Titel: | Entwurf einer elektrischen Untergrundbahn für Berlin von der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft. |
Fundstelle: | Band 285, Jahrgang 1892, S. 111 |
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Entwurf einer elektrischen Untergrundbahn für
Berlin von der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft.
Entwurf einer elektrischen Untergrundbahn für Berlin von der
Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft.
Bereits in D. p. J. 1891 280
* 294 ist über die Locomotiven der am 4. November 1890 eröffneten elektrischen
Untergrundbahn in London berichtet worden und eingehende Mittheilungen über den Bau
dieser Bahn sollen demnächst folgen. Obwohl London bereits seit Anfang der sechziger
Jahre eine Untergrundbahn mit Dampfbetrieb zur Verbindung der wichtigsten Bahnhöfe
und für den Verkehr mit der City besass, hatte dieselbe doch lange Zeit eine
Nachfolge nicht gefunden, wesentlich deshalb, weil der Aufenthalt in dem aus
Mauerwerk gebildeten engen Tunnel in Folge der mit Benutzung der Dampflocomotive
unvermeidlich verbundenen Verunreinigung der Luft und Belästigung durch Hitze kein
angenehmer ist. Die elektrisch betriebene Untergrundbahn ist von diesen Uebelständen
frei und hat auch in anderen Weltstädten, namentlich in Paris und New YorkDer von F. J. Sprague am 15. März 1891 an die
New York Rapid Transit Commission erstattete Bericht ist im New Yorker Electrical Engineer, 1891 Bd. 11 S. 394,
abgedruckt. zur Nacheiferung angeregt. Auch für Berlin, wo in den
letzten beiden Jahrzehnten der Verkehr einen so gewaltigen Aufschwung genommen hat
und das bereits so dichte Netz der Schienengeleise für Pferdebahnen ihn kaum zu
bewältigen vermag, weshalb für die weniger aus der Bequemlichkeit der Bevölkerung,
als wegen der sich mehr und mehr verbreiternden Erkenntniss vom Werthe der
Zeitersparniss zu erwartenden weiteren Steigerung des Verkehrs neue Bahnen
geschaffen werden müssen, hat die Allgemeine
Elektricitäts-Gesellschaft schon gegen Ende 1891 einen Entwurf zu einer
elektrischen Untergrundbahn eingereicht, dessen Grundzüge nachstehend angegeben
werden mögen.
Nach dem Vorschlage der Allgemeinen
Elektricitäts-Gesellschaft soll die Stadt Berlin zunächst durch zwei
unterirdische Schienenwege quer durchschnitten werden, welche, in zwei zu einander
senkrechten Himmelsrichtungen liegend, den Hauptstrecken des Verkehrs folgen: In der
Nord-Südrichtung von der Fenn- nach
der Bergmannstrasse und in der Ost-Westrichtung zur Verbindung des neuen
Viehhofs mit Schöneberg. Die hierdurch gebildeten vier Quadranten des städtischen
Gebiets sollen sodann durch zwei fernere concentrische unterirdische Ringbahnen mit
einander verbunden werden. Diese vier Linien werden einen bequemen Verkehr zwischen
den sämmtlichen Stadttheilen ermöglichen. An den Kreuzungspunkten und den wichtigen
Haltestellen des Verkehrs werden Stationen eingerichtet.
Die Nord-Südstrecke (Friedrichstrassenstrecke) läuft unterhalb der Chaussee-,
Friedrich- und Bellealliancestrasse, die Ost-Westlinie (Leipzigerstrassenstrecke) im
Zuge der Landsberger-, König-, Leipziger- und Potsdamerstrasse; die Kreuzungsstelle
der beiden Tunnels ist mithin der Schnittpunkt der Friedrich- und Leipzigerstrasse.
Zwei um diesen Punkt mit den Radien 2 und 4 km gezogene Kreise bezeichnen ungefähr
die Strecken der das Netz ergänzenden beiden Ringbahnen. Die innere führt vom
Halleschen Thor unter der Königgrätzer-, Sommerstrasse und Schiffbauerdamm nach dem
Bahnhof Friedrichstrasse, von dort unter Lustgarten, Börse, Rathhaus nach dem
Molkenmarkt, durch Ross-, Prinzen- und Gitschinerstrasse wiederum zum
Ausgangspunkte. Die äussere Ringbahn soll dereinst eine Verbindung herstellen
zwischen Lützowplatz, Bellevue, Kriminalgericht, Stettiner Bahnhof, Schönhauser
Allee, Königsthor, Schlesischer Bahnhof, Cottbuser Brücke, Gräfe-, Bergmann-,
Kreuzbergstrasse und Schöneberg.
Der Wichtigkeit der einzelnen Strecken für den Berliner Verkehr entsprechend, sollen
dieselben nach einander ausgeführt und mit der Friedrichstrassenlinie, welche
endlich die so lange gewünschte Durchquerung der Strasse „Unter den Linden“
gestattet, begonnen werden. Die zur Herstellung dieser Strecke in Aussicht genommene
Bauzeit beträgt 2 Jahre. Hierauf sollen die Leipzigerstrassenstrecke und die innere
Ringbahn folgen und einem jetzt schon fühlbaren Mangel an ungehindertem schnellen
Verkehr abhelfen. Der Bau der äusseren Ringlinie erscheint zwar vorerst noch nicht
dringend, wird aber im Laufe der Jahre mit weiterem Wachsen der Stadt nothwendig
werden und nach Vollendung der übrigen Strecken unaufschiebbar sein.
