Titel: | Bericht über die Fortschritte der chemischen Technologie der Gespinnstfasern während des Jahres 1889; von Dr. Otto N. Witt. |
Autor: | Otto N. Witt |
Fundstelle: | Band 275, Jahrgang 1890, S. 164 |
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Bericht über die Fortschritte der chemischen
Technologie der Gespinnstfasern während des Jahres 1889; von Dr. Otto N.
Witt.
Witt, über Fortschritte der Technologie der
Gespinnstfasern.
Das verflossene Jahr hat eine ziemlich erhebliche Zahl von nicht unwichtigen
Neuerungen gebracht.
Was zunächst das Rohmaterial, die Fasern selbst anbelangt, so ist die Zahl derselben
wiederum um ein neues und höchst eigenartiges Product bereichert worden.)
In der künstlichen Seide von Chardonnet in Lyon, welcher
man bekanntlich auf Grund früherer kläglicher Erfahrungen mit sehr groſsem
Miſstrauen begegnete, scheint diesmal eine ernste Erfindung vorzuliegen. Bekanntlich
besteht dieselbe im Wesentlichen aus dünnausgezogenen Fäden von Nitrocellulose, sie
ist also eine Art Celluloid in Faserform. Der erhaltene Faden ist durchsichtig, von
graulichweiſser Farbe, er besitzt den Griff, Glanz und die Weichheit der Seide, ist
höchst regelmäſsig und kann je nach der Form der Ausfluſsöffnung entweder rund oder
flach erhalten werden. Es wird sogar behauptet, daſs das neue Material ebenso zähe
und elastisch sei wie Seide. Selbstverständlich ist dasselbe unempfindlich gegen
kaltes und warmes Wasser, gegen verdünnte Säuren und Alkalien. Es wird behauptet,
daſs der Gestehungspreis dieses Productes nur 15 Francs für das Kilo betrage,
während dasselbe einen Marktpreis von 50 Francs habe. Leider ist das Product
ziemlich feuergefährlich. Ein Färben dieser künstlichen Seide nach den für
natürliche Seide üblichen Verfahren ist natürlich ausgeschlossen, dagegen können
schon bei der Fabrikation Farbstoffe zugesetzt werden und auf diese Weise auch
gefärbte Fäden erhalten werden.
Ueber die Reinigung der Wollenwaschwässer hielt Jung in
Mülhausen einen Vortrag. Derselbe enthält zwar nichts wesentlich Neues, gibt aber
eine Anzahl von Zahlenbelegen, welche den Specialisten interessiren dürften. Es sei
daher auf die Originalabhandlung in dem Bulletin de la
Société industr. de Mulhouse, sowie auf die Uebersetzung derselben in der
Leipziger Monatsschrift für Textilindustrie
aufmerksam gemacht.
Das deutsche Wollengewerbe weist (S. 765) aufs Neue auf die bisher von Färbern noch
immer nicht genügend gewürdigte Thatsache hin, daſs hartes Wasser in der Färberei zu
den gröſsten Miſsständen Veranlassung geben kann und daher regelmäſsig vor dem
Gebrauche gereinigt werden sollte. Abgesehen von dem durch hartes Wasser bewirkten
Verlust an Seife, dessen Gröſse in dem bekannten Werke von Hummel-Knecht S. 86 in überraschender Weise klar gelegt wurde, kann hartes
Wasser auch noch andere, bisher wenig beobachtete Uebelstände zur Folge haben. So
wurde z.B. kürzlich in einer Tuchfabrik, welche abwechselnd mit weichem und mit
hartem Wasser zu arbeiten gezwungen war, beobachtet, daſs die Carbonisation der
Wolle regelmäſsig litt, wenn die Fabrik auf hartes Wasser angewiesen war. Als
Erklärung ergab sich, daſs das sehr harte Grundwasser die Wirkung der Säure beim
Carbonisiren abschwächte und, was noch schlimmer war, das gründliche Klarspülen der
Waare vor dem Carbonisiren verhinderte. Vorheriges chemisches Reinigen des Wassers
lieſs den Uebelstand ein für alle Mal verschwinden. Bei der Walke ist ebenfalls
hartes Wasser höchst schädlich, weil es die angewendete Seife zersetzt und
fettsauren Kalk in der Waare ablagert. Der Verfasser empfiehlt dringend, für die
Walke nur das von der Dampfmaschine und den Heizrohrleitungen kommende
Condensationswasser zu verwenden. Auch für die Rauherei und Appretur ist hartes
Wasser durchaus zu vermeiden, da es durch Ablagerung von Kalksalzen in der Waare
dieselbe hart macht. Es scheint, daſs die Wolle aus hartem Wasser Kalksalze absorbirt und dieselben mit
Zähigkeit festhält.
