Titel: | Zur Festigkeitslehre; von Prof. H. Gollner. |
Autor: | H. Gollner |
Fundstelle: | Band 273, Jahrgang 1889, S. 205 |
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Zur Festigkeitslehre; von Prof. H.
Gollner.
Gollner, zur Festigkeitslehre.
Die experimentelle Festigkeitslehre ist neuerdings durch
eine von Prof. Bach durchgeführte ArbeitZeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure,
1889 S. 137. bereichert worden, welche einerseits eine Ueberprüfung der alten
und neueren Theorie der Drehungsfestigkeit, andererseits die Ermittelung der
zulässigen Inanspruchnahme von Stäben zum Zwecke hatte, welche, auf Drehfestigkeit
beansprucht, das ⊔-, , +-Profil besitzen.
Bach verwendet für seine interessanten Untersuchungen
Probestäbe aus Guſseisen, obwohl sich dieses Material
wegen der Veränderlichkeit des Elasticitäts-Modulus nicht vollkommen eignet für
Untersuchungen, deren Ergebnisse zur Controle von Theorien verwerthet werden sollen,
weil erstens die Herstellung solcher Probestäbe verhältniſsmäſsig billig ist, und
weil zweitens die angedeutete Veränderlichkeit des Schub-Elasticitäts-Modulus nicht
so bedeutend ist, als daſs die Versuchsergebnisse und deren Vergleichungen mit den
Ergebnissen der Theorie – welche allerdings die Unveränderlichkeit des bezeichneten
Modulus voraussetzt – nicht noch als Näherungswerte aufgefaſst und verwerthet werden
könnten.
Ueber die Veränderlichkeit des Schub-Elasticitäts-Modulus des Materiales in einem
bearbeiteten cylindrischen Guſseisen-Probestab gibt folgende Zusammenstellung
Aufschluſs, deren Werthe von einer durch den Referenten erledigten einschlägigen
Untersuchung mit Probestäben aus böhmischem Maschinen-Guſseisen herrühren. Es sei
noch bemerkt, daſs bis zu einer gewissen Grenze der Inanspruchnahme dieses
eigenartigen Materiales, die auch als eine Art Flieſsgrenze bezeichnet werden
könnte, mit genügender Annäherung für gewisse Inanspruchnahme-Grenzen mehrerer Schub-Elasticitäts-Module sichergestellt
werden können, deren Werthe mit der Erhöhung der Inanspruchnahme abnehmen.
Die bis zu der obenbezeichneten „Flieſsgrenze“ ermittelten
Schub-Elasticitäts-Module haben folgende Werthe:
Probestab: Durchmesser d = 6cm,98, Probelänge l = 40cm,0, Drehmoment Md in Kg . cm,
absolute Verdrehung δ0
in cm, specifischer Drehwinkel im Bogenmaſs (für l =
d/2 = 1)
\delta=(\delta_0\,:\,\frac{d}{2}\,l), Inanspruchnahme der
Drehfestigkeit Kdat, Schub-Elasticitäts-Modulus Gat.
Md
= 0–7500,
7500–15000,
15000–22500,
22500–30000
Kd
= 0–112,4,
112,4–224,8,
224,8–337,2,
337,2–449,6
δ
0
= 0,0102,
0,0228,
0,0370,
0,0560
δ
= 0,000072,
0,000163,
0,000264,
0,000401
G
= 440,000,
395,000,
365,000,
321,000.
In Folge der Inanspruchnahme mit 449at,6 auf
Drehung ist die Flieſsgrenze des Probemateriales erreicht. Die Festigkeitsgrenze Kd liegt bei 1460at,9. Die Zugfestigkeit Kzat
desselben Materiales wurde mit 1375,1 ermittelt, daher Kd : Kz = 1,06.
Nach Gegenüberstellung der Hauptergebnisse der alten und neueren (von de Saint Venant herrührenden) Theorie auf Drehung
beanspruchter Körper und zwar daſs im Sinne der alten Theorie die gröſste
Inanspruchnahme (Tmax) in jenen
Querschnittspunkten eintrete, welche am weitesten von
der Stabachse abstehen, daſs nach den Ergebnissen der Theorie nach de Saint Venant die gröſste Schubspannung in denjenigen
Umfangspunkten des Querschnittes eintritt, welche der Stabachse am nächsten liegen, werden die Resultate der neueren Theorie für fünf Querschnittsformen
übersichtlich zusammengestellt, welche den kreis- und kreisringförmigen, den
elliptischen und elliptisch-ringförmigen umfassen; an diese gewöhnlichen
Querschnittsformen reiht sich die analytische Behandlung des gleichseitigen
Dreieckes und Sechseckes als Querschnittsform für auf Drehung beanspruchte
stabförmige Körper.