Die einzelnen Strecken sind von einander völlig unabhängig, indem sich dieselben in
gesonderten über einander befindlichen Tunneln kreuzen. Auf jeder Linie sind für die
Fahrten nach entgegengesetzter Richtung getrennte Tunnel vorgesehen. Um in den
Längsstrecken beim Uebergang in die entgegengesetzte Richtung die Weichen zu
vermeiden, laufen die Geleise an den Enden in Schleifen aus, durch welche die Züge
von einem Tunnel zur Rückfahrt in den parallelen einlaufen und so einen in sich
geschlossenen Weg ohne Ende zurücklegen.Aehnlich wie bei Bennett's elektrischer
Packetbeförderung, vgl. 1891 282 271.
So führt am Südende der Friedrichstrassenlinie der von Norden kommende Tunnel vom
Belleallianceplatz durch die Bellealliance- und Bergmannstrasse und demnächst durch
die Zossenerstrasse zurück zum Halleschen Thor in den nach Norden führenden Tunnel.
Auf diese Weise ist eine Begegnung zweier Züge von entgegengesetzter Fahrrichtung
unmöglich gemacht und für die Fahrgäste jede sonst hierdurch drohende Gefahr
ausgeschlossen.
Bei Herstellung des Tunnels soll von dem Einbau gemauerter Gewölbe und der üblichen
Verlegung von Röhren erheblich abgewichen werden, schon damit man von den
geologischen Schwierigkeiten der Untergrundformation und dem schlimmsten Feinde des
Tiefbaues, dem Grundwasser, unabhängig werde.
Als Tunnel werden Röhren aus Flusseisen benutzt. Diese gewaltigen Rohre von ovalem
Querschnitt, 10 mm stark, etwa 3,5 m hoch, unten etwa 3 m breit, sollen bei den
geplanten Bahnen 8 bis 15 m unter der Erdoberfläche liegen, so dass sie das
Spreebett noch mehr als 2 m unter der Flussohle kreuzen. In Folge ihrer tiefen Lage
sind sie dem Frostgebiet beständig entzogen. Sie werden aus mehreren gekrümmten
Eisenplatten zusammengefügt, die an ihren Flanschen wasserdicht mit einander
verschraubt werden. Sie werden mittels sinnreicher Vorrichtungen unten in die Erde
gewissermaassen hineingeschoben und aus ihnen alsdann der Boden fortgeschafft. Der
zwischen dem äusseren Erdreich und dem Tunnel hergestellte freie Raum wird dicht mit
Cementmörtel ausgefüllt. Ein eben solcher Mantel befindet sich im Inneren der Röhre
und dient zugleich als Schutz gegen das Rosten. Diese Arbeitsweise hat den für die
Grosstadt sehr wichtigen Vortheil, dass die gesammte Bauarbeit unbemerkt und ohne
Verkehrsstörung vor sich gehen kann. Die Schienen liegen auf der Sohle des Tunnels
im Abstande von 1 m. Dort führen auch, jedoch für Niemand erreichbar, die
Zuleitungsdrähte des elektrischen Stromes zur Fortbewegung der Züge, zur Beleuchtung
der Tunnel, zur Bedienung der im Betrieb benöthigten Signaleinrichtungen u.s.w.
Die Benutzung der Elektricität als bewegende Kraft ermöglicht, ganz abgesehen von
den hierdurch entstehenden Minderausgaben im Betriebe, einen behaglichen Aufenthalt
in den unterirdischen Räumen, da bei ihrer Verwendung jegliche Belästigung des
Publikums durch Qualm, Hitze und Geräusch fortfällt. Bei der geplanten Einrichtung
wird die Benutzung von Speicherbatterien vorläufig nicht in Aussicht genommen. Die
zur Anwendung gelangende Anordnung schliesst sich der von der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft bereits in Halle
mit Erfolg durchgeführten in vielen Punkten an. Es werden aber nicht, wie bei
Strassenbahnen, auf den Strecken einzelne Wagen verkehren, sondern der Berliner
Massenverkehr erfordert, wie bei der Berliner Stadtbahn, die Bildung kleiner
Eisenbahnzüge. Es sind für jeden Zug drei Personenwagen vorgesehen nach Art der
gewöhnlichen Strassenbahnwagen. Dieselben ruhen vorn und hinten auf je zwei
Achsenpaaren, haben in der Längsrichtung einen Durchgang für die Fahrgäste und
bieten Platz für je 40 Personen. Im Zuge sind sie durch Uebergänge mit einander
verbunden. Mit Rücksicht auf diese Zusammensetzung der Züge enthält nicht jeder
Wagen wie in Halle einen Motor, sondern es werden zum Ziehen der drei Wagen
selbständige Maschinen benutzt, die man füglich als elektrische Locomotiven
bezeichnen kann. Da diese nicht zur Erzeugung, sondern lediglich zur Verwendung des
elektrischen Stromes dienen, ergibt sich für sie eine sehr einfache Einrichtung. Sie
enthalten nur mehrere langsam laufende Elektromotoren mit den nöthigen Regulirungs-
und Bremsvorrichtungen, sowie Platz für den Führer. Die Drehung der Motorachsen wird
den Rädern der Locomotive mitgetheilt und dadurch der ganze mit dieser gekuppelte
Zug in Bewegung gesetzt. Die benöthigte elektrische Energie wird in Centralstationen
erzeugt und über das ganze Netz vertheilt. Diese Centralen geben gleichzeitig den
elektrischen Strom für die Zug- und Tunnelbeleuchtung, die Signaleinrichtungen,
erforderlichenfalls auch für Fahrstühle, Ventilatoren u.s.w.
