Technologie der
Textilfasern.
Auf dem Gebiete der Farbstoffe selbst und ihrer Anwendungen sind, entsprechend der
groſsen Anzahl der hier thätigen hervorragenden Kräfte, die zahlreichsten Neuerungen
zu verzeichnen.
In Frankreich und England wogt nach wie vor der Kampf um die Färberei mit
Anilinschwarz ohne definitiven Sieg auf einer oder der anderen Seite. In Folge
dessen erscheinen zahlreiche, namentlich auch zusammenfassende Studien über dieses
merkwürdigste aller Anilinderivate. So hat u.a. Dr. J. B.
Cohen im September 1887 einen interessanten geschichtlichen Vortrag vor der
Society of Dyers and Colourists in Bradford
gehalten. Da sich derselbe im Auszuge nicht wiedergeben läſst, so sei hier auf das
Original verwiesen. Einige andere Arbeiten über den gleichen Gegenstand von Schiller-Wechsler u.a. schlieſsen sich diesem Vortrage
an.
Pinkney lieſs sich in England die Anwendung von Nickel-
statt Kupfersalzen zum Färben und Drucken mit Anilinschwarz patentiren. Die
Vortheile dieser Neuerung sind einstweilen nicht zu erkennen.
Als Curiosum sei hier erwähnt, daſs wieder einmal die Bildung von Emeraldin auf der
Faser durch Oxydation von Anilin mit Chromaten in Frankreich als neue Entdeckung
beschrieben worden ist.
Einige neue Farbstoffe schlieſsen sich dem Anilinschwarz ihrer Natur nach an und
theilen mit demselben die auſserordentliche Echtheit. Es sind dies die jetzt
definitiv zur Anwendung gelangenden Induline der Paradiamine, wahrscheinlich
Amidoderivate des gewöhnlichen Indulines. Das von der Firma Dahl und Co. patentirte, durch Einwirkung von Paraphenylendiamin auf
Amidoazobenzol hergestellte Paraphenylenblau ist ein hübscher und werthvoller
Farbstoff für Baumwolle. Es wird auf derselben mittels Tannin fixirt und durch
nachfolgende Behandlung mit Kaliumbichromat oder anderen Oxydationsmitteln vertieft.
Paraphenylenblau soll sich namentlich auch zum Vorfärben der Baumwolle in gemischten
Geweben eignen. Es wird in drei verschiedenen Nuancen erzeugt.
Das Dinitrosoresorcin fährt fort, im Baumwolldrucke und in der Baumwollfärberei
Anwendung zur Erzeugung schöner tiefer flaschengrüner Nuancen zu finden. Die
erzeugten Töne sind durch Aufdruck von Zinnsalz ätzbar und es lassen sich auf diese
Weise hübsche Effecte herstellen. Nach den Untersuchungen von St. v. Kostanecki verdankt das Dinitrosoresorcin seine
beizenfärbenden Eigenschaften dem Vorkommen benachbarter O- und NOH-Gruppen in
seinem Moleküle.
Unter dem Namen „Rhodamin“ wird von der Badischen
Anilin- und Sodafabrik ein von Ceresole
erfundener rother Farbstoff in den Handel gebracht, welcher durch den Glanz und die Reinheit
seiner Töne das allgemeinste Erstaunen erregt. Derselbe bildet das so lange schon
vergeblich gesuchte basische Analogon des Fluoresceins bezieh. Eosins und wird durch
Condensation von Phtalsäure mit Dimethylmetamidophenol hergestellt. Der reine
Farbstoff ist mit rosenrother Farbe und prächtiger rothgelber Fluorescenz in Wasser
und Alkohol löslich und krystallisirt aus letzterem in schimmernden Nadeln und
Prismen. Wolle und Seide werden aus schwach saurem Bade gefärbt. Der Farbstoff geht
langsam auf und egalisirt daher sehr leicht. Im Gegensatze zu den so vergänglichen
Eosinfarbstoffen sind die mit Rhodamin erzeugten Färbungen nicht nur sehr lichtecht,
sondern sie widerstehen auch dem Seifen, Walken und angeblich sogar dem Schwefeln.
Auf Baumwolle wird Rhodamin mit Tannin befestigt, doch sind die so erzielten Nuancen
weniger lichtecht als auf Wolle.
Ein zweiter, ebenfalls vom Metamidophenol sich ableitender und durch Schönheit seiner
Nuancen ausgezeichneter Farbstoff wird seit Kurzem von der gleichen Firma unter dem
Namen Nilblau in den Handel gebracht. In der Art und Weise seiner Anwendung
schlieſst er sich dem Methylenblau an.
