Titel: | Die Entwickelung des deutschen Patentwesens und dessen Einwirkung auf die Industrie. |
Fundstelle: | Band 275, Jahrgang 1890, S. 463 |
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Die Entwickelung des deutschen Patentwesens und
dessen Einwirkung auf die Industrie.
Die Entwickelung des deutschen Patentwesens.
So ungemein viel in letzter Zeit namentlich über das Patentwesen und unser deutsches
Patentgesetz insbesondere geschrieben worden ist, so kann doch von einer
erschöpfenden Behandlung der Sache bisher nicht die Rede sein. Eine geschlossene
Würdigung der Gesetzgebung oder gar der Versuch einer Kritik ihrer Einwirkung auf
die Industrie war noch nicht vorhanden, trotzdem gewiſs das Thema ein hohes
Interesse für Techniker und Juristen, für Volkswirthe und Politiker hätte bieten
müssen.
Nun liegen uns über das Patentwesen zwei bedeutungsvolle Werke vor, welche die
allgemeinste Beachtung verdienen. Das eine hat den jetzigen Präsidenten des
Kaiserlichen Patentamts, Herrn Wirklichen Geheimen Legationsrath von Bojanowski, zum Verfasser und betitelt sich: Ueber die Entwickelung des deutschen Patentwesens in der
Zeit von 1877 bis 1889, während das zweite, vom Geheimen Regierungsrath
Professor Hartig in Dresden herrührende Werk Studien in der Praxis des Kaiserlichen Patentamts
benannt ist. Wenn auch beide Werke auf verschiedenem Boden stehen und keineswegs in
einander übergreifen, so können sie doch wohl eine gemeinsame Besprechung erfahren,
weil sie gesunde Anschauungen über unser Patentwesen entwickeln und sich eins sind
in dessen groſsem Einfluſs auf die industrielle Entwickelung.
In dem erstgenannten Werke legt der Verfasser zunächst in einer klaren Uebersicht die
Schwierigkeiten dar, welche sich im Jahr 1877 dem neuen Gesetze gegenüber stellten,
und erinnert daran, daſs damals das Patentgesetz nur als ein Versuch angesehen wurde
und seine Entstehung nur der derzeitigen wirthschaftlichen Nothlage verdankte. Die
maſsgebenden Körperschaften, aber auch die Industrie standen dem Patentgesetz
wenigstens sehr kühl gegenüber, enthält doch der Kommissionsbericht des Reichstages
die Bemerkung: „daſs eine Gewerbe und Industrie treibende Nation, wie die
deutsche, den gesetzlichen Schutz neuer gewerblicher Erfindungen wenigstens zur Zeit nicht entbehren könne, und daſs
die Vortheile eines guten Patentgesetzes die Nachtheile der damit verbundenen
Beschränkungen der gewerblichen Freiheit überwiegen.“ Auch das damalige
Reichskanzleramt gab sich nicht besonders hohen Erwartungen hin, und die Begründung,
mit der es den Gesetzentwurf dem Reichstage vorlegte, enthielt den Satz: „Die
Frage, ob der Patentschutz für die Entwickelung des Gewerbefleiſses wirklich von
so erheblicher Bedeutung ist, wie heutzutage vielfach angenommen wird, kann auf
sich beruhen bleiben.“
Wenn das deutsche Patentgesetz sein Leben fast nur dem Umstände verdankt, daſs
Deutschland betreffs des industriellen Schutzes nicht hinter seinen Nachbarstaaten
zurückstehen dürfe, so ist fast zu bewundern, daſs die damaligen Gesetzgeber das Patentgesetz auf
wesentlich anderer Grundlage aufbauten, als sie seitens der übrigen Industriestaaten
geboten wurde. Gerade aus dieser Gestaltung und Ausbildung des Gesetzes hat sich
aber der günstige Einfluſs auf die Industrie entwickeln können. Das deutsche
Patentgesetz ist auf der Grundlage des Vorprüfungsverfahrens geordnet und ist zwar
der Form nach einengend, aber wegen des Ausschlusses von Willkürlichkeiten zur
Wahrung des betheiligten Interesses besser dienlich. In der Formgebung wie in der
Handhabung war das Patentgesetz geeignet, die deutschen Gewerbetreibenden mit den
besten Hoffnungen zu erfüllen. Trotzdem war gerade die Jugend des Patentgesetzes
wenig friedvoll. Vielfache Erwartungen auf die Wirkung des Gesetzes wurden
enttäuscht, und führte eine starke Bewegung gegen das Wesen des Gesetzes im Jahre
1886 zur Veranstaltung einer Enquete, deren Ergebniss die Grundlage zu dem demnächst
vom Reichsamte des Innern zu veröffentlichenden Revisionsentwurf abgegeben hat.
Zur Vermeidung von irrigen Ansichten sei besonders betont, daſs die Gegnerschaft
gegen das Patentgesetz niemals ihren Ausdruck in dem Wunsche fand, die Erfindungen
möchten nicht mehr geschützt werden, oder vor dem Schütze nicht mehr geprüft werden,
sondern daſs ausschlieſslieh einzelne Bestimmungen des Gesetzes, sowie besonders die
Art des Prüfungs- und Ertheilungsverfahrens sowie die Gestaltung des Amtes selbst
angegriffen wurden. Die Grundzüge des Patentgesetzes sind stets unberührt gelassen,
so daſs man deren allgemeine Anerkennung wohl feststellen darf.
Der Verfasser gibt rückhaltlos zu, daſs der gröſste Theil dieser Angriffe wohl
begründet sei und daſs eine Abhilfe in dieser Beziehung zur vollen segensreichen
Entwickelung des Gesetzes durchaus nothwendig sich erweise. Namentlich ist
interessant und wird auch der Grund hierfür nachzuweisen versucht, daſs die vor und
kurz nach dem Erlaſs des Patentgesetzes sehr kräftige Gegnerschaft gegen das sogen.
