Titel: | Neuerungen in der Fabrikation der Mineralsäuren, der Soda, Potasche und verwandter Industriezweige. |
Fundstelle: | Band 286, Jahrgang 1892, S. 88 |
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Neuerungen in der Fabrikation der Mineralsäuren,
der Soda, Potasche und verwandter Industriezweige.
Neuerungen in der Fabrikation der Mineralsäuren, der Soda, Potasche
und verwandter Industriezweige.
Ueber Schwefelsäurefabrikation.
Den Verlauf der Schwefelsäurebildung in den Bleikammern suchte Alfred
Retter durch Gasanalysen und Temperaturmessungen zu
ermitteln. Das Resultat seiner Untersuchungen legte er in einer grösseren Abhandlung
nieder, der nachstehende Mittheilungen entnommen sind.Zeitschrift für angewandte
Chemie, 1891 S. 1 bis 18. Verf.
stellte seine Untersuchungen an drei Systemen der ehemals Oldendorff'schen Guanowerke in Hamburg an, und zwar zunächst an einem
Einkammersystem. Es hatte sich nämlich im Laufe der Zeit ergeben, dass das
Einkammersystem eine geringere Productionskraft aufzeigte als die Zweikammersysteme.
Im Durchschnitte entfiel bei der Anlage mit einer Kammer auf 1 k Schwefel 2,22 cbm
Kammerraum; bei der Anlage mit zwei Kammern auf 1 k Schwefel 1,45 cc Kammerraum. Die
Versuche, die Ausbeute des Einkammersystems durch verstärkte Pyritladung zu erhöhen,
hatten stets zur Folge, dass der Process alsdann sehr zu Unregelmässigkeiten neigte.
Dem Wechsel der Aussentemperatur und des Luftdruckes folgten die Farbenveränderungen
der Laternen vor und hinter dem Gay-Lussac-Thurme und die Veränderung des
Sauerstoffgehaltes viel häufiger als vorher.
Die Kammer hatte einen Inhalt von 3000,97 cbm bei 57,3 m Länge, 8,3 m Breite und 6,3
m Höhe; der Glover einen solchen von 28,9 cbm = 0,96 Proc. des Kammerinhaltes; der
Gay-Lussac 26 cbm Inhalt = 0,86 Proc. des Kammerinhaltes. Der zugehörige Ofen war
ein Stückkiesofen mit 6 Abtheilungen, der in 24 Stunden 3000 bis 3300 k Pyrit (mit
50 Proc. Schwefel) verbrannte. Die salpetrige Säure wurde als Nitrose und durch
Salpetereinsatz in den Ofen der Kammer zugeführt.
Die Gasproben wurden an 10 Stellen des Systems abgesaugt und analysirt. Verf.
verfolgte dabei im Allgemeinen den von Lunge und Naëf angegebenen Gang. Gasproben wurden abgesaugt an
folgenden Stellen:
1) Aus dem Verbindungsrohre zwischen Gloverthurm und Kammer. 2) 1,5 m von der
Vorderwand entfernt, 1 m über dem Boden (I u.) und unter der Decke (I o.). 3) 10 m
von der Vorderwand entfernt unten (II u.) und oben (II o.). 4) 28 m von der
Vorderwand unten (III u.) und oben (III o.). 5) 48,3 m von der Vorderwand unten (IV
u.) und oben (IV o.). 6) Im Abzugsrohre hinter dem Gay-Lussac. Die Absaugröhren
ragten 1,5 m in die Kammer hinein und waren schwach nach innen geneigt.
Bei normalem Betriebe, bei welchem in 24 Stunden 3000 k Pyrit mit einem Aufwände von
60 k Salpeter verarbeitet wurden, war die Zusammensetzung der Gase die in Tabelle
Nr. 1 auf folgender Seite angegebene.
Die Zahlen eines zweiten Versuches weichen von den obigen nicht wesentlich ab; die
Gase kamen mit 5,019 Proc. Schwefeldioxyd und 9,102 Proc. Sauerstoff aus dem Glover,
enthielten 1,5 m von der Vorderwand 0,431 Proc. Schwefligsäure, in der Mitte (III)
noch 0,036 Proc. und gelangten mit 0,009 Proc. Schwefligsäure, 0,007 Proc.
Salpetrigsäure und 0,006 Proc. Stickoxyd in das Abzugsrohr.
Auffallend ist die sofortige, bedeutende Abnahme der schwefligen Säure kurz nach dem
Eintritt der Gase aus dem Gloverrohre. Eine so rasche, fast plötzliche Oxydation zu
Schwefelsäure ist unwahrscheinlich und wird auch vom Verf. nicht angenommen. Schertet ist der Ansicht, dass die Stelle 1,5 m von der
Stirnwand übel gewählt sei, da sie in einer todten Ecke liege und von dem Zuflüsse
frischer Gase nicht getroffen würde. Jedenfalls aber darf aus dem Versuchsergebnisse
geschlossen werden, dass zwischen den Probestellen II und III nur noch eine geringe,
jenseits des Punktes III so gut wie keine Reaction mehr erfolgt. Der Gehalt an
salpetriger Säure zeigt sich in der Kammer fast überall constant, nicht aber
derjenige an Stickoxyd. Letzteres
Tabelle Nr. 1.
Glover
I
II
III
IV
Abzugs-rohr
unten
oben
unten
oben
unten
oben
unten
oben
SO2
6,201
0,601
0,610
0,211
0,228
0,033
0,035
Spur
0
0
N2O3
0,092
0,108
0,111
0,122
0,131
0,128
0,129
0,103
0,102
0,010
NO
0,063
0,025
0,025
0,018
0,017
0,009
0,009
0,004
0,004
0
O
8,638
6,871
6,850
6,240
6,259
6,007
6,010
5,831
5,600
5,602
N
85,006
92,395
92,408
93,409
93,365
93,823
93,817
94,062
94,296
94,390
Nitrose auf dem Glover:
100
Gew.-Th.