Die mit direkter Affinität für die Pflanzenfaser ausgestatteten sogen.
„substantiven“ Azofarbstoffe gewinnen täglich an Bedeutung. Sie haben
eine neue hochwichtige Anwendung in der Färberei der Wolle gefunden. Diese Faser
färbt sich mit den genannten Farbstoffen aus Neutralem (mitunter mit Kochsalz
versetztem) oder durch Zusatz von Natriumphosphat oder Borax schwach alkalisch
gemachtem Bade. Die Erzielten Färbungen sind in hohem Grade walkecht und
„bluten“ wenig °der gar nicht. Da sich bekanntlich auch Baumwolle in der
gleichen Weise färben läſst, so gelingt es durch Anwendung dieser Farbstoffe,
walkfähige gemischte Gewebe herzustellen, was früher für farbige Stoffe nur in sehr
beschränktem Maſse möglich war. Man kann auch mit solchen Farbstoffen gefärbte
Baumwolle in wollene Stoffe hineinweben, Welche einer Walke unterworfen werden
sollen.
Der Aufdruck der Substantiven Azofarbstoffe wird mehr und mehr geübt, obschon er mehr
Sorgfalt und Vorsicht verlangt, als man auf den ersten Blick denken sollte. Am
schwierigsten ist der direkte Aufdruck von Mustern mit diesen Farbstoffen. Zur
sicheren Fixirung derselben ist Zusatz von Aetznatron zur Druckfarbe
empfehlenswerth. Als Verdickung dienen Traganth und Mehl, denen noch etwas
Marseillerseife zugesetzt wird. Als Beispiele mögen die nachfolgenden Recepte
dienen:
Chrysammingelb
Wasser
10l
Mehl
2k,750
Traganthschleim
5l
Marseillerseife
0k,600
Chrysammin
0k,600
Benzopurpurinroth
Wasser
10l
Mehl
3k
Traganthschleim
7l,5
Seife
0k,600
Benzopurpurin
0k,600
Weit leichter als der direkte Aufdruck dieser Farbstoffe ist das Aetzen auf mit
Substantiven Farbstoffen gefärbten Geweben, wodurch sehr hübsche Effecte erzeugt
werden. Das Aetzen geschieht mit Zinnsalz, oder besser mit Zinnacetat (bezieh. einem
Gemische aus Zinnsalz und essigsaurem Natron). Will man bunte Muster, so setzt man
der Aetzfarbe entsprechende Farbstoffe zu – für Gelb Gelbbeeren, für Hellblau
Methylenblau mit etwas Tannin, für Dunkelblau am besten Indophenolweiſs oder auch
Alizarinblau S und Chromacetat.
Hübsche Effecte werden ferner erzielt durch Ueberpflatschen gedruckter Muster
(namentlich Anilinschwarz) mit Substantiven Farbstoffen. So kommen schwarze oder
dunkelbraune Zeichnungen auf chamois, gelbem, rothem oder hellblauem Grunde zu
Stande.
Eine weitere Errungenschaft in derselben Richtung ist das Primulin mit den davon
derivirenden sogen. Ingrainnuancen. Primulin (von Anderen „Polychromin“
genannt) ist ein gelber Farbstoff, welcher sich ohne Beize aus mit Kochsalz
versetztem Bade absolut wasch- und seifenecht auf Baumwolle befestigen läſst. Ueber
seine Zusammensetzung ist von seinem Erfinder Green
nichts bekannt gegeben worden. Es ist kein Azofarbstoff, denn es läſst sich durch
reducirende Agentien nicht zerlegen. Bei der trockenen Destillation liefert es das
gelbe Product, welches durch Behandlung von Paratoluidin mit Schwefel entsteht und
gewöhnlich als Dahl'sches Thiotoluidin bezeichnet wird.
Das Primulin enthält freie Amidogruppen, denn es läſst sich mit Leichtigkeit
diazotiren. Von dieser Eigenschaft wird in der Färberei Gebrauch gemacht. Die
Verwendung dieses Productes ist einfach, aber neu und eigenartig. Die zu färbenden
Fasern (vorzugsweise Baumwolle, aber auch Wolle) werden aus einem Kochsalz haltigen
Färbebade mittels Primulin gelb gefärbt. Wird diese Nuance gewünscht, so ist damit
die Färbung beendet. Für Roth, Blau, Prune, Violett, Braun u.s.w. wird dagegen das
auf der Faser fixirte Primulin diazotirt, indem man die gelbe Faser in ein sehr
verdünntes, schwach angesäuertes Bad von Natriumnitrit eintaucht. Die Faser entfärbt
sich, indem die Diazoverbindung des Primulins sich bildet. Taucht man nun in passend
gewählte Lösungen von Phenolen oder Aminen (Phenylendiamin, Toluylendiamin, α- und β-Naphtol und deren
Sulfosäuren), so bilden sich die Azoderivate des Primulins auf der Faser, welche
dadurch waschecht gefärbt erscheint. Die aus dem Primulin hervorgehenden
„Ingrain“-Nuancen sind nicht sehr frisch, aber ganz hervorragend
walkecht. Ihre Erzeugung verlangt indessen viel Sorgfalt von Seiten des Färbers.
