Titel: | Ueber Integraphen, insbesondere den Abdank-Abakanowicz'schen Integraphen. |
Autor: | Hummel |
Fundstelle: | Band 275, Jahrgang 1890, S. 17 |
Download: | XML |
Ueber Integraphen, insbesondere den
Abdank-Abakanowicz'schen Integraphen.
Mit Abbildungen.
Ueber Integraphen.
So dienlich die graphischen Methoden zur Lösung mancher Aufgaben auf technischen und
wissenschaftlichen Gebieten auch sind, so versagen sie doch in vielen Fällen und
zwar gerade dort, wo auch der Weg der Rechnung weitläufig und unbequem ist. Schon
wenn es sich um Bestimmung der Flächeninhalte irgend welcher unregelmäſsigen ebenen
Figuren handelt, macht sich das eben Gesagte bemerklich und sind deshalb für Lösung
dieser Aufgabe, welche sich ja bei Bestimmung der von veränderlichen Kräften
geleisteten Arbeiten, Körperberechnungen u. dgl. fortwährend wiederholt, schon lange
die Planimeter im Gebrauch. Letztere ergeben nun allerdings das Endresultat in
Zahlen nach Vornahme einfacher Operationen, lassen aber nicht das Gesetz erkennen,
nach welchem es sich bildet, was in vielen Fällen gerade wünschenswerth ist.
Um letzterer Forderung zu genügen, müſste es möglich sein, zu irgend einer Curve a (Fig. 1), welche das
gegebene Diagramm begrenzt, eine zweite b zu zeichnen,
deren Ordinate in irgend einem Punkte x proportional
wäre dem bis zur betreffenden α-Ordinate von irgend
einer Ausgangsstelle ab zwischen der Curve a und der
Abscissenachse liegenden Flächeninhalte. Letzterer stellt sich bekanntlich, wenn y = f(x) die Gleichung der
gegebenen Curve a ist, unter der Formel
\int\limits_{0}^{x}\,y\,.\,d\,x dar, und die zu construirende Curve
b würde demnach diejenige sein, deren Gleichung
durch Y=\int\limits\,y\,.\,d\,x wiedergegeben und welche als
Integralcurve zu a zu bezeichnen wäre.
Die unmittelbare Construction der Integralcurve b zu
einer gegebenen beliebigen Curve a, deren
Bildungsgesetz y = f(x)
vielleicht gar nicht bekannt ist, läſst sich nun mit den gewöhnlichen Hilfsmitteln
des Zeichnens nicht einmal punktweise durchführen. Wohl lehrt die Mathematik, daſs
die trigonometrische Tangente des Neigungswinkels der Berührungslinie an die
Integralcurve in irgend einem Punkte P derselben
proportional der entsprechenden Ordinate y der
gegebenen Curve a ist und dies könnte zur Lösung der
umgekehrten Aufgabe benutzt werden, nämlich zu der Integralcurve b die zugehörige Grundcurve a zu finden. Zeichnerisch hätte man hierbei etwa in der Weise zu
verfahren, daſs man für jede Ordinate Y von b das rechtwinklige Dreieck NOP aufträgt, in welchem NP die
Berührungslinie an b, NO aber constant ist. Macht man
hierbei NO gleich der Einheit, so hat man in
P\,O=y=tg\,\alpha=\frac{d\,Y}{d\,x} die zugehörige Ordinate
der Curve a und es ist umgekehrt
Y=Y=\int\limits\,y\,.\,d\,x+C=Y=\int\limits\,f\,(x)\,d\,x+C.
Nach Längeneinheiten NO gemessen, stellen also die
Ordinaten y der Curve a
die ersten Derivirten der Ordinaten Y der Curve b und umgekehrt diese die Integrale der Werthe y dar. Die Constante C ist
offenbar gleich der ersten Ordinate Y0 für x = O.
Die Umkehrung dieser Aufgabe, also die Ermittelung derjenigen Curve b, deren Ordinaten Y
gleich den Integralen der Ordinaten y einer gegebenen
Curve a sind, ist, wie man nun erkennt, ohne weitere
Hilfsmittel durch Zeichnung allein deshalb nicht ausführbar, weil die Richtung der
Tangente an b stetig sich ändert, also von einem Punkte
der Curve zu einem unendlich naheliegenden übergegangen werden muſs. Wohl aber
lassen sich mechanische Vorkehrungen, sogen. Integraphen ersinnen, welche einen
Schreibstift B zwingen, sich stets in einer Richtung
NP zu bewegen, welche mit der Abscissenachse einen
veränderlichen Winkel a einschlieſst, dessen
trigonometrische Tangente immer proportional ist derjenigen Ordinate y der gegebenen Curve b,
in deren Verlängerung sich P augenblicklich
befindet.
