Titel: | Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. |
Autor: | Oscar Guttmann |
Fundstelle: | Band 273, Jahrgang 1889, S. 62 |
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Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
Mit Abbildungen auf Tafel
4.
Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
England scheint gegenwärtig das Eldorado der Explosivstoff-Industrie zu sein. Es gibt
kaum einen Sprengstoff, dessen Einführung in die allezeit willigen Kreise englischer
Gründer und Speculanten nicht schon versucht wurde, es ist aber bisher auch nicht
ein Fall bekannt, wo ein solches mit allen Mitteln der Reclame in die Welt gesetztes
Sprengmittel dauernde Erfolge aufweisen konnte. Zwei in den jüngsten Tagen versuchte
Gründungen haben die öffentliche Aufmerksamkeit lebhaft beschäftigt. Die erste ist
die Bildung einer „Bellite“-Gesellschaft. Der Prospect und die denselben
begleitende Broschüre behaupten ganz eigenthümliche Dinge. Danach wäre Bellit (vgl.
1888 268 * 520) so „harmlos wie Sägespäne“,
stärker als Schieſsbaumwolle, Dynamit und Schieſspulver, könne durch Reibung, Druck,
Schlag und Blitz nicht zur Explosion gebracht werden, entwickelt keine schädlichen
Gase, sei keiner chemischen Veränderung unterworfen und billiger zu erzeugen als
Dynamit. Zum Beweise für diese Behauptungen werden alle möglichen Gutachten
vorgebracht, u.a. von dem bekannten Paul F. Chalon
(vgl. 1887 263 149), welcher hier als „die leitende
Autorität Frankreichs für Explosivstoffe“ eingeführt wird. Wir wollen die
Leser mit einer Kritik der einzelnen Versuche verschonen. Es genügt zu erwähnen,
daſs der Fall eines schweren Gewichtes auf ein Bündel Patronen, das Werfen von
Patronen in ein Schmiedefeuer u. dgl. keinen Beweis gestatten, da dasselbe vor
vielen Jahren schon ebenso mit Dynamit gemacht wurde, ohne daſs man behaupten
wollte, Dynamit sei unempfindlich gegen Schlag und Feuer. Wie wenig manche der ihr
Gutachten abgebenden Herren von Sprengtechnik verstehen, ersieht man aus einem der
Berichte, wonach Bellit und Dynamit auf 1cm
starken Kesselblechplatten detonirt wurden, und wobei Dynamit entweder Bruch
innerhalb einer kleinen Fläche erzeugte oder ein Stück heraussprengte, während
Bellit die Platten mehr ausbauchte oder auf einer gröſseren Fläche Risse erzeugte.
Diese Umstände gestatten nun dem begutachtenden Herrn zu sagen, daſs die Kraft des
Bellites ein wenig gröſser war als die von Dynamit! Die billigere Erzeugung ist auch
so eine für gewöhnlich uncontrolirbare Behauptung. Die „Gründer“ scheinen zu
glauben, daſs man zu den in Aussicht genommenen jährlichen 1052t das Nitrobenzol und den Ammoniaksalpeter auf dem
Markte kaufen könne, und scheinen keine Ahnung von den Preisen oder Gestehungskosten
derselben zu haben. Obzwar es auch noch sehr fraglich ist, ob die englische
Regierung eine Licenz für die Erzeugung des Bellites geben werde, so wollen die
Gründer doch für das Patent allein 2800000 Mk. bezahlen und nur 1100000 Mk. für Bau-
und Betriebscapital behalten.
Viel interessanter noch ist die Gründung einer „v. Dahmen
Sicherheits-Dynamit-Gesellschaft“. Dieses Sicherheits-Dynamit wurde in Frankreich am 21. Januar 1889 unter Nr.
194656 an Johann Ritter v. Dahmen in Wien und Abraham Strauſs-Collin in London gegeben. Dahmen und Strauſs mischen
das Glycerin mit drei oder mehr Procenten Nitrobenzol, nitriren dieses Gemisch auf
gewöhnliche Weise unter fortwährender Zuführung von
Stickstoff, waschen den entstandenen Nitrokörper bei 50° und mischen ihn
dann mit Kieselguhr. Die Erfinder behaupten, daſs die Fabrication und das so
erzeugte Dynamit ganz ungefährlich seien, daſs sich keine nitrosen Dämpfe bilden,
daſs ferner (nach dem Prospecte und Zeitungsartikeln) dieses Dynamit Temperaturen
von – 40° und + 90° vertrage und überhaupt molekular
ganz verschieden sei. Verschiedene Unrichtigkeiten im Patente, z.B. daſs man
gegenwärtig dem Nitroglycerin Lösungsmittel (?) hinzufüge, daſs man es sonst nur bei
21° waschen könne u. dgl., seien nur gestreift.
