Titel: | Die Glasfabriken und die Fabriken chemischer Producte der Gesellschaft Saint-Gobain. |
Autor: | Zg. |
Fundstelle: | Band 278, Jahrgang 1890, S. 140 |
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Die Glasfabriken und die Fabriken chemischer
Producte der Gesellschaft Saint-Gobain.
Die Fabriken chemischer Producte der Gesellschaft
Saint-Gobain.
Unter den Glasfabriken, deren Fabrikate auf der Pariser Universal-Ausstellung zu
sehen waren, sind jene der Gesellschaft Saint-Gobain in erster Linie zu nennen,
einer Gesellschaft, die den weltbekannten Ruf ihrer Erzeugnisse seit mehr als 200
Jahren unverändert aufrecht zu erhalten wuſste. Ueber die Geschichte dieser
Fabriken, den Umfang ihrer Production, sowie die jetzt gebräuchlichen Verfahren der
Spiegelglasfabrikation findet sich ein umfangreicher Aufsatz im Génie
civil, 1889 S. 223 bis 232 und S. 601 bis 608, aus
dem hier nur einzelne interessantere Einzelheiten wiedergegeben sind.
Trotz der unerbittlichen Strenge, mit welcher Venedig, die Mutter der
Spiegelglasfabrikation, jene Arbeiter verfolgte, die durch Auswandern die
heimathliche Industrie in andere Länder zu tragen drohten, gelang es doch den
Nachbarstaaten, insbesondere Frankreich, durch gastliche Aufnahme solcher
Flüchtlinge der hochgeschätzten Industrie eine neue Heimath zu schaffen. Frankreich
verdankt die Einführung der Spiegelglasfabrikation Colbert. Im J. 1665 bewilligte Ludwig XIV.
einem gewissen Nicolas du Noyer die weitgehendsten
Privilegien zur Errichtung von Spiegelglasfabriken auf die Dauer von 20 Jahren. Die
erste mit diesen Privilegien ausgestattete Fabrik in Saint-Antoine (Paris) hatte
anfangs mit allerlei Schwierigkeiten zu kämpfen, die hauptsächlich darin begründet
waren, daſs die venetianischen Arbeiter den Franzosen nichts von ihrer Kunst lehren
wollten; „wenn ihr Leiter krank wurde, gerieth die ganze Erzeugung ins
Stocken“. Erst als Lucas de Nehou, der Erfinder
des Guſsverfahrens in der Spiegelglasindustrie, Direktor der Gesellschaft wurde,
nahm dieselbe einen ungeahnten Aufschwung. 1691 wurde eine Fabrik in Saint-Gobain
bei la Fère errichtet, in welcher das neue Verfahren zuerst zur Anwendung kam. 1702
wurde das Privilegium der Gesellschaft um 30 Jahre verlängert und diese Verlängerung
mehrmals wiederholt, so daſs das Gedeihen der Hütten durch mehr als 120 Jahre von
Seiten der französischen Könige gesichert war. Während der französischen Revolution
gingen diese Rechte zwar verloren, aber die Compagnie war jetzt stark genug, um
jeder Concurrenz gewachsen zu sein.
Schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden in Saint-Gobain Versuche gemacht, das
Holz durch die billigeren Steinkohlen zu ersetzen. Vollständig verdrängt wurde das
Holz aber erst nach Einführung der Siemens'schen
Glasöfen.
Als wichtiger Fortschritt ist die Einführung von Sulfat in den Glassatz an Stelle des
Natriumcarbonats zu verzeichnen; die diesbezüglichen Versuche wurden von Pelouze im J. 1850 angestellt. Die mechanische
Bearbeitung der gegossenen Spiegelgläser hat im Laufe der Zeit mancherlei
Verbesserungen erfahren, wie dies aus der nachstehenden Tabelle ersichtlich ist, in
welcher die Zeitdauer der einzelnen Operationen in den Jahren 1765, 1865 und 1889
angegeben sind.
1765
1865
1889
Schmelzen und Gieſsen
28
Stunden
24
Stunden
24
Stunden
Kühlen
96
„
84
„
72
„
Beschneiden
6
„
6
„
6
„
RauhschleifenKlarschleifen
36 5
„„
28 5
„„
10
„
Poliren
72
„
24
„
12
„
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
243
Stunden
171
Stunden
124
Stunden.
Die Gesellschaft Saint-Gobain besitzt gegenwärtig 6 Spiegelglasfabriken, 6 chemische
Fabriken, 1 Pyritbergwerk, 1 Saline, mehrere tausend Hectar Wälder in Aisne u.s.w.
und eine Eisenbahn zwischen Saint-Gobain und Chauny.