Prüfungsverfahren der zur Patentirung vorgelegten Erfindungen völlig verstummt ist,
daſs gerade in der scharfen Prüfung der Neuheit einer Erfindung ein besonders
segensreicher Einfluſs auf die Entwickelung der Industrie und den Werth der Patente
selbst fühlbar geworden ist.
Der Verfasser gliedert seinen Versuch der Darlegung der Wirkungen des Patentgesetzes
in drei Theile: 1) die wirthschaftliche Bedeutung des Patentgesetzes; 2) der
Einfluſs des Patentwesens auf die Technik und Industrie; 3) die Entwickelung des
Patentrechts.
I. Die wirthschaftliche Bedeutung des
Patentwesens.
Für die wirthschaftliche Entwickelung eines Gemeinwesens ist die Gewinnung neuer oder
verbesserter Gebrauchswerthe und die Anwendung neuer oder verbesserter
Arbeitsverfahren und Werkzeuge in den Gewerben als wünschenswerth und nothwendig
anzuerkennen. Demgemäſs ist auch die Fürsorge für Gewinnung solcher Gebrauchswerte
oder die Förderung der Anwendung von Arbeitsverfahren und Werkzeugen der gedachten
Art nothwendig. Die Zuführung neuer oder verbesserter Arten des Arbeitsverfahrens
und dergl. entspringt der Anregung seitens des Erfinders. Da nun aber die praktische
Ausgestaltung einer Erfindung meistens langwierige, mit Opfern an Zeit und Geld
verbundene Versuche, Herrichtung von Anlagen, Ausbildung eines Arbeiterstammes,
Einführung in den Verkehr u.a.m. erfordert, anderseits bei augenscheinlichem
praktischem Werthe der Erfindung sofort Gefahr durch Wettbewerb entsteht, so ergibt
sich ohne Weiteres, daſs der Erfinder nur angeregt werden kann, sich diesem Risiko
zu unterwerfen und dadurch die Erfindung auch der Allgemeinheit zugänglich zu
machen, wenn ihm gegenüber Anderen ein Ausschlieſsungsrecht gewährt wird. Das
heiſst: Er wird sich zur Ausführung seiner Erfindung nur dann entschlieſsen, wenn er
durch Verleihung eines Patentes allein für befugt
erklärt wird, innerhalb eines längeren Zeitraumes den geschützten Gegenstand
gewerbsmäſsig herzustellen, in Verkehr zu bringen und feil zu halten.
Im Gegensatz zu der früheren Anschauung über das Wesen eines Patents, als sei
dasselbe eine Belohnung für den Erfinder, ist in Folge des durch das Gesetz
bestimmten und vom Patentamte geübten Prüfungsverfahrens jetzt ein wesentlich
anderer Standpunkt festgehalten. Die Gefahr einer Ueberschwemmung von Industrie und
Handel mit werthlosen Patenten ist durch den Grundsatz vermieden, daſs ein gutes
Patentgesetz nicht die Patentirung jeder Erfindung zulassen dürfe. Es hat sich das
Verlangen als gerechtfertigt erwiesen, daſs seitens des Patentamts vor Ertheilung
des Patentes ein Urtheil über die Neuheit der Erfindung zu erwerben sei. Je strenger
die Prüfung ist, desto werthvoller erscheint das Patent und desto mehr wird die
Gefahr abgewendet, daſs die Gewerbetreibenden irgend eine Behinderung erfahren.
Besonders wird darauf hingewiesen, daſs trotz der vom Patentgesetz verlangten
gewerblichen „Verwerthbarkeit“ der Erfindung mit dem Patente kein Beweis eines
wirklichen fassbaren Werthes der Erfindung gegeben sei.
Der eigentliche, überhaupt erst später mit Sicherheit festzustellende „Werth“
einer Erfindung unterliegt nicht der Prüfung und kann auch nicht der Prüfung
unterliegen. Es ist ebensowohl denkbar, daſs auch die meistversprechende Erfindung
aus lediglich äuſseren Gründen: Ungunst der Conjunctur, fehlerhafte Geschäftsleitung
und dgl. mehr ohne praktische Erfolge bleibt, als daſs scheinbar Unbedeutendes
später erhebliche Bedeutung erlangt.
Wenn der Gewerbefreiheit die Absicht zu Grunde liegt, die Thätigkeit des Einzelnen
nicht zu hemmen, so ergibt sich als weitere Folge auch die Zulässigkeit
unmittelbarer Förderung mittels rechtlicher Anerkennung der Leistungsfähigkeit da, wo
das immaterielle Gut ohne begleitende Einwirkung der Staatsgewalt zum Vortheil des
Einzelnen und der Gesammtheit gar nicht nutzbar gemacht werden kann. Hier gewährt
der Erfindungsschutz Hilfe. Das Patentgesetz hat seinen Zweck: den Erfindungsgeist
in nutzbringender Weise anzureizen, erfüllt, ohne daſs um seinetwillen das höhere
Interesse Schmälerung erfahren hätte.
Man sagt: zum Entdecken gehört Glück, zum Erfinden Geist, und beide können beides
nicht entbehren. Dem Erfinder fällt also mit Recht ein Mehr an Geist zu, weil eben
die Erfindung keine Folge eines glücklichen Ungefährs ist. Das volle Verständniſs
für die Erfindung ist abhängig von dem vollen Verständniſs des wirthschaftlichen
Bedürfnisses, das zuerst als vorhanden erkannt und als ein vermöge bestimmter Mittel
paſslich zu stillendes geistig erfaſst zu haben, das Verdienst des Erfinders
bildet.
