Titel: | Das Elektricitätswerk der Stadt Königsberg i. Pr. |
Fundstelle: | Band 282, Jahrgang 1890, S. 265 |
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Das Elektricitätswerk der Stadt Königsberg i. Pr.
Mit Abbildungen.
Das Elektricitätswerk der Stadt Königsberg i. Pr.
Die Firma Gebrüder Naglo in Berlin hat in der
Festschrift für die vom 26. bis 29. August d. J. zu Frankfurt a. M. tagende Versammlung deutscher Städte-Verwaltungen eingehende
Mittheilungen über drei von ihr ausgeführte besonders interessante elektrische
Anlagen gemacht; welche gewissermassen als Typen angesehen werden können. Die eine
befindet sich in dem 1889 und 1890 erbauten städtischen Krankenhause Am Urban in
Berlin; die zweite und dritte sind Centralanlagen in einer kleineren Stadt
(Blankenburg a. H.) und in einer grösseren Stadt (Königsberg i. Pr.). Ueber die
letzteren beiden entnehmen wir der Festschrift Folgendes.
Die Stadt Königsberg übertrug im Sommer 1889 der Firma Gebrüder Naglo die Ausführung des elektrischen Theiles der geplanten
Centralanlage. Dieselbe sollte 8000 Glühlampen zu 16 N. K. oder deren Gleichwerth
gleichzeitig zu speisen vermögen; das Leitungsnetz, welches von vornherein zu einer
Leistung von 30000 Glühlampen gedacht war, sollte im Fünfleitersystem ausgeführt
werden. Die Arbeiten wurden seitens der beauftragten Firma im September 1889 in
Angriff genommen, der Betrieb am 1. October 1890 eröffnet. Da das Werk im reinen Fünfleitersystem ausgeführt und das erste und bisher
einzige dieser Art ist, so ist ihm ein besonderes, auch historisches Interesse
gesichert. Die Ausführungen zeigen in ihrer Gesammtheit und in Einzelheiten manches
Bemerkenswerthe.
Der Stromverbrauch beschränkt sich zunächst auf Entnahme zu Beleuchtungszwecken und
zwar sind es aussei* öffentlichen Gebäuden vorzüglich Verkaufsläden, Geschäftsräume
und Restaurationen, welche bis jetzt angeschlossen sind. Die Lieferung von Strom zum
Betriebe von Motoren ist in Aussicht genommen und auch die elektrische Beleuchtung
der Strassen und Plätze der Stadt in Erwägung gezogen.
Bei den Anschlüssen der einzelnen Hausanlagen wurde der Grundsatz festgehalten, dass
bei kleineren Abzweigungen bis zu 12 Ampère nur zwei
Zuleitungen von den fünf Leitungen des Netzes aus in das Haus eingeführt wurden, bei
12 bis 24 A. wurden drei, bei 24 bis 36 A. vier und bei höherer Stromentnahme alle fünf Leiter
in das Haus bis zum Schaltbrett geführt. Die Verbrauchsspannung an den Klemmen der
Lampen beträgt 110 Volt, so dass also zwischen den
beiden Aussenleitern 440 V. Gebrauchsspannung
herrscht.
Von den im Keller der Häuser angebrachten, aus Hauptbleisicherungen und
Hauptausschaltern bestehenden Hausanschlüssen führen eisengepanzerte Kabel an das
Leitungsnetz in den Strassen. Dieses ist; wie schon erwähnt, durchweg nach dem
Fünfleitersystem ausgeführt worden und dehnt sich schon jetzt auf den grössten Theil
des Stadtgebietes aus. Die Gestalt und Lage des Netzes bezieh. der zu beleuchtenden
Strassen, besonders aber auch die Lage der Centralstation gegen das Netz ist
insofern eine ungünstige zu nennen, als das Netz sich sehr schmal und lang hinzieht
und das Elektricitätswerk nicht annähernd in den Schwerpunkt des Verbrauches gelegt
werden konnte.
