Titel: | Der Tragmodul ist kein Maass der Härte. |
Autor: | Friedr. Kick |
Fundstelle: | Band 281, Jahrgang 1891, S. 293 |
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Der Tragmodul ist kein Maass der
Härte.
Von Prof. Friedr.
Kick.
Der Tragmodul ist kein Maass der Härte.
In den Mittheilungen des technologischen Gewerbemuseums,
1891 Heft 3, veröffentlichte Prof. B. Kirsch eine
Abhandlung „über die Bestimmung der Härte“ und Geheimrath Prof. Dr. Ernst Hartig nahm auf dieselbe im Civilingenieur, 1891 Heft 5, in dem Artikel „Der
Tragmodul als Maass der Härte“ zustimmenden Bezug.
Schon durch die Wahl der Ueberschrift: „Der Tragmodul als Maass der Härte“,
deutet Hartig an, dass er den specifischen
Spannungsgrad an der Elasticitätsgrenze, den Tragmodul, als ein empfehlenswerthes
Maass der Härte betrachtet.
Es wird im Folgenden gezeigt werden, dass der Tragmodul kein Maass der Härte ist, wenn man unter Härte das versteht, was
gewöhnlich mit diesem Worte bezeichnet wird und die Mineralogen durch das bekannte
Ritzverfahren relativ bestimmen. – Dieser Nachweis soll
geführt werden, ohne dass Referent auf seine eigenen, die Frage der ziffermassigen
Bestimmung der Härte berührenden Arbeiten Bezug nimmt.
Kirsch spricht die Ansicht aus, dass die Eigenschaft
„Härte“ bei den verschiedenen Inanspruchnahmen sich derart verschieden
äussert, dass von Zughärte, Biegungshärte, Druckhärte,
Scherhärte u.s.w. gesprochen werden könne, und Hartig schliesst sich dieser Auffassung an und sagt: „ein Körper ist um
so mehr hart, mit je grösserem Widerstände er in seiner Form verharrt.“
Dieser Satz scheint selbstverständlich und doch ist er unrichtig, selbst unter der
Einschränkung congruenter Vergleichskörper und ganz analoger Inanspruchnahme. –
Wäre jener Satz (mit der beigefügten, als selbstverständlich gedachten Einschränkung)
richtig, dann müsste jeder minder harte Körper mit geringerem Widerstände seine
Form verändern lassen als ein Körper grösserer Härte, und dies müsste der Fall sein,
welche Gattung der Inanspruchnahme (Zug, Druck, Biegung u.s.w.) auch gewählt würde,
wenn nur für den einzelnen Vergleich dieselbe Art der Inanspruchnahme platzgegriffen
hätte.
Gleichharte Körper, welcher sonstigen Beschaffenheit sie
auch sein mögen, müssten bei gleichartiger Inanspruchnahme der Formänderung
denselben Widerstand entgegensetzen.
Es folgt hieraus, dass für jede Art der Inanspruchnahme
(Zug, Druck, Biegung u.s.w.), wenn mit den Spannungen bezieh. Pressungen nur bis zu einem charakteristischen Punkte, d. i. bis
zur beginnenden bleibenden Formänderung fortgeschritten
würde, diese formändernden Kräfte um so grössere sein müssten, je härter der
Probekörper wäre.
Für die Körper verschiedener Härte, nach letzterer ansteigend geordnet, müssten sich
Zahlenreihen für Zug, Druck, Biegung, Abscheren u.s.w. aufstellen lassen, deren
einzelne Glieder entsprechend der grösseren Härte des Probekörpers gleichfalls
grösser ausfallen müssten; oder mit anderen Worten: für jede Gattung von
Formänderung ergäbe sich eine Zahlenreihe, deren Glieder entsprechend dem Härtegrade
der Versuchskörper wachsen.
In diesem Falle – wenn derselbe bestände – würde allerdings der Tragmodul das
empfehlenswertheste Härtemaass sein, weil über Zugversuche die meisten Erfahrungen
vorliegen und weil sich Zugversuche mit den vielfach schon vorhandenen Einrichtungen
leicht durchführen lassen.
Andererseits aber könnten statt der Tragmoduli ebenso wohl die Druck- oder Biegungs-
oder Schermoduli verwendet werden; alle diese Zahlenreihen könnten dann der Härte
als Maass dienen.
Die Sache liegt aber anders. – Die Härte, im gewöhnlichen oder dem mineralogischen
Sinne genommen, zeigt nicht die erwähnten einfachen, aber irrthümlichen Beziehungen.
Ein Körper ist nicht unter allen Umständen mehr hart,
mit je grösserem Widerstände er in seiner Form verharrt; sondern es kommt hierbei
sehr auf die Art der Inanspruchnahme und die Wahl der Versuchskörper an.
