Titel: | Der Betrieb auf der Telephonlinie London-Paris. |
Fundstelle: | Band 282, Jahrgang 1890, S. 132 |
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Der Betrieb auf der Telephonlinie
London-Paris.
Der Betrieb auf der Telephonlinie London-Paris.
Im August d. J. hat W. H. Preece zu Cardiff in einer
Sitzung der British Association weitere Mittheilungen über den Betrieb auf der
Telephonlinie London-Paris (vgl. 1891 280 24. 157)
gemacht, die in technischer und wirthschaftlicher Beziehung alle Erwartungen
übertroffen hat. Das Sprechen hat sich in vollkommener Klarheit und Genauigkeit
aufrecht halten lassen. Die Linie hat sich als weit besser erwiesen, als sie sein
musste, und die Gründe davon werden aus folgenden, dem Electrician, 1891 Bd. 27 * S. 473, entnommenen Angaben zu erkennen
sein.
1) Von der Linie hat
Länge
Wider-stand
Capa-cität
die Strecke London-St. Margaret's Bay
84,5
183
1,32
das Kabel St. Margaret's Bay-Sangate
23
143
5,52
die Strecke Sangate-Paris
199
294
3,33
die Untergrundleitung in Paris
4,8
70
0,43
–––––––––––––––––––––––
Summe:
311,3
693*
10,62*
englischeMeilen
Ohm
Mikro-farad
* Diese beiden Summen stimmen nicht mit den dem Electrician entnommenen Posten überein; anstatt 70 und 3,33 wird es 73 und
3,35 heissen müssen.
Das Product RK = 693 × 10,62 = 7359 lässt eine grosse
Geschwindigkeit erwarten.Vgl. 1891 279 120. – Es sei hier darauf
hingewiesen, dass es a. a. O. S. 120 Z. 5 v. u. anstatt „0,71 mm“
heissen sollte: „7,1 mm“.
2) Bei den Vorversuchen im März zwischen den beiden Haupttelegraphenämtern wurden
benutzt die stabförmigen Mikrophone von Ader, d'Arsonval, De
Jongh, Gower-Bell und Turnbull, die Mikrophone
mit Kohlenpulver von Berliner (Hunnigs) und der Western Electric, das Mikrophon mit Lampenfäden von Roulez (vgl. 1891 280 301),
das Post Office Mikrophon mit Kohlenklein und Fäden. Als Empfänger wurden benutzt
die neueste Form von doppelpoligen Bell-Telephonen und
einige von Ader und d'Arsonval zur Vergleichung. Schliesslich entschied man sich dafür, dass
Ader, d'Arsonval, Gower-Bell (mit
Doppelpolempfängern anstatt röhrenförmiger), Roulez und
Western Electric die besten und unter sich nahezu
gleich seien. Bei Hinzunahme der Pariser städtischen Leitungen bis zum Observatorium
durch ein Vermittelungsamt in der Avenue des Gobelines, welche 7 km lang sind und
mit Guttaperchaisolation unter der Erde liegen, also nicht die günstigsten Erfolge
verhiessen, erzielte man doch ganz befriedigende Ergebnisse. Dann nahm man in London
gewöhnliche unterirdische Leitungen bis zum Schatzamte (2 Meilen = 3,2 km) hinzu; da
verminderte sich die Lautheit und Klarheit des Sprechens merklich, doch war das
Sprechen noch möglich. Die weiteren Versuche bestätigten, dass das Sprechen auf
grosse Entfernungen bloss eine Frage der Leitungen und ihrer Umgebungen, nicht eine
Frage der Apparate ist. Zum Betrieb wurden gewählt Gower-Bell für London, Roulez für Paris.
3) Auf keiner Leitung in London spricht es sich vollkommener als zwischen London und
Paris. Man vermochte auch über Paris hinaus zu sprechen, nach Brüssel und selbst
nach Marseille (über 900 englische Meilen) auf den kupfernen Telephondrähten.
4) Der Andrang zur Benutzung der Leitung, die 8 M. für 3 Minuten kostet, war sehr
gross. Im Durchschnitt wurden täglich (ausser Sonntags) 86 Gespräche geführt, das
höchste waren 108. Bis zu 19 Gespräche kamen auf die Stunde, im Mittel 15 in den
geschäftsreichen Stunden des Tages. 150 Wörter wurden in Paris in der Minute dictirt
und in London stenographisch niedergeschrieben; auf 3 Minuten kämen dann 450 Wörter
und bei 8 Schillingen kosteten 5 Wörter nur 1 Penny.