Die Anwendung der Mehrleitersysteme ist bekanntlich auf das Bestreben zurückzuführen,
die Stromstärke bei Gleichstromanlagen durch Hintereinanderschaltung von Lampen im
Interesse einer billigeren Leitung zu vermindern, während durch die Mittelleiter das
Ein- und Ausschalten einzelner Lampen ermöglicht wird. Man vertheilt also
elektrische Energie unter entsprechender Erhöhung der Spannung durch kleine
Stromstärken und hat hiermit den unschätzbaren Vorzug verknüpft, dass die Anwendung
von Speicherzellen gestattet bleibt. Der hohe Werth dieser Speicher für die
elektrische Energie hinsichtlich der Rentabilität und Sicherheit des Betriebes hat
denselben überall schnell Eingang verschafft. Bisher ist von den Mehrleitersystemen
hauptsächlich das Dreileitersystem zur Anwendung gebracht, die Königsberger Anlage
im Fünfleitersystem muss als ein weiterer bedeutungsvoller Schritt in dem erwähnten
Sinne betrachtet werden, welcher in jeder Beziehung ein glücklicher genannt werden
kann. Die Belastungsschwankungen in den einzelnen Abtheilungen
des Netzes entsprechen völlig den vorherigen Berechnungen, und die Anordnungen,
welche zum Verfolgen derselben dienen, haben sich als durchaus zweckmässig
erwiesen.
Textabbildung Bd. 282, S. 265Fig. 1.Querschnitt der Leitungskanäle.Textabbildung Bd. 282, S. 265Fig. 2.Querschnitt der Leitungskanäle. Ueber die Ausführung des Netzes sei Folgendes erwähnt: Da in jeder Strasse
mindestens fünf getrennte Leiter, wo Vertheilungs- und Speiseleitungen
zusammengeführt werden mussten, sogar zehn und fünfzehn Leiter neben einander zu
verlegen waren, war in Erwägung zu ziehen, ob sich hier nicht eine andere Art der
Verlegung als die der unterirdischen Kabel empfehlen würde, und es fand hier
der Vorschlag der Gebrüder Naglo Beifall, blanke
Kupferschienen in Monier-Kanälen zu verlegen. Auch in dieser Beziehung ist das
Königsberger Werk ganz besonders bemerkenswerth. Die Abbildungen Fig. 1 und 2, welche
die Querschnitte von Kanälen darstellen, und Fig. 3 und 4, welche die Art des
Anschlusses der zu den Häusern geführten Kabel veranschaulicht, lassen die
Ausführung der Kanalleitungen erkennen: In den Monier-Kanälen sind
Porzellan-Isolatoren angebracht, auf welchen die Kupferschienen verlegt sind.
Biegsame Stücke in S-Form aus demselben Metall sind von
Zeit zu Zeit zwischengeschaltet; damit die durch die Temperaturveränderungen
hervorgerufenen Längenunterschiede ausgeglichen werden. Die Kreuzungs-Punkte und die
mittels besonderer „Speiseleitungen“ den Strom von der Centralen erhaltenden
und ihn an die sich hier anschliessenden einzelnen Strassenleitungen abgebenden
Speisepunkte sind in Gestalt von gemauerten Brunnen zur Ausführung gekommen, wie es
in Fig. 5 und 6 veranschaulicht wird.
An den inneren Wänden eines solchen Brunnens ruhen, dem Fünfleitersystem
entsprechend, fünf Kupferringe auf Isolatoren. An diese Ringe sind durch
Vermittelung von zwischengeschalteten Bleisicherungen (vgl. Fig. 7 und Fig. 8), welche die Leitungen
vor Ueberlastung schützen, die Vertheilungs- und – Speiseleitungen angeschlossen,
welche in den seitlich einmündenden Monier-Kanälen weitergeführt werden. Der Ring
lässt innen Platz genug, dass die zur Montage und später für Messungen
erforderlichen Verrichtungen bequem vorgenommen werden können.
Textabbildung Bd. 282, S. 265Abzweigung für Hausverschlüsse. Die Vorzüge dieser Art der Leitungsführung sind seit Inbetriebsetzung des
Werkes voll zur Geltung gekommen. Die Leitungen sind leicht zugänglich, was einer
guten Controle sehr zu statten kommt, oder von Vortheil ist, wenn die Schienen
vielleicht in Folge unerwartet starken Anschlusses gegen grössere ausgetauscht
werden sollen.
Die gute Lüftung der Kanäle führt die entwickelte Wärme schnell und leicht ab
und etwaige feuchte Niederschläge auf den Isolatoren werden durch den Stromdurchgang
sofort verzehrt, so dass die Isolationsfähigkeit immer annähernd unverändert
bleibt.