Es werden hierbei hauptsächlich zwei Gleichungen aufgestellt und entsprechend
specialisirt; die eine bezieht sich auf den Werth der maximalen Inanspruchnahme (Tmax), die zweite
behandelt die Beziehung des specifischen Verdrehungswinkels δ zu den maſsgebenden Gröſsen.
Bezeichnet φ und ψ je einen
Coefficienten, Φ das kleinere der beiden
Haupt-Trägheitsmomente des Stabquerschnittes, Φp das polare Trägheitsmoment desselben, Md das Drehmoment, F die Gröſse des Stabquerschnittes, ist endlich
b=\frac{d}{2}, gleich dem Radius des Vollkreises und der
halben kleinen Achse der Vollellypse, sowie dem äuſseren Radius bezieh. der äuſseren
kleinen Halbachse des Ellypsenringes, so nehmen die Gleichungen für Tmax und δ folgende allgemeine Form an:
T_{max}=\varphi\,.\,\frac{M_d}{\Phi}\,.\,b\ \mbox{und}\
\delta=\psi\,.\,\frac{M_d}{G}\,.\,\frac{\Phi}{F^4}.
Es folgen im Weiteren die Sonderwerthe der Coefficienten φ und ψ für die bezeichneten
Querschnittsformen, wobei hervorzuheben ist, daſs nach Venant's Theorie für den rechteckigen Querschnitt der Werth ψ = f (b : h) ist. Dieser Werth ψ
variirt zwischen 42,68 und 38,5 für die Grenzwerthe k :
b = 1 : 1 und h : b = 8 : 1, wofür der abgerundete Werth ψ = 40,0 eingeführt wird.
Bach erörtert das zur Verfügung stehende
Versuchsmaterial zur Prüfling der Theorie nach de Saint
Venant für die verschiedenen Querschnittsformen und erwähnt hierbei das von
Bauschinger gelieferte Material durch Untersuchung
von 10 guſseisernen Wellen, von welchen je zwei den kreis- und ellypsenförmigen, den
quadratischen und rechteckigen Querschnitt (b : h = 1 : 2 und 1 : 4) nachweisen.
de Venant's Theorie liefert für die bezeichneten Stäbe
der Reihe nach folgende Verhältnisse der specifischen Verdrehungswinkel für
(\frac{d}{2}=l=1) und zwar:
δa : δb : δc : δd : δe
= 1 : 1,25 : 1,13 : 1,40 : 9,1
Nach Bauschinger wurde
gemessen
= 1 : 1,24 : 1,20 : 1,47 : 9,65
Grashof's Gleichungen ergaben
= 1 : 1,25 : 1,43 : 1,79 : 12,30.
Bauschinger hat noch Stahlwellen von kreisförmigem und quadratischem
Querschnitte auf
Drehfestigkeit erprobt und für 13 Wellenpaare den folgenden mittleren
Verhältniſswerth δ1 :
δ2 = 1 : 0,696
festgestellt.
Die alte Theorie würde ergeben:
= 1 : 0,589
die neuere Theorie:
1 : 0,833.
Die ältere Theorie liefert demnach zu geringe Formänderungen; diese Differenz wird um
so gröſser, je mehr sich der Querschnitt von der Kreisform entfernt.
Die nun von Bach in neuerer Zeit durchgeführten
Drehversuche mit Probestäben aus Guſseisen (unbearbeitet) und von rechteckigem,
kreis–, kreisringförmigem und hohl quadratischem Querschnitte liefern folgende
Durchschnittswerthe betreffend Tmax und das Verhältniss Kd : Kz, welche als sehr instructive
Versuchsergebnisse zu bezeichnen und in der folgenden Tabelle übersichtlich
zusammengestellt sind.