5) Die Schwierigkeiten sind theils äussere, theils innere, a) Die äusseren
Schwierigkeiten, welche aus der Induction aus benachbarten, nur bis etwa 100 Yard
(91 in) entfernten Drähten
herrühren, sind durch Anwendung der einander möglichst nahe geführten, um
einander herumgewickelten Leiter vollständig beseitigt. In England gehen die beiden
Drähte zwischen 4, in Frankreich zwischen 6 Tragsäulen einmal vollständig um
einander; in England kreuzen sie sich innerhalb der Spannweite zwischen den Säulen,
in Frankreich an den Säulen selbst: letzteres schützt besser gegen eine etwaige –
auf gut gebauten Leitungen nicht vorkommende – Berührung der Drähte, beeinträchtigt
indessen die symmetrische Lage der Drähte, b) Die inneren Schwierigkeiten stehen mit
dem Widerstände R, der Capacität K und der elektromagnetischen Trägheit L der Leitung im Zusammenhange. Das Ansteigen des
Stromes bis zur wirksamen Stärke und sein späteres Herabsinken auf 0 dauern eine
gewisse Zeit und von dieser ist die Zahl der möglichen Stromsendungen für die
Secunde abhängig. Die schnellste Schnell-Telegraphie fordert etwa 150 Ströme in der
Secunde, das telephonische Sprechen deren 1500. Die constante Zeit t des Ansteigens sollte daher in einer Telephonleitung
0,003 Secunden nicht übersteigen. Der Widerstand R
allein ändert t nicht; aber der Widerstand in
Verbindung mit Capacität und elektromagnetischer Trägheit verzögert das Ansteigen
und Fallen der Ströme sehr ernstlich. Die Verzögerung wächst mit dem Quotienten L : R und dem Producte K × R. Daher ist t = L :
R + K × R. Könnte man Rt = 0
machen, so würde L = – KR2, und darauf kommt der Condensatornebenschluss hinaus, mittels dessen das
Post Office die Leistung seiner Drähte zu verdoppeln vermocht hat. Wenn man L = 0 macht, so wird KR =
t. Dies geschieht in der Telephonie und liefert das Gesetz der Verzögerung,
d. i. das Gesetz, nach welchem man berechnen kann, bis zu welcher Entfernung das
Sprechen möglich ist. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Berechnungen, welche Preece für die Linie Paris-London nach diesem Gesetze
angestellt hat (vgl. 1891 279 120), richtig waren. Preece stellt nun für L
die Formel auf: L = λ (μ +
μ0)(dC : dt) × β. Darin gibt λ den
Einfluss der gegenseitigen Gestalt und Lage der verschiedenen Theile des
Stromkreises, μ und μ0 die specifische magnetische Capacität des Leiters
bezieh. der Luft, dC : dt
das Verhältniss des Steigens und Fallens der Ströme, β
endlich die Zahl der Kraftlinien des eigenen Stromes, welche den Leiter in
bestimmter Richtung schneiden. Nun ist λ = 2log(d2 : a2) und wird demnach um so kleiner, je kleiner wir
den Abstand d der Drähte und je grösser wir ihren
Durchmesser machen. Den Werth μ pflegt man für Luft und
Kupfer = 1 zu setzen; das ist aber gewiss nicht richtig. In jedem Mittel, mit
Ausnahme der magnetischen Metalle, muss er viel kleiner als 1 sein, und zwar so,
dass er für Kupfer ganz vernachlässigt werden darf, während er für Luft gleichgültig
ist, weil bei der Art des Umeinanderwickelns der Drähte die Magnetisation des
Luftraumes durch den Strom der einen, in der einen Richtung umlaufenden Leitung
durch die von dem andern und in entgegengesetzter Richtung umlaufenden
Stromkreiselemente herrührende ausgeglichen wird, β ist
verzögernd, also eine positive Grösse bei zwei parallelen Leitern mit
gleichgerichteten Strömen, wenn dagegen die Ströme, wie in einer metallischen
Schleife, entgegengesetzte Richtung haben, so streben sie einander zu unterstützen,
sind also von negativem Charakter. Deshalb darf man in einem ganz metallischen
Telephonstromkreise L ganz vernachlässigen, wie Preece es gethan hat. Derselbe hat noch nie eine
elektromagnetische Trägheit in langen einfachen Kupferdrähten nachweisen können,
während in Eisendrähten der Werth von L mit Sicherheit
zu 0,005 Henry für die englische Meile angenommen werden darf.