Die Züge folgen einander in Zwischenräumen von 3 Minuten und besitzen eine
Fahrgeschwindigkeit von ungefähr 25 km in der Stunde, kommen mithin den Berliner
Stadtbahnzügen an Schnelligkeit gleich. Durch diese grosse Geschwindigkeit wird
bereits an sich für eine genügende Lüftung des Tunnels gesorgt; durch elektrisch
betriebene Ventilatoren kann diese noch gesteigert werden.
Ein Punkt, welcher besondere Schwierigkeiten bot und durch seine wesentliche
Bedeutung für den Bahnverkehr bei der Planung der Untergrundbahnen die grösste
Umsicht erforderte, war die Anlage der Bahnsteige. Gerade diese Frage hat hier eine
sehr geschickte und günstige Lösung gefunden: Die unterirdisch gelegenen Stationen
befinden sich nämlich in dem ungefähr 10 m breiten Raume zwischen den parallelen
Tunneln, in den sogen. Schleifen natürlich an einer Seite des Geleises; sie werden
auf dieselbe Weise und aus gleichen flusseisernen Röhren wie die Tunnel hergestellt.
Zu diesem Zwecke sind mehrere Röhren neben einander verlegt, deren Seitenwände
theilweise durch massive eiserne Träger ersetzt werden. Von der Strasse erfolgt der
Zugang zu den Bahnsteigen theils von sogen. Inselsteigen mit Wartehallen, theils auf
Höfen, oder in Läden passend gelegener Häuser. Der Verkehr für das Publikum ist der
denkbar einfachste, dem Stadtbahnbetriebe entsprechende. Nur wird man, statt zum
Bahnsteig emporzusteigen, mittels Fahrstühlen zu demselben hinabbefördert. Neben den
Fahrstühlen sind Treppen vorhanden. Die Fahrstühle fassen 40 bis 50 Personen. Für
Kreuzungsstationen sind naturgemäss zwei über einander gelegene, rechtwinklig sich
kreuzende Bahnsteige vorgesehen, welche ebenfalls durch Fahrstühle und Treppen
verbunden sind. Die Station wird durch eine Fülle von elektrischem Licht fast
taghell beleuchtet und wird auch in architektonischer, gesundheitlicher und
ästhetischer Hinsicht voll befriedigen.
Für die zunächst zu bauende Friedrichstrassenstrecke sind folgende 14 Haltestellen
geplant: Fennstrasse, Eiskeller, Invalidenstrasse, Oranienburger Thor, Karlstrasse,
Bahnhof Friedrichstrasse, Unter den Linden, Jäger-, Leipziger-, Kochstrasse,
Markthalle II, Belleallianceplatz, Gneisenau- und Bergmannstrasse. Diese Strecke
wird bei der geplanten Geschwindigkeit unter Berücksichtigung des Aufenthalts auf
den Stationen in etwa 20 Minuten zurückgelegt werden können. Die Länge der
Gesammtstrecke hin und zurück beträgt ungefähr 13 km; der Anschlag für ihre
Herstellung beläuft sich auf 12 Millionen Mark.
Es ist anzunehmen, dass zur Ausführung des gewaltigen Unternehmens eine Art
Schwestergesellschaft der Berliner Elektricitätswerke
erstehen wird.
Die elektrische Untergrundbahn wird nach ihrer Vollendung die bisher vermisste
Ergänzung zu den bereits bestehenden Verkehrsmitteln der Stadt Berlin bilden. Diese
werden dadurch keineswegs eine Schädigung erfahren, da der gesteigerte Verkehr
jederzeit alle verfügbaren Transportmittel vollauf beschäftigen wird.
Denjenigen gegenüber, welche aus dem Bestehen der Untergrundbahn eine bedenkliche
Concurrenz für Omnibus-, Pferdebahngesellschaften u.s.w. folgern, genügt es, darauf
hinzuweisen, dass nach den statistischen Angaben beispielsweise in New York die
Hochbahn, obgleich einen bedeutenden Verkehr aufnehmend, die Frequenz der
Strassenbahnen nur auf kurze Zeit und keineswegs bedeutend eingeschränkt hat.