Die Eigenschaft des Nitrobenzols, den Gefrierpunkt des Nitroglycerins herabzusetzen,
wurde schon vor 4 Jahren ziemlich gleichzeitig von Alfred
Nobel und dem Referenten beobachtet, und der Letztere hat dann gefunden,
daſs noch viele andere Körper der Benzol- und Phenol-Reihe, einschlieſslich der
Pyridinbasen und Salze, denselben Einfluſs ausüben. Dieser Einfluſs darf jedoch
keineswegs hoch geschätzt werden. Es gelang allerdings nicht, eine Mischung von z.B.
Nitroglycerin und Nitrobenzol in irgend einer Kältemischung zum Gefrieren zu
bringen, wohl aber gefror sie, der Winterkälte ausgesetzt, ganz leicht. Warf man in
solches Nitrobenzol-Nitroglycerin einen Krystall gewöhnlichen Nitroglycerins, so
erstarrte es sofort und, einmal zum Gefrieren gebracht, konnte dies stets erreicht
werden. Es ist aus verschiedenen Gründen anzunehmen, daſs v.
Dahmen und Strauſs, deren Namen in der
Explosivstoff-Industrie unbekannt sind, bloſs Laboratoriums-Versuche anstellten und
so die Enttäuschung des Gefrierens noch zu erleben haben, trotzdem sie, – wohl nur
um nicht das Nobel'sche Patent zu verletzen – das
Nitrobenzol schon vor der Nitrirung zum Glycerin mischen. Dieser Zusatz ist aber
deshalb werthlos – und dies veranlaſste uns die Sache nicht weiter zu verfolgen –
weil selbst ein halbes Procent Nitrobenzol schon die Wirkung des Dynamites um 2
Procent verminderte und dies sich ziemlich regelmäſsig steigerte. Die Einführung von
Stickstoff, um die Bildung nitroser Dämpfe zu verhindern (selbst wenn man wüſste,
wie solchen Stickstoff im Groſsen erzeugen und wie einführen), die Behauptung, daſs
das Nitroglycerin bei 50° gewaschen werden müsse, daſs dieses Nitroglycerin gegen
Schlag unempfindlich sei, sind ebenso viele Ungeheuerlichkeiten, und geradezu ein
Problem ist es, wie sich Leute finden sollen, um 2000000 Mk. Capital für England und
Frankreich und 3000000 Mk. für die übrigen Länder herzugeben, von dem der
bescheidene Antheil von 3500000 Mk. dem „Erfinder“ bezahlt werden soll.
Das Emmensit, von welchem gleichfalls viel die Rede war,
insbesondere wegen der vielfachen früheren Gründungen des Erfinders Dr. Emmens, hat gleichfalls eine interessante
Herstellungsweise. Nach den Annales industrielles, 1889
S. 102, löst Dr. Emmens bei mäſsiger Temperatur einen
Ueberschuſs von Pikrinsäure in Salpetersäure von 50 bis 60° B. Beim Abdampfen
scheiden sich zuerst gelbe rhombische Krystalle, dann andere von lichterer Farbe und
endlich ein graues Pulver ab; Dr. Emmens hält diese 3
Stoffe für isomer, trotzdem er sie noch nicht untersucht hat und es scheint, daſs er
einfach mit schwefelsaurer Thonerde verfälschte Pikrinsäure verarbeitete. Dr. Emmens mischt dann 5 Th. der wie oben erhaltenen
Krystalle mit 5 Th. Ammoniaksalpeter, indem er sie auf einem Paraffinbade
zusammenschmilzt, was bei 200° geschehen soll. Das ist nun die oftgenannte
„Emmenssäure“, welche wohl Nichts als reine Pikrinsäure ist, während bei
der angegebenen Temperatur das Ammonnitrat wahrscheinlich nur von der schmelzenden
Pikrinsäure umhüllt wird.
Viel Hoffnungen werden auf ein neues Patent von Alfred
Nobel gesetzt, welcher salpetersaures
Kupferoxyd-Ammoniak als Sprengstoff einzuführen gedenkt, insbesondere in
Verbindung mit Nitroglycerin-Präparaten. Es wird abzuwarten sein, welchen Einfluſs
die Hygroskopicität und die Veränderlichkeit an der Luft bei diesem und ähnlichen
Körpern auf die Verwendbarkeit in Sprengstoffen üben wird.
