Titel: | Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. |
Autor: | Oscar Guttmann |
Fundstelle: | Band 278, Jahrgang 1890, S. 19 |
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Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
Eduard Liebert in Berlin hat kürzlich zwei Patente für
die Behandlung von Nitroglycerin genommen. Das erste besteht in der Zugabe von Isoamylnitrat zum Nitroglycerin, um es angeblich ungefrierbar zu machen. Dieser Zusatz wird wohl auch
das Gefrieren nicht in allen Fällen verhindern, die Wirkung aber wahrscheinlich
bedeutend abschwächen (vgl. 1889 273 63). Das zweite
Patent betrifft die Zugabe von schwefelsaurem oder
salpetersaurem Ammoniak zum Säuregemische bei der Nitrirung, um die während
derselben sich bildende salpetrige Säure nach folgender Gleichung zu zerstören:
(NH4)2SO4 + 2NO2H = H2SO4 + 4N + 4H2O.
A. Werner Cronquist in Stockholm hat die Empfindlichkeit gegen Schlag der verschiedenen in
Schweden vorkommenden Explosivstoffe geprüft. Zu diesem Ende gab er Proben von 0g,15 bis 0g,70
bei einer zwischen 15 und 22° schwankenden Temperatur zwischen Stahlplatten, auf
welche ein Gewicht fallen gelassen wurde. Die Resultate waren für:
Nitroglycerin, flüssig
0,41kg/m
„ gefroren
0,80
„ theilweise gefroren
0,27
Dynamit (72 Proc. Nitroglycerin)
0,50
Sprenggelatine (96 Proc. Nitroglycerin)
0,60
„ (90 Proc. Nitroglycerin mit
Campher und Nitrocellulose)
1,80
Ammoniakpulver (Ammonnitrat, Nitroglycerin
und Holzkohle)
0,55
Sebastine (Nitroglycerin, Natriumnitrat und Holzkohle)
0,70
Schieſswolle, trocken
0,82kg/m
„ mit 20 Proc. Wasser
2,30
Nitrocellulose, löslich
0,72
Romit (Ammonnitrat, chlorsaures Kali, Naphtalin
und Paraffin)
0,60
See-Romit (Nitrolactine [? Milchzucker])
1,90
Schieſspulver, entzündet
37,50
Bellit (Ammonnitrat und Nitrobenzin)
62,00
In
Kupferhülse:
Schieſspulver, explodirt
72,00
Bellit weder explodirt noch entzündet bei
292,00
Diese Versuche sind von den bisherigen Erfahrungen ganz verschieden. Nach den
Versuchen von Heſs im österreichischen Militär-Comité
explodirt 75 Proc. Dynamit bei 0kg/m,75, Schieſspulver aber schon bei 7kg/m,75. Auffällig
ist ferner, daſs theilweise gefrorenes Nitroglycerin leichter detoniren solle, als
un gefrorenes, lösliche Nitrocellulose leichter, als trockene Schieſswolle, und
Sprenggelatine leichter, als beide. Nach unseren Erfahrungen sind wir geneigt
anzunehmen, daſs bei den Versuchen Cronquist's einige
Beobachtungs- oder andere Fehler mit unterlaufen sind.
Carl Olaf Lundholm und Josef
Sayers in Stevenston haben sich den Gebrauch von Hydrocellulose und Oxycellulose zur Nitrirung
für Explosivstoffe patentiren lassen. (Engl. Patent Nr. 6399 vom 15. Februar 1890.)
Es ist dabei zu erinnern, daſs Nitro-Hydrocellulose schon im Jahre 1878 von Siersch und Roth für
Zündpatronen zur Detonirung von Sprenggelatine verwendet wurde.
Ein anderes Patent von Carl Olaf Lundholm in Stevenston
(Engl. Patent Nr. 10312 vom 10. Mai 1890) schützt den Gebrauch eines Saugstoffes für
Dynamit, welcher durch Glühen von organische Bestandtheile natürlich oder damit
vermischt enthaltender Kieselguhr hergestellt wird. Das so erzeugte „schwarze
Dynamit“ wird mit Wasser zusammengeknetet, um es flammensicher zu machen.