In der Bleicherei, namentlich der thierischen Fasern,
führt sich das Wasserstoffsuperoxyd als Bleichmittel mehr und mehr ein. In einem
Artikel der Leipziger Monatsschrift für Textilindustrie
wird für Wolle nachstehendes Verfahren gerühmt: Das Bleichbad wird auf je 10l 10 bis 15procentiger Wasserstoffsuperoxydlösung
mit 210g Ammoniak von 0,985 spec. Gew. versetzt.
Die Stärke des Bleichbades beträgt je nach der Schnelligkeit, mit der man arbeiten
will, 10 bis 50l Wasserstoffsuperoxydlösung für
100l Wasser. In dieses Bad wird die trockene
Wolle eingeführt und verbleibt 10 Stunden in demselben. Die Temperatur ist bei 20°
C. am günstigsten. Wenn die Wolle aus dem Bade kommt, so wird sie abgewunden und
ohne zu waschen in der Kälte getrocknet. Bei regelmäſsigem Betriebe ist es am
besten, continuirlich zu arbeiten, indem man die Waare zunächst in ein schwaches,
schon oft gebrauchtes Bad bringt, und alle 2 Stunden in ein jüngeres Bad überträgt.
Das letzte Bad ist frisch bereitet und ziemlich kräftig. Nach der Bleiche wird die
Wolle in bekannter Weise mit Methylviolett gebläut. Auch Baumwolle kann auf ähnliche
Weise bequem gebleicht werden.
Ueber das Wasserstoffsuperoxyd hat auch C. F. Göhring
werthvolle Mittheilungen gemacht. Derselbe empfiehlt zur Anwendung in der Bleicherei
nicht zu concentrirte Flotten und die Verwendung eines möglichst reinen
Wasserstoffsuperoxydes. Nur ein ganz reines Product liefert z.B. ein schönes Weiſs
auf Tussah-Seide. Der Verfasser macht ferner darauf aufmerksam, daſs zufällig in die
Bleichflotte gelangende Gegenstände, namentlich Metalle oder auch Eisenrost eine
katalytische Wirkung auszuüben im Stande sind, so daſs der Sauersoff molekular
entweicht, ohne eine bleichende Wirkung auszuüben. Bemerkt man eine derartige
Zersetzung, so empfiehlt es sich, die Flotte mit Phosphorsäure anzusäuren; es hört
dann die Gasentwickelung auf und die Flotte kann aufbewahrt und durch neues
Alkalischmachen wieder in Gang gebracht werden. Als Bleichwasser für Wolle empfiehlt
Verfasser das Wasserstoffsuperoxyd des Handels in 10facher Verdünnung anzuwenden und
den beim Bleichen jeweilig verbrauchten Sauerstoff durch Zusatz von frischem
Superoxyd zu ergänzen. Verfasser nennt es nur eine Frage der Zeit, wann das
Schwefeln der Wolle verdrängt sein wird durch das Bleichen mit Wasserstoffsuperoxyd.
Für Baumwolle scheint die Chlorbleiche ihres erheblich billigeren Preises wegen
beibehalten werden zu müssen (Chemiker- Zeitung).