Bei dem Patentamte sind in den 12 Jahren seiner Thätigkeit über 100000 Erfindungen
angemeldet, welche sämmtlich als Fortschritte gelten sollten. Von diesen Anmeldungen
ist etwa die Hälfte nach dem Ergebnisse der Prüfung als neu und gewerblich
verwerthbar gehalten. Drei Viertheile dieser Patente sind wieder gelöscht, während
nur ein Viertheil, noch in Kraft stehend, als lebensfähig sich erweist.
Die Handhabung des Patentwesens ist insofern bemängelt worden, als sie zu einer
Ueberfluthung des Reichs mit einer Fülle von Patenten führe, welche der freien
Entwickelung der Industrie hinderlich wäre. Dasselbe wurde in der Enquête von 1886
wiederholt. Andererseits wurde die Prüfungseinrichtung wegen der mit derselben für
die Patentsucher verbundenen Belästigungen abfällig beurtheilt und die Erlangung von
Patenten als übermäſsig erschwert bezeichnet.
So wenig dem Patentamte die Pflicht zufällt, einer solchen thatsächlichen
Ueberfluthung vorzubeugen, so wenig läſst sich der wirkliche Werth einer Erfindung
bestimmen.
Wirthschaftlich erscheinen naturgemäſs diejenigen am werthvollsten, welche die
Gewerbe fördern. Welche Verhältnisse für den Einzelnen dahin bestimmend wirken, daſs
er auf das Patentrecht verzichtet, entzieht sich der Forschung.
Thatsächlich verdient zur Beleuchtung dieser Frage der Umstand vollste Beachtung,
daſs seitens der Ausländer in vielen Fällen nur ein deutsches Patent nachgesucht
wird, um durch den Ausfall des Prüfungsverfahrens einen Gradmesser für den Werth der
Erfindungen zu erhalten. Es ist eine Thatsache, daſs die Finanziirung gröſserer, auf
Patentausnutzung beruhender Unternehmungen im Auslande sich weitaus mehr Gewinn
bringend in den Fällen durchführen läſst, in denen ein deutsches Patent vorliegt,
als nach stattgehabter Versagung eines solchen. Der Ausländer sucht also ein Patent
in Deutschland nach, ohne an die Ausführung hier zu denken, nur um seine Erfindung
im Auslande als unanfechtbarer hinzustellen, weil sie in Deutschland das
Prüfungsverfahren durchgemacht und bestanden habe!
Einem Gebiete entsprungen, auf dem die Bereiche zweier Wissenschaften in einander
übergreifen, derjenige der Technologie und der der Rechtskunde, sucht und findet das
Patentwesen Wirkung in der Volkswirthschaft. Daſs die Technik der deutschen
Industrie sich in den letzten zehn Zähren in hohem Maſse vervollkommnet hat, ist
eine Thatsache, welche mit der Wirkung des Patentgesetzes wohl in Zusammenhang
gebracht werden kann.
II. Der Einfluſs des Patentwesens auf
die Technik und Industrie.
Aus dem Umstände, daſs ein groſser Theil der Erfinder nicht geschulte Techniker und
Industrielle sind, ist unmittelbar zu schlieſsen, daſs die groſse Zahl der von
diesen gemachten Erfindungen für die Industrie unbedingt verloren sein würden, wenn
nicht in den Patentschriften eine Vermittelung geschaffen wäre. Auch eine Ausführung
solcher Erfindungen seitens Gewerbetreibender ist in Folge der Bekanntwerdung
leichter herbeizuführen. Jedenfalls ist die Bekanntgabe der gemachten Erfindungen
eine Sache von der gröſsten Wichtigkeit, denn selbst wenn die Ausführung einer
Erfindung durch irgend welche Umstände dem Erfinder unmöglich ist, so bleibt die
Erfindung selbst Gemeingut und als solche ein bekanntes, nicht noch zu erforschendes
Glied der Kette unserer industriellen Entwickelung.
Die vorhandenen 50000 Patentschriften bilden eine im besten Sinne des Wortes
popularisirte Darstellung technischer Erfindungen. Sie tragen sinnreiche Ideen in
alle betheiligten Kreise, vermitteln die Kenntniſs der die Gegenwart erfüllenden
technischen Bestrebungen und klären andererseits bestehende Irrthümer. Ein Blick in
unsere Literatur gibt schon den Beweis des Einflusses der Patentschriften.
Der Verfasser geht nun auf die einzelnen Industriezweige ein und erörtert die
Erfindungsthätigkeit, gleichzeitig hier und da ein treffendes Streiflicht auf die
seitens der Patentwirthschaft hervorgerufene Entwickelung werfend.
In der Zeit vom 1. Juli 1877 bis 31. December 1888 sind 1486
Patente auf Verbesserungen der Dampfmaschinen und Geschwindigkeitsregulatoren
nachgesucht, 1035 Patente thatsächlich ertheilt worden. In der Mehrzahl betreffen
die bezüglichen Erfindungen die Steuerung der Dampfmaschine, d. i. die Organe,
welche die Vertheilung des treibenden Dampfes auf die beiden Kolbenseiten, den
Eintritt des Dampfes in den Cylinder, die Absperrung und den Auslaſs des Dampfes
bezwecken. Von diesen Patenten sind in dem nämlichen Zeitraum etwa 72 Proc. wegen
Versäumniſs der Gebührenzahlung erloschen. Der finanzielle Erfolg mag nicht
befriedigt haben; die Ursachen des Fehlschlagens mögen technischer oder
geschäftlicher oder persönlicher Natur gewesen sein. Immerhin ändert dies nichts an
dem Werthe der Thatsache, daſs jede dieser Erfindungen die Lösung eines Problems
enthält, geeignet, den Gesichtskreis des Dampfmaschinenbauers zu erweitern. Dieser
Erfolg ist auch nicht ausgeblieben. In Wirklichkeit haben die Dampfmaschinen in
Bezug auf Dampfersparniſs, hohe Geschwindigkeit, Gleichförmigkeit der Bewegung und
zur Anpassung fähigen,
handlichen Aufbau sich in hohem Maſse der Vollkommenheit genähert, welche auf den
einzelnen Gebieten der Industrie begehrt wird.