Bei der häufigen Undeutlichkeit englischer Patente ist es schwierig zu sagen, ob der
thatsächliche Vorgang nicht solche Verbesserungen
enthalte, um ihn von den Patenten Grüne und Borland-Reid (vgl. 1888 268
518. 521) zu unterscheiden.
F. A. Abel und James Dewar haben den Gebrauch von gelatinirter Schieſswolle (an Stelle von gelatinirter
Collodionwolle) patentiren lassen. (Engl. Patent Nr. 11664: vom 24. Mai 1890.)
Um die Entzündung von Schlagwettern zu vermeiden, haben Chalon und Guérin gelatinirtes Wasser unter dem Namen „Gelosina“ als Besatzmittel vorgeschlagen. Dies
wird hergestellt (Bulletin de l'association des ingénieurs
sortis de l'École de Liège), indem 2 Proc. einer aus Algen ausgezogenen
schleimigen Masse mit 98 Proc. Wasser zusammengekocht und daraus kleine Cylinder
geformt werden. Der Cylinder kommt auf den Grund des Bohrloches, welches weiter ist
als die Dynamitpatrone, und diese wird in die weiche Masse so eingedrückt, daſs die Gelosina die Patronen
seitlich einhüllt.
Versuche in Mons haben ergeben, daſs sich dieser Besatz ähnlich günstig verhält, wie
das Wetterdynamit, während man in Anzin fand, die Sicherheit sei nicht gröſser als
bei Benutzung eines Lehmbesatzes.
Jedenfalls ist der gebotene Schutz ein recht unsicherer, denn von der Art der Ladung,
der Stellung der Patrone u.s.w. hängt die mehr oder weniger vollkommene Ausführung
desselben ab, und alle Bedenken, welche gegen die Abel-Settle'sche Wasserpatrone obwalten, sind hier in erhöhtem Grade
vorhanden.
Rouart und Sencier haben Apparate zur Trocknung von Explosivstoffen erdacht, welche rasche und
wirksame Trocknung gestatten. Die Anordnung ist aus Fig.
1 nach Génie civil, 1890 S. 443,
ersichtlich.
Fig. 1., Bd. 278, S. 21A ist eine Kälteerzeugungsmaschine, B ein Kühlkasten, bestehend aus zahlreichen Röhren,
welche in eine 0m,02 hohe Schicht von
Chlorcalciumlösung eintauchen, C eine Heizvorrichtung
aus Rippenrohren, D der Trockenschrank, E ein Gebläse. Die durch das Gebläse in den Kühlkasten
getriebene Luft kühlt sich in der dünnen Flüssigkeitsschicht rasch ab, verliert
dadurch fast alle Feuchtigkeit, erhitzt sich im Heizkasten und geht in den
Trockenkasten. Die Figur zeigt einen Trockenkasten für Knallquecksilber, in dessen
doppelten Wänden warmes Wasser circulirt. Die Kälteerzeugungsmaschine ist jedenfalls
kostspielig sowohl in der Anlage, wie im Betriebe, und es wird wohl praktischer
sein, die Luft mittels Gebläse durch eine Schicht von Chlorcalcium in Stücken
hindurch in einen Heizkasten gehen zu lassen, oder zuerst durch Schwefelsäure und
dann durch Kalk zu leiten, wie beides durch den Referenten schon früher mit Erfolg
durchgeführt wurde.
Hauptmann Franz Holzner veröffentlicht in den Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und
Geniewesens, 1890 Heft 3, 4 und 5, eine äuſserst sorgfältig und mit
offenbar vollkommener Beherrschung der gesammten einschlägigen Verhältnisse
gearbeitete Studie über „moderne Kriegsgewehre“. Um unseren Lesern einen
kurzen Ueberblick über diese Frage zu bieten, und ihnen insbesondere zu zeigen,
inwieweit die Pulverfrage in den verschiedenen Ländern bisher gelöst wurde, oder
Aussicht auf Lösung hat, haben wir die in dieser Studie enthaltenen Angaben in nebenstehende Tabelle
gebracht:In der Tabelle
bedeutet RV Repetirgewehr mit Vorderschafts-Magazin, RP Repetirgewehr mit
Packetladung, E Einzellader, Rl rauchfreies Pulver, Sk Schwarzpulver in
Körnern, V0 Anfangsgeschwindigkeit an der
Mündung, V25 25m von der Mündung gemessen.