Gusseisen und gewisse Stahlsorten können als gleich hart (weil sie sich gegenseitig
nicht ritzen) angesehen werden. Beansprucht man beide auf Druck, so verändert das Gusseisen seine Form schwieriger bezieh. erst bei
grösseren Pressungen als der gleichharte Stahl. In diesem Falle erschiene nach Kirsch und Hartig demnach
das Gusseisen härter als der nach dem Ritzverfahren gleichharte Stahl.
Auf Zug beansprucht, zeigen die genannten Materialien
das entgegengesetzte Verhalten. Gusseisen reisst bei geringerer Spannung, als selbe
der Elasticitätsgrenze des benannten Stahles zukommt. Hier verhält sich das
Gusseisen nach Kirsch als weicherer Körper.
Ein zweites Beispiel sei den Angaben der Hartig'schen
Abhandlung selbst entnommen. Er führt eine Reihe von Tragmoduli (Spannungen an der
Elasticitätsgrenze) für Drähte aus verschiedenen Metallen an, darunter gibt er für
Zinn und Blei folgende Werthe:
Zinn
40,1 at (k auf 1 qc)
Blei
62,1 at.
Hiernach wäre Blei härter als Zinn, während erfahrungsgemäss das Blei durch Zinn
geritzt wird, demnach Blei weicher ist als Zinn, vorausgesetzt, dass man die relative Bestimmung der Härte nach der mineralogischen
Methode als richtig anerkennt.
Es wurde oben dargethan, dass, unter Voraussetzung der Richtigkeit der Kirsch-Hartig'schen Anschauungen, die Moduli für Zug,
Druck, Biegung, Abscheren u.s.w. geordnet nach wachsender Härte der Versuchskörper,
Zahlenreihen mit wachsenden Gliedern liefern müssten, welche gleich gut als
Härtezahlen dienen könnten. Daraus aber würde folgen, dass alle Körper, geordnet
nach den Moduli, welche die verschiedenen Arten der
Inanspruchnahme ergeben, nur eine Reihe bilden könnten.
Dies steht aber mit den Versuchsergebnissen nicht im Einklänge.
Die ganze, gewiss schwierige Frage nach einem Maasse für Härte bedarf vor allem die
bedingungslose Anerkennung der Richtigkeit der relativen Härtebestimmung durch
Ritzen, wie die Mineralogie diese einführte. Wiche man von dem allgemeinen Gebrauche
ab, so würde der Begriff Härte vollkommen schwankend und es verlohnte sich wohl
nicht mehr, viel Worte zu verlieren, denn die sachliche Betrachtung müsste sich in
einen Wortstreit auflösen, welcher keinen Werth hat.
Die Einführung der Begriffe: Zughärte, Druckhärte, Biegungshärte, Scherhärte u.s.w.
erscheint uns demnach als Verirrung, nur geeignet, die Begriffe zu verwirren.
Wohl hat die Härte gewiss Einfluss auf den Widerstand gegen Zug, Druck, Biegung,
Abscheren u.s.w., aber dieser Einfluss ist zweifellos viel zusammengesetzter, als
Kirsch und Hartig
annahmen, wie dies schlagend das Beispiel des Verhaltens von Gusseisen und
gleichhartem Stahl erkennen lässt.
Hätte Kirsch bei seinen Versuchen mit verschiedenen,
nach dem Ritz verfahren als gleichhart zu betrachtenden Körpern (hämmerbaren und spröden)
experimentirt, so hätte er sofort das Irrige seiner Ausführungen erkennen
können.
Gewisse Gruppen von Körpern werden sich finden lassen, bei welchen Härte und
Tragmodul annähernd in demselben Verhältnisse stehen, aber für diese Gruppen, welche
nur beschränkte sein können, gibt es ja verschiedene viel einfachere Methoden der
relativen Härtebestimmung, unter welchen die Kerbenmethoden und die Turner-Martens'sche Ritzmethode in erster Reihe
stehen.
Es kann der Methode von Kirsch (Härte gleich Tragmodul)
nicht einmal der Werth einer näherungsweisen Härtebestimmung zuerkannt werden, wie
die Beispiele Gusseisen–Stahl, Blei–Zinn gezeigt haben Beispiele, welche sich gewiss
unschwer vervielfachen Hessen.
Der zweite, grössere Theil der Hartig'schen Abhandlung
enthält Betrachtungen über die Begriffe Elasticitätsgrenze,
Proportionalitätsgrenze und damit Zusammenhängendes. Dieser Theil kann als
Abhandlung für sich gelten und steht mit der Härtefrage nur in losem Zusammenhange.
Die Ausführungen dieses Theiles erscheinen dem Referenten nicht nur vollkommen
einwurfsfrei, sondern geeignet, manche irrige Auffassungen und Unklarheiten über die
diesbezüglichen Fragen zu berichtigen bezieh. aufzuhellen, und sei hierauf die
Aufmerksamkeit der Fachkreise besonders gelenkt und insbesondere hervorgehoben,
dass darin gezeigt wird, dass die Begriffe Elasticitätsgrenze und
Proportionalitätsgrenze demselben Spannungszustande des Probestückes
entsprechen.
Ischl, im September 1891.