Das Bedürfniſs nach einer von den örtlichen Umständen in jeder
Beziehung möglichst unabhängigen Kraftmaschine hat längst bestanden und u.a. auch zu
dem Versuch geführt, den Kohlenwasserstoff bezieh. das Leuchtgas mit dem Wasserdampf
in Concurrenz treten zu lassen. Es ist hier nicht am Orte, in den Streit über den
zeitlichen Vorrang der Erfindung der ersten Gaskraftmaschine einzutreten;
unbestritten ist, daſs z. Z. die deutschen Gaskraftmaschinen für die vollkommensten
ihrer Art gelten. Welches Geschäftshaus auf diesem Gebiete die erste Stelle
einnimmt, ist bekannt; nicht minder bekannt ist, daſs dieses Haus bereits vor
Einführung des Patentgesetzes seine Construction im Wesentlichen ausgebildet hatte.
Die Landespatente der Firma wurden aber in Reichspatente umgewandelt, und erst unter
dem Schütze des Gesetzes hat die Fabrikation die ihr heute beigemessene hohe
Bedeutung erlangt. Nach Maſsgabe der Vorschriften eben desselben Gesetzes hat jedoch
auch die technische Welt erst rückhaltlos Einsicht in die durch die fraglichen
Gasmaschinen verkörperte geistige Arbeit gewonnen. Die Zahl derer, welche diese
Arbeit aufnahmen und weiter verfolgten, um auf anderem Wege und mit anderen Mitteln
dieselben oder noch höhere Erfolge zu erzielen, ist seitdem stetig gewachsen. Die
Patentschriften einerseits, die gerichtlichen Verhandlungen mit den von den Parteien
beigebrachten Gutachten andererseits legten die Vorgänge in der Gasmaschine und die
hierauf bezüglichen Wahrnehmungen unparteiischer Sachverständigen soweit klar, als
es nach dem dermaligen Stande der Wissenschaft möglich war. – Auch dieser Fall
dürfte wohl geeignet sein als Belag für den Nachweis zu dienen, daſs der
Erfindungsschutz den Wettbewerb nur anregt. Die Schranke des Patents nicht vorhanden
gedacht, würde voraussichtlich höchstens eine wenig ehrenhafte Concurrenz bemüht
gewesen sein, dieselbe Maschine nachzuahmen und, um überhaupt Absatz zu erzielen,
billiger, muthmaſslich daher auch schlechter zu bauen. Nun schützte das Patent die
ältere Firma gegen Nachahmung ihrer Erzeugnisse; das Patentgesetz aber sicherte
gleichzeitig auch der selbständigen geistigen Arbeit des Concurrenten den
gebührenden Schutz und gab Aufschluſs darüber, wo Mängel zu beseitigen und die
Aufnahme des Wettbewerbes mit Aussicht auf Erfolg möglich sei. Aus Anlaſs dieser
Verhältnisse hat der Bau von Gaskraftmaschinen im Laufe der zwölf Jahre eine vordem
ganz unwahrscheinliche Ausdehnung gewonnen. Sie muſs jetzt fast noch mehr im
Hinblick auf die mannigfachen, gegenwärtig concurrirenden Systeme von Kraftmaschinen
überhaupt überraschen.
Das Bedürfniſs nach Kraftmaschinen für gewerbliche Betriebe
geringen Umfanges hat nämlich zur Vervollkommnung der Heiſsluftmaschinen und der
kleinen Kesseldampfmaschinen geführt. Diese sind bestimmt, als Ersatz der
Gasmaschinen da einzutreten, wo geeignetes Gas zu niederem Preise nicht zu
beschaffen ist. Welche Bedeutung der Bau solcher Kleinkraftmaschinen zu erlangen
vermocht hat, zeigen die statistischen Erhebungen. Ihnen zufolge sollen im Reiche
28000 Kleinmotoren, d.h. Gas-, Benzin- und Heiſsluft-Kraftmaschinen, neben etwa
45000 Dampfmaschinen (einschlieſslich Locomobilen) in Betrieb stehen.
Im Hinblick auf die den Verkehrsmitteln in jedem Falle zukommende
groſse Bedeutung wird es nicht überraschen zu erfahren, daſs Erfindungen, welche
Personen- und Lastenbeförderung betreffen (Eisenbahnen, Seilbahnen, Wagenbau, Reit-
und Zuggeschirr, Schiffbau) in verhältniſsmäſsig groſser Zahl eingehen. Bis zum
Ablauf des Jahres 1888 sind über 7000 Patente nachgesucht, mehr als 3000 Patente
ertheilt worden.
Von besonderer Wichtigkeit für das Eisenbahnwesen sind die
Patentschriften, deren Inhalt Signal- und Weichenstell-Vorrichtungen, Kuppelungen,
Bremsen, Beleuchtung und Heizung, sowie sämmtliche inneren Einrichtungen der Wagen
betrifft, ferner diejenigen, welche die Entwicklung der Secundärbahnen, der
Straſsenbahnen, der fliegenden Bahnen mit Dampf-, Luft-, elektrischem, Seil und
Pferde-Betriebe zum Gegenstande haben. Die fliegenden Bahnen sind geeignet, ohne
Vorbereitung des Erdkörpers, in kürzester Zeit gelegt, aufgenommen und an anderer
Stelle wieder benutzt zu werden. Sie haben bekanntlich schon früher in dem Bergbau, in neuerer
Zeit aber auch für militärische Zwecke, sowie im land- und forstwirthschaftlichen,
dann im Fabrikbetriebe ausgedehnte Anwendung gefunden; ohne die sogen. Feldbahnen
würde z.B. die für die deutsche Landwirthschaft heute so bedeutungsvolle Moorkultur
gar nicht denkbar sein.