Textabbildung Bd. 282, S. 266Besteigbarer Vertheilungskasten. Die ganze Anlage hat sich denn auch so vorzüglich bewährt, obwohl die
Witterungsverhältnisse im verflossenen Winter die denkbar ungünstigsten waren, dass
der weitere Ausbau des Leitungsnetzes, welcher bereits in Angriff genommen ist, auch
nach demselben Systeme zur Ausführung gelangt. Es bedarf noch der Ewähnung, dass die
Leitungsführung durch die Wasserläufe vermittelst besonders stark gepanzerter Kabel
geschehen ist.
Das Fünfleitersystem verlangt, dass im Allgemeinen 4 Dynamo, zwischen je zwei Leitern
eine, im Betriebe zu halten sind. Daher sind im Maschinenhause der Centralstation
zwei Gruppen von je vier gleichen Dynamo aufgestellt, Diese Maschinen (Modell Ri 450
und Ri 900) sind nach dem Typus der Innenpolmaschinen gebaut und leisten je
32000 bezieh. 64000 Watt. Die Klemmenspannung kann zwischen 90 und 160 V. verändert werden, so dass den Schwankungen in der
Belastung der einzelnen Abtheilungen des Netzes und der dadurch bedingten Aenderung
der Spannungsverluste in jeder Beziehung Rechnung getragen werden kann; die hohe
Spannung von 160 V. wird beim Laden der Speicherzellen
erforderlich. Die kleineren Maschinen zeigen vier, die grösseren sechs Feldmagnete,
welche an die Gestelle der Dampfmaschinen angeschraubt sind; die Ringanker sind
demgemäss auf die Welle der Dampfmaschinen unmittelbar aufgekeilt; etwa in der
Anordnung, welche Fig. 9 gibt. Von den Maschinen
(stehenden Dreifachexpansions-Maschinen) leisten zwei 100 und zwei 200
bei 200 Umläufen in der Minute: jede derselben treibt in der beschriebenen
Weise zwei Dynamo an.
Textabbildung Bd. 282, S. 266Fig. 7.Bleisicherungen in den Vertheilungskästen.Textabbildung Bd. 282, S. 266Fig. 8.Bleisicherungen in den Vertheilungskästen. Die Dynamo sind mit einer Speicherbatterie (Type 24, von 284 Zellen Tudor'schen Systemes, Accumulatoren-Fabrik
Aktien-Gesellschaft Hagen in W.) verbunden, von denen aus durch Vermittelung von
selbsthätigen Zellenschaltern der Strom in das Leitungsnetz geschickt wird. Die
Batterie ist in unmittelbarer Nähe des Maschinenhauses aufgestellt, so dass die
geringe Bedienung, welche dieselbe erfordert, von den Maschinenwärtern mitbesorgt
wird. In der Nähe der Wand, welche Speicherbatterien-Raum und Maschinenhaus von
einander trennt, ist die
Schaltwand aufgestellt. An dieser sind sämmtliche zum Betriebe der Anlage
erforderlichen Apparate angebracht (vgl. Fig. 10).
Der von den Maschinen erzeugte Strom wird hier durch Bleisicherungen, selbsthätige
Ausschalter, Strommesser und Hauptausschalter, und von hier aus, je nach dem
jeweiligen Betriebe, in die Speicherzellen oder in das Leitungsnetz geführt. Die an
der Schaltwand ebenfalls angebrachten Doppelzellen Schalter haben den Zweck, beim
Laden der Speicherzellen schon geladene Zellen abzuschalten oder beim Entladen
Zellen selbsthätig ab- oder zuzuschalten, um hierdurch die Betriebsspannung unter
denselben Bedingungen zu ändern, wie es früher bei den Dynamo geschah. Die übrigen
Apparate dienen zur Regulirung der Maschinenspannung, zur Messung der Spannung an
den einzelnen Theilen der Stadtanlage, oder zur Regulirung der Spannung an den
Speisepunkten u.a.m. Hierbei sei besonders auf die Differentialvoltmeter aufmerksam
gemacht, welche den Zweck haben, die Abweichung der Spannung des einen Speisepunktes
von der mittleren Spannung anzuzeigen. Diese Apparate erleichtern den Ueberblick
über die Spannungsverhältnisse im Netze und geben im Verein mit den
Generalvoltmetern dem Maschinenwärter stets ein genaues Bild über die Zustände in
der Leitung. Ausserdem sind zahlreiche Stromrichtungsanzeiger eingeschaltet, welche
die Beurtheilung der Stromverhältnisse in den Mittelleitern des Netzes erleichtern
oder beim Parallelbetrieb von Maschinen und Speicherzellen erkennen lassen, ob
die letzteren Strom abgeben oder empfangen. An der anderen Seite des Maschinenhauses
sind vier Dampfkessel (Röhrensystem von Dürr-Ratingen)
aufgestellt, welche die Maschinen mit Dampf von 10 at Ueberdruck versehen.
