Titel: | Zur Frage nach dem Einflusse der Biergläser auf den Geschmack des Bieres; von Prof. Dr. F. Linke in Wien. |
Autor: | F. Linke |
Fundstelle: | Band 277, Jahrgang 1890, S. 125 |
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Zur Frage nach dem Einflusse der Biergläser auf
den Geschmack des Bieres; von Prof. Dr. F. Linke in Wien.
Linke, über den Geschmack des Bieres.
Dr. W. Schultze, Direktor der Actienbrauerei in Liesing
bei Wien, hat in einer 54 Seiten starken Broschüre: „Warum Bier nicht aus Gläsern getrunken werden soll“ –
(ausführliches Referat darüber: D. p. J., 1890 276 277 u. ff.) – die Ergebnisse seiner Untersuchungen über die
Bierschädlichkeit der Gläser in folgenden Sätzen zum Ausdrucke gebracht: „Bier im
Glase ist Bier auf dem Sterbebette. Das Glas verschlechtert, indem es sich im
Bier löst, die Qualität des letzteren, so daſs der zielbewuſste Biertrinker die
Verabreichung von Faſsbier in Gläsern prinzipiell abzulehnen hat. Die meisten
der gebräuchlichen Biergläser enthalten Bleioxyd, gehören daher zu den genuſs-
und gesundheitswidrigen Gebrauchsgegenständen. In consequenter Durchführung der
deutschen und österreichischen Sanitätsgesetze erscheint demnach die Erzeugung,
Benutzung solcher Biergläser, sowie der Handel damit als straffällig (S. 32 u.
ff.).
Im gewöhnlichen Kleinverkehr mit Bier hat an die Stelle des Glases der
salzglasirte Steinkrug zu treten. Das beste Trinkgefäſs für Bier ist der innen
vergoldete Silberkrug. Das nächstbeste ein guter Zinnkrug, aus welchem das Bier
sogar besser schmeckt, als aus dem Steinkruge.“
Da diese Schlüsse, wenn unwiderlegt und wahr, geeignet wären, die Glasindustrie zu
schädigen, interessirte es mich, der Sache auf den Grund zu gehen und zunächst die
Logik der Dr. Schultze'schen Broschüre einer Prüfung zu
unterziehen, dann auch selbst analytische Untersuchungen anzustellen. Meine
Ergebnisse sind folgende:
Die Logik der besagten Broschüre hat sich als sehr wenig stichhaltig, die Behauptung
des Bleigehaltes der Biergläser – wenigstens für Wiener Gläser – als falsch erwiesen.
Dr. Schultze constatirte zunächst, daſs das Bier schon
nach 5 Minuten langem Stehen in Gläsern Wiener, Dresdener, Münchener, Frankfurter,
Berliner Ursprunges seinen „milden, süſslichen, zarten, runden“ Geschmack
verlor und „scharf, dünn, leer“ schmeckend wurde.
100 Personen, zu Kostproben in sein Laboratorium berufen, constatirten dieselbe
Geschmacksverschlechterung gegenüber dem Biere in Steinkrügen.
Ob bei diesen letzteren Kostproben ein wesentlicher Umstand nicht auſser Acht
gelassen wurde, die Trinkgefäſse nicht etwa höhere Temperatur als das Bier gehabt,
so daſs bei der ungleichen Wärmeleitung von Steinkrug und Glas eine ungleiche
Erwärmung nach 5 Minuten langem Stehen eintreten konnte, ist aus der Broschüre nicht
zu ersehen. Auch ist die Möglichkeit der Selbsttäuschung durch Voreingenommenheit
bei diesen Kostproben nicht ausgeschlossen.