Das Bleichen und Färben der Tussah-Seide beschäftigt
noch immer die Seidenfärber. Für halbgebleichte Seide wird mitunter
Kaliumpermanganat und schweflige Säure in der Weise verwendet, daſs man die Seide in
eine lauwarme Auflösung von 10g Permanganat für
jedes Pfund Seide
eintaucht und unter gelindem Erwärmen kurze Zeit in dem Bade verweilen läſst. Man
wäscht dann in heiſsem Wasser, welchem eine Auflösung von schwefliger Säure
zugesetzt ist. Wenn die Bleichung vollständig ist, wird die Faser herausgenommen und
im Wasser gespült. Ein reines Weiſs kann auf diese Weise indessen nicht erzeugt
werden. Für diesen Zweck ist noch immer Wasserstoffsuperoxyd das einzige Mittel,
welches in Verbindung mit Wasserglas und schwefliger Säure in nachfolgender Weise
angewendet wird.
Die Seide wird in ein Bad aus heiſsem Wasser gebracht, zu welchem man 15l käufliches Wasserstoffsuperoxyd für 10k Soda und etwas Wasserglas gesetzt hat. Die Seide
wird umgezogen und das Bad wiederholt zum Sieden erhitzt. Die Bleichung vollzieht
sich rasch und die Seide wird allmählich weiſs. Sie wird sorgfältig gewaschen und
schlieſslich in bekannter Weise in der Kammer geschwefelt. Die so gebleichte Seide
hat noch einen Stich ins Gelbe, welcher indessen in bekannter Weise durch Bläuen
entfernt werden kann.
Die obige Vorschrift muſs nicht selten den Umständen angepaſst und mehr oder weniger
verändert werden, da die Seide sowohl bezüglich der Farbe, als auch bezüglich ihrer
Widerstandsfähigkeit gegen Bleichmittel erheblich schwankt.
Eine andere billigere Methode, welche weniger Wasserstoffsuperoxyd, dafür aber mehr
Zeit und Arbeit verlangt, ist das bekannte ältere Verfahren, in welchem statt des
Wasserglases Ammoniak verwendet wird. Man arbeitet in der Kälte und zieht die Seide
häufig um. Das erzielte Weiſs ist nicht ganz so klar, als das nach der zuerst
beschriebenen Methode erhaltene, dafür ist weniger Gefahr vorhanden, daſs die Seide
selbst leidet.
Bezüglich des Färbens der Tussah-Seide scheinen alle Schwierigkeiten für mittlere und
dunklere Farben überwunden zu sein. Die Farbebäder werden wie für gewöhnliche Seide
mit gebrochener Seife und Säure angesetzt, doch nimmt man etwas mehr von der
letzteren. Da die Tussah-Seide gern unegal färbt und auch Neigung zum Verfilzen hat,
so muſs viel umgezogen und der Farbstoff sehr langsam zugesetzt werden. Die auf
Tussah erhaltenen Färbungen dunkeln beim Trocknen stark nach, beim Färben auf Nuance
muſs daher dieser Umstand berücksichtigt werden. Es empfiehlt sich beim Vergleichen
einige Fäden des gefärbten Stranges zu trocknen, ehe man den Vergleich vornimmt.
Auch für die Avivirbäder wird mehr Säurezusatz empfohlen als bei gewöhnlicher Seide
(Textile Manufacturer).