Land
Gewehr
Geschoſs-gewichtg
Ladungs-gewichtg
Pulvergattung
Anfangs-geschwindigkeitm
System
Caliber mm
Frankreich
Lebel RV
8
15
2,7
Rl Blättchen (Vieille)
V25 = 610
Portugal
Kropatschek RV
8
16
4,5
Sk (österr. 1886)
V25 = 532
Türkei
Mauser RV
9,5
18,5
4,5
Sk (Rottweil Marke SGP)
V0 = 536
Norwegen
Jarmann RV
10,15
21,85
5
Sk
V25 = 467
Oesterreich-Ungarn
Mannlicher RP
8
15,8
2,75
Rl Körner (Schwab)
V0 = 600
Deutschland
Mauser RP
7,9
14,5
2,5
Rl Blättchen
V25 = 620
Italien
Vetterli-Vitali RP
10,35
20
?
Rl Würfel (Nobel'sches
Ballistit)
V0 = 620
Holland
Vitali-Beaumont RP
11
25
5
Sk
V25 = 440
Schweiz
Schmidt RP
7,5
14
1,9
Rl Blättchen (Schenkeramsler
Sohn)
V25 = 590
England
Lee-Metford RP
7,7
14
?
Rl Schnüre (Cordite von Abel)
V0 = 646
Belgien
Mauser RP
7,65
14,2
3
Rl (Marke )
V25 = 605
Dänemark
Krag und Jörgensen
RP
8
15,4
5
Sk (comprimirt nach Madsen)
V25 = 560
Ruſsland
Lebel? E
–
–
–
Rl (Vieille?)
Schweden
Remington E
8
15,5
3,15
Rl Cylinder (Graupulver vonSkoglund und Wallenberg)
V25 = 586
Spanien
Remington E
11
25
4,75
Sk (Rheinisch-westf. Fabr.)
V0 = 450
Rumänien
Schmidt oder Mannlicher RP
–
–
–
Rl?
Serbien
Mauser-Milovanovich
10,15
–
–
Rl Pantelie?
Aus den Mittheilungen Holzner's ergeben sich noch
bemerkenswerthe Einzelnheiten. Der Gasdruck wurde gemessen, beim türkischen Gewehre
mit 1680at, beim schweizerischen mit 2200at, beim englischen mit 2519at,7, beim schwedischen mit 2390at. Nach Holzner und
nach des Referenten Kenntniſs ist das Aussehen der verschiedenen Pulvergattungen wie
folgt: Frankreich. Kleine Blättchen von etwa 2mm im Quadrate und 1mm Dicke, hornartig in Ansehen und Farbe. Oesterreich-Ungarn. Kleine Körner von grauer Farbe. Deutschland. Dünne Blättchen von 1mm im Gevierte und glänzend graubrauner Farbe. Italien. Blättchen von 2mm im Gevierte, hornartig, gelbbraun, durchscheinend. Schweiz. Blättchen, hellbraun. England (Cordite) runde Schnüre, auch kleine Cylinderchen, durch
scheinend, gelbbraun oder
grünlich schwarz. Belgien. Aehnlich wie Frankreich. Schweden. Kleine Cylinderchen (geschnittene Schnüre)
von Hirsegröſse, graubraun bis lichtbraun.