Ein derartiger, verhältniſsmäſsig einfacher Integraph ist von D. Napoli und Abdank-Abakanowicz hergestellt
worden und nebenstehend abgebildet (Fig. 2). Wie bei
den Linearplanimetern ist ein über die ganze Breite des Zeichenblattes reichender
Wagen vorhanden, welcher in bekannter Weise an einer am Rande des Reiſsbrettes
befestigten Schiene mittels Keilrollen so geführt ist, daſs derselbe bei allen
Verschiebungen sich genau parallel bleibt. Senkrecht zur Bewegungsrichtung des Wagens sind
auf letzterem – ebenfalls durch Rollenführung – 2 kleinere Wagen verschiebbar, deren
einer den Fahrstift A zum Umfahren der gegebenen Curve
a trägt, während der andere die Ordinatenbewegung
des Schreibstiftes B vermittelt, welcher die
abzuleitende Integralcurve b aufzeichnen soll. Mit dem
Schreibstifte B ist eine kleine Achse starr verbunden,
welche 2 Röllchen r und r1 von genau gleicher Gröſse trägt. Wälzen
diese Röllchen sich auf der Unterlage ohne zu gleiten, so ist offenbar die absolute
Bewegung des Schreibstiftes B, also die Tangente an die
verzeichnete Curve in jedem Augenblicke senkrecht gerichtet zur Achse der Rollen r und r1. Soll daher der Schreibstift B die Integralcurve der von A umschriebenen Figur verzeichnen, so ist nach dem oben Gesagten nichts
weiter nöthig, als daſs die Senkrechte auf die Rollenachse des Schreibstiftes mit
der Abscissenachse, d.h. der Bewegungsrichtung des Hauptwagens einen Winkel α einschlieſst, dessen trigonometrische Tangente sich
im Verhältniſs der Ordinaten der gegebenen Figur 1
ändert. Zu diesem Zwecke ist der Schreibstift B durch
ein verschiebbares Parallelogramm mit einer Schiene S,
welche um die Achse des Fahrstiftes A drehbar ist,
derart in Verbindung gebracht, daſs die Rollenachse stets senkrecht, die
Bewegungsrichtung von B also sich parallel zur Schiene
S einstellt. Letztere wird nun durch eine
Rollenführung, die auf der eingetheilten Stange M
verschiebbar ist, gezwungen, stets durch einen und denselben mehr oder weniger weit
vom Wagenmittel, der gemeinsamen Ordinate von A und B einsteilbaren Punkte hindurchzugehen, schlieſst also
mit der Abscissenrichtung einen veränderlichen Winkel ein, dessen trigonometrische
Tangente proportional den Ordinaten von A zu- und
abnimmt. Durch das verschiebbare Parallelogramm wird nun die Bewegungsrichtung des
Schreibstiftes B unter demselben Winkel eingestellt,
und ist demnach die Forderung obiger Theorie erfüllt und B beschreibt die Integralcurve der von A
umfahrenen Figur.
Fig. 1., Bd. 275, S. 19
Damit nun aber der Schreibstift die seiner absoluten Bewegung entsprechende
Ordinatenverschiebung ausführen kann, müssen die beiden nicht zur Bewegungsrichtung
parallelen Seiten des Parallelogrammes ihre Länge ändern und zwar – soll der
Parallelismus nicht gestört werden – immer um gleiche Stücke. Dies ist in folgender
Weise bewirkt. Senkrecht
zur Achse der Röllchen rr1 trägt der Schreibstift einen Kreuzarm, auf dessen Enden zwei Scheiben
von genau gleichem Durchmesser befestigt sind. Um jede dieser Scheiben ist ein
feines biegsames Stahlband geschlungen, welche Bänder andererseits auf gleich groſse
Scheiben aufgewickelt sind, die in gleicher Entfernung von der Schiene S in einem mit letzterer starr verbundenen Träger
drehbar gelagert sind und mit vortretenden verzahnten Rändern in einander
eingreifen. Auſserdem enthält eine dieser Scheiben eine schwache Spiralfeder, welche
die Stahlbänder gespannt erhält, ohne die Auswärtsbewegung des Schreibstiftwagens zu
sehr zu behindern. Da sich in Folge der Verzahnung beide Scheiben nur um gleiche
Winkel drehen können und folglich gleiche Längen des Stahlbandes hergeben oder
einziehen, so bleibt der Parallelismus zwischen Schreibstiftbewegung und Schiene S stets gesichert, wobei es gar nichts ausmacht, daſs
die losen Scheiben nicht direkt über, sondern seitwärts von der Schiene S liegen.
Fig. 2., Bd. 275, S. 20
Durch kinematische Umkehrungen Heſsen sich nun aus diesem Integraphen verschiedene
andere Vorrichtungen zu demselben Zwecke ableiten. Auch böte es keine besonderen
Schwierigkeiten, Integraphen für Polarcoordinaten zu construiren, wie denn in dem
kürzlich erschienenen Werke von Biltcrli über diesen
Gegenstand alle möglichen Constructionen für Integraphen und ähnliche Apparate
zusammengestellt sind.
Selbstverständlich kann jeder Integraph den gewöhnlichen Planimeter ganz gut
ersetzen. Denn wird mit dem Fahrstifte A eine Figur ganz umzogen, so ist die
Ordinate zwischen Anfangs- und Endpunkt des von B
aufgezeichneten Zuges proportional dem Flächeninhalte der Figur und dieser selbst
unter Berücksichtigung der Einstellung der Rollenführung R leicht zu finden. Auch sonst ist die Verwendbarkeit des Integraphen eine
sehr ausgedehnte. Es braucht in dieser Hinsicht nur an verschiedene Probleme des
Schiffbaues erinnert zu werden. Auch ist z.B. bei auf Biegung beanspruchten Trägern
das Momentendiagramm durch die Integralcurve der Grenzcurve des
Scheerkraftdiagrammes begrenzt u.s.w.
Hummel.