Camille Köchlin gab in dem Bulletin de la Société industrielle de Mulhouse werthvolle Notizen über
das Bleichen baumwollener Gewebe. Er weist nach, daſs das früher beobachtete
Zurückbleiben von Schlichtebestandtheilen in der gebleichten Waare heutzutage bei
Anwendung des Mather und Platt'schen Verfahrens nicht
mehr vorkommen kann. Sobald die Stärke der angewendeten alkalischen Laugen 3,5° B. überschreitet,
werden alle Stärkebestandtheile aus der Faser herausgelöst. Kohlensaures Natron
vermag die Stärkebestandtheile nicht zu entfernen. Da in dem neuen Verfahren von Horace Köchlin das dem Apparate entströmende
Waschwasser noch 4,5° B. besitzt, so müssen alle Unreinigkeiten in demselben gelöst
worden sein. Obschon die modernen Bleichverfahren wesentlich gründlicher sind als
die früher üblichen, so ist doch die aus denselben hervorgehende Faser noch nicht
absolut rein, Kalk und Eisen können gewöhnlich noch nachgewiesen werden. Es ist dies
indessen nur dann ein Fehler, wenn diese Metalle in genügender Menge vorhanden sind,
um beim Drucke Farbstoffe anzuziehen und da& Weiſs zu beschmutzen. Verfasser
bespricht ferner noch die verschiedene Festigkeit, mit der Säuren vom Baumwollgewebe
zurückgehalten werden; Schwefelsäure läſst sich am leichtesten auswaschen und sollte
daher beim Ansäuren im Bleich verfahren den Vorzug vor der sehr schwer zu
entfernenden Salzsäure erhalten.
Ueber das Bleichen der Baumwolle hat auch Albert
Scheurer im Bulletin de la Société industrielle de
Mulhouse eine sehr bemerkenswerthe ausführliche geschichtliche und
experimentelle Untersuchung veröffentlicht. Da sich dieselbe zur Wiedergabe in
kurzer Form nicht eignet, so sei hier darauf verwiesen.
Unter den Beizen finden namentlich die für die Herstellung echter Färbungen so
wichtigen Metallbeizen die gröſste Beachtung. Namentlich die Herstellung praktischer
Chrom beizen wird nach immer neuen Methoden angestrebt. Das D. R. P. Nr. 45998 von
Moritz von Gallois beschäftigt sich einläſslich mit
diesem Gegenstande. Es hebt hervor, daſs die bisher üblichen Beizen leicht
ungleichmäſsig aufgehen und daſs durch einmaliges Einhängen der Faser in die
Beizflüssigkeit und darauf folgende Fixation eine genügende Menge von Chromsäure
meist nicht fixirt werden kann. Es sind dann mehrmalige Beizungen nothwendig,
wodurch bedeutender Material- und Zeitverlust entsteht. Der Erfinder benutzt als
neue und seiner Ansicht nach vortreffliche Beize das neutrale Chromat des
Chromoxydes Cr2(CrO4)3 + 9H2O, welches durch Auflösen eines Moleküls Chromoxydhydrat in einer Lösung von
3 Molekülen Chromsäure und vorsichtiges Abdampfen der Lösung in langen
Krystallnadeln erhalten werden kann. Die verdünnte wässerige Lösung dieses Körpers
zersetzt sich beim Erhitzen unter Abscheidung ihres Chromoxydes und die gleiche
Zersetzung erfolgt auf der Faser durch Dämpfen. Damit dabei die Faser nicht
angegriffen werde, wird eine entsprechende Menge von Natrium- oder Magnesiumacetat
zugesetzt. Durch organische Säuren können weiſse Muster geätzt oder reservirt
werden. Zum Beizen der Schafwolle ist die neue Verbindung ebenfalls geeignet, da sie
sich ohne Weiteres vollständig mit derselben verbindet. Ein basisches Chromichromat
Cr2(CrO4)2(OH)2 ist ebenfalls
geeignet, doch ist seine Lösung nicht haltbar. Ganz besonders aber empfiehlt sich das Sulfatchromat Cr2CrO4SO2(OH)2, welches
durch Auflösen von einem Molekül Chromhydroxyd in einem Molekül Schwefelsäure und
einem Molekül Chromsäure erhalten wird. Die Schwefelsäure läſst sich durch
äquivalente Mengen Salz-, Salpeter- und Essigsäure ersetzen. Diese Beize gibt ihr
Chromoxyd an alle Fasern gleichmäſsig ab und eignet sich daher ganz besonders auf
Mischgeweben, auf welchen man durch einmaliges Anheizen gute Resultate erhält.