Von hervorragend praktischer Bedeutung sind gewisse unter
Patentschutz gestellte Verbesserungen im Wagenbau und in der Einrichtung der
Zuggeschirre. Es spricht doch nicht dafür, daſs, wie Zweifler an dem Nutzen des
Erfindungsschutzes behaupten, Erfindungen sich jeder Zeit auch ohne Patent dem
Bedürfniſs darbieten, wenn eine einfache Einrichtung gleich derjenigen, welche
gestattet, ein Kummet der Brust jeden Pferdes anzupassen, thatsächlich dem Gebrauche
erst nach Gewährung des Patentschutzes dargeboten worden ist. Die Dringlichkeit des
Bedürfnisses wird wohl stets empfunden worden sein und ist jedem Laien verständlich,
auch ohne den Beweis, der darin zu erblicken sein dürfte, daſs ein bereits im Jahre
1878 patentirtes stellbares Kummet für sämmtliche Zugpferde der Heeresverwaltung
beschafft worden ist. Noch nach jenem Patente sind Erfindungen von Stellkummeten in
gröſserer Zahl patentirt worden; zum Theil stehen die bezüglichen Patente noch heute
in Geltung.
Die Bedeutung der in ihrer jetzigen Gestalt vom Auslande her
eingeführten Fahrräder mag zweifelhaft sein. Nicht zweifelhaft aber ist der aus der
Herstellung derartiger Fahrzeuge erzielte wirthschaftliche und technische Gewinn.
Deutschland beschäftigt bereits mehr als 1500 Arbeiter mit der Anfertigung von
Fahrrädern; nicht unerwähnt mag sein, daſs diese eigenthümliche Industrie zu
Herstellung besonderer Constructionsdetails und von Werkzeugen geführt hat, welche
eine über den augenblicklichen Zweck hinausgehende Anwendung gestatten.
Der Rolle, welche gegenwärtig die Elektricität auf allen Gebieten
des Verkehrs und der Gewerbe spielt, entspricht die Lebhaftigkeit der erfinderischen
Thätigkeit. Bis zum Schlusse des Jahres 1888 sind allein in der die elektrischen
Apparate betreffenden Patentklasse (21) 3186 Erfindungen angemeldet, 1569 Patente
ertheilt worden. Wohl aber ebenso viele, wenn nicht noch zahlreichere Anmeldungen
bezieh. Patente, welche Anwendungen des elektrischen Stromes zum Gegenstande haben,
entfallen noch auf die übrigen Patentklassen; kaum dürfte es ein Gebiet der
gewerblichen Technik geben, auf dem Elektricität nicht Anwendung findet, oder nicht
versuchsweise Anwendung gefunden hat. Von der Vermittelung des mündlichen oder
schriftlichen Verkehrs zu reden, heiſst Bekanntes wiederholen; ebenso bedarf die
elektrische Beleuchtung nicht weiter Worte der Würdigung. Auf so enge Gebiete läſst
sich aber die Kraftentfaltung der Elektricität nicht mehr beschränken. Hier dient
sie zur Trennung von Zucker und Aetzkali, dort zur Förderung des Gerbprocesses, dann
übernimmt sie die Verhüttung von Erzen, täuscht in angenehmer Weise mittelst der
Plattirung von Metallwaaren, erzeugt plastische Kunstwerke und Druckformen,
befördert Lasten, treibt einen mehrscharigen Pflug oder eine Uhr, entzündet Lampen
oder eine vernichtende Sprengladung, kontrolirt die Ehrlichkeit und den Fleiſs,
setzt Maschinen in und auſser Betrieb, benachrichtigt an beliebigen Stellen den
Besitzer von den Vorgängen an seinem Dampfkessel oder in seiner Fabrik, regulirt
Temperaturen bis auf Bruchtheile eines Grades u.s.w. Wohin das Auge sich wendet,
findet es die Elektricität geschäftig eingreifend. In neuester Zeit hat sie sich
dazu hergegeben, Metalle zu schweiſsen oder zu löthen, ein Dienst, der dann
besonders werthvoll erscheint, wenn Ausbesserungen nothwendig sind; wird doch in den
meisten Fällen die Schweiſsung an Ort und Stelle und ohne Zerlegung des
reparaturbedürftigen Stückes möglich.
Bei der groſsen Ausdehnung der Anwendung von Elektricität ist der
Verzicht darauf angezeigt, die Erfolge im Einzelnen nachzuweisen. Nur beiläufig sei
erwähnt, daſs bereits vor drei Jahren 3427 elektrische Maschinen, 11485 Bogenlampen
und 164438 Glühlampen im Reiche nachgewiesen worden sind und daſs im vergangenen
Jahre 174 Städte Fernsprechanlagen mit 31325 Sprechstellen besaſsen. In 1888 waren
im Deutschen Reiche vorhanden: etwa 5000 Dynamomaschinen, 15000 Bogenlampen, 170000
Glühlichtlampen (davon in Berlin allein 23363 = 2 Proc. der Gasbeleuchtung), ferner
im Bereiche der Reichs-Telegraphen-Verwaltung 1889: 176 Städte-Fernsprech-Einrichtungen, 33460
Fernsprechstellen (davon in Berlin allein 10000 mit täglich 196691 Gesprächen),
48829km Leitungen.
