Titel: | Untersuchung einiger Destillationsproducte des Steinkohlentheers; von Dr. H. Köhler. |
Autor: | H. Köhler |
Fundstelle: | Band 274, Jahrgang 1889, S. 79 |
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Untersuchung einiger Destillationsproducte des
Steinkohlentheers; von Dr. H. Köhler.
Untersuchung einiger Destillationsproducte des
Steinkohlentheers.
Vor Kurzem hat W. W. Staveley in der Chemiker-ZeitungChemiker-Zeitung, 1889 S. 1108.über
das Vorkommen leichter Paraffine in den schweren Destillaten des Steinkohlentheers
berichtet. Er fand diese Producte in den Flüssigkeiten, welche sich nach beendigter
Destillation noch in dem Kühler, gemischt mit Wasser, condensiren, oder welche beim
Absaugen der schädlich wirkenden Dämpfe während der Destillation aus diesen
letzteren in eingeschalteten Behältern sich abscheiden.
Die gleichen Erscheinungen, sowohl das „Schwitzen“ der Blase, als auch die
Abscheidung leichterer Destillate aus den abgesogenen Dämpfen der schweren Oele,
wurden von mir schon seit langer Zeit beobachtet, aber erst die Publikation von W. W. Staveley gab mir Veranlassung zur Untersuchung
derselben.
Um zunächst über das Auftreten dieser Flüssigkeiten im vorliegenden Fall einige
Bemerkungen vorauszuschicken, sei angeführt, daſs die Versuche an einer stehenden
Blase von etwa 500 Centner Theerfüllung angestellt worden sind. Die Destillation in
dieser Blase wird so geleitet, daſs bei Eintritt der Kreosotölperiode die Luftpumpe
in Thätigkeit gesetzt und die Destillation in einem Vacuum von 650 bis 700mm zu Ende geführt wird. In einer Entfernung von
etwa 10m von den Oelrecipienten ist in die
Saugleitung ein mit Koksstücken gefüllter Cylinder eingeschaltet, in welchem sich
die mit übergeführten, leichter siedenden Dämpfe groſsentheils verdichten. Die Zeit
des Evacuirens beträgt für diese Blase 6 Stunden, innerhalb welcher Zeit sich in dem
erwähnten Cylinder etwa 701 Flüssigkeit
abgeschieden hatten, welche eine Temperatur von etwa 45° zeigten. Das Auftreten von
gröſseren Mengen freien Schwefels, wie dies Staveley
gefunden hat, wurde in dem Cylinder nicht beobachtet.
Die Flüssigkeit bestand aus zwei Schichten; einer schwereren, grünlich gefärbten,
wässerigen Schicht von ammoniakalischem Geruch und dem spec. Gewicht 1,020 bei einem
Volum von 40l, und einer leichteren, öligen
Schicht von 301, welche beim Erkalten zu einer
Masse von butterartiger Consistenz erstarrte. In der wässerigen Lösung lieſsen sich
nicht unbeträchtliche Mengen von Rhodanverbindungen, ferner Ammoniak,
Schwefelammonium und organische Basen nachweisen; sie besaſs also im Allgemeinen die
Zusammensetzung des Gaswassers. Die erstarrte ölige Schicht lieſs sich durch
Abtropfenlassen und Pressen in einen flüssigen und einen festen, krystallinischen
Bestandtheil zerlegen, und zwar wurden aus den erwähnten 401 Flüssigkeit 31l,5 Oel und 8k,5 Preſsrückstand
erhalten.
