Titel: | Uebertrifft die Ventilmaschine die Corlissmaschine? |
Fundstelle: | Band 275, Jahrgang 1890, S. 14 |
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Uebertrifft die Ventilmaschine die
Corliſsmaschine?
Uebertrifft die Ventilmaschine die Corliſsmaschine?
Die vorstehende Frage bespricht Ludwick in seinem
Berichte über das Kessel- und Maschinenhaus der Jubiläums-Ausstellung in Wien 1888
in Heft 2 der Technischen Blätter.Nach einem uns freundlichst zugesandten Sonderabdrucke. Wenngleich
für die Bejahung der Frage die fraglos zunehmende Verbreitung der Ventilmaschine zu
sprechen scheine, meint der Verfasser, so sei die Erklärung dieser Erscheinung doch
nur in kaufmännischen Beweggründen, wozu die Mode wohl mitzählen darf, und nicht in
den technischen Vorzügen der Ventilmaschine zu suchen. Er fährt dann fort:
Die „zwangsläufige“O. H. Müller sagt darüber: „Ebenso hinfällig
ist das Gerede von Zwangläufigkeit, da der Schluſs des Ventils ebenso
wie beim Rundschieber durch eine Feder o. dgl. bewerkstelligt werden
muſs. Ein gezwungener Schluſs ist beim Ventil überhaupt
unerreichbar.“ Ventilsteuerung gestattet im Allgemeinen
eine höhere
minutliche Umdrehungszahl, als der Corliſs-Schnappmechanismus. Diese Steuerung etwa über 70 Touren verläſslich
auslösend zu machen bereitet um so mehr dann constructive Schwierigkeiten, wenn man
die „Verschleppung“ – welche bei den ursprünglichen, kaum halbe Füllung
zulassenden Corliſs-Steuerungen als Palliativmittel zur
Erzielung höherer Füllungen benützt wurde, und welche nicht unbedingt als Vortheil
dieser Steuerung angesehen werden darf – nicht wesentlich erhöhen will.
Wir kennen Ausführungen von Corliſs-Maschinen mit
höheren Umdrehungszahlen, als Regel kann man aber wohl obige Behauptung aufstellen.
Im Allgemeinen haben die Corliſs-Maschinen durch langen
Hub erzielte groſse Kolbengeschwindigkeiten1889 273 261., die Ventilmaschine kann
solche einfach durch Vermehrung der Umdrehungen erzielen und dürfte für die
Ventilsteuerung die Grenze für diese nur durch den Stoſs gegeben sein, welchen das
Ventil beim Aufsetzen erleidet. Vergleicht man nun eine Corliſs-Maschine von z.B. 70 Touren mit einer Ventilmaschine von gleichem
Cylinderdurchmesser und Hub mit nur 85 Touren – Ventilmaschinen der Ausstellung
machten 100 Umdrehungen – so wird die letztere nahezu kostenlos um
\frac{85-70}{70}\,.\,100, also etwa 20 Proc. mehr
leisten.
In Hinblick der Leistung kommt sonach die Ventilmaschine weitaus billiger. Vergleicht
man also zwei vorliegende Offerten nur nach der verbürgten Leistung – und nicht
genau nach den Abmessungen – so wird dieser Vergleich unbedingt zum Vortheil der
Ventilmaschine ausfallen.
Zieht man hiezu die „Mode“ in Betracht, welche beim Maschinenkäufer oft sehr
maſsgebend ist, ferner den Umstand, daſs zur Herstellung guter Corliſs-Maschinen besondere Uebung und Genauigkeit
gehört, und endlich den Umstand, daſs die für die Verbreitung der Ventilmaschinen
maſsgebenden Maschinenfabriken wirklich sehr gute Ausführungen haben, so mögen alle
diese Erwägungen vielleicht doch theilweise die Erklärung der Verbreitung geben,
ohne daſs besondere technische Vorzüge für die Ventilmaschine sprechen.