Spiegelglas wird in folgenden Fabriken erzeugt: Saint-Gobain, Chauny,
Cirey-sur-Vezouze, Montluçon, Stolberg, Waldhof bei Mannheim. Seit 1870 hat sich die
Fabrikation verdoppelt. Sie beträgt gegenwärtig:
Polirte Spiegelgläser
800000qm
im Jahr.
Rohe, dünne Scheiben
500000qm
„
Glasplatten u.s.w.
1000000k
„
Optische Gläser, Glassorten für
Beleuch- tungsgegenstände
80000k
„
Der Preis der Spiegelgläser ist auſserordentlich gesunken; die Worte Colbert's: „Die groſsen Spiegelgläser würden keinen
Absatz finden, bloſs der König kann dieselben benöthigen,“ gelten für unsere
Zeit nicht mehr.
Einige Preisangaben über Spiegelgläser:
1702
1802
1889
1qm
Oberfläche
165
Fr.
205
Fr.
30,20
Fr.
2qm
„
540
„
859
„
70,35
„
3qm
„
1000
„
1648
„
102
„
4qm
„
2700
„
3644
„
136
„
Eine Glastafel von 10qm Oberfläche kostete 1873 :
1200 Fr.; 1884 : 830 Fr. und 1889 : 467 Fr.
Seit einigen Jahren hat man in Saint-Gobain das ältere Verfahren des Belegens von
Spiegelplatten mit Amalgam ganz verlassen, und belegt die Gläser nur mehr mit
Silber.
Die Compagnie von Saint-Gobain hatte stets besondere Sorgfalt auf das Wohl ihrer
Arbeiter verwendet. Es gereicht der Gesellschaft zur Ehre, constatiren zu können,
daſs dieselbe trotz ihres langen Bestehens nie mit ihren Arbeitern in Conflikt
gekommen ist. Viele Fabriken haben ihre eigenen Schulen, andere unterstützen die
Schulen der Nachbarschaft. Ein groſser Theil der Arbeiter (besonders die Gieſser)
wohnen unentgeltlich in 1256 Wohnungen. Der Miethzins der Häuser mit 300 bis 500qm Gartenfläche übersteigt nicht 8 Fr. den Monat.
Groſse Flächen in der Umgebung der Fabriken sind an das Personal vermiethet, das sie
mit besonderem Eifer cultivirt. – Die Consumvereine, welche von Beamten und
Arbeitern der Fabriken gegründet wurden, wirken seit 1866 und haben glänzende
Erfolge aufzuweisen. Sie setzen jährlich mehr als 1500000 Fr. um, verkaufen
ausschlieſslich an das Personal der Fabriken und gewähren diesen 8 bis 10 Proc.
Ermäſsigung.
Die Gesellschaft hat eine Sparkasse gegründet, welche die kleinen Ersparnisse der
Arbeiter mit 4 Proc. verzinst. Wenn die Anlage eines Mannes 400 Fr. übersteigt, so
wird ihm das Geld zurückgezahlt oder dafür eine Eisenbahnanleihe o. dgl. gekauft,
Der Ankauf von Häusern wird den Arbeitern durch besondere Ermäſsigung und durch Gewährung von Vorschüssen
erleichtert. Die Kosten des ärztlichen und pharmazeutischen Dienstes werden von der
Gesellschaft getragen. Die Gesellschaft bewilligt arbeitsunfähigen Angestellten
Pensionen, deren Betrag vom Verwaltungsrath bestimmt wird, wobei auf das Alter, die
Zahl der Dienstjahre und zuweilen auf besondere Umstände Rücksicht genommen wird.
Die Pension beträgt ¼ oder ⅕ des Gehaltes, ein Theil derselben wird auch der Wittwe
und den Kindern des Verstorbenen ausgezahlt. Die Arbeiter sind anderntheils
verpflichtet, ihrerseits 1 bis 3 Proc. ihres Gehaltes an die Pensionskasse zu
zahlen. In den meisten Fabriken finden sich Gesangs-, Turn- und Schützen vereine,
welchen die Gesellschaft Subventionen zukommen läſst.
Saint-Gobain hatte das Bestreben, den nunmehr 200 Jahre alten Ruf seiner Producte
aufrecht zu erhalten, und diesem Bestreben ist es zuzuschreiben, daſs die Compagnie
von Saint-Gobain gegenwärtig eine Reihe von chemischen Fabriken besitzt, die zu den
gröſsten Frankreichs gehören.