Auf Erfindungen, welche sich mit der Vervielfältigung von Schrift-
und Bildwerken (Typographie, Lithographie, Zinkographie, Hoch- und Tiefdruck,
Photographie u.s.w.) beschäftigen, sind nahezu 1000 Patente ertheilt worden. In den
einzelnen Zweigen dieser Technik mit besonderem Eifer verfolgte Ziele sind:
Typen-Setz- und Ablegemaschinen, Matrizenprägemaschinen, Numerir-, Stempel-,
Perforirmaschinen, Schreibmaschinen, Lichtdruck.
Die Bedeutung der Papierfabrikation für Deutschland ergibt sich
u.a. aus den Werthbeträgen der Ausfuhr, welche sich in 1885 auf 79400000 M.
bezifferten und bereits damals von keinem anderen Lande erreicht wurden;
Groſsbritannien vermochte nur 67200000 M. zu erreichen. Auch die Zunahme der Ausfuhr
ist für Deutschland in dem Zeitraume 1881 bis 1885 die gröſste, nämlich 22 Millionen
M.; für Groſsbritannien betrug sie nur 8600000 M., Frankreich und Belgien haben
sogar einen Rückgang um 6800000 M. bezieh. 400000 M. zu verzeichnen. In 1888
bezifferte sich der Werth der Ausfuhr auf etwa 100 Millionen Mark. Diese Erfolge
verdankt Deutschland vornehmlich der Erfindung und der Weiterentwickelung der
Holzschleiferei sowie dem hohen Stande der Technik in der Herstellung von Holzstoff,
welcher ebenfalls hauptsächlich auf die Bemühungen deutscher Industriellen
zurückzuführen ist; 500 Holzschleifereien erzeugen jährlich etwa 85 000 Tonnen
Holzschliff. Sie verarbeiten zusammen mit den Holzzellstoff-Fabriken – Gewinnung der
Faser nicht auf mechanischem Wege, sondern mittels Einwirkung chemischer Agentien –
schätzungsweise 900000 Festmeter Nadelholz, d. i. den Ertrag von 200000ha forstwirthschaftlich benutzter Bodenfläche.
Ungefähr 10½ Millionen der oben genannten Ausfuhrwerthsumme entfallen auf chemisch
erzeugten Holzzellstoff. Die wesentlichsten technischen Fortschritte auf diesem
Gebiete gehören den letzten zehn Jahren an; etwa 400 Patentschriften bieten
werthvollstes Material der Belehrung.
Der Buchbinderei und Cartonagenfabrikation werden Draht- und
Fadenheftmaschinen in gröſserer Zahl geboten. Ein Geschäftshaus besitzt seit 1885 24
deutsche Patente zur Herstellung von Pappschachteln mit Blechkanten. Von 1700
verkauften Maschinen solcher Art befinden sich zwei Drittheile in Deutschland und
Oesterreich-Ungarn. In beiden genannten Ländern sind 5 bis 6000 Menschen mit der
Herstellung von jährlich 100 Millionen Schachteln, davon allein zu
Munitionsverpackung mehr als 150000 Stück täglich, beschäftigt. Briefordner oder
Sammelmappen für Schriftstucke u.s.w. scheinen einem in weiteren Kreisen fühlbaren
Bedürfnisse zu genügen. Ein Geschäftshaus hat von dem ihm patentirten Geräthe
solcher Art seit 1884 etwa 200000 Stück überhaupt, in Deutschland allein 120000
Stück abgesetzt. Die Copirmaschinen sind derart verbessert worden, daſs angeblich in
einer Minute 30 bis 35 Briefe copirt werden können. Zahlreiche der kleinen
Handgeräthe, so auch Bleistifthalter, wurden ehedem vom Auslande her bezogen.
Etwa 1600 Patentschriften geben Aufschluſs über die auf
Beleuchtung vermittels Gases und tropfbar flüssiger oder fester Leuchtmaterialien
bezüglichen Erfindungen.
Die Summe der Patente auf Feuerung, Heizung und Lüftung dürfte
mindestens 3000 betragen. In den statistischen Klassennach Weisungen mit den
bezüglichen Bezeichnungen sind allerdings nur 1534 Patente aufgeführt: zu
berücksichtigen ist jedoch, daſs hierin diejenigen Erfindungen nicht enthalten sind,
welche für besondere Gebrauchszwecke wie Dampfkesselfeuerungen, hüttenmännische und
andere Spezialbetriebe dienen sollen. Charakteristisch ist für die die Feuerung und
Heizung betreffenden Erfindungen das Bestreben nach Brennmaterialersparniſs mittels
Theilung des Verbrennungsprocesses derart, daſs das Brennmaterial zunächst ganz oder
theilweise vergast wird, die Gase unter Zuführung vorgewärmter Luft verbrannt
werden. Hiezu gehört auch die Regulirung der Menge der eintretenden Luft, da in den
meisten Fällen eine möglichst hohe Temperatur beabsichtigt wird; die Gewinnung der
gesammten Wärme, welche das Brennmaterial zu entwickeln vermag, kommt dagegen erst
in zweiter Linie in
Betracht. Das Bestreben, für Sonderzwecke besonders hohe Temperaturen zu erzeugen,
hat auch zur Vervollkommnung der für die Metallbearbeitung so wichtigen Löthlampen
Anregung gegeben; zur Erreichung gleicher Zwecke wird der elektrische Strom
benutzt.
Wenn auch von geringer Ausdehnung in der Anwendung, haben doch die
technischen Einrichtungen zur Benutzung flüssiger Brennstoffe als Heizmaterialien
hohe Bedeutung, da in Ländern des Ostens, für welche die deutsche Industrie in
ausgedehntem Maſse arbeitet, andere Feuerungsmaterialien als rohe Erdöle, Naphta
u.s.w. kaum zu beschaffen sind; unter Umständen muſs zu den nämlichen Materialien
auch zwecks der Heizung von Schiffskesseln gegriffen werden.