Kohlengelass, Schreibzimmer und Nebenräume vervollständigen das
Elektricitätswerk.
Textabbildung Bd. 282, S. 267Fig. 9.Dampfmaschine mit direct gekuppelter Dynamo. Der stärkste Betrieb fand bisher in der Zeit zwischen 6 und 8 Uhr statt,
was sich aus dem Charakter der hauptsächlich beleuchteten Räumlichkeiten erklärt.
Die Nachfrage nach elektrischem Strom war von Anfang an sehr lebhaft und man hat
sich so schnell an die Vorzüge des elektrischen Lichtes gewöhnt, dass bei den
fortwährend sich mehrenden Gesuchen um Anschluss schon jetzt eine Erweiterung des
Netzes nothwendig wurde.
Ueber das finanzielle Ergebniss des Werkes sind der Stadtverordneten-Versammlung
seitens der Betriebsbehörde bereits günstige Zahlen vorgelegt worden.
Im Anschluss hieran sei noch bemerkt, dass die Anlage in Blankenburg a. H. nach dem
Dreileitersystem für Gleichstrom ausgeführt ist, und zwar der grösseren Billigkeit
wegen oberirdisch. Die an die Speisepunkte angeschlossenen einzelnen
Strassenleitungen sind bei Strassenkreuzungen, den „Kreuzungspunkten“, wieder
mit einander verbunden, so dass ein vollständiges Leitungsnetz gebildet wird, in dem
sich Spannungsunterschiede leicht
Textabbildung Bd. 282, S. 268
Fig. 10.Schema der Schaltanlage des städtischen Elektricitätswerkes zu
Königsberg i. Pr.
Textabbildung Bd. 282, S. 268
Messleistungen von den Speisepunkten kommend.
Textabbildung Bd. 282, S. 268
Fig. 11.Oberirdischer Vertheilungspunkt.
und sicher von selbst ausgleichen. Diesem Zwecke dienen
ausserdem noch die starken Ausgleichsleitungen, welche die Speisepunkte ringförmig
mit einander verbinden. Hierdurch ist dann ein Leitungsnetz geschaffen, in dem ein
vorzüglicher, unmerklicher Spannungsausgleich erfolgt. Sämmtliche Abzweigungen von
den Speisepunkten, ebenso wie die Strassenabzweigungen unter sich sind durch
Bleisicherungen vor Ueberlastung geschützt. An mehreren Stellen des Leitungsnetzes
angebrachte Plattenblitzableiter schützen in vollkommener Weise gegen die Einflüsse
der atmosphärischen Elektricität. Die Stadt ist in drei Bezirke getheilt und in dem
Verbrauchsmittelpunkte eines jeden ist ein Speisepunkt angeordnet.
Als Träger für die Isolatoren wurden im Allgemeinen mit Sublimat imprägnirte, an den
Bordsteinen der Strassen oder den Zäunen der Vorgärten entlang aufgestellte
Holzpfosten mit Querträgern aus demselben Material verwendet. In einzelnen Strassen
machten besondere Umstände die Anwendung von eisernen Konsolen erforderlich, welche
entweder an den Häusern unmittelbar, oder, wo dies nicht angängig war, an Holzmasten
angebracht wurden, welche unmittelbar an den Häuserfaçaden aufgestellt wurden.
Aehnlich wurden die drei eben schon erwähnten Speisepunkte angeordnet, nämlich auf
einem Holzgestänge, oder auf eisernen Konsolen. Bei der letztern Art der Ausführung
werden, wie Fig. 11 sehen lässt, die Leitungen alle
nach dem die Bleisicherungen enthaltenden Kasten geführt, von welchem aus auch die
Blitzableiterdrähte abgezweigt sind.