Im J. 1806 wurden die ersten Spiegelglasscheiben ausgestellt, deren Glas mit Hilfe
künstlicher Soda erschmolzen worden war. Der Prozeſs Leblanc war damals erst kurze Zeit im Betrieb, kein Wunder, daſs die
Fabriken ihre Soda nicht immer in gleicher Qualität herstellen konnten. Die Gefahr,
welche daraus den Hütten von Saint-Gobain in Bezug auf die Güte ihrer Fabrikate
erwuchs, war für diese Veranlassung genug, eine neue Sodafabrik einzurichten. Man
erwarb die alte Glashütte Charlefontaine, welche in eine Sodafabrik umgewandelt
wurde. Als diese den Bedürfnissen nicht mehr genügte, wurde – 1882 – die Fabrik
Chauny eingerichtet, welche gegenwärtig die gröſste Sodafabrik Frankreichs ist. Da
man bei der Herstellung von Soda nach Leblanc
Schwefelsäure braucht, war die Errichtung von Schwefelsäurefabriken eine natürliche
Folge; zur Gewinnung der Schwefelsäure wird jetzt allgemein vom Pyrit ausgegangen;
dieses wichtige Rohmaterial wurde durch Erwerb von Pyritgruben gesichert, ebenso das
Kochsalz durch den Ankauf bedeutender Salinen.
Gegenwärtig besitzt die Gesellschaft Saint-Gobain die folgenden Etablissements
chemischer Producte: Chauny (Aisne), Aubervilliers (Seine), Saint-Fons (Rhone),
Montluçon (Allier), Marennes (Charante-Inférieure). Die Saline Art-sur-Meurthe, die
Pyrithütten von Sain-Bel und die Phosphatlager in Beauval.
Vom Jahre 1793 ab datiren die ersten Vervollkommnungen der Schwefelsäurefabrikation in Frankreich von Clement
Désormes. Im J. 1835 errichtete Gay-Lussac,
damals Rathgeber der Compagnie Saint-Gobain, in Chauny den ersten Condensationsthurm
zur Verdichtung der salpetrigen Säure. Bis zum Jahre 1833 wurde allgemein
sicilianischer Schwefel zur Gewinnung der Schwefelsäure verbrannt; das Haus Perretvon Lyon – gegenwärtig mit Saint-Gobain vereinigt – führte
als erstes die Verbrennung von Pyrit ein, die schon früher von Clément Désormes ohne Erfolg versucht worden war. Die
Production an Schwefelsäure hat sich seit 10 Jahren mehr als verdoppelt. Sie beträgt
gegenwärtig über 200000t von 50° Bé.
Die Salpetersäure, ursprünglich bloſs für den eigenen
Bedarf fabricirt, wird jetzt in groſsem Maſsstabe zur Herstellung von
Explosivstoffen verbraucht. In 3 Fabriken können täglich mehr als 10000k Salpeter verarbeitet werden.
Seit der Gründung der Fabrik von Charlefontaine wurde das für die Sodagewinnung
nöthige Sulfat von der Compagnie selbst hergestellt.
Nach der Begründung von Chauny gewann die Fabrikation stets an Ausdehnung trotz des
Rückschrittes der Sodafabrikation nach dem alten Leblanc'schen Verfahren. Die Production von 1888 beträgt 56500t Sulfat. In Chauny sind jetzt 3 mechanische Oefen
nach dem System Mac-Tear im Gange, die die Handarbeit
überflüssig machen und gesteigerte Production ermöglichen. Seit 1850 wird so reines
Sulfat gewonnen, daſs dasselbe zur Spiegelglasfabrikation verwendet werden kann.
Gegenwärtig wird Spiegelglas fast nur mehr aus Sulfat erzeugt.
Wie bekannt, hatte man ursprünglich für die Salzsäure
keine Verwendung; dieselbe wurde in älteren Fabriken nur aus Rücksicht für die
benachbarten Felder und Wiesen condensirt, die ohne diese Vorsicht groſsen Schaden
gelitten hätten. Heute werden 65 Proc. der Salzsäure, welche in den Fabriken von
Saint-Gobain erzeugt werden, in Chlor verwandelt. Seit 1871 ist der Prozeſs Weldon in Chauny, seit 1875 in Saint-Fons und Marennes
eingeführt. In Saint-Fons wird in neuerer Zeit das Deakon'sche Verfahren der Chlorgewinnung mit gutem Erfolge betrieben. Im
vergangenen Jahre wurden in 2 Fabriken 10000t
Chlorkalk gewonnen; in Chauny werden jährlich 3600000k Eau de Javelle erzeugt.