Nach dem Patentgesetze (§ 1 Nr. 2) sind Ausschluſsrechte auf
Nahrungs- und Genuſsmittel nicht zu gewähren, es sei denn, daſs die Erfindungen ein
bestimmtes Verfahren zur Herstellung der Gegenstände betreffen. Nun, auf Erfindungen
von Verfahren und Geräthen zur Herstellung von Nahrungs- und Genuſsmitteln sind über
4300 Patente ertheilt worden, ungerechnet diejenigen, welche in der Haushaltung
Anwendung finden sollen, oder Heizung betreffen oder für den Landwirthschaftsbetrieb
bestimmt sind. Im Hinblick auf die Bedeutung des Gegenstandes für das öffentliche
Wohl, Fragen der Volksernährung u.s.w. wird die oben angeführte Zahl vielleicht
sogar mäſsig erscheinen.
Deutschland ist das Land der Kartoffelspiritusbrennereien, der
Bierbrauereien, der Rübenzuckerfabriken. Hiernach ist zu erwarten, daſs ein Zeitraum
von zwölf Jahren nicht ohne Fortschritte auf wirthschaftlich so wichtigen Gebieten
dahin gegangen sein wird, auch daſs man das gebotene Ausschlieſsungsrecht zur
Verwerthung der betreffenden Erfindungen nicht wird unbenutzt gelassen haben.
Das ehedem übliche Verfahren, die Kartoffeln ohne Druck in offenen
Gefäſsen zu kochen und zu zerkleinern, ist gänzlich verlassen; die Kartoffeln werden
einem hohen Dampfdruck ausgesetzt und die Zerkleinerung wird in dem Dampfgefäſse
selbst oder durch Ausblasen und Auspressen bewirkt. Die belangreichsten Erfindungen
in der Brennerei betreffen derartige Dämpfer; daneben finden auch die
Nachzerkleinerung, die Vormaischeinrichtungen, die Destillirapparate, sowie die
Reinigung des Rohspiritus gebührende Beachtung.
Für die Bierbrauereien lassen die mechanisch-pneumatischen
Mälzereien, bestimmt zum Ersatz ebenso lästiger als im Ergebnisse Ungewisser
Handarbeit, einen wesentlichen und erfolgreichen Aufschwung des Betriebs
erhoffen.
Die Trocknung der Traber und der Schlempe mittels eigenthümlicher
Apparate und Maschinen gestattet eine vielleicht nicht bessere, jedenfalls aber eine
stets mögliche Verwerthung jener Nebenprodukte der Brauerei und Brennerei.
Der Hinweis auf Nahrungs- und Genuſsmittel bietet Anlaſs, auf
einen Zweig der Industrie aufmerksam zu machen, auf den Techniker mit hoher
Befriedigung hinzublicken wohl Ursache haben: auf die künstliche Erzeugung von Kälte
und Eis. Nicht nur für die Brauerei, sondern auch für die Herstellung oder
Aufbewahrung zahlloser Lebensmittel ist die Kühlung und Kühlhaltung bestimmter Räume
unentbehrlich; schon fängt die Versorgung mit Eis an, eines der dringend empfundenen
Bedürfnisse in der Haushaltung, in Krankenhäusern u.s.w. abzugeben. Wie durch die
Kälteerzeugung im Gebirge die Herstellung von Schächten sich ermöglichen läſst, ist
weitesten Kreisen soeben bekannt geworden. Die Hervorbringung niederer Temperaturen,
oder, richtiger gesagt, die Entziehung von Wärme, ist auf verschiedenen Wegen
versucht und erreicht worden; die meisten der hierauf abzielenden Vorschläge haben
in den Patentschriften Darstellung gefunden.
In der Zuckerfabrikation war das gegenwärtig in Deutschland
allgemein übliche Diffusionsverfahren bereits vor dem Erlaſs des Gesetzes vom 25.
Mai 1877 angebahnt; die groſse Verbreitung desselben hat sich indessen erst auf
Grund der Vervollkommnungen vollzogen, welche durch den Erfindungsschutz angeregt
worden sind, Erfolge, denen wiederum beizumessen ist, daſs das an sich einfachere,
zuverlässigere und wohlfeilere Diffusions-Verfahren auch in den Nachbarländern mehr
und mehr zur Verbreitung gelangt. –
Es sind wenige, recht wenige Zweige der technischen
Wissenschaften, die hier der nur oberflächlichsten Musterung zu unterziehen der
Versuch gemacht ward. Vermöchte es allgemeineres Interesse zu erregen, so lieſse
sich Gleiches auch gründlich, wissenschaftlich für sämmtliche Gebiete des Verkehres
und der Gewerbthätigkeit, für die groſsen Felder der chemischen Industrien, der
Faserstoff-, Waffen-Industrien u.s.w. bis herunter zu den bescheidenen
Erfordernissen durchführen, welche der Herstellung menschlicher
Bekleidungsgegenstände, dem Haus- und Küchengebrauch u.s.w. dienen. Doch sei es an
dem Beigebrachten genug. Die dem Erfindungsschutze zu dankenden Erfolge sind die
gleichen überall, die Ausführungen aber würden ermüden; stets müſsten sie
bruchstückartig, zusammenhanglos bleiben. Ob einst und wann der Zeitpunkt eintreten
wird, zu welchem Forscher sich des in den Archiven des Patentamts überhaupt
niedergelegten, umfangreichen Materials, also auch des nicht zur Veröffentlichung
gelangten, würden bemächtigen können für die Herstellung einer Geschichte der
neuzeitlichen gewerblichen Technik Deutschlands, steht dahin und ist im Augenblicke
eine müſsige Frage.
III. Die Entwickelung des
Patentrechts.
