Titel: | Die Lartigue'schen einschienigen Eisenbahnen. |
Fundstelle: | Band 273, Jahrgang 1889, S. 539 |
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Die Lartigue'schen einschienigen
Eisenbahnen.
Mit Abbildungen.
Die Lartigue'schen einschienigen Eisenbahnen.
Die Bahnen mit einer einzigen auf Pfosten oder Bockgestellen gelagerten Fahrschiene
wurden lange Zeit als Spielerei betrachtet, haben aber in jüngster Zeit einige
Erfolge aufzuweisen, die es rechtfertigen, wenn dem System mehr Aufmerksamkeit
geschenkt wird. Ueber die Vorläufer der Lartigue'schen
Bahnen findet sich im Engineering vom 24. December
1886Vgl. 1886 262 * 498. eine durch
Zeichnungen erläuterte Zusammenstellung, aus welcher hier angeführt sein mag, daſs
die erste einschienige Bahn 1821 von Henry Robinson
Palmer construirt wurde. Eine fortlaufende Schiene war auf hölzernen Balken
befestigt, die durch eine Reihe von Pfosten unterstützt waren. 1876 stellte der
General Le Roy Stone in Philadelphia eine Bahn im
Betriebe aus, welche auf Pfosten von 35 Fuſs Höhe ruhte und welche auſser der
Tragschiene noch zwei seitliche Leitschienen besaſs.
Die erste ausgedehnte praktische Anwendung fanden die einschienigen Bahnen in Algier
zur Ernte des Espartograses (Alfa). Nach La Chronique
Industrielle, 1883 S. 546, waren 1882 bereits 105km solcher Bahn, und zwar nach dem System Lartigue, verlegt. Dieses System zeigte in der
damaligen Gestalt eine durch eiserne Böcke von rund 80cm Höhe und 14k Gewicht unterstützte,
etwa 3m lange, 15k schwere Bandeisenschiene, die in beliebigen Krümmungen gebogen werden konnte. Seitliche
Leitschienen waren nicht vorhanden, weshalb der Schwerpunkt der sattelartigen
Fahrzeuge ziemlich tief gelegt werden muſste, damit sich bei ungleicher Belastung
der beiden Hälften des Fahrzeuges dasselbe nicht zu schief gegen die Bahn
stellte.
Der Umstand, daſs die Bahn nicht theurer war als eine Feldbahn, der bequemeren
Verlegung wegen, und daſs ferner der Flugsand den Bahnbetrieb gar nicht
beeinträchtigte, während gewöhnliche Feldbahnen darunter sehr zu leiden hatten,
verschaffte dem System für die in Rede stehenden Verhältnisse eine bedeutende
Ueberlegenheit über die Mitbewerber. Aehnliche Verhältnisse walten in denjenigen
Gegenden ob, in welchen die Bahnen dem Betriebe von Bergwerken u. dgl. dienen und
häufigen Schneeverwehungen ausgesetzt sind, wie beispielsweise am Amur.
Für deutsche Verhältnisse könnte vielleicht einmal die Anlage einer solchen Bahn
angezeigt erscheinen, wie sie zum Betriebe der Minen von Ria (östliche Pyrenäen)
ausgeführt ist. Diese Bahn besitzt Krümmungshalbmesser bis zu 3m (?) und Steigungen bis 1 : 12. Sie wird dadurch
betrieben, daſs der zu Thal fahrende Zug nicht im eigentlichen Sinne gebremst wird,
sondern seine verfügbare Arbeit mittels einer Dynamomaschine in elektrischen Strom
umsetzt, welcher durch einen besonderen seitlichen Leiter weitergeführt und zum
Heraufziehen eines leeren Zuges wieder verwendet wird. Die kleine, beim Bergabfahren
Strom liefernde, beim Bergauffahren Strom verzehrende elektrische Locomotive wiegt
640k.
Nach längeren Versuchen auf einem Grundstücke der Victoriastraſse, Westminster,
London, wurden die Lartigue'schen Eisenbahnen so weit
ausgebildet, daſs sie jetzt für befähigt erachtet werden können, den Personen- und
Güterverkehr von Nebenbahnen aufzunehmen.
Engineer bringt in der Nummer vom 2. März 1888 einen
durch Constructionszeichnungen des Oberbaues und schaubildliche Darstellungen der
Betriebsmittel erläuterten Bericht über die Bahn zwischen Listowel und Ballybunion,
Grafschaft Kerry, Irland, die nach Lartigue'scher
Bauart ausgeführt wurde und zwar an Stelle einer anderen vom Parlamente bereits
genehmigten Bahn zwischen diesen beiden Orten, so daſs von der Linienführung des
ersten Entwurfs nicht mehr wesentlich abgewichen werden durfte. In den Annales des Ponts et Chaussées vom August 1888 ist ein
von zwei Blatt Zeichnungen des Oberbaues begleiteter Bericht veröffentlicht, den der
Oberingenieur Nicou des Departements der Loire an den
Minister der öffentlichen Arbeiten über seine Wahrnehmungen auf der gedachten Bahn
erstattet hat. Diesem Berichte und dem zur Feier der Einweihung vom 29. Februar 1888
erschienenen Schriftchen sind die folgenden Bemerkungen entnommen.