„Ungläubig waren alle gekommen,“ sagt Dr. Schultze, „überzeugt gingen sie von dannen.“ Sie wuſsten also alle,
was sie constatiren sollten, welches Bier schlechter schmecken sollte. Und wie leicht wäre da
Selbsttäuschung zu eliminiren und Dr. Schultze wird
sich zu diesem Experimentum crucis wohl entschlieſsen müssen, wenn er die
Geschmacksdifferenz unanfechtbar constatiren will: Er credenze den Kostern nicht in Glas- und
Steinkrügen, so daſs sie beim Kosten sehen, wo das
„Glasbier“ steckt, sondern thue in seinem Lagerkeller in ein Bierfaſs
Theile von Biergläsern, natürlich auch von der Temperatur des Lagerkellers, in ein
zweites Faſs ein gleiches Quantum irgend eines indifferenten Körpers, etwa ausgeglühte Quarzstücke
oder meinethalben Steinkrüge, zapfe dann nach so und so viel Minuten oder Stunden
von beiden Bieren in Steinkrüge und lasse nun die Koster, unwissend wo das
„Glasbier“ steckt, dasselbe nach der Geschmacksverschlechterung herausfinden. Treffen es die famosen 100 Koster, dann, aber auch nur dann, wäre die Sache allerdings
constatirt.
Dr. Schultze sucht den Grund dieser angeblichen
Geschmacksverschlechterung in der Löslichkeit des Glases im Bier und namentlich im Bleigehalte des Glases.
Er experimentirt mit zwölf verschiedenen Gläsern und findet, daſs dieselben nach
15tägigem Lagern in Bier 3,5 bis 10mg,5 Substanz
verloren haben, die sich also im Biere gelöst haben muſs.
Berücksichtigt er nur die innere Oberfläche der Gläser und berechnet für die Zeit von
5 Minuten, so kommt er zu den Quantitäten von 0,0004 bis 0mg,0008.
Nun macht Dr. Schultze den logischen Bocksprung und
sagt: „Diese Quantitäten Glassubstanz sind demnach in dem Inhalte der Gläser, in
0l,5 Bier enthalten, von der Wand des
Glases in 5 Minuten abgelöst,“ während er doch höchstens constatirt hatte,
daſs diese Quantitäten von den gesammten Hectolitern,
in welche die Gläser eingelagert worden waren, aufgelöst worden seien. Obige Zahlen
sind also etwa 64 bis 98mal zu groſs.Je nachdem die
innere Oberfläche 32 bis 49 Proc. der Gesammtoberfläche
beträgt.
Dann untersuchte er 46 Biergläser, die er dazu aus Wien, München, Dresden, Frankfurt,
Berlin bezogen hatte, und fand die meisten bleihaltig.
Die 17 Wiener Gläser darunter waren sämmtlich bleihaltig
befunden, mit einem Gehalte von 4,57 bis 0,15 Proc.; im Durchschnitte 1,28 Proc.
Daraus berechnet Dr. Schultze die Menge des von der Wand
des Glases in 5 Minuten vom Biere abgelösten Bleioxydes 0mg,0000017 bis 0mg,000027. Richtig gerechnet höchstens: 0mg,00000031 Bleioxyd.
Der gemeine Menschenverstand hätte sich nun gesagt, von dieser Spur einer Spur Blei
kann die fragliche Geschmacksdifferenz unmöglich herrühren.
Dr. Schultze sagt aber: „Wie wunderbar, daſs solche
minimalen Mengen schon eine Geschmacksdifferenz bedingen“, und geht in
seiner „Gründlichkeit“ dann zur Constatirung, daſs wesentlich das Blei der
Uebelthäter ist, zum synth. Experiment. Er gibt Bleioxyd ins Bier und richtig: der
Geschmack ist verschlechtert!
Hat der Koster da auch von vornherein gewuſst, in welchem Krügel das Blei steckte?
Und wie viel Bleioxyd kam in das Bier? 1mg in 1l, d. i. die – richtig berechnet – 1600000fache
Menge als in dem bleihaltigsten der „Glasbiere“ Dr. Schultze's!