Was zuvörderst das so gewonnene Oel anbelangt, so besaſs dasselbe ein spec. Gewicht
von 1,015 bei 15° und war von dunkelbrauner Farbe. Es war von scharfem, zugleich an
Rohbenzol und Kreosotöl erinnernden Geruch. Durch Schütteln mit Natronlauge unter
Zusatz von Ligroin konnten ihm 26 Proc. Phenole entzogen werden, die hauptsächlich
aus Kresolen und höheren Homologen derselben bestanden. Durch verdünnte
Schwefelsäure wurden ihm etwa 1 Proc. Basen entzogen, deren Siedepunkt zwischen 90
und 100° liegt. Leider war die Menge derselben zu einer eingehenderen Untersuchung
zu gering, doch scheinen sie, ihrem Gerüche nach zu schlieſsen, nicht in die Reihe
der Pyridin- und Chinolinbasen, sondern eher in die der substituirten Ammoniake zu
gehören. Vielleicht bestanden dieselben der Hauptsache nach aus Triäthylamin,
welches in Wasser schwer löslich ist und bei 91° siedet. Bei der fractionirten
Destillation des von festen Bestandtheilen befreiten Oeles zeigte sich der Beginn
des Siedens bei etwa 83°, doch ging von da bis 92° nur wenig über. Von 92 bis 100°
wurden 4 Proc. Destillat erhalten, worauf das Thermometer rasch auf 175° stieg;
zwischen 175 und 180° wurden weitere 20 Proc. Destillat erhalten und von da bis 185°
abermals 30 Proc. Das Thermometer stieg nunmehr über 200°, ohne daſs noch irgend
erhebliche Mengen Flüssigkeit übergingen, worauf der Versuch unterbrochen wurde. Der
Rückstand in der Retorte erstarrte beim Erkalten zu einem Krystallkuchen, welcher
sich der Hauptsache nach als aus Naphtalin bestehend erwies.
Der Vorlauf dieser Destillation bildete ein farbloses dünnflüssiges Oel von stark
ammoniakalischem Geruch, welches beim Stehen am Licht rasch nachdunkelte. 50cc desselben verloren beim Schütteln mit
verdünnter Schwefelsäure 12cc,25; das Product
enthält also 24,5 Proc. Basen von denselben Eigenschaften, wie weiter oben
beschrieben. An Natronlauge gab die so behandelte Flüssigkeit nichts mehr ab. Bei
der Destillation mit aufgesetzter Kugelröhre gingen 73 Proc. unter 100°, und 95
Proc. unter 120° über. Der Kohlenwasserstoff entsprach also im Wesentlichen einem
besonders guten 50 procentigen Benzol. Eine Bestimmung der Fettkohlenwasserstoffe in
diesem gereinigten Product nach dem bekannten Nitrirungsverfahren in der von K. Oehler in Offenbach a. M. gegebenen Modification
ergab die beinahe völlige Abwesenheit nicht nitrirbarer Substanzen.
Die beiden höher siedenden Fractionen wurden vereinigt und zusammen untersucht; sie
enthielten nur Spuren organischer Basen, dagegen die Hauptmenge der Phenole, nämlich
32 Proc. vom Volum der Mischung. Die indifferenten Oele dieser Fractionen sind
ausschlieſslich aromatischer Natur und identisch mit denjenigen des Kreosotöls.
Für die Untersuchung des festen Antheils des rohen Oeles, welcher auſser festen
Kohlenwasserstoffen namentlich noch Carbazole und Acridine enthalten konnte, empfahl
sich naturgemäſs das folgende Schema: Ausschütteln mit Toluol bei gewöhnlicher
Temperatur, welches die Kohlenwasserstoffe und Acridine aufnimmt, dagegen die
Carbazole, als schwer löslich, gröſstentheils zurückläſst; Verdampfen des
Lösungsmittels und Extrahiren des Rückstandes mit verdünnter Schwefelsäure, welche
die Carbazole aufnimmt, dagegen die Kohlenwasserstoffe zurückläſst. Beim Behandeln
des gepulverten Materials mit kaltem Toluol in etwa der fünffachen Menge ging
indessen fast die ganze Masse in Lösung; der geringe Rückstand, welcher blieb,
erwies sich bei näherer Untersuchung als hauptsächlich aus Kohletheilchen und
anorganischen Substanzen bestehend, die zweifellos durch die rapide Entwickelung von
Dämpfen bei der Destillation mit übergerissen worden sind. Beim Auskochen mit
absolutem Alkohol wurde eine grün fluorescirende Lösung erhalten, die aber beim
Eindampfen mit Pikrinsäure nicht das charakteristische Pikrat des Carbazols
lieferte; durch Oxydation mit Kaliumchlorat und Schwefelsäure wurde indessen die
grüne Farbenreaction desselben wahrgenommen; es war also nur spurenweise vorhanden.