Die vortheilhafte Lage, in welcher sich Saint-Gobain im Besitze groſser Pyrit- und
Sodalager anderen Fabriken gegenüber befindet, dachten die Einführung des
Ammoniaksodaprozesses bis jetzt entbehrlich; trotzdem wurden in Saint-Fons Versuche
zur industriellen Gewinnung der Soda nach dem Solvay'schen Verfahren angestellt, so daſs man in der Lage ist, dieselbe
sofort in Betrieb zu setzen, sobald das Bedürfniſs es erfordert. Im letzten Jahre
hat sich übrigens die Lage des Leblanc-Prozesses
wesentlich gebessert durch die Einführung des Verfahrens von A. Chance zur Wiedergewinnung von Schwefel aus den Sodarückständen (vgl.
1888 270 * 522).
Künstliche Dünger. Die ersten Phosphatlager in
Frankreich wurden im J. 1818 entdeckt. Das Material blieb aber ohne Anwendung bis
zum Jahre 1836; damals machte Elie de Beaumont zuerst
in einer bemerkenswerthen Denkschrift auf die Vortheile dieses Productes für die Landwirthschaft
aufmerksam. – Die Engländer waren die ersten, welche die Superphosphatfabrikation
einführten; in Frankreich beschäftigte man sich erst seit der Weltausstellung 1867
mit dieser Frage und Daubrée war es, der darauf
aufmerksam machte, daſs kein Land der Erde so sehr mit natürlichen Phosphaten
gesegnet sei, wie Frankreich; man fand Lager derselben in 39 Departements.
Die gesteigerte Einfuhr englischer Producte, sowie das Vorgehen englischer
Gesellschaften, welche bestrebt waren, ihre Besitzungen an französischen
Phosphatlagern von Jahr zu Jahr zu vermehren, waren die Veranlassung, daſs die
französischen Industriellen und obenan die Compagnie von Saint-Gobain sich
entschlossen, die Fabrikation von Superphosphaten aufzunehmen. 1878 fabricirten die
Fabriken von Chauny, l'Oserain und Montluçon zusammen 20000t Superphosphat. Dabei sollte aber die Entwicklung
dieser Industrie nicht stehen bleiben; im Besitze der groſsen Schwefelsäurefabriken
und des einzigen wichtigen Pyritbergwerks von Frankreich war Saint-Gobain dazu
berufen, die anderen Fabriken mit Schwefelsäure zu versehen. Die gesteigerte
Production machte es nothwendig, den Ueberschuſs derselben während der todten Saison
der Düngerfabriken auf passende Weise aufzubewahren, und dies wurde wieder durch
Umwandelung der Säure in Superphosphat möglich. So kam es, daſs sich die Production
dieses wichtigen Materiales in den letzten 10 Jahren auf 110000t jährlich steigerte. Dies geschah aber nicht zum
Nachtheil der anderen Producenten, denn der Bedarf an Superphosphat steigerte sich
in gleichem Maſse. Wieder war es die Compagnie Saint-Gobain, welche durch besondere
Güte und Reinheit der Fabrikate das Vertrauen der Landwirthe geweckt und damit jenen
einen dauernden Absatz gesichert hat. In ihren Hütten wurde auch zuerst getrocknete
Ware erzeugt, welche mit Hilfe geeigneter Maschinen sich besonders leicht auf die
Felder vertheilen läſst.
Die Aufarbeitung der Phosphate geschieht heute nur mehr mit Maschinen. Mit Hilfe
geeigneter Vorrichtungen wird das Rohmaterial aus den Magazinen direkt in die
Fabrikräume gebracht. Man erzeugt gegenwärtig folgende Sorten von Superphosphat:
Gewöhnliche Ware mit 9 bis 11 Proc., reiches Superphosphat (Sup. riche) 18 bis 15
Proc., Superphosphat extra riche mit 16 bis 17 und 19 bis 20 Proc. löslicher
Phosphorsäure. Auſserdem werden noch Dünger für den Weinbau hergestellt und unter
dem Namen „Engrais complet de Saint-Gobain“, ein Gemenge verschiedener
werthvoller Bestandtheile, das u.a. Kaliumsulfat enthält, in den Handel
gebracht.
Bezüglich der Luftreinigung des Etablissements sowie der ausführlichen Beschreibung
der Pyritlager müssen wir auf die Originalarbeit im Génie
civil, 1889 S. 601 bis 608, verweisen.
Zg.