6) In kurzen metallischen Stromkreisen, bis zu einer Länge von 100 englischen Meilen
etwa, tritt jene negative Grösse nicht in die Erscheinung; in der Linie Paris-London
dagegen zeigt sich diese hilfreiche gegenseitige Wirkung entgegengesetzter Ströme in
eigenthümlicher Weise. Das Kabel bringt eine grosse Capacität in die Mitte des
Stromkreises. In Folge dessen haben wir in jedem Zweige des Stromkreises zwischen
dem etwa in London vorhandenen Geber und dem Kabel in Dover beim Beginn der Arbeit Extraströme, welche in
entgegengesetzten Richtungen laufen, daher auf einander wirken und in Wirklichkeit
den Weg für die wirksamen Ströme vorbereiten. Wenn man nämlich das Kabel in Calais
von der Landlinie abschaltet und die beiden Drähte dort unverbunden lässt, in sie
dagegen in St. Margaret's Bay je ein Telephon einschaltet, so kann man von da mit
London ebenso gut sprechen, wenn die Drähte querüber verbunden wären oder der
Stromkreis bis Paris durchginge.Ueber ähnliche, schon Ende 1877 zwischen Dresden und Leipzig angestellte und
gleichfalls erfolgreiche Versuche vgl. 1878 227
56. Dies beweist; dass die Anwesenheit des Kabels solche
Extraströme in den Landlinien entstehen lässt, und diese wirken so, als ob die
Capacität der letzteren um einen gewissen Betrag M
vermindert würde; die in 4) gegebene Gleichung geht daher in R(K – M) = t über. Deshalb arbeitet die Linie London-Paris besser,
als erwartet wurde. M hat etwa die Grösse 0,0075
Mikrofarad für 1 englische Meile und deshalb wird K
(für die englische Landlinie) auch etwa 0,0075 anstatt 0,0156 Mikrofarad für 1
Meile. Diese hilfreiche Wirkung gegenseitiger Induction ist in allen langen
Stromkreisen vorhanden und ist die Ursache davon, dass man mit Brüssel und selbst
mit Marseille sprechen kann. Gleiches geschieht auch in allen metallischen Schleifen
und dies macht die Messung der elektromagnetischen Trägheit und der Capacität der
Schleifen fehlerhaft. Messen wir die Capacität einer Schleife im Vergleich mit einem
einzelnen Drahte, so kann der Betrag für 1 Meile um 50 Proc. zu gross erscheinen;
messen wir die Capacität des einen Zweiges eines Stromkreises unter ähnlichen
Verhältnissen wie bei der Telephonlinie Paris-London, so kann sie 50 Proc. kleiner
sein, als sie sollte. Endlich weist Preece auf die
Eigenthümlichkeit der durch die absetzenden, oder anschwellenden, aber stets in der
nämlichen Richtung laufenden Mikrophonströme in der secundären Inductorrolle
erzeugten Telephonströme im Vergleich mit Wechselströmen hin; jene folgen nicht dem
Sinusgesetze. Anders gestaltet es sich bei Bell's
Magnetotelephon, bei welchem – wie die Versuche zwischen London und St. Margaret's
Bay gezeigt haben – das Murmeln und die Verwirrung zufolge der elektromagnetischen
Trägheit auftreten, während dieselben bei Mikrophonen nicht vorhanden sind.
7) Blitzwirkung. Eine metallische Telephonleitung kann
von einer Gewitterwolke eine statische Ladung erhalten. Diese Ladung ist eine
Spannung (strain), die sich verliert, wenn die geladene Wolke sich zur Erde oder zu
einer anderen Wolke entladet. Ist elektromagnetische Trägheit vorhanden, so wogt die
Ladung vorwärts und rückwärts im Stromkreise, bis sie erstirbt. Ist keine Trägheit
vorhanden, so verschwindet die Ladung plötzlich und die Neutralität wird mit einem
Male erreicht. Dies macht sich in Telephonleitungen durch eigenthümliche Töne
vernehmbar. Eine Leitung aus Eisendraht erzeugt ein langes Zischen oder einen lauten
Seufzer, eine Leitung aus Kupferdraht dagegen (gleich der London-Paris) gibt einen
kurzen, scharfen Schall, wie den Knall einer Pistole, welcher mitunter erschreckt
und Furcht einjagt, aber weder die Gefahr noch die Möglichkeit eines Schlages
bietet. Der Schall hat thatsächlich wiederholt den Hörer vom Sessel geworfen und zu
der Meinung geführt, er sei vom Blitz erschlagen.
8) Die Zukunft der Telephonie in grossen Städten ruht auf unterirdischen Leitungen
und der Weg zur Ueberwindung der Schwierigkeiten ist klar vorgezeichnet:
Schleifenleitung, Wickelung der Drähte um einander, geringer Widerstand, kleine
Capacität. Ein von Fortin-Herman geliefertes Kabel in
Paris besitzt eine äusserst kleine Capacität, nämlich 0,069 Mikrofarad für 1
englische Meile. In den Vereinigten Staaten benutzt man einen mit Papier isolirten
Draht, der 0,08 Mikrofarad für 1 Meile gibt. In London verwendet man Fowler-Waring-Kabel mit 1,8 Mikrofarad Capacität für 1
Meile, die Capacität der Guttaperchadrähte aber ist 3 Mikrofarad für 1 Meile.