Was beim Ausschütteln mit Toluol in Lösung gegangen war, erwies sich fast nur aus
Naphtalin bestehend. Nach dem Abtreiben des Lösungsmittels destillirte der Rückstand
fast vollständig innerhalb 200 bis 225° über, eine kleine Menge kohliger,
aufgeblähter Masse hinterlassend, die nennenswerthe Mengen von Acridin, Acenaphten
oder anderen Kohlenwasserstoffen nicht enthalten konnte. Meine ursprüngliche
Vermuthung, daſs diese leicht sublimirbaren Substanzen in gröſserer Menge in dem
Product vorhanden sein müſsten, war also eine irrige.
Ein weiterer Gegenstand meiner Untersuchung war das Oel, welches aus dem
„Schwitzen“ der Blase resultirte. Nach beendigter Destillation des
Theeres bleibt die Blase mit dem Destillationsrückstand, dem Pech, etwa 12 Stunden
stehen, bis dieses ohne Gefahr in die dafür bestimmten Gefäſse abgelassen werden
kann. Während dieser Zeit beobachtet man das Austreten einer geringen Menge
Flüssigkeit aus dem Kühler, die sich als ein Oel, mit kleinen Antheilen Wassers
untermischt, erweist. Die englischen Arbeiter nennen diese Erscheinung, wie Staveley mittheilt, „das Schwitzen der Blase“.
Im vorliegenden Fall wurden durch das Schwitzen der Blase nur etwa 201 Flüssigkeit gewonnen, wovon etwa 2l sich als Wasser mit geringen Mengen Ammoniak-
und Rhodanverbindungen erwiesen.
Das davon abgegossene Oel war von dunkler Farbe und zeigte den Geruch des
Anthracenöls, von dem es jedenfalls beträchtliche Mengen enthielt, die sich aus dem
Helm der Blase und der Kühlschlange noch sammelten. Es besaſs ein spec. Gewicht von
1,0125 bei 15° und gab auch bei längerem Stehen keine feste Ausscheidung. Bei der
Extraction mit Natronlauge lieferte es 9,5 Proc. Phenole, deren Siedepunkt über 230°
lag; Basen konnten nur spurenweise nachgewiesen werden. Das Oel begann bei 95° zu sieden und gab
bis 120° 4 Proc. ab und von 120 bis 200° gingen, hauptsächlich zwischen 175 und
180°, weitere 33 Proc. über. Der Vorlauf enthielt nur geringe Mengen von Basen und
bestand ebenfalls fast gänzlich aus nitrirbaren Kohlenwasserstoffen. Der Rückstand
der Destillation entsprach in seinem Geruch und Aeuſseren vollständig dem rohen
Anthracenöl und lieferte nach längerem Stehen eine geringe Ausscheidung, die sich
bei der Untersuchung als hauptsächlich aus Anthracen bestehend erwies. Demnach
traten also auch beim Schwitzen der Blase keine nennenswerthen Mengen von leichten
Paraffinen auf.
Diese Resultate berechtigen also wohl zu dem Schluſs, daſs das von Staveley beobachtete Auftreten dieser fetten
Kohlenwasserstoffe in den schweren Destillaten des Steinkohlentheers für deutsche
Theere bei der Arbeit im Vacuum keine Geltung hat. Sie zeigen gleichwohl aber, daſs
während der Destillation des Steinkohlentheers bei höheren Temperaturen noch
Spaltungen sauerstoffhaltiger, vermuthlich phenolartiger Körper, unter Abscheidung
von Wasser und Bildung leichtsiedender Kohlenwasserstoffe, stattfinden, denn anders
wird man sich das Auftreten dieser Körper, vornehmlich des Wassers, in den
vorgerückten Stadien der Destillation kaum erklären können.
Schkeuditz, September
1889. Laboratorium der C. F.
Weber'schen Fabrik.