Titel: | Ueber Gasbeleuchtung und elektrische Beleuchtung vom gesundheitlichen Standpunkt aus. |
Fundstelle: | Band 277, Jahrgang 1890, S. 124 |
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Ueber Gasbeleuchtung und elektrische Beleuchtung
vom gesundheitlichen Standpunkt aus.
Ueber Gasbeleuchtung und elektrische Beleuchtung.
Hierüber bringt die „Münchener medizinische
Wochenschrift“ die im Nachstehenden mitgetheilten Vergleichungen
des Geheimerath v. Pettenkofer.
Es besteht gegenwärtig ein harter Kampf zwischen Gaslicht und elektrischer
Beleuchtung, ohne daſs man bis jetzt übersehen kann, wem der Sieg werden wird. Gerade in gesundheitlicher
Beziehung ist es von Interesse, die Güte der drei Hauptlichtquellen, des
Tageslichtes, des Gas- und des elektrischen Lichtes, zu vergleichen, da diese auf
die Sehschärfe von erheblichem Einfluſs ist. Es hat sich ergeben, daſs die letztere
beim Gaslicht um etwa 1/10 herabgesetzt wird, während sie beim elektrischen Lichte, besonders
bezüglich der Erkennung von Farben, erhöht ist gegenüber dem Tageslicht. Leider wird
das elektrische Licht aber durch Nebel sehr beeinträchtigt, jedoch lieſse sich
diesem Uebelstande durch Verstärkung des Lichtes abhelfen. Die Klage, daſs das
elektrische Licht zu grell sei und daher das Auge belästige, läſst sich beseitigen,
indem man das Licht durch eine Glasglocke abblendet. Dies geschieht allerdings auf
Kosten der Helligkeit, welche um 20 Proc. geringer wird. Das starke Hervortreten der
violetten Strahlen im elektrischen Licht kann man durch eine gelbe Brille, das gelb
und rothe Gaslicht durch eine blaue corrigiren. Während man bei Gaslicht die
Lichtquelle wegen der Wärmeentwickelung in einer gewissen Entfernung von der
Gebrauchsstelle anbringen muſs, kann man das elektrische Licht, welches nur eine
geringe Wärme erzeugt, nahe an die Arbeitsstelle heranziehen und dann so weit
abblenden, daſs eine Belästigung durch die Intensität nicht mehr stattfindet. Die
Belästigung durch die Wärme ist bei gleicher Lichtstärke bei elektrischem Licht
verschwindend gering gegenüber dem Gaslicht. Nach Untersuchungen von Renk entwickelt ein Edison-Brenner von 17 Kerzen Lichtstärke in 1 Stunde 46 Wärmeeinheiten,
eine Gasflamme von derselben Lichtstärke aber in 1 Stunde 908 Wärmeeinheiten, also
nahezu das 20fache. Versuche im Münchener Hoftheater ergaben bei leerem Hause, daſs
die Temperatur auf der Galerie bei Gasbeleuchtung in 1 Stunde von 16° auf 27°, bei
elektrischer Beleuchtung in derselben Zeit von 16° auf 16,8° stieg. Bei vollem Hause
ist der Unterschied nicht so groſs, weil da die Menschen auch sehr viel Wärme
produciren; es zeigte sich nämlich bei Gasbeleuchtung schlieſslich auf der Galerie
eine Temperatur von 22,8° R.; bei der nächsten Vorstellung, welche unter
elektrischer Beleuchtung stattfand, eine solche von 17,6° R., also eine Temperatur,
die man aushalten kann, während eine solche von 22,8° R. im höchsten Grade lästig
wird.
Vergleicht man die Wärmemenge, welche ein einzelner Mensch abgibt, mit der unserer
Beleuchtungsarten, so findet man folgendes: Man kann annehmen, daſs ein erwachsener
Mensch in der Stunde etwa 92 Wärmeeinheiten abgibt; eine einzige Stearinkerze, die
doch nur wenig Licht verbreitet, gibt 94 Wärmeeinheiten ab, eine Gasflamme von 17
Kerzen Helligkeit gibt in der Stunde 795 Wärmeeinheiten ab. Mit Erdöl bekommt man
bei gleicher Helligkeit 634 Wärmeeinheiten, also etwas weniger als bei Gas und etwa
7mal mehr als von einem Menschen. Durch ein Glühlicht aber von 17 Kerzen Helligkeit
entstehen nur 46 Wärmeeinheiten, das ist die Hälfte der Wärmeproduction eines
Menschen.
Einen noch gröſseren Vorzug hat das elektrische Licht vor den anderen Lichtquellen
bezüglich der Veränderung der Luft in den beleuchteten Räumen. Nach v. Voit verbraucht der Mensch in der Stunde etwa 38g Sauerstoff; eine Stearinkerze etwa 30g, eine Gasflamme von 17 Kerzen Helligkeit braucht
214g Sauerstoff und ebenso ist es mit der
Erzeugung von Kohlensäure. Der Mensch athmet in der Stunde etwa 44g aus, eine Stearinkerze gibt 28g ab, eine Gasflamme 150g und eine Erdölflamme von der gleichen Helligkeit
sogar 289g Kohlensäure. Diese Nachtheile der
Gasbeleuchtung lassen sich allerdings durch eine geeignete Ventilation einschränken.