Dr. S. Bein in Berlin hat einen Apparat zur Bestimmung
der Explosions-Temperatur angegeben, welcher nach der Zeitschrift für angewandte Chemie, 1889 S. 667, im Wesentlichen ein
Doppelcylinder aus Schwarzblech ist, mit einem in den conischen Hals eingesteckten
Reagensrohre, welches etwas Sand am Boden enthält, und durch einen Kork ein
Thermometer sowie ein Trichterrohr eingeführt hat. Ist die Temperatur annähernd auf
die Explosions-Temperatur gestiegen, so wirft man kleine Proben durch das
Trichterrohr, welche bei weiterem Erhitzen explodiren; die Temperatur, bei welcher
dies geschieht, wird am Thermometer abgelesen.Vgl.
1890 277 523. Der Bein'sche Apparat beruht auf demselben Prinzipe wie der
von Heſs und Trauzl verwendete, den wir in
nebenstehenden Fig. 2 und 3 abbilden.
Fig. 2., Bd. 278, S. 23Fig. 3., Bd. 278, S. 23 Derselbe besteht aus einem halbkugelförmigen Gefäſse aus Kupferblech mit
einem lose aufgesetzten Deckel, das auf einem eisernen Gestelle ruht. In dem Deckel
befinden sich 7 Oeffnungen, in deren jede ein unten geschlossenes, oben mit einem
Rande versehenes, kupfernes Röhrchen eingesetzt ist. Das mittlere Röhrchen führt mit
einem Korke den Thermometer, in die anderen, welche 5mm weit sind, wird der Explosivstoff gegeben. Das Gefäſs wird mit Rose'schem Metalle gefüllt, welches schon unter 100°
schmilzt, und sehr hohe Temperaturen verträgt, ohne unangenehme Dämpfe oder
Ueberkochen zu verursachen. Der Bein'sche Apparat (zu
beziehen für 20 M. durch Max Kaehler und Martini in
Berlin) hat jedenfalls den Vorzug groſser Billigkeit, und gestattet bequemeres
Arbeiten.
Derselbe Dr. Bein hat eine Reihe von Versuchen
angestellt, inwieferne die Beimengung von Fett zu Schieſspulver die Verbrennung
desselben beeinfluſst. Wie vorauszusehen ist, hat diese Beimengung die Verbrennung
erheblich verzögert, und es scheint, als ob Bein diese
Eigenschaft zur Herstellung eines progressiv seine Kraft entwickelnden Pulvers
benutzen möchte; es ist aber kaum anzunehmen, daſs ihm dies mit so ungleichmäſsig
constituirten und in ihrer Zusammensetzung so vielfach wechselnden Stoffen, wie
Fette es sind, mit genügender Sicherheit gelingen könne.
Dr. Max Bielefeldt in Mülheim a. Rh. veröffentlicht in
der Zeitschrift für Berg-, Hütten- und Salinenwesen,
Bd. XXXVIII, eine Reihe von Versuchen über das Verhalten von Explosivstoffen in
Schlagwettergruben.
Die Versuche haben deshalb ein besonderes Interesse, weil hier ein tüchtiger Fachmann der Explosivstoffindustrie mit guter Kenntniſs
der Grubenverhältnisse dieselben ausführte, somit jene Bedingungen gegeben waren,
welche zur Lösung aller Fragen nothwendig sind.
Nachdem Bielefeldt – in Uebereinstimmung mit unseren
öfters ausgesprochenen Ansichten – gefunden hatte, daſs die meisten, von
verschiedenen Commissionen und Versuchenden als ganz oder theilweise flammensicher
bezeichneten Explosivstoffe ihr günstiges Verhalten einbüſsen, wenn mehr als eine Patrone zur Verwendung gelangt, so trachtete er
vorerst die Ursachen theoretisch festzustellen. Er ging nun von der Ansicht aus,
daſs der bei der Explosion von Nitroglycerin im Ueberschusse verbleibende Sauerstoff
die Veranlassung zur Fortpflanzung der Flamme sei. Ein solcher Ueberschuſs konnte
ebenso von zu viel Salpeter und dgl. herrühren. Um diesen Sauerstoff zu binden,
fügte er Kohlenstoffträger hinzu, deren Aufgabe es war, mit dem Sauerstoffe
Kohlensäure zu bilden, welche eine Flammenübertragung verhindert. Haben die
Sauerstoffträger auch noch Wasserstoff zur Verfügung, so wird auch noch Wasserdampf
mit gleicher Wirkung gebildet. Der Erfolg entsprach den Voraussetzungen, und es
zeigt sich sonach, daſs Explosivstoffe für Schlagwettergruben, ungleich den für
gewöhnliche Bergbauzwecke, möglichst viel Kohlenstoff enthalten müssen, was
selbstverständlich nur zum Nachtheile der Brisanz und Kraft geschehen kann; dies ist
denn auch der Grund, warum mit Rücksicht auf die indirekten Kosten solchen Explosivstoffen eine Grenze gesteckt ist.