E. Kubin und A. Siersch in
Wien mischen zum Dynamit 20 bis 50 Proc. schwefelsaures
oder chlorsaures Ammon (Englisches Patent Nr. 3759 vom
10. März 1888), um die Explosionstemperatur herabzusetzen und die Explosionsgase zu
verdünnen. Diese Mischung gehört demnach in die Kategorie der Wetterdynamite.
Oberingenieur Joh. Mayer in Poln.-Ostrau, dem die
Schlagwetterfrage in jüngster Zeit wohl die meisten positiven Resultate zu verdanken
hat, versuchte sowohl Soda-Wetterdynamit (vgl. 1888 267 * 373) wie Ammon-Wetterdynamit in ausgedehnterem Maſse (Oesterreichische Zeitschrift für Berg- und Hüttenwesen, März 1889 u. ff.)
und fand, daſs letzteres mit wenigen Ausnahmen, ersteres aber stets absolut
ungefährlich in Schlagwettern und Kohlenstaub sei, vorausgesetzt, daſs die
Ladungsmenge 150g nicht übersteigt. Bei gröſseren
Mengen wird, wie wir dies oft vertheidigten, die locale Wärme- und Druckentwickelung
unverhältniſsmäſsig gesteigert, aber 150g sind in
den meisten Fällen für Schüsse in Kohlengruben vollkommen ausreichend, 100g sind in der That die Regel.
Die Lauer'schen Reibungszünder (vgl. 1888 267 * 373) sind seit
ihrer Einführung wesentlich verbessert worden; wie wir einem Berichte von Joh. Mayer (Oesterreichische Zeitschrift für Berg- und
Hüttenwesen, 1889 S. 62) entnehmen, sind unsere von vornherein geäuſserten
Bedenken durch die Praxis vollinhaltlich bestätigt und die Zünder unter
Rücksichtnahme auf
dieselben geändert worden. Dieselben sind in ihrer neuen Gestalt in Fig. 1 Taf. 4 abgebildet.
Jeder Zünder wird nun in der Fabrik einem Zuge von 8 bis 10k, einem Schlage mit einem hölzernen Fallgewichte
und einem Falle aus 1m,5 Höhe auf eine Eisenplatte
unterzogen, was einen ganz entsprechenden Grad von Sicherheit bietet. Unter diesen
Voraussetzungen kann man nun wohl mit Mayer annehmen,
daſs die Lauer'schen Zünder sogar Vortheile gegenüber
der elektrischen Zündung bieten, und die seitdem erfolgte ausgedehnte Erprobung im
Groſsen hat deren ausgezeichnete Brauchbarkeit auch bewiesen.
Es ist begreiflich, daſs dieser günstige Erfolg eine Reihe gleichartiger
Zündungsweisen erfinden lieſs, welche wir im Nachstehenden an der Hand von Mayer's Bericht kurz anführen.
Sicherheitszünder von Dr. C.
Roth in Charlottenburg (Fig. 2 bis 3). Die Zündschnur ist von
einer Blechhülse oder einem Drahtgewebe R umgeben, eine
Zündpille p wird entweder durch einen Stecher s, oder durch einen Tropfen Schwefelsäure, oder durch
einen Reibedraht entzündet. Zweck: Die Stichflamme in einem geschlossenen Raume
entstehen zu lassen.
Aehnlich – durch Zerdrücken einer kleinen Glaskugel a
mit Schwefelsäure – wirkt der Sicherheitszünder von Bickford und Comp. (Fig. 4 und 5).
Die Pistole von Müller und
Comp. in Clermont ist aus der Zeichnung (Fig. 6) ohne Weiteres
verständlich. Ein späteres Patent derselben Firma (Oesterreichisches Patent vom 9.
Oktober 1888) läſst die Entzündung innerhalb einer Drahthülse durch ein Zündhütchen
erfolgen, welches durch einen mittels Federkraft gespannten Schlagbolzen detonirt
wird (Fig.
7).