Dieser Abschnitt führt den Verfasser zur Besprechung verschiedener allgemein
bestehender Irrthümer, so namentlich des unrichtigen Glaubens, als sei mit der
Auslegung einer Anmeldung schon deren Patentirung gewährleistet. Namentlich klagt
der Verfasser über die geringe Bekanntschaft des Publikums mit den gesetzlichen
Vorschriften und die daraus entstehenden Unbequemlichkeiten. Es wird die Thatsache
erwähnt, daſs die auf das Patentamt beschränkte Auslegung der Anmeldungen und das
Verbot deren Abdrucks in der Presse die Zahl der Einsprüche recht geringfügig
mache.
Endlich wird auch die Fassung der Vorlagen und namentlich der Patentansprüche
eingehend besprochen. Naturgemäſs sind die hier weiter zu erörternden Fragen, wie
Abhängigkeitspatente, Nichtigkeitsverfahren, Beschwerde u.s.w., mit scharfen
Umrissen gezeichnet.
Der Verfasser schlieſst seine hochwichtige Arbeit mit dem Bedauern, daſs die
Rechtswissenschaft sich der Pflege und Weiterbildung des Gewerberechts so wenig
annehme, trotzdem gerade auf diesem Gebiete noch viele Fragen der gründlichen
Untersuchung und Erledigung harrten. Ebenso wird mit Bedauern vermerkt, daſs mit
Ausnahme des Dresdener Polytechnikums keine Hochschule Vorlesungen über das
Patentrecht und die wichtigen Fragen der Patentübertragung, Ausführungslicenz u.s.w.
veranstalte.
Das Werk wird zweifellos nicht nur als hochinteressante Literaturerscheinung einen
dauernden Werth zeigen, sondern bestimmt sein, weitgreifende Anregungen zum Ausbau
der erörterten Fragen zu verursachen.
Die Hartig'schen Studien in der
Praxis des Kaiserlichen Patentamts gehen von einer anderen Grundlage aus
als die Bojanowski'schen Darlegungen. Haben letztere
den Werth des Patentgesetzes erweisen wollen, so sind erstere bestimmt, den Umfang
der Patente selbst in gewisse Regeln zu zwängen. Dieses Buch will im Allgemeinen
eine schärfere logische Denk- und Ausdrucksweise in der Technik einführen, im
Besonderen aber eine klare unzweideutige Fassung der Patentansprüche anbahnen. Mit Recht wird darauf
hingewiesen, wie ungemein wichtig gerade auf dem Gebiete des Patentwesens die streng
logische Definition der Erfindung, also ihres Umfanges sich darstellt.
Hartig gibt hierfür sehr beachtenswerthe Fingerzeige und
gute brauchbare Regeln für die allgemeinere Praxis, so daſs wohl sicher ein thätiger
Einfluſs dieser Darlegungen bald bemerkbar sein wird.
Der Verfasser geht davon aus, zunächst die Anwendung gewisser Grundsätze der formalen
Logik klarzustellen und ihre Anwendungsfähigkeit zur Definition mechanischer Gebilde
zu erweisen. Er definirt dann die Grundbegriffe unserer Technik, Werkzeug und
Triebzeug, Mechanismus und Maschine. Hartig definirt
die Maschine als einen Mechanismus im Arbeitsgang, so daſs die Maschine zum Getriebe
wird, wenn die auf sie übertragene mechanische Arbeit durch die inneren
Bewegungswiderstände aufgezehrt wird. Das hervorragende Kennzeichen der Maschine ist
also der Arbeitsgang, und verlangt Hartig demzufolge
auch eine Definition der Maschine stets in deren Arbeitsgang. Die Bedeutung einer
Maschine ist nur durch Beobachtung des Arbeitsprocesses und des in der Zeit
verlaufenden Leerganges zu erkennen.
Nachdem Hartig den Gebrauchswechsel der Werkzeuge bei
der Entwickelung gewisser Werkzeugformen dargelegt und das Verfahren definirt hat,
als dessen Glieder sich in der mechanischen Technologie Rohstoff, Einrichtung und
Erzeugniſs hinstellen, geht er auf eine knappe geschichtliche Darlegung des
Erfindungsschutzes ein, um nun darauf hinzuweisen, daſs eine widerspruchslose
Verwaltung von Patentrechten nur dann möglich sei, und mit der gröſstmöglichen
Tragweite derselben nur dann vereinigt werden könne, wenn jedes solche Rechte
bestimmt. Ein solches Recht soll einen Gattungsbegriff mittels der für wesentlich
erachteten neuen Merkmale feststellen. Hartig weist nun
darauf hin, daſs jenes Recht um so weiter greife, je weniger solche der Natur der
Sache nach nur einschränkende Merkmale angegeben werden.
Hartig nennt den Ursprung jeder grundlegenden Erfindung
ein Problem und will dieses schützen, nicht aber nur eine Ausführungsform desselben.
Dieser Gedanke wird in sehr interessanter Weise an der Pötsch'schen Gefriermethode klar gelegt.
Die Arbeitsverfahren werden, trotzdem sie eine gröſsere Ausdehnung gestatten, oft zu
gering geachtet gegenüber den Maschinen, den Arbeitsmitteln, wenn auch letztere
stets in den Bereich der ersteren fallen. Hierbei wendet sich Hartig gegen die sogen. Constructionspatente, welche
nur den Schutz einer bestimmten Ausführung bezwecken, die sich auf einem bekannten
Arbeitsverfahren aufbaut. Hier ist scharf zu unterscheiden, daſs Construiren und
Erfinden nicht gleichbedeutend ist.
Die scharfsinnigen Bemerkungen über die Gestaltung der Patentansprüche selbst, welche
den Hauptinhalt des Buches ausmachen, können auszüglich nicht wiedergegeben
werden.