Bielefeldt blieb schlieſslich bei einem Apparate stehen,
welcher aus einem Krupp'schen Guſsstahlblocke von 0m,50 Durchmesser und 0m,80 Höhe mit einer centralen Bohrung von 0m,050 Weite und 0m,70 Länge bestand.
Dieser stand aufrecht in einem schmiedeisernen Cylinder von 2 bis 2m,5 Höhe und 1m,20 Durchmesser, welcher oben offen und mit einem papierbezogenen Holzrahmen
verkeilt war. Das Leuchtgas trat am Boden des Mantels durch eine Gasuhr ein, und im
Innern des Hohlraumes angebrachte, durch Herausziehen der Kurbelstange abstreif bare
Flügel von Pappe dienten zum Vermischen des Gasgemenges. Die Patronen wurden
elektrisch abgethan. Bielefeldt legt den Versuchen im
Stahlblocke den gröſsten Werth bei, weil er fand, daſs die Stichflamme des
ausblasenden Schusses selbst bei kleinsten Mengen von Sprengstoffen Wetterzündungen
hervorruft, wo der freiliegende oder in Kohlenstaub gebettete Explosivstoff sich
noch vollkommen sicher erweist.
Ohne auf die Details seiner Versuche einzugehen, wollen
wir erwähnen, daſs es sich auch hier gezeigt hat, wie die Frage der Sprengung in
Schlagwettergruben nicht einseitig vom Explosivstoffe abhängig gemacht werden könne.
Es ist nothwendig, daſs dieser selbst eine relative Sicherheit biete, es ist aber
auch unerläſslich, daſs die Zündung gefahrlos, und der Besatz entsprechend sei.
Feuchter Letten hat sich als Besatz sehr gut bewährt, und für die Zündung hat man ja in den elektrischen
Zündhütchen, sowie in den Lauer'schen Reibungszündern
gute Mittel. Mit diesen Behelfen haben sich Explosivstoffe, welche aus Dinitrobenzol
und Ammoniaksalpeter bestehen (und aus diesen werden ja Roburit, Securit u. dgl.
neuestens ausschlieſslich hergestellt), als völlig sicher erwiesen, und unseren
Erfahrungen gemäſs wird insbesondere Roburit jetzt stark begehrt, da in
Schlagwettergruben die geringere Kraft und die mancherlei anderen Nachtheile
desselben gegenüber Dynamit für die gebotene Sicherheit gerne in den Kauf genommen
werden.
Berichte über verschiedene Unglücksfälle sind zu verzeichnen: Nach dem Berichte der
Beauftragten für die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie in Deutschland
sind in der Gelatinirbude einer Dynamitfabrik 4 Menschen getödtet worden, und zur
Abhilfe wird die Collodiumwolle nur mehr mit 5 Proc. Feuchtigkeit in leinenen
Beuteln aus dem Trokkenhause gebracht, und bei 40 bis 45° (statt wie bisher bei 60
bis 65°) gelatinirt. Es ist sehr fraglich, ob die mit so viel Feuchtigkeit zur
Verwendung gebrachte Collodiumwolle eine Gelatine von solcher Güte ergibt, daſs das
Nitroglycerin dauernd aufgesaugt bleibt, und nicht etwa
später, in den Händen der Bergleute, zu einer Quelle gröſserer Gefahr wird, während
entsprechende Vorsichtsmaſsregeln in der Fabrik angebrachter wären. Man sollte es
kaum glauben, daſs heute noch die einfachsten Vorsichten in manchen Deutschen
Fabriken auſser Acht gelassen werden, und doch hat es so den Anschein. In einer
Fabrik war Nitroglycerin -haltiges Waschwasser in einem Klärbottiche eingefroren,
und der Arbeiter hob es mit einem Werkzeuge heraus. In einer anderen wurde der
Schlamm vom Filtriren des Nitroglycerins in einem Weiſsblechgefäſse zur Elbe gebracht, und mit einem eisernen Bootshaken ausgekratzt. Das ist dreimal Unrecht- ist es nicht
viel einfacher, den Schlamm an einem sicheren Orte zu verbrennen?