Berechnet man aus obigen Daten die Biermenge für 1mg Bleioxyd, so stellt sich durch einfache Proportionsrechnung heraus,
daſs ein Biertrinker aus dem bleihaltigsten der Schultze'schen Gläser durch 91
Jahre täglich in 2stündiger Trinkzeit 2l
Bier vertilgen, in Summa 66430l
trinken müsse, um 1mg
Bleioxyd in den Magen zu bekommenBei dem Durchschnittsglase von 1,28 Proc.
PbO brauchte es gar 325 Jahre und 237200l.!
Dennoch kann Dr. Schultze nicht ernst und drastisch
genug auf guten 27 Seiten seiner „Fundamentalbroschüre“ die Schrecken dieses
Bleigehaltes der Biergläser betonen und rückt, wie eingangs erwähnt, sogar mit dem
schweren Geschütz der deutschen und österreichischen Strafgesetze gegen diesen
seinen Erbfeind an.
„Denn das Blei hat bekanntlich die böse Eigenschaft, sich im Menschenkörper
aufzuspeichern. Bei fortgesetztem Genusse solcher schwach bleihaltigen Getränke
reiht sich also eine minime Bleimenge an die andere, bis endlich eines schönen
Tages... die chronische Bleivergiftung da ist!“ – 1mg in 91 bezieh. 325 Jahren! – – – – – – – – !
Nun hat es mich aber, angeregt durch mancherlei analytische Curiosa in der Dr. Schultze'schen „Fundamentalbroschüre“,
interessirt, selbst die Prüfung auf Blei vorzunehmen. Denn merkwürdig und
unerklärlich waren diese Schultze'schen Bleifunde
überhaupt, da, wie ich sehr gut wuſste, in unseren Preſsglashütten seit wohl schon
länger als einem Decennium aus Ersparungsrücksichten und weil in der neueren Technik
nicht mehr nöthig, kein Blei mehr in Anwendung kommt, Dr. Schultze seine Gläser aber, wie aus dem Wortlaute der Broschüre zu
entnehmen, erst im Vorjahre acquirirt und untersucht hat.
Ich habe mir also aus Wiener Glasniederlagen in Summa 18 Preſsgläser von den in der
„Fundamentalbroschüre“ abgebildeten Formen verschafft. Um ganz sicher zu
gehen und dem Einwände zu begegnen, daſs ich es da mit lauter ganz neuen Fabrikaten
der letzten Zeit zu thun hätte, habe ich mich die Mühe nicht verdrieſsen lassen, mir
weitere 17 Stück zerbrochene alte Biergläser aus zehn
verschiedenen Wiener Bierhallen und Gasthäusern zu erbitten, die, sowie sie mir
zugesandt wurden, nach einander in meinem Laboratorium auf Bleigehalt geprüft
wurden. Je 2 bis 4g Glassubstanz wurden der
Analyse unterzogen.
In 34 Fällen konnte Blei nur in unwägbaren Mengen mit Schwefelwasserstoff nachgewiesen und der Bleigehalt
nur durch colorimetrischen Vergleich mit einer essigsauren Lösung von Bleioxyd
festgestellt werden:
Derselbe betrug in 23 Gläsern weit unter
1/100 Proc., bei 6
Gläsern
1/100 Proc. bei 5
Gläsern 2/100
Proc., im Durchschnitte also etwa
1/100 Proc.
während Dr. Schultze die 128fache Menge gefunden haben
will.
Dieses 1/100 Proc.
kommt hier wohl weiter nicht in Betracht, da es mir in meinem Laboratorium, wo
fortwährend mit bleihaltigen keramischen Farben, Emaillen, Flüssen u.s.w. gearbeitet
wird, fast unmöglich ist, solche Spuren von Blei abzuhalten.
Nun bedarf es ja auch zu 1mg Bleioxyd gar
30000000l und beim 21-Trinker 40000 Jahre!