Bezüglich der genauen Vorschriften für die Zusammenstellung der einzelnen Beizen
wird auf das Patent verwiesen. Beispielsweise sei hier eine Druckfarbe mit
Sulfatchromat angeführt. Man bereitet dieselbe aus
25g
Mehl,
75g
Weizenstärke,
10cc
Olivenöl,
900cc basischem Chromsulfat
Cr2(SO4)2(OH)2, aus 200g Chromalaun bereitet, werden zusammen verkocht,
mäſsig abgekühlt und lauwarm mit 39g gelbem
chromsauren Kali und 100g Magnesiumacetat von 16°
Bé. versetzt. Die Farbe druckt sich gut und ist unbeschränkt haltbar. Für die
Aetzung und die Reservage dieser Chromfarbe bedient man sich der nachfolgenden
Gemische:
Enlevage
Reservage
Leiogomme
4400g
6000g
Wasser
7000g
7000g
Citronensäure
3000g
4000g
Weinsäure
2000g
2666g
Schwefelsäure 66° B.
50g
65g
Die mit diesen Beizen oder Beizfarben imprägnirten oder bedruckten Gewebe werden
behufs Fixirung der Chromoxydes nach dem Trocknen 15 Minuten im
Niederdruckdämpfapparat gedämpft (oder 24 Stunden in einen etwa 30° R. warmen Raum
gehängt). Hierbei wird durch die Wirkung des Dämpfens bezieh. Hängens das gesammte
in der Beize vorhandene Chromoxyd als stark basisches Chromat in unlöslicher Form in
der Faser gefällt. Man passirt nun durch die Sodalösung (1 Proc. Krystallsoda, 3
Minuten bei 30° R.), wäscht oder „kuhkothet“ eventuell gründlich und färbt
nach bekannter Methode aus. Die auf das Dämpfen folgende Passage durch eine schwache
Sodalösung hat also nicht den Zweck (wie bei den meisten der bis jetzt in Anwendung
stehenden Chrombeizverfahren), durch Anwendung heiſser concentrirter alkalischer
Bäder (Alkalicarbonate) das Chromoxyd unlöslich auszufällen, sondern soll nur ein
leichteres Benetzen der Faser, sowie bei aufgedruckten Enlevage- bezieh.
Reservagefarben ein Absättigen der überschüssigen organischen Säuren (und dadurch
Vermeidung von Fluſs) bewirken.
G. Stein macht darauf aufmerksam, daſs die bereits
früher erwähnte neue Chrombeize, das Fluorchrom, welche als lebhaft grünes krystallinisches Pulver
von 42 bis 44 Proc. Oxydgehalt in den Handel gebracht wird, bereits eine Nachahmung
gefunden hat. Dieses Product, welches sich im Handel unter dem Namen Chromfluorid
findet, bildet ein schmutzig olivenbraunes Pulver, welches nur wenig wirkliches
Chromfluorid enthält, daneben aber Natriumsulfat, Chromsulfat und
Natriumchromat.
Einen wichtigen und interessanten Beitrag zur Theorie des Beizens und Färbens hat E. Knecht geliefert (Berichte
der deutschen chemischen Gesellschaft, 1888 Bd. 2 S. 804). Derselbe stellte
durch Auflösen von Schafwolle in einem Gemische aus 2 Th. Schwefelsäure und 3 Th.
Wasser die bisher ungenügend bekannte Lanuginsäure dar und zeigte, daſs dieselbe
hervorragende Affinität zu fast allen Farbstoffen besitzt, so zwar, daſs mit ihrer
Hilfe diese Farbstoffe in Form von Lacken gefällt werden können, welche sogar, wie
es scheint, nach bestimmten Molekularverhältnissen zusammengesetzt sind. Der
Verfasser nimmt nicht ohne Grund an, daſs beim Färben von Wolle in Säurebädern sich
diese oder eine ihr nahe verwandte andere Amidosäure bildet und zur Fixirung der
Farbstoffe Veranlassung gibt.