Die Bahn liegt in Südwesten von Irland und verbindet Listowel, eine Station der
Kerry-Eisenbahn, mit Ballybunion, einem kleinen aufblühenden Seebade. Die Länge der Bahn
zwischen den beiden Orten beträgt 15km. Die Bahn
geht aber noch über Ballybunion hinaus und ist dem Strande entlang gelegt, woselbst
Sandlager zur Aufhöhung von Grundstücken in Listowel ausgebeutet werden. Der
kleinste Krümmungshalbmesser beträgt 25m, die
gröſste Steigung 1 : 50 (letztere auf 640m
Länge).
Fig. 1., Bd. 273, S. 541Fig. 2., Bd. 273, S. 541Fig. 3., Bd. 273, S. 541Fig. 7., Bd. 273, S. 541Fig. 8., Bd. 273, S. 541 Die Gestalt der Böcke, der Trag- und Leitschienen ist aus den Fig. 1 bis 3 zu
ersehen. Die Entfernung der Böcke beträgt in der Regel 1m, am Stoſs der Tragschiene, der schwebend angeordnet ist, 50cm. Die Tragschienen sind 9m,5, die Leitschienen 6m lang. In der Mitte jeder Fahrschiene sind zwei
benachbarte Böcke durch Andreaskreuze verbunden. Der ganze Oberbau ist aus Stahl und
wiegt 47k auf 1m
Länge. Hieran betheiligen sich die Fahrschiene mit 13,3 und die Leitschienen mit je
5k,5. An besonders sumpfigen Stellen sind die
Böcke durch Faschinen, Dielenunterlagen und selbst durch Längsbalken
unterstützt.
Fig. 4., Bd. 273, S. 541Fig. 5., Bd. 273, S. 541 Die Weichen sind eigentlich Drehscheiben, unter der Bezeichnung
„Drehscheiben mit gekrümmtem Schienenstrange,
Lartigue'sche Eisenbahnbau-Gesellschaft in London“ für Deutschland unter Nr.
45962 patentirt. Durch die Krümmung RR (Fig. 4) des Schienenstranges können nicht bloſs
einzelne Fahrzeuge, sondern ganze Züge beispielsweise vom Geleise A auf das Geleise D oder
E geleitet werden. Die Scheibe ist am Zapfen P (Fig. 5) durch zwei
Räder V unterstützt, die auf der Guſseisenplatte
laufen. Eine weitere Unterstützung erhält der 7m,8
lange Träger durch Räder an seinen Enden, welche auf einem ringförmigen
Schienenstrange von 7m,4 Durchmesser laufen. Der
Krümmungshalbmesser der beweglichen Bahnstrecke RR
beträgt 30m, ihr Gewicht 750k.
An Betriebsmitteln sind vorhanden: drei Verbund – Locomotiven Mallet'scher Form, jede mit zwei wagerechten, 1m,6 in den Achsen von einander entfernten Kesseln
und einem Tender, der eine kleine Hilfsmaschine besitzt, also auf Steigungen auch
als Locomotive wirkt (Fig. 6). Die Gesammtheizfläche
einer Locomotive beträgt 13qm,4, der
Cylinderdurchmesser 178mm und der Hub 305mm. Die Locomotiven haben ein Leergewicht von 4t,5 und ein Dienstgewicht von 6t,5. Ein Tender wiegt leer 3t,1 und kann 900l Wasser und 500k Kohlen aufnehmen. Die
Maschine hat drei gekuppelte Räder, die das Befahren äuſserst scharfer Krümmungen
ermöglichen. Nach der auch in Deutschland unter Nr. 39126 an Anatole Mallet in Paris patentirten Einrichtung sind die Achsen A (Fig. 7) des mittleren
Triebrades W und der beiden äuſseren Triebräder W1 auf die gewöhnliche
Weise gekuppelt. Nur das Rad W sitzt aber fest auf
seiner Achse, während die anderen W1 mit einer kugelförmigen Höhlung auf einem
Gleitstück N sitzen, das auf der Achse A sich hin und her schieben kann und durch zwei runde
Nocken n das Rad mitnimmt. Hierbei kann das Rad W1 sich stets der
Krümmung der Tragschiene R entsprechend einstellen.