Das rauchfreie Pulver fordert schon Opfer, offenbar, weil sein Verhalten unter allen
Verhältnissen der Erzeugung mit neuen Vorrichtungen noch nicht genügend bekannt ist.
So gab es in Spandau eine Explosion, und eine andere in Avigliana bei Turin. Bei
letzterer kamen nicht weniger als 19 Personen ums Leben, und 18 wurden verwundet,
wobei nur zu verwundern ist, wie man die ungewöhnliche Ansammlung einer so groſsen
Anzahl von Leuten in offenbarer Nähe dulden konnte.
Zwei leichte Explosionen, die eine in den Nobel'schen
Dynamitfabriken in Stevenston, die andere in der National
Explosives Company lim. in Hayle, wobei nur Fenster und das Dach beschädigt
wurden, fanden zu ungefähr derselben Zeit im gleichen Gebäude, nämlich der sogen.
Nachscheidung, statt. In dieses Gebäude werden die vom Nitroglycerin abgeschiedenen
Säuren gebracht, wo sie so lange absitzen, bis die letzten Spuren von Nitroglycerin
sich abscheiden. Da diese Säuren den gröſsten Theil der auf dem Nitroglycerin
schwimmenden niedrigen Nitrate von Fett, Zellstoff und dgl. in Glycerin mitführen, so ist
unter ungünstigen Umständen eine Zersetzung möglich. Eine gänzliche Verhütung
derselben ist vorläufig noch nicht erzielt worden, doch geschah es in Hayle, daſs
die Arbeiter eine sichtlich in Zersetzung befindliche Ladung 8 Stunden hindurch
durch fortwährendes Kühlen mit Wasser und Preſsluft labil erhielten, ehe sie
dieselbe im Sicherheitsbottiche ertränkten.
Die zwei hier erwähnten Fälle, sowie die harmlose Explosion einiger Tropfen von
Sprengöl und Säure, welche von einem noch wenig erfahrenen Arbeiter in einem Eimer
in die Sonne gestellt wurden, sind die einzigen, welche mit der Inbetriebsetzung der
Dynamitfabrik der National Explosives Company lim. in
Hayle (Cornwall), wahrscheinlich der zweitgröſsten Fabrik Europas, verknüpft waren,
trotzdem die dortige Arbeiterbevölkerung niemals vorher mit starken Säuren oder
Nitroglycerin zu thun hatte, vielmehr als Bergleute in den Zinnerzgruben an recht
sorglose Behandlung gewöhnt war. Referent hofft, es werde ihm nicht als
Unbescheidenheit ausgelegt werden, wenn er aus dem Berichte der
Explosivstoffinspektoren für 1889 die folgende Stelle citirt: „Eine der neu
errichteten Fabriken ist die der National Explosives
Company lim. in Hayle, dieselbe ist wohl noch nicht in Betrieb (seither
ist dies geschehen), aber wir haben sie schon mehrmals besichtigt. Die Fabrik
wurde von Herrn Oscar Guttmann geplant und
hergestellt, und sowohl die gesammte Einrichtung, wie die Vollkommenheit der Details besonders zur Vermeidung, bezieh. zur
möglichsten Verminderung der Unglücksfälle geben einen glänzenden Beweis für die
Voraussicht und besondere Geschicklichkeit dieses Herrn. Selbstverständlich
haben alle neuen Fabriken den höchsten Anforderungen zu entsprechen.“
Oscar Guttmann.