In der Färberei selbst begegnen wir weniger wirklich
neuen Verfahren, als namentlich passenden Vorschriften für neue oder bisher in der
Praxis noch nicht genügend erprobte Farbstoffe.
Die Bestrebungen, Anilinfarben auf Seide aus Bädern zu färben, welche kein Wasser
enthalten, beschäftigen nach wie vor viele Färber. Ein derartiges Verfahren hätte in
der That eine groſse industrielle Wichtigkeit, denn das Färben aus wässeriger Lösung
ist nur auf Strängen bequem anwendbar. Seidene Gewebe, namentlich die besseren
Qualitäten derselben leiden durch das Färben in Wasser und verlieren einen Theil
ihres Glanzes und ihres Griffes. Besäſse man ein Verfahren, welches das tadellose
Färben seidener Gewebe gestattete, so würden dadurch die Herstellungskosten dieser
letzteren erheblich verringert werden und die Seidenfabrikanten wären im Stande,
vorräthig hergestelltes ungefärbtes Seidengewebe nach den Erfordernissen der
beständig wechselnden Mode rasch und sicher in kurzer Zeit zu färben. Ein solches
Verfahren hätte den weiteren Vortheil, daſs seidene Kleidungsstücke nach dem
Reinigen mittels Benzin ohne Weiteres und ohne daſs sie zertrennt zu werden
brauchten, einer Ueberfärbung unterworfen werden könnten. Alle diese Vortheile
machen die Einführung der sogen. trockenen Färberei in der That sehr wünschenswerth
und erklären es, daſs trotz der höchst langsamen Fortschritte die Versuche über
diesen Gegenstand nicht aufgegeben werden. Die Lösung des Problems gelänge am
leichtesten, wenn man eine Anzahl von Farbstoffen besäſse, welche in Benzin leicht
löslich und aus dieser Lösung auf Seide zu färben befähigt wären. Man pflegt zu
diesem Zwecke bisher die stearin- und ölsauren Salze der basischen Anilinfarbstoffe
zu verwenden, welche
durch Fällung der Chlorhydrate mittels Seifenlösungen erhalten und mit freier
Stearinsäure vermengt von einzelnen Fabriken unter dem Namen „Fettlösliche
Farbstoffe“ in den Handel gebracht werden. Der bekannte Erfinder Müller-Jacobs (vgl. 1889 273
139) schlägt nun vor, benzinlösliche Farben dadurch zu erzeugen, daſs er wässerige
Lösungen von Farbstoffen, welche mit Metallsalzen (Zinksulfat, Alaun) versetzt sind,
mit Harzseifenlösung niederschlägt. Die so erhaltenen Niederschläge sollen nicht nur
in Benzin, sondern auch in Chloroform, Aether und Schwefelkohlenstoff löslich sein.
Es bleibt abzuwarten, ob diese Producte bemerkenswerthe Vorzüge vor den
fettlöslichen Farbstoffen darbieten.
Ueber die trockene Färberei haben auch noch Laffite und
Carey-Montreau eine Studie in dem Bulletin de la Société scientifique et industrielle de
Marseille veröffentlicht. Die Verfasser schlagen vor, Fettsäuren, wie sie
durch Versetzen von Marseillerseife mit Salzsäure erhalten werden, mit 10 bis 11
Proc. ihres Gewichtes an käuflichem Ammoniak von 0,88 spec. Gew. zu neutralisiren.
Es entsteht eine Ammoniakseife, welche im Benzin des Handels in allen Verhältnissen
löslich ist und ihrerseits bewirkt, daſs die gewöhnlichen basischen Farbstoffe des
Handels sich ebenfalls in dem Benzin lösen, wenn man sie in alkoholischer Lösung in
dasselbe einträgt. (Es ist dies offenbar eine sinnreiche Methode zur Ueberführung
der Farbstoffchlorhydrate in Oleate, indem das vorhandene Ammoniak zur
Neutralisation der Salzsäure dient. Ref.)