Gerade in ärztlicher Beziehung ist aber der Nachtheil der Gasbeleuchtung neuerdings
schlagend hervorgetreten, indem man bemerkt hat, daſs in Operationsräumen, welche
mit Gas beleuchtet waren, bei Gebrauch gröſserer Mengen von Chloroform die Luft in
einen Zustand gerieth, daſs die Operation wegen fortwährenden Hustens und
Brechneigung des Operateurs und des Assistenten unterbrochen werden muſste. Pettenkofer hat nun nachgewiesen, daſs diese
Erscheinungen herrühren von einer Zersetzung des Chloroforms in Chlor und
Wasserstoffsäure unter dem Einfluſs der offenen Flamme, wobei unter Ruſsen der
letzteren auch eine vermehrte Abspaltung von Kohlenstoff stattfindet. Es dürfte sich
also für Operationsräume die elektrische Beleuchtung mehr empfehlen.
Schlimmer ist es nun mit dem Gas, was die Gefahren anlangt, die es durch Explosionen
und Vergiftungen veranlaſst. Die Gefahr der Explosion ist nicht groſs, da der Geruch
schon viel eher unerträglich und daher bemerkt wird, als so viel Gas ausgeströmt
ist, daſs es explosibel wird, denn es gehören dazu schon Beimengungen von über 5
Proc. zur Luft. Die stärksten Explosionen erfolgen bekanntlich, wenn eine Luft 10
bis 15 Proc. Gas enthält, von 15 Proc. aufwärts nehmen die Explosionen wieder ab, um
bei 25 Proc. ganz zu verschwinden, da alsdann nur ruhiges Abbrennen erfolgt. Dagegen
ist eine Luft, die auch nur 3 Proc. Steinkohlengas enthält, wegen des Gehaltes von
Kohlenoxyd sehr giftig, von welchem eine Beimengung von nur 0,1 Proc. zur
Athmungsluft schon sehr gefährlich ist, und dabei enthält das Steinkohlengas 10
Proc. Kohlenoxyd. Niedrige Grade vom Gehalt an Kohlenoxyd werden lange Zeit
ertragen, und so erklärt es sich, daſs man sich bei geringen Undichtigkeiten der
Gasleitung wohl unwohl fühlt, sich aber nicht vergiftet. Am gefährlichsten sind die
Rohrbrüche in der Straſsenleitung nahe den Wohnhäusern, da die erwärmten Häuser,
besonders im Winter, auf die mit Gas gesättigte Erdschicht ansaugend wirken und das
Gas in die Wohnräume ziehen. Bei dieser Art von Filtration durch den Erdboden
verliert das Gas seinen specifischen Geruch, nicht aber seinen Gehalt an Kohlenoxyd,
und ungewarnt durch Gasgeruch athmen die Hausbewohner das Gift ein. Untersuchungen
haben ergeben, daſs das Eindringen des Gases durch den Erdboden oder das
„Ansaugen“ desselben bis auf eine Entfernung von 54m von der Rohrbruchstelle stattgefunden hatte. So
lange man – wie zur Zeit – noch kein Mittel hat, das Kohlenoxyd aus dem Gas auf
billige Weise zu entfernen, wird der Gasgebrauch auch in dieser Hinsicht gefährlich
bleiben. Aber auch das elektrische Licht hat seine Gefahren, da bereits eine Menge
von Unglücksfällen gemeldet wurden, wo durch Berührung der Leitungsdrähte der
sofortige Tod herbeigeführt worden ist. Doch werden sich diese Gefahren beseitigen
oder doch auf die eigentlichen Maschinenhäuser beschränken lassen, wenn möglichst
nur unterirdische Leitungen benutzt werden.
Fassen wir alles zusammen, so finden wir, daſs bezüglich der Sehschärfe und des
Farbensinns das elektrische Licht, namentlich das Bogenlicht, einen Vorzug vor dem
Gaslicht hat. Die Blendung ist dagegen geringer beim Gaslicht; die
Zuckungserscheinungen sind beiden eigenthümlich. In der Wärmebildung ist der
Unterschied sehr beträchtlich, nämlich 1 : 20; Luftverschlechterung ist bei
elektrischem Licht gar nicht vorhanden, bei Gas erheblich, bei letzterem auch die
Gefahr der Vergiftung und der Explosion.
Vor Allem hat das Gas den Vorzug, daſs es in groſsen Mengen aufgespeichert werden
kann, so daſs, falls einmal die Production gestört werden sollte, ein Mangel nicht
sofort eintreten kann. Anders bei elektrischem Licht, welches sofort erlischt, wenn
ein Stillstand in der zugehörigen Maschine oder eine Unterbrechung der Leitung
eintritt. Während die Gasproduction ununterbrochen fortgesetzt werden kann, müssen
die Maschinen zur Herstellung des elektrischen Lichtes bei Tag stille stehen; es ist
daher das elektrische Licht noch immer theuer. Nach den Untersuchungen von Fischer, Erisman, Soyka und Rubner liefert bei gleicher Lichtstärke eine gut construirte Erdöllampe
weitaus das billigste Licht. Das Gaslicht ist etwa doppelt so theuer, Edisonlicht
3mal, Rüböl 7mal und Stearinkerzen 27mal theurer als Erdöl, während Wallrath und
Wachs 60 bis 70mal theurer zu stehen kommen als Erdöl.