Fig. 6., Bd. 273, S. 542 An Betriebsmitteln sind ferner vorhanden: drei Personenwagen I./II. Klasse
und 4 Wagen III. Klasse 4m,9 lang, 2m,5 weit, im unbelasteten Zustande rund 2t,7 schwer. Sie bieten 20 bis 24 Reisenden Platz und haben drei
Laufräder von 51cm Durchmesser und an jeder Seite
zwei Leiträder (mit lothrechter Achse) von 30cm
Durchmesser und 12cm Kranzhöhe. Auſser
verschiedenen Güterwagen für Pferde und Schlachtvieh besitzt die Bahn noch 20
Sandwagen für je 4t Nutzlast. Die Züge sind mit
der Westinghousebremse ausgerüstet, und verkehren mit einer regelmäſsigen
Geschwindigkeit von 21km in der Stunde. Bei den
Probefahrten wurde bis zu 35km Geschwindigkeit
gegangen, ohne daſs das Durchfahren der Krümmungen Schwierigkeiten bot.
Was nun die Aussichten der Lartigue'schen Bahnen,
insoweit sie mit gewöhnlichen Nebenbahnen in Wettbewerb treten, anlangt, so eignen
sich dieselben für ebenes oder nur mäſsig welliges Gelände sicher nicht. Selbst wenn
der Bau und Betrieb nicht theurer als der einer Schmalspurbahn zu stehen kommen
würde, so würde doch die Unmöglichkeit, feste Uebergänge in Höhe der Fahrschiene zu
schaffen, die Bewirthschaftung der angrenzenden Ländereien bedeutend erschweren.
Diese Eigenschaft der Bahn, daſs das Gel eis auf ebenem Boden eine fortlaufende 1m hohe Schranke bildet, macht sich selbst für den
Betrieb der Bahnhöfe in so lästiger Weise bemerkbar, daſs man als Aushilfsmittel
besondere Wagen baute, die keinen anderen Zweck haben als den, verstellbare Treppen
für Ueberschreitung der Geleise zu schaffen. Je welliger aber das Gelände wird, je
mehr Erdarbeiten also auch eine Schmalspurbahn erfordern würde, um so günstiger
liegen die Verhältnisse für den Bau einer Lartigue'schen Bahn. In einem Einzelfalle wurde der Preis einer Bahnlinie, die
mit Schmalspur ausgeführt 120000 M. das Kilometer gekostet haben würde, durch
Anwendung der Lartigue'schen Bahn auf 48000 M.
ermäſsigt. Die Gesellschaft hat denn auch bereits weitere Linien im Bau, so eine
23km lange Strecke von Listowel nach Tarbert,
ferner besitzt sie in England selbst die Bauerlaubniſs für rund 61km, nämlich die Lynton-Bahn (Devonshire) und die
Langbourne-Thal-Bahn (Berkshire). Auch in Frankreich soll, Mittheilungen dortiger
Blätter zu Folge, im Loire-Departement eine derartige Bahn in Angriff genommen
worden sein.
Für städtische Hochbahnen eignet sich das System, abgesehen von der Möglichkeit der
Durchführung scharfer Krümmungen, namentlich noch deshalb, weil es nur einen Träger,
also keine Plattform besitzt und somit von allen Systemen den Lichteinfall in den
Straſsen am wenigsten beeinträchtigt.
Seitens der Lartigue'schen Eisenbahnbau-Gesellschaft
wird beabsichtigt, solche Bahnen als Nebenbahnen der zu erbauenden Pariser Stadtbahn
in den volkreichen, aber weniger feinen Stadtvierteln herzustellen. Nach einem
Berichte von Leon Donnet, namens des mit Prüfung der
Stadtbahnfrage beauftragten Ausschusses an den Stadtrath von Paris soll der Betrieb
auf Ringlinien (die also in sich zurückkehren) erfolgen, so daſs die Züge stets in
derselben Richtung laufen. Jeder Zug soll aus einer elektrischen Locomotive und zwei Wagen
bestehen. Ein- und Aussteigen, Fahrscheinabnahme u.s.w. soll wie bei den kleinen
Fluſsdampfern erfolgen, so daſs die mit dem Bürgersteig durch je zwei Treppen
verbundenen Stationen nicht länger als 5m zu sein
brauchen (Fig. 8). Der Stadtrath von Paris hat
zunächst die Bauerlaubniſs für eine Versuchslinie ertheilt, die entweder auf dem
rechten Ufer der Seine mit dem Trocaderoplatz als Anfangs- und Endpunkt, oder auf
dem linken Ufer mit dem Montparnasse-Bahnhof als Anfangs- und Endpunkt ausgeführt
werden soll. (Nach Centralblatt der Bauverwaltung.)