Querschnittsform
b : h
T
max
at
Kd : Kz
quadratisch
1 : 1
2228
1,42 : 1
rechteckig
1 : 2,5
2529
1,60 : 1
„
1 : 5
2366
1,50 : 1
„
1 : 9
2508
1,59 : 1
Bach weist weiters nach, daſs die neuere Theorie die
Beziehung zwischen Tmax
und den Werthen b und h
für den rechteckigen Stabquerschnitt nicht vollkommen richtig darstelltVgl. § 34I insbesondere S. 160 von Bach's Elasticität und
Festigkeit. (S. Bücheranzeige S. 240.), wobei allerdings
noch auf die Beschaffenheit des Probemateriales Rücksicht zu nehmen sein wird, wenn
obige Verhältniſswerthe für Kd : Kz zur Controle der Venant'schen
Gleichung Tmax = ψ (Md : b2
h), wobei ψ = 4,5 ist,
verwerthet werden.
Die ältere Theorie liefert hingegen für Tmax ganz unbrauchbare Werthe, wenn nämlich die
Gleichung T_{max}=6\,M_d\,:\,b\,h\,(\sqrt{b^2+h^2}) ausgenützt
wird. Die mittleren Versuchsergebnisse mit den Probestäben von kreis-,
kreisringförmigem und hohlquadratischem Querschnitte betreffend dieselben Gröſsen
Tmax und Kd : Kz sind in der
folgenden Tabelle enthalten:
Querschnittsform
Durchmesser, Seitenlänge
T
max
at
Kd : Kz
auſsen
innen
kreisförmig
10,3cm
–
1618
1,02 : 1
kreisringförmig
10,2cm
7,0cm
1234
0,82 : 1
hohlquadratisch
6,2cm
3,2cm
1788
1,13 : 1
Eine Vergleichung der Drehungsfestigkeit für Probestäbe mit voll- und
hohlquadratischem, sowie von kreis- und kreisringförmigem Querschnitte hat das
interessante Ergebniſs geliefert, daſs für beide Querschnittsgruppen der
Vollquerschnitt um 25 Proc. widerstandsfähiger ist als der zugehörige
Hohlquerschnitt. Hieraus folgert Bach mit Recht, daſs
die Ausnutzung der Vollquerschnitte eine günstigere ist, als bisher angenommen wurde.
Die „Rippenquerschnitte“, welche allerdings im modernen Maschinenbau als auf
Drehfestigkeit beanspruchte Querschnitte von Maschinenelementen immer seltener
verwendet werden, besonders wenn diese aus Guſseisen hergestellt werden sollen,
erweisen sich als instructive Versuchsobjecte an Verdrehungs-Probestäben, über deren
zahlreiche Ergebnisse nachgelesen werden muſs. Es sei hier nur hervorgehoben, daſs
schon die Art des Entstehens der ersten Brüche, ferner die Aenderung der
Widerstandsfähigkeit der schon angebrochenen Probestäbe bemerkenswerthe Resultate
sind und daſs endlich auch das Verhältniſs der Festigkeit des Rippenquerschnittes
zum rechteckigen Querschnitte von gleichen Hauptdimensionen (b und h) je nach der Querschnittsform ein
eigenartiges wird.
So hat Bach sicher gestellt, daſs a) die ⊔-Querschnitte gegenüber Inanspruchnahme auf
Drehfestigkeit an sich von geringer Widerstandsfähigkeit sind, daſs b) derselbe
Querschnitt nicht wesentlich mehr widersteht, als der aus dem Stege des
Querschnittes gebildete rechteckige Querschnitt; c) die Gleichung für Tmax als Ergebniſs der
neueren Theorie für den in Rede stehenden Querschnitt nicht brauchbar ist; d) als
maſsgebend die Festigkeitsgleichung Md = 2/9
b2
h . Tmax vorläufig angenommen werden kann.
Für die -Probequerschnitte ist folgendes maſsgebend: a) die Gleichung nach de Saint Venant für Tmax ist auch für diese Querschnitte nicht brauchbar;
b) es mag bis auf Weiteres benutzt werden: Md = 2/9
Tmax
s2(h + 2bo), wenn bedeutet: s die Stegstärke sowie die Flanschenstärke, ferner bo = (b –
s), wobei b die Breite der Flansche
bezeichnet.
Für den +-Probequerschnitt kann genommen werden:
Md =
2/9
Tmax
s2(h + h1 – s),
hierbei bedeuten h und h1 die Höhen, s die Stärke der beiden Rippen.
Ein besonderes Interesse bieten weiters die abgebildeten Bruchstücke hinsichtlich der
Form der Brüche, der Lage der Bruchlinien, ferner die Beobachtungen, aus welchen die
Art der Entstehung der Bruchlinien abzuleiten wäre.