Der Schlagzünder von Nawratil (Fig. 8 und 9) ist eigentlich dem Lauer'schen ähnlich. Ein besonders geformtes
Führungsstück f läſst durch seine Zacken ss1
, welche sich an ein Stahlplättchen g legen, die Zündpille k
vom Dorne d abstehen; wird aber der Draht a angezogen, so scheren sich die Zacken ab und der Dorn
wird in die Zündpille getrieben. Die Knallquecksilber-Zündhütchen werden erst vor
dem Gebrauche eingeführt und die Oeffnung verklebt.Mayer nimmt irriger Weise an, daſs wir die
Trennung von Zündvorrichtung und Zündhütchen als wesentlich bezeichneten,
weil wir hervorhoben, daſs die Beförderung der Lauer'schen Zünder auf Eisenbahnen eigentlich nicht gestattet sei;
wir sind vielmehr stets Feinde der „Fabriken vor Ort“
gewesen.
Ein Schlagbolzenzünder von F.
Tamann und H. Tirmann (Fig. 10) ist aus der
Zeichnung erklärlich. Der Schlagbolzen s ist durch die
Feder vom Zündsatze entfernt gehalten, bis durch einen Zug am Drahte die Oese o abgerissen und der Bolzen vorgetrieben wird.
Bei dem pneumatischen Zünder von B. Zschokke in Witkowitz wird eine durch eine Feder in entsprechender Entfernung
gehaltene Nadel mittels Luftdruck in den Zündsatz getrieben (Fig. 11 und 12).
Bei dem chemischen Zünder von Zschokke wird ein in einem U-förmigen Röhrchen befindlicher Tropfen
Schwefelsäure durch Luftdruck zum Zündsätze getrieben. Die Fig. 13 und 14 zeigen, wie
mehrere solcher Schüsse verbunden werden.
A. und R. Hahn in Cassel haben an ihrem bekannten Gasdruckmesser für Gewehrpulver die Veränderung
vorgenommen, daſs sie den Stauchapparat etwa 20 bis 25mm vom Geschosse entfernt anbringen, weil an dieser Stelle sich der
höchste Gasdruck befindet. Dadurch kann nun die gewöhnliche Patrone verschossen
werden.
Lieutenant James W. Graydon von der Marine der
Vereinigten Staaten scheint das Problem, Dynamit in Granaten
zu werfen, der Lösung näher gebracht zu haben. Bisher haben solche Versuche
meist schlecht geendet, ja eine europäische Macht hatte sogar die Zertrümmerung
einer Kanone in einem solchen Falle zu beklagen. Graydon theilt die Ladung in viele kleine, wasserdicht eingewickelte
Abtheilungen, welche durch Asbest getrennt sind, und der Schlagbolzen des Zünders
wird durch eine starke Feder fern gehalten, welche im Augenblicke des Aufschlages
erst niedergedrückt werden muſs und so der Granate eine gewisse Zeit zum Eindringen
in das Ziel läſst, um eine gute Wirkung zu erreichen. Versuche mit einer Granate von
55k, geladen mit 1k,2 Dynamit und abgefeuert mit einer Pulverladung von 104k gegen eine Panzerthurmplatte von 35cm,5 Dicke haben sehr schöne Resultate
geliefert.
Ueber das Roburit werden in England jetzt vielfach
Klagen gehört, daſs dessen Explosionsgase gesundheitsschädlich seien. Verhandlungen
darüber wurden in der Märzsitzung der Geologischen
Gesellschaft von Manchester geführt, nach welchen es scheint, daſs die
Explosionsgase viel Kohlenoxyd enthalten. Auch der schädliche Einfluſs auf den
menschlichen Körper beim Handhaben der Patronen wurde hervorgehoben. Dem Referenten
hat wieder ein Bauunternehmer gesagt, seine Leute hätten regelmäſsig
Diarrhöe-Anfälle erlitten. Es ist jedenfalls unmöglich, einen Explosivstoff
herzustellen, welcher ganz vollständig verbrennt und nur Kohlensäure entwickelt, ja
selbst stöchiometrisch richtig gemischte Gase lassen einen Theil auſser Reaction,
aber andererseits gibt es Mischungen, welche schon von Haus aus eine schlechte
Verbrennung vermuthen lassen und bei deren Herstellung besondere Sorgfalt verwendet
werden sollte.
In dieser Zeit der rauchlosen Pulver wird natürlich eine Menge neuer Patente
angemeldet. Von solchen sind zu erwähnen:
J. W. Skoglund. Mischung von Nitrocellulose oder
Pikrinsäure mit kohlensaurem oder oxalsaurem Ammon.
Hiram Stevens Maxim in London. Schieſswolle im
luftleeren Raume durch Essigätherdämpfe gelöst, sodann gepreſst und nach Art des
Kieselpulvers zerschnitten. (Eine vollständige Anlehnung an das v.