Eine sehr interessante neue Errungenschaft ist die gemischte Indigo-Indophenolküpe,
deren Einführung den andauernden Bemühungen der Firma Durand, Huguenin und Comp. zu verdanken ist. Dieselbe beruht auf der
höchst merkwürdigen Thatsache, daſs das Indophenol, welches bekanntlich zur
Verwendung in der Küpe für sich nicht geeignet ist, seine Eigenschaften vollständig
verleugnet und dafür die des Indigos annimmt, sobald es mit dem letzteren gemischt
wird. Da das Indophenol weit billiger und gleichzeitig ausgiebiger ist als Indigo,
so wird durch seinen Zusatz zur Blauküpe eine ganz erhebliche Ersparniſs erzielt.
Die erhaltenen Nuancen sind den mit reinem Indigo erzielten an Schönheit und Tiefe
mindestens gleichwerthig. Daſs dieselben aus einem Gemische von Indigo und
Indophenol bestehen, läſst sich leicht und sogar quantitativ nachweisen, wenn man
den gefärbten Stoff mit Alkohol extrahirt, wobei das Indophenol mit blauer Farbe in
Lösung geht, der Indigo aber unlöslich auf dem Gewebe zurückbleibt. In allen anderen
Stücken verhält sich aber das so gefärbte Gewebe wie ein normales Küpenblau,
namentlich läſst es sich auch mit groſser Leichtigkeit genau so wie dieses mittels
Chromaten ätzendes ist somit für eine der hauptsächlichsten Verwendungen des
Küpenblaues durchaus ebenso geeignet wie dieses. Als Reductionsmittel für die
gemischte Küpe eignet sich das von Schützenberger und De Lalande eingeführte und jetzt ganz allgemein
benutzte Hydrosulfit. Die Küpe wird angesetzt aus 10k Indigo, welcher mit 30l Wasser und
2l Natronlauge fein vermählen worden ist.
Hierzu fügt man 3k,3 Indophenol in Pulver, 48k Natriumbisulfit von 40°, dann setzt man langsam
und unter gutem Rühren 9k Zinkstaub, welcher mit
10l Wasser zur Paste angerührt ist, hinzu. Man
rührt eine halbe Stunde und fügt dann noch 30l
Natronlauge bei. Endlich wird das Gemisch auf 500l
mit Wasser verdünnt und absetzen gelassen. Die Farbeküpe besitzt 5000l Inhalt, sie wird mit 4000l Wasser gefüllt und mit zwei der oben
beschriebenen Ansätze vermischt, nachdem man vorher, um den im Wasser enthaltenen
Sauerstoff zu zerstören, eine aus 2 Th. Zinkstaub, 12l,5 Bisulfit von 40°, 25l Wasser und
8l Natronlauge von 38° bereitete
Hydrosulfitlauge zugesetzt hat. In einer so bereiteten Küpe kann man 30 Stücke
Baumwollenstoff färben, wobei das Gewebe 2 Minuten im Bade bleibt. Sobald die 30
Stücke durchgegangen sind, setzt man 123l der
Stammküpe hinzu, um die Färbeküpe nicht zu sehr zu erschöpfen. Es können nun neue 30
Stücke gefärbt werden u.s.w. Die erhaltene Nuance entspricht in ihrer Tiefe einem
alten Küpenblau, welches 450 bis 500g Indigo für
das Stück enthält, während bei der neuen gemischten Küpe der Indigoverbrauch bloſs
250g beträgt. Die Küpe ist stets klar, wird
niemals schlammig und färbt daher höchst gleichmäſsig. Wenn die Stücke aus der Küpe
kommen, so genügt es nicht, sie wie beim alten Verfahren bloſs an der Luft vergrünen
zu lassen, sondern sie müssen behufs vollständiger Oxydation des Farbstoffes
schlieſslich ein zweites kaltes Bad mit 2g
Kaliumbichromat für das Liter passiren, in welchem die Eintauchung ebenfalls 2
Minuten beträgt. Es unterliegt keinem Zweifel, daſs dieses eigenthümliche Verhalten
des Indophenols darauf beruht, daſs sein Reductionsproduct sich in der Küpe mit dem
entstandenen Indigoweiſs chemisch vereinigt. Die so entstandene Verbindung vereinigt
sich als solche mit der Faser und wird beim nachträglichen Vergrünen zu einem
Gemisch der beiden Farbstoffe oxydirt. Diese für die Färberei sehr wichtige
Erfindung ist in allen Industriestaaten patentirt worden mit Ausnahme von
Deutschland, wo ein Patent in allen Instanzen verweigert wurde.