Die Probestäbe mit den einfachen Querschnitten sind durchaus plötzlich und ohne
vorherige Anzeichen gebrochen. Bei den Stäben mit voll- und hohlquadratischem
Querschnitte scheint der Bruch in der Mitte der Flächen
(und nicht an den Kanten) begonnen zu haben; das Umgekehrte scheint für die Probestäbe mit rechteckigem Querschnitte zutreffend zu
sein. Genaue einschlägige Beobachtungen und solche Ergebnisse wären für die Controle
der de Samt Venant'schen Gleichungen von entscheidender
Wichtigkeit.
Bei den Probestäben mit sogen. Rippenquerschnitten treten die Brüche zuerst in den
(Querrippen) Flanschen ein, wobei das Drehmoment sinkt. Dieses kann wieder
gesteigert werden, so daſs der Probestab mit eingerissenen Querrippen widerstandsfähiger ist als im unverletzten Zustande.
Der Bruch des Steges erfordert in der Regel ein gröſseres Drehmoment, als jenes ist,
welches zum ersten Einreiſsen der Flanschen erforderlich war.
Es ist wohl richtig, vorauszusehen, daſs sich dieselben Probestäbe im
„bearbeiteten“ Zustande gegenüber der Inanspruchnahme auf Drehfestigkeit
anders verhalten hätten als im unbearbeiteten Zustande, in welchem sie durchaus der
Probe unterworfen wurden.
Von Interesse ist überhaupt die Kenntniſs des Einflusses der Guſshaut auf die
verschiedenen Festigkeitsarten. Bach ermittelt für
Probestäbe im bearbeiteten und unbearbeiteten Zustande folgende Verhältniſswerthe für die
Biegefestigkeiten (Kb):
a) quadratischer
Probequerschnitt
2765 : 2295 = 1,17,
b) -
„
2254 : 2026 = 1,11,
ferner für die Biegefestigkeit (Kb) zur Zugfestigkeit Kz desselben Materiales
im bearbeiteten Zustande:
c) quadratischer
Probequerschnitt
Kb : Kz
= 1,73 : 1,
d) -
„
Kb : Kz = 1,45 :
1.
Diese Angaben, welche zunächst erkennen lassen, daſs der Einfluſs der Guſshaut von
der Querschnittsform abhängig ist, sollen durch die folgenden ergänzt werden, die
vom Referenten durch einschlägige Untersuchungen mit gutem böhmischen
Maschinen-Guſseisen gewonnen wurden, wobei die wichtigsten Arten der statischen
Festigkeitsarten berücksichtigt wurden.
Die Biegestäbe erhielten rechteckigen Probequerschnitt (h : b = 9 : 5), alle übrigen, also jene für
Zug, Druck, Drehungs- und Abscherproben, den kreisförmigen Probequerschnitt.
Die folgende Tabelle zeigt die Mittelwerthe der maſsgebenden Gröſsen in
übersichtlicher Zusammenstellung:
Zeichen
Zustand
Zug-festigkeitKzat
Druck-festigkeitKpat
Biege-festigkeitKbat
Dreh-festigkeitKdat
Scher-festigkeitKsat
a
Bearbeitet
1237,5
6188,7
2202,3
1562,7
1233,2
b
Unbearbeitet
1375,1
7295,0
1961,0
1791,6
1256,6
\frac{a}{b}
Verhältniſs
0,90
0,85
1,12
0,87
0,98
Bearbeitet
Kz =
1,00
5,00 Kz
1,78 Kz
1,26 Kz
0,99 Kz
Unbearbeitet
Kz =
1,00
5,30 Kz
1,43 Kz
1,30 Kz
0,91 Kz
Diese Tabellenwerthe lassen erkennen:
1) daſs mit Ausnahme der Scherfestigkeit alle übrigen
statischen Festigkeiten
im bearbeiteten und unbearbeiteten Zustande desselben Guſseisens gröſser sind als dessen Zugfestigkeit;
2) daſs mit Ausnahme der Biegefestigkeit alle übrigen
statischen Festigkeiten desselben Guſseisens in Folge des Einflusses der Guſshaut
herabgedrückt werden;
3) daſs die Gröſse des Einflusses der Guſshaut auf die Veränderung der Festigkeiten
bei gleicher Querschnittsform für die einzelnen
Festigkeitsarten ein verschiedener ist und überhaupt von der Form des Querschnittes
abhängig ist.