Unter den neuen Farbstoffen, welche sich in der Art ihrer Anwendung den
Alizarinfarbstoffen anschlieſsen, nimmt das sogen. Alizarinschwarz der Badischen Anilin- und Sodafabrik den ersten Rang ein.
dasselbe ist keine neue Erfindung, sondern eine geistreiche Verwendung eines längst
bekannten Productes, des Naphtazarins von Roussin.
Dadurch, daſs die genannte Fabrik diesen Körper nach ihrem bekannten Verfahren mit
Natriumbisulfit vereinigte, erhielt sie ein marktfähiges Product, welches zunächst
zum Grau- und Schwarzfärben von mit Chromsalzen angesottener Wolle verwendet wurde.
Die vorher mit Ammoniak und etwas Soda gereinigte Wolle wird (auf 100k) mit etwa
3000l
Wasser
3k
Chromkali
2k,5
Weinstein
2 Stunden gesotten, über Nacht stehen gelassen, dann leicht
gespült. Hierauf wird sie in Alizarinschwarz SW (in Teig) ausgefärbt; mit 20k der Farbstoffpaste wird ein tiefes, schönes,
sehr echtes Schwarz erhalten, mit weniger, schöne und sehr echte Graus, welche durch
Zusatz von Alizarinbraun und Blau nuancirt werden können. In neuerer Zeit benutzt
man das Alizarinschwarz auch zum Aufdruck für Baumwolle, wobei man genau wie für
Alizarinblau verfährt und durch Zusatz anderer Alizarinfarben nuancirt.
Die von der Badischen Anilin- und Sodafabrik erfundene
Anwendung der Alizarinfarbstoffe auf Wolle nimmt stetig zu, die Echtheit und
Schönheit der erzielten Färbungen übertrifft die aller bisher für den gleichen Zweck
verwandten Farbstoffe. Neuerdings werden nun diese Farbstoffe auch im Wolldrucke stark benutzt. Die Druckvorschriften sind den
für Baumwolle üblichen sehr ähnlich. Das beim Färben der Wolle nöthige Ansieden der
Wolle mit Alaun oder Chromaten wird ersetzt durch Zusatz der entsprechenden Acetate
zu den Druckfarben. Die nachfolgenden Nuancen werden mit den reinen Farbstoffen
erzielt, während zwischenliegende Töne durch Mischungen erreicht werden:
Farbstoff
Chrombeize
Thonerdebeize
Alizarin WR, Paste
Gelblich-Bordeaux
Gelbroth
„ WB „
Bläulich- „
Blauroth
„ S Pulver
„ „
„
Alizarinorange
Braunorange
Orange
Alizarinblau SW
Grünlichblau
Rothblau
Alizarinblau SRW
Röthlichblau
„
Coeruleïne SW
Olive
Grünlicholive
Galleïn
Violett
Violett
Alizarinmarron
Marron
Marron
Anthracenbraun
Braun
Braun
Naphtazarin
Grau bis Schwarz
Den Druckfarben wird häufig etwas Oxalsäure zum Zwecke der leichteren Befestigung des
Farbstoffes zugesetzt und scheint diese Säure Vortheil die für Baumwolle benutzte
Essigsäure zu ersetzen. Die nachstehenden Vorschriften werden für den Aufdruck
dieser Farbstoffe auf Wolle empfohlen:
Die Druckfarbenverdickung istfolgende: 1k Weizenstärke ½ licht
gebrannte Stärke 10 Wasseranteigen, köchen, kalt
rühren. Die Dampfdruckfarben haben nach-stehende
Zusammensetzung:
Alizarinroth.100g Alizarin
V., JX., R., G. u.s.w. 20 Proc. im
Teig 40 schwefelsaure
Thonerde lösen100 Wasser 20 Oxalsäure lösen 50 Wasser690 Verdickung. Alizarinroth mit Alizarin
S. 30g Alizarin S in
Pulver lösen100 Wasser 40 schwefelsaure
Thonerde lösen100 Wasser 20 Oxalsäure lösen 50 Wasser660 Verdickung.