Förster'sche Patent.)
Carl Friedr. Hengst. Von allem Beiwerk entkleidet,
handelt es sich einfach um Strohnitrocellulose, deren Stroh auf eine nicht
angegebene Weise angeblich von Kieselsäure befreit ist.
Das sogen. Amid-Pulver von F. Gaens enthält 101 Th.
Kalisalpeter, 80 Th. Ammoniaksalpeter und 40 Th. Holzkohle.
Die neueren rauchlosen Pulver enthalten meist Schieſswolle oder andere
Nitrocellulose, deren Brisanz durch besondere Zusätze herabgemindert wird. Die
Zusammensetzung wird meist geheim gehalten. Dergleichen Pulver werden u.a. von Vieille für das Lebel-Gewehr, von der Pulverfabrik Rottweil-Hamburg und von Wolff und
Comp. in Walsrode hergestellt. Alfred Nobel in
Paris erzeugt eine stark mit Kampher versetzte Sprenggelatine zu demselben Zwecke.
Nach einem Vortrage von W. H. Deering (Industries, 3.
Mai 1889) macht Nobel zwei Mischungen, welche die
Grenzen der Veränderungen ergeben. Zur ersten werden 100 Th. Nitroglycerin mit 10
Th. Kampher gelöst, 200 Th. Benzol hinzugefügt (dies offenbar, um das Dickwerden der
Masse zu verhindern) und dann 50 Th. lösliche Nitrocellulose eingeknetet; das Benzol
wird abgedampft, die Masse zwischen mit Dampf auf 50 bis 60° geheizten Walzen
verarbeitet, in Blätter gewalzt und zu Körnern zerschnitten. Zur zweiten werden 100
Th. Nitroglycerin, 10 bis 25 Th. Kampher und 200 bis 400 Th. Amylessigäther
gemischt, 200 Th. lösliche Nitrocellulose eingeknetet und wie vor behandelt.
Die englischen Explosivstoff-Inspektoren haben ihren Bericht für das Jahr 1888
veröffentlicht (vgl. 1883 250 184. 1884 253 74. 1885 258 222. 1886 261 29. 1887 265 278. 1888 268 525).
Am Ende dieses Jahres bestanden 112 Fabriken für Explosivstoffe (+ 4), 20 Fabriken
für Kleinfeuerwerk, 11 für Spielfeuerwerk (– 2). Es wurden 43 Zusatzlicenzen
ertheilt, Magazine bestanden 353 (+ 5), Lager 1972, Verkaufsläden 22262. 114
Eisenbahn- und 107 Kanalgesellschaften befördern Explosivstoffe, 15 bezieh. 11
nicht. Die Einfuhr betrug: 376022k Pulver (+
6147), 508395k Dynamit (+ 187471), 680k
Cooppal's Pulver, 10000k Roburit, 3674k Knallquecksilber (–
1270k), 7415000 Stück Sprenghütchen (+
4840000), die Ausfuhr von Pulver betrug 6156350k
(+ 1717090). Es fanden 123 Unglücksfälle statt (– 7), wobei 37 Personen getödtet und
97 verwundet wurden. Diese Fälle vertheilen sich wie folgt:
Er-zeugung
Auf-bewahrung
Ver-frachtung
GebrauchundVerschied.