Vergleicht man in rein technischer Beziehung das Ventil mit dem Corliſs-Rundschieber, so spricht unserer Auffassung
nach wenig für das erstere. Dem Doppelsitzventil haften zwei wesentliche Nachtheile
an: die möglicherweise unsichere Abdichtung beim Ventilschlusse und der Stoſs beim
raschen Aufsitzen. Ersterer kann einerseits dadurch bedingt werden, daſs stets eine
Ventilauflage von der anderen abhängt, andererseits durch die Schwierigkeit, das
Ventil trotz der Dampfströmung genau centrisch zu führen. Doppelsitzventile können
also dicht sein, müssen
es aber durchaus nicht. Manche Untersuchungen zeigten undichte Ventile und beweisen,
daſs es bei bester Ausführung und Construction seine Schwierigkeit hat, diese
dauernd dicht zu erhalten. Der Rundschieber hingegen macht seine Bahn sich selber
frei, falls Unreinigkeiten oder fremde Körper die Dichtheit gefährden, und
zerschneidet sie nöthigenfalls an den Kanten der Dampfkanäle; das Ventil hämmert sie
nur noch fester in die Sitzfläche hinein. Was den schnellen Dampfabschluſs und die
Vermeidung der schädlichen Räume anbelangt, kann sich die Ventilmaschine mit der Corliſs-Maschine gewiſs nicht messen und bezüglich der
Dauerhaftigkeit spricht kaum für die Ventilmaschine, daſs auch viele solcher sehr
guten Ausführungen nach verhältniſsmäſsig kurzem Betriebe den Einfluſs der Zeit
scharf anzeigen. Nach O. H. Müller beträgt bei der Corliſs-Maschine die Summe aller der Abnutzung
unterliegenden Bestandtheile einschlieſslich jener des Regulators 52, bei einer Collmann-Steuerung dagegen 116! Die Anzahl der
abzudichtenden Schieberflächen beträgt bei Corliſs 4,
bei den Ventilmaschinen hat man 8 Sitzflächen. Die Corliſs-Steuerung kann wohl den Vortheil für sich in Anspruch nehmen, daſs
die Gelenke groſse Wege machen und deren Abnutzung sonach die Steuerung
verschwindend beeinflussen. Den der Ventilmaschine berechtigt zugeschriebenen
Vorzug, leicht alle Füllungsgrade zu geben, erreichen neuere Abarten der
ursprünglichen Corliſs-Steuerung gleichfalls in bester
Weise und nennen wir hier nur jene von Doerfel, Fricart.
Um nun einerseits den oben erwähnten Umständen Rechnung zu tragen und andererseits
den mit Ventilen verbundenen Uebelständen insbesondere dort auszuweichen, wo diese
schwerwiegend werden könnten, führte der Schreiber dieser Zeilen als Leiter der Ruston'schen Maschinenfabrik die Ventil-Corliſs-Verbundmaschine ein, und erzielte genannte
Maschinenfabrik hiermit seit Jahren beste Ergebnisse. Die vom Regulator direkt
beeinfluſste Hochdruckseite erhält, wie die Ausstellungsmaschine es zeigte, die so
vereinfachte mit beiderseits gelagerter Coulisse und centrischem Angriff der
Excenterstange versehene Ventilsteuerung Hartung-Radovanovic, wodurch die Maschine bei der einfachsten
Ventilsteuerung den Vortheil der groſsen Umdrehungszahl gewinnt. Die Ventile beim
Hochdruckcylinder – von ohnedies mäſsigen Abmessungen – sind leichter dicht zu
erhalten, und wrerden selbe auf Augenblicke
undicht, so ist der wirthschaftliche Verlust beim Hochdruckcylinder nicht so
bedeutend. Beim Niederdruckcylinder, wo jede Undichtheit und groſse schädliche Räume
von Uebel sind, werden die bewährten Corliſs-Rundschieber, von fest aufgekeilten Excentern angetrieben,
beibehalten.
Genaue vergleichende Versuche über den Dampfverbrauch von Ventil- und Corliſs-Maschinen sind leider nur sehr wenige
vorhanden, was begreiflich ist, da es im Allgemeinen schwer fällt, sich die
geeigneten Versuchsmaschinen, welche mit Ausnahme der Steuerung unter sonst ganz gleichen
Verhältnissen arbeiten sollten, zu verschaffen. Maſsgebend wären in dieser Beziehung
Versuche bei Eincylindermaschinen. Der Umstand, daſs der schädliche Raum der Corliſs-Maschine gegen jenen der Ventilmaschine
wesentlich geringer ist, wird die erstere Maschine sparsam arbeiten lassen. Dies mag
auch erklären, daſs insbesondere die Vertreter von Ventilmaschinen schon bei
verhältniſsmäſsig kleiner abzugebender Leistung häufig die Verbundmaschine trotz
deren höherer Kosten empfehlen. Die Verbundanordnung ermöglicht, die Nachtheile der
Ventilmaschine weniger fühlbar zu machen. Der Hinweis auf die oft auffallend
niedrigen Verbrauchsziffern, welche bei den Ventilmaschinen manchmal garantirt
werden, entkräftet unsere Anschauung durchaus nicht. Solche Garantien hängen oft
weniger von dem System der Maschine, als von der Kühnheit der garantirenden
Persönlichkeit und von der Art der Probe ab. Will man in dieser Beziehung genaue
Vergleichsdaten erzielen, so müssen die Proben unter genau den gleichen Umständen
vorgenommen werden.