Alizarinorange.150g
Alizarinorange 15 Proc. im Teig 40 schwefelsaure
Thonerde lösen100 Wasser 20 Oxalsäure lösen 50 Wasser640 Verdickung.
Alizarinmarron.300g
Alizarinmarron 10 Proc. im Teig 35 schwefelsaure
Thonerde lösen100 Wasser 20 Oxalsäure lösen 50 Wasser495 Verdickung.
Anthracenbraun.150g Anthracenbraun 20 Proc. im
Teig100cc essigsaures Chrom 20°
Bé (B. A. S. F.) 30g Oxalsäure lösen 50 Wasser670
Verdickung.
Galloflavingelb.100g
Gallofalvin im Teig 30cc essigsaures
Chrom 20° Bé670 Verdickung. Galleïn.300g Galleïn 10 Proc. im
Teig 30 essigsaures Chrom 20°
Bé670 Verdickung. Coerulëinegrün.100g
Coeruleine
S100 Wasser 30 Oxalsäure lösen 40cc essigsaures Chrom 20°
Bé680g Verdickung. Alizarinblau.200g Alizarinblau S oder SR im
Teig 20cc essigsaures Chrom 20°
Bé780g Verdickung. Alizarinblau mit Alizarinblau
S. 60g Alizarinblau S in
Pulver 20cc essigsaures Chrom
20° Bé920g Verdickung.
Die mit diesen Farben bedruckten Wollstoffe werden zwei Stunden bei schwachem Drucke
gedämpft, dann gründlich gewaschen.
Die Firma Farbenfabriken vormals Friedrich Bayer und Co.
in Elberfeld erhielt ein Patent (D. R. P. Nr. 43433 vom 30. August 1887) zur
direkten Erzeugung von Azofarben auf der Faser durch Aufdruck. Das Verfahren besteht
darin, daſs die gewählte Diazoverbindung verdickt auf die Faser aufgedruckt und
verhängt, dann durch eine alkalische Auflösung eines Phenols genommen werden, wobei
der Farbstoff sich entwickelt. Die schon seit längerer Zeit im Handel vorkommenden
Stoffe mit direkt auf denselben gebildeten Azofarbstoffmustern dürften indeſs nach
einem anderen Verfahren hergestellt sein.
In den groſsen continentalen Druckereien vollzieht sich zur Zeit ein bedeutender
Umschwung durch die ziemlich allgemeine Einführung des groſsen continuirlichen
Dämpfapparates von Mather und Platt, welcher von den
gröſsten englischen und russischen Werken schon einige Jahre früher adoptirt wurde.
Für Druckereien, deren Production groſs genug ist, um diesen höchst sinnreichen
Apparat in ständigem Gange zu erhalten, bietet derselbe ganz auſserordentliche Vortheile. Die
Verallgemeinerung dieses Apparates ist ein weiterer Schritt zur Beseitigung des eine
Zeitlang beliebten, aber neuerdings mehr und mehr als nutzlos Erkannten Dämpfens
unter Druck.
Ueber die Lichtechtheit der verschiedenen künstlichen Farbstoffe sind neuerdings
mehrfach Berichte veröffentlicht worden. Die erzielten Resultate haben indeſs in
ihren Details mehr relativen Werth, da bei diesen Versuchen nicht wenig von der Art
und Weise der Fixirung der Farbstoffe abhängt. Im Groſsen und Ganzen kann man die
Anthracenfarbstoffe als durchgängig sehr lichtecht bezeichnen, während die
Triphenylmethanderivate im Allgemeinen als sehr lichtempfindlich gelten können. Die
Induline sind ungemein lichtecht, während die Eurhodin- und Saffraninfarbstoffe als
mäſsig echt gelten können. Für die Azofarbstoffe läſst sich eine allgemeine Regel
nicht aufstellen; während einige derselben ziemlich empfindlich sind, zeigen andere
eine überraschende Lichtechtheit. So ist z.B. das Bordeaux S der Berliner Actiengesellschaft (Echtroth D der Badischen Anilin- und Sodafabrik, Natronsalz der
Naphtionsäure-Azo-β Naphtoldisulfosäure) einer der
lichtechtesten Farbstoffe, welche wir besitzen. Selbst die zartesten Rosa auf Wolle
sind, mit diesem Farbstoffe hergestellt, längere Zeit dem Lichte ausgesetzt worden,
ohne sich zu verfärben. Daſs bezüglich der Echtheit ein Gegensatz zwischen
künstlichen und natürlichen Farbstoffen nicht besteht, bedarf für jeden mit der
Färberei Vertrauten wohl keiner Erwähnung. Beide Gruppen, Glieder einer und
derselben chemischen Familie enthalten echte und unechte Farbstoffe und es ist Sache
des erfahrenen Färbers, die richtigen Producte für seine Färbungen zu wählen. Die
Liste des ihm heutzutage Gebotenen ist so groſs, daſs er wohl selten in Verlegenheit
kommen dürfte. Desto bedauerlicher ist es, daſs Textilindustrielle und sogar Färber,
weit davon Entfernt, dem im groſsen Publicum verbreiteten Unsinn über die
„Unechtheit der Theerfarben“ entgegenzutreten, denselben nicht selten
bestätigen und unterstützen. Der Ursprung dieser bis zum Ueberdrusse discutirten
Anschuldigungen ist in den ästhetisch-unwissenschaftlichen Ergüssen der sogen.