Fischli erhielt einen Preis der Société industrielle de Mulhouse für eine Arbeit über „Die Theorie des
Türkischroth-Prozesses“. Der Verfasser sucht nachzuweisen, daſs die
Türkischrothöle des Handels lediglich aus freier Ricinusölsäure bestehen oder doch
beim Erhitzen mit verdünnter Salzsäure solche abspalten. Mit chemisch reiner
Ricinusölsäure erhielt Verfasser Resultate, welche denen des besten Türkischrothöles
gleichkamen. Ricinusölsäure Alkalien liefern mit Thonerdesalzen einen dicklichen
Niederschlag, welcher der Formel
Textabbildung Bd. 275, S. 173
entsprechen soll. Erhitzt man diesen Niederschlag in
wässeriger Suspension mit Alizarin, so beginnt er bei 40° sich zu färben, bei
höherer Temperatur schmilzt er und bei 105° wird er glänzend roth. Der so erhaltene
Lack wird durch Kochen mit Seife nicht zersetzt, ist aber in Alkohol und Aether
löslich und kann mittels dieser Lösung mit türkischrother Nuance auf Baumwolle
fixirt werden. Auf Grund dieser Beobachtungen empfiehlt der Verfasser ein Färbe
verfahren, welches sich aus den nachfolgenden Operationen zusammensetzt.
1) Oelen. Der Verfasser empfiehlt die Anwendung
ricinusölsauren Natrons, welches auf der Faser durch Kohlensäureanziehung zersetzt
werden soll.
2) Beizen. Das auf die Baumwolle gebrachte
Aluminiumacetat setzt sich mit der Oelbeize unter Bildung von ricinusölsaurer
Thonerde um.
3) Kreidebad. Dient zur endgültigen Befestigung der
Thonerde und zur Fixirung einer gewissen Menge Kalk auf dem Gewebe.
4) Färben. Dabei entsteht ein
Alizarinricinusthonerdelack, welcher noch freie Oelsäure enthält, wenn man dem
Färbebade Türkischrothöl zusetzt.
5) Oelen. Diese Operation ist überflüssig, wenn das
Türkischrothöl bereits dem Färbebade zugesetzt wurde. Das erhaltene Roth zeigt einen
Stich ins Braune, wenn nicht genug Fettbeize vorhanden ist.
6) Dämpfen. Durch diese Behandlung wird die vorhandene
freie Fettsäure dem Lacke einverleibt und dieser selbst dringt tiefer in die Poren
des Gewebes ein. Eine Erhöhung des Glanzes der Nuancen ist das Resultat.
7) Seifen. Dasselbe entfernt die Reste der noch
vorhandenen freien Fettsäure.
Wenn man auch noch die Behandlung mit Zinnsalz vornimmt, so tritt Zinn in die
Verbindung von Thonerde, Oelsäure und Farbstoff ein. Dies hat einen vortheilhaften
Effect, wenn die Waare mit Alizarin und Anthrapurpurin gefärbt wurde. Kam aber ein
Flavopurpurin haltiger Farbstoff zur Verwendung, so muſs Zinn vermieden werden.
Flavopurpurin sollte überhaupt nur zum Drucken Anwendung finden. Der Verfasser
unterwirft auch das Aetzverfahren auf türkischrother Waare einer Kritik und nimmt
an, daſs der Farbstoff während des Aetzens zur Phtalsäure oxydirt werde.
(Schluſs folgt.)