Summe
Schieſspulver
19
2
1
26
48
Dynamit und Schieſswolle
5
–
–
27
32
Knallquecksilber
–
–
–
–
–
Munition
17
–
–
8
25
Feuerwerkskörper
9
–
–
5
14
Verschiedene Stoffe
–
1
–
3
4
Während z.B. in Oesterreich – Ungarn bei der Herstellung von Magazinen ein möglichst
leichter Holzbau zur Vermeidung des Umherfliegens von Sprengstücken vorgeschrieben
ist, wird in England das Hauptgewicht auf die Einbruchsicherheit gelegt, und lautet
die neueste Vorschrift wie folgt: „Die Mauern der Magazine (welche nicht weniger
als 18 Zoll [55cm] dick sein müssen) sollen
gut und massiv aus gutem Portlandcement-Beton gebaut sein, welcher nicht weniger
als 1 Th. besten Portlandcement und 5 Th. reinen, scharfkantigen Quarzschotter
oder Steinschlag mit einer genügenden Menge von Sand enthält. Das Dach soll
entweder ebenso wie die Mauern hergestellt, oder mit Schiefer oder Ziegeln
gedeckt sein und im Inneren durch dicke Träme oder Holzkreuze, welche in kurzen
Zwischenräumen gelegt sind, oder durch dickes Eisendrahtgewebe, Bandeisen,
Platten von Wellblech oder anderes geeignetes Material so gesichert sein, daſs
es nach Ansicht eines Regierungs-Inspektors gegen unerlaubten Eintritt genügende
Sicherheit bietet. Das Magazin soll vollständig mit Holz verkleidet und mit
einem dichtgezimmerten Fuſsboden versehen sein, sowie mit zwei guten und
massiven Thüren, welche in sicherer Weise an das Gebäude befestigt sind und
deren Angeln, soweit als möglich, von auſsen unzugänglich sind. Besagte Thüren
sollen nach auſsen öffnen, und die äuſsere soll aus Eisen oder äuſserlich mit
Eisen beschlagen sein. Jede dieser Thüren soll mit wenigstens zwei starken
Schlössern versehen sein oder mit einem dreiriegligen Schlosse. Die Schlösser
sollen solcher Art sein, daſs sie von auſsen nicht leicht beschädigt oder
erbrochen werden. Sollte es zu irgend einer Zeit dem Minister wünschenswerth
erscheinen, daſs eine Mauer oder ein Zaun um das Magazin oder einen Theil
desselben errichtet werden solle, so ist eine solche Mauer oder Zaun sofort zu
erbauen und zu erhalten nach der Vorschrift des Ministers in seinem
Auftragsschreiben, und diese Mauer oder Zaun soll als ein Theil der Wälle,
Gebäude oder Werke in oder in Verbindung mit dem Magazine angesehen
werden.“
In Aden (Arabien) haben innerhalb weniger Wochen zwei Explosionen von 3 bezieh. 4t Sprenggelatine innerhalb der Festung
stattgefunden. Es erscheint als naheliegend, daſs eine Zersetzung durch zu groſse
Hitze erfolgte. Die Temperatur an einem Tage wurde mit 31° im Freien beobachtet;
diese allein würde nicht genügen, um eine Zersetzung zu erklären, es ist aber
anzunehmen, daſs die Construction der betreffenden Vorrathsräume eine solche war,
welche eine Concentrirung der Wärmestrahlen und wenig Lüftung gestattete. Dem
Referenten ist ein Fall bekannt, wo tadellos erzeugtes Kieselguhr-Dynamit nach
längerem Lagern in einem der Sonne stark ausgesetzten, mit schwarzer Dachpappe
gedeckten Magazine so sehr alles Nitroglycerin ausschwitzen lieſs, daſs die Patronen
gar nicht mehr entzündet werden konnten. Wird aber Sprenggelatine einer Temperatur
von 70° durch lange Zeit ausgesetzt, so erleidet deren Schieſswolle eine immer weiter um sich greifende
Zersetzung, welche unter ungünstigen Umständen sich bis zur Entzündung steigern
kann.
In der Schieſswollfabrik in Düren brannten 1377k
trockener Bergwerkspatronen (50 Proc. Schieſswolle, 50 Proc. Barytsalpeter) und
1085k nasser Schieſswolle ohne Explosion ab.
In Folge einer groſsen Erdöl-Explosion auf einem Schiffe in Bristol waren die
Explosivstoff-Inspektoren bemüht, Vorkehrungen gegen die Wiederholung solcher
Ereignisse zu treffen, und es dürften wohl bald besondere Vorschriften zu diesem
Zwecke erscheinen.
Zur Beleuchtung unserer oft ausgesprochenen Ansicht über Blitzableiter an
Explosivstoff-Gebäuden dient der Bericht über die im April stattgehabte Explosion
eines Pulvermagazines in der Festung Neisse, wovon es heiſst, daſs „die drei auf
dem betreffenden Pulvermagazine angebrachten Blitzableiter erst vor wenigen
Tagen geprüft und in bester Ordnung befunden wurden.“ In England hat
übrigens soeben Dr. Oliver Lodge einen Kampf gegen die
bisherige Blitzableitertheorie unternommen, welche viel Aufsehen erregt, weil er
alle seine Behauptungen experimentell beweist; es scheint als ob ein Gebäude,
welches Maschinen enthält und an dem Rohrleitungen vorübergehen, durch Blitzableiter
noch viel mehr gefährdet wird. Sobald die für und wider geltend gemachten Ansichten
sich geklärt haben, wollen wir uns eingehender damit beschäftigen.
Oscar Guttmann.