Eines der untersuchten Gläser, ein mir von einem kleineren Gasthause zugekommener
Strunk eines alten Glases, ergab einen Bleioxydgehalt von 8,65 Proc. Bei näherer
Erkundigung ergab sich, daſs dieses Glas von dem jetzigen Gasthausbesitzer vor 1½
Jahren nebst zwei gleichen, seither verunglückten Gläsern schon alt von seinem
Vorgänger übernommen worden war, jedenfalls also von ehrwürdigem Alter ist und seine
Entstehung einer Zeit verdankt, wo Dr. Schultze noch
nicht an seine Glaskünste gedacht hat und in welcher in der That noch Bleisätze zu
Preſsglas verarbeitet wurden.
Auch in Medizingläsern hat Dr. Schultze Blei gefunden. 6
Analysen ergaben ihm 0,23 bis 0,48 Proc. – im Durchschnitt 0,32 Proc. –. Dr. Schultze schickt seit der Zeit immer nur mit
Steinkrügeln um Medizin in die Apotheke (S. 19 der Broschüre). Ich habe nun auch aus
6 Wiener Apotheken Medizinflaschen analysirt und Bleigehalte von unter 0,01 Proc.
bis 0,16 Proc. durchschnittlich 0,07 Proc. PbO
gefunden. Daſs der Bleigehalt hier höher, als bei den Preſsgläsern, ist natürlich,
da Medizinflaschen vielfach aus roherem Sulfatsatze, nicht wie die Preſsgläser
zumeist mit bleifreier Melassenpotasche und Ammoniaksoda hergestellt werden.
Ja, selbst aus der Glasur Meiſsner und böhmischer Porzellan-Krügel konnte Dr. Schultze mit
4procentigem Essig Blei auskochen!
In die Porzellanglasur kann doch nun absolut keine Spur Blei gelangen. Es gibt da wohl keine
andere Erklärung, als daſs der Geist des Saturn über Dr. Schultze's Arbeiten schweben mag.
Da das Blei somit abgethan, bleibt zur Frage der Geschmacksverschlechterung des
Bieres in Gläsern, gegenüber Steinkrügen und namentlich gegenüber den hoch
gepriesenen Lichtinger'schen Zinnkrügen, nach Dr. Schultze noch das Moment der Corrosion der Oberfläche
überhaupt.
Ich habe, um da zu einem Vergleichsmaſsstabe zu gelangen, da mir Lagerkeller und
Hectoliter Bier nicht zur Verfügung stehen, die von Dr. Schultze selbst auch so warm angepriesene Methode des Auskochens mit
4procentigem Essig angewendet. Zwei meiner Biergläser gaben durch 7 Stunden mit
4procentigem Essig ausgekocht ¼ und ½mg
Glassubstanz ab – direkt durch Abdampfen und Wägen bestimmt –; ein Steinkrügel in 2
Versuchen à 7 und 10 Stunden 3 und 4mg –; ein Lichtinger'scher Zinnkrug ebenso durch 2 Stunden
behandelt, zeigte sich
an der Oberfläche stark corrodirt; aus der Lösung konnten durch Schwefelwasserstoff
100mg Schwefelmetalle gefällt werden.
Dieselben Verhältnisse dürften wohl auch beim Bier statthaben und da drängt sich die
Frage auf, warum die so intensiv schmeckenden Metallsalze vom Zinnkruge, in relativ
so viel gröſserer Menge vorhanden, gar nicht schmeckbar und nur das Glas so sehr
„bierschädigend“ sein soll.
„Anfangs allerdings,“ sagt Dr. Schultze,
„hat das Bier im blanken Zinnkrug einen Metallgeschmack (!). Das verliert sich
aber nach mehrmaligem Ausbrühen und hüte man sich später, diese Gefäſse innen
blank zu putzen, das wäre ‚bierwidrig‛; man spüle sie nur aus, so daſs sich eine
‚gelbe Biersteinhaut‛ (!) ansetzen kann, dann schmeckt das Bier daraus
ausgezeichnet.“
Die appetitreizende Wirkung dieser „Biersteinhaut“ dürfte wohl zu bezweifeln
sein.
Wien, 20. Juni 1890.
Chemisches Laboratorium der Kunstgewerbeschule des
K. K. Oesterreichischen Museums für Kunst und Industrie.