Kunstgewerbekenner zu suchen, welche die längst verblaſsten Färbungen alter Gobelins
und Teppiche für beabsichtigten „stylvollen Farbenschmelz“ halten und zur
Nachahmung empfehlen. Diese „stylvollen alten Töne“ lassen sich freilich
nicht in dem gleichen „Schmelze“ durch Neufärbung herstellen; und wenn eine
annähernde Aehnlichkeit der Nuance erreicht ist, so hält sich dieselbe nicht,
sondern sie ist demselben Verblassen unterworfen, welches die ursprünglich
grellfarbigen Erzeugnisse unserer Vorfahren so „stylvoll“ getönt hat!
Der verflossene Zeitraum ist besonders reich an neuen Erscheinungen in der Literatur
der Farbstoffe und ihrer Anwendungen gewesen. Ueber Farbstoffe erschienen, abgesehen
von den Fortsetzungen des groſsen
Schultz'schen HandbuchesBraunschweig, Vieweg. und dem ersten
Theile eines neuen Werkes über den gleichen Gegenstand von Heumann, zwei Uebersichtswerke, welche für jeden Interessenten von Nutzen
sein müssen. Es sind dies einerseits die „Tabellarische Uebersicht der
künstlichen organischen Farbstoffe“Berlin, R. Gärtner. von Schultz und Julius, andererseits die „Fortschritte
der Theerfarbenfabrikation“Berlin, Springer. von P. Friedländer. Das erstgenannte Werk bildet das erste
genaue, vollständige und zuverlässige Verzeichniſs aller in den Handel gelangten
künstlichen Farbstoffe; das zweite ist der erste Versuch einer Zusammenstellung
aller deutschen Patentakten über diese Substanzen. Beide Werke besitzen hohen Werth
als zuverlässige Nachschlagewerke für jeden, der sich mit diesem Thema befaſst.
Ein originelles Werk ist ferner: „Die Anilinfarbstoffe“ von Kertesz. Der Verfasser behandelt in demselben die
Chemie der künstlichen Farbstoffe vom Standpunkte des Coloristen. Er bespricht die
Reaction der Farbstoffe und ihr Verhalten auf der Faser, namentlich den
verschiedenen Echtheitsprüfungen gegenüber.
Mit der Technik der Färberei und des Zeugdruckes beschäftigen sich die beiden Werke
von A. Sansone
„The Printing of Cottonfabrics“ und „Dyeing“Manchester, Heywood.. Beide sind
namentlich mit Maschinenzeichnungen reich ausgestattet. Das der Färberei gewidmete
Werk bringt, in Form eines besonderen Bandes, eine sehr groſse Zahl gefärbter Proben
auf verschiedenen Geweben.
Das schon früher erwähnte Werk von Dépierre
„Les Apprêts“ ist neuerdings auch in deutscher Ausgabe erschienen, welche an
Vorzüglichkeit des Inhaltes und trefflicher Ausstattung, sowie an' Reichthum der
beigegebenen Stoffmuster dem französischen Originale durchaus ebenbürtig ist. Es ist
unter Mitwirkung von E. Fourneaux übersetzt und unter
dem Titel: „Die Appretur der Baumwollgewebe“Wien, Gerolde Sohn. erschienen.
Von dem Verfasser des vorliegenden Rückblickes erschien die erste Lieferung einer
„Chemischen Technologie der Gespinnstfasern“Braunschweig, Vieweg., welche einen
Ueberblick über die Geschichte dieses Gewerbszweiges, sowie eine Beschreibung der
verschiedenen Spinnfasern und ihrer Gewinnung enthält.
Westend Charlottenburg, 1. Oktober 1888.