= 1,7
Th.
N2O3
= 3,8
Th.
NaNO3.
Nitrose von Gay-Lussac:
100
„
= 1,8
„
„
= 4,0
„
„
verschwindet, wie schon von Lunge
und Naëf beobachtet worden ist, bei normalem Kammergang
aus dem Gasgemisch oder geht in salpetrige Säure über.
Wurde die Luftzufuhr vermindert, enthielten die Eintrittsgase also weniger Sauerstoff
als bei normalem Gang, so nahm die Schwefligsäure nicht so rasch ab und die Gase
wirkten noch im letzten Kammertheile auf einander ein. Aus dem Gay-Lussac-Thurme
entweicht Schwefligsäure und mit derselben eine ziemliche Menge Stickoxyd, was
natürlich ein Schwächerwerden der Nitrose zur Folge hat. Der eine der mit niedrigen
Sauerstoffmengen geführten Versuche gibt folgendes Bild des Vorganges (Tab. Nr.
2):
Tabelle Nr. 2.
Glover
I
II
III
IV
Abzugs-rohr
unten
oben
unten
oben
unten
oben
unten
oben
SO2
10,251
2,226
2,256
1,042
1,101
0,318
0,386
0,029
0,012
0,010
N2O3
0,063
0,084
0,080
0,098
0,098
0,096
0,090
0,090
0,088
0
NO
0,110
0,091
0,080
0,063
0,070
0,040
0,040
0,028
0,029
0,027
O
5,720
4,333
4,133
3,876
3,776
3,460
3,400
3,110
3,110
3,109
N
83,856
93,266
93,451
94,921
94,955
96,086
96,084
96,743
96,759
96,854
Nitrose auf dem Glover:
100
Gew.-Th.
= 1,1
Th.
N2O3
= 2,5
Th.
NaNO3.
Nitrose von Gay-Lussac:
100
„
= 0,85
„
„
= 1,9
„
„
Ein zweiter Versuch, der mit noch sauerstoffärmeren Gasen, aber mit ungewöhnlich viel
Salpetergasen angestellt wurde, ergab folgende Zahlen (Tabelle Nr. 3):
Tabelle Nr. 3.
Glover
I
II
III
IV
Abzugs-rohr
unten
oben
unten
oben
unten
oben
unten
oben
SO2
10,621
3,628
3,400
2,281
2,471
0,986
0,883
0,153
0,140
0,127
N2O3
0,920
0,846
0,823
0,901
0,901
0,833
0,651
0,910
0,868
0
NO
0,094
0,090
0,090
0,091
0,095
0,090
0,092
0,089
0,090
0,089
O
3,420
2,164
2,031
1,536
1,536
1,200
1,255
1,240
1,240
1,026
N
84,945
93,272
93,656
95,191
94,997
96,891
97,119
97,008
97,662
98,758
Nitrose auf dem Glover:
100
Gew.-Th.
= 1,1
Th.
N2O3
= 2,5
Th.
NaNO3.
Nitrose von Gay-Lussac:
100
„
= 0,65
„
„
= 1,4
„
„
Bei beiden Versuchen ist es eigenthümlich, dass der Sauerstoffgehalt im Verhältniss
zur schwefligen Säure wächst, während das Verhältniss zwischen salpetriger Säure und
Stickoxyd in der ganzen Kammer dasselbe bleibt, obgleich man des geringen
Sauerstoffgehaltes wegen eine Reduction der salpetrigen Säure erwarten sollte.
Arbeitet das System mit verstärkter Luftzufuhr, so wird ein Theil der schwefligen
Säure der Reaction entzogen. Das Stickoxyd wird trotz des vielen überschüssigen
Sauerstoffes nicht oxydirt und der Gay-Lussac-Thurm vermag aus den rascher
durchstreichenden Gasmassen die salpetrige Säure nicht mehr vollständig aufzunehmen.
Nachstehende Zahlen eines Versuches mögen dies ersichtlich machen (Tabelle Nr.
4):
Tabelle
Nr. 4.
Glover
I
II
III
IV
Ab-zugs-rohr
unten
oben
unten
unten
unten
SO2
3,590
0,312
0,203
0,197
0,157
0,101
0,101
N2O3
0,079
0,110
0,118
0,101
0,109
0,122
0,093
NO
0,087
0,068
0,052
0,060
0,068
0,040
0,018
O
13,004
10,836
10,600
10,101
9,676
9,530
9,529
N
83,240
88,674
89,027
89,541
89,990
90,207
90,289
Nitrose auf dem Glover:
in 100 Gew.-Th. = 1,1 Gew.-Th. N2O3 = 2,5 NaNO3.
Nitrose auf dem Gay-Lussac:
in 100 Gew.-Th. = 0,56 Gew.-Th. N2O3 = 1,3 NaNO3.
Die Tropfsäure war schwächer (46° bis 48° B.) als bei normalem Betriebe.
Wird der Kammer zu wenig salpetrige Säure zugeführt, so reicht der vorhandene
Kammerraum nicht aus, um alle schweflige Säure zu oxydiren. Letztere gelangt in
ziemlicher Menge nebst Stickoxyd und salpetriger Säure in den Gay-Lussac, so dass
der Fall eintreten kann, dass sich der Kammerprocess im Gay-Lussac-Thurme fortsetzt.
Dann entwickelt die in den Thurm eintretende schweflige Säure aus der ihr entgegen
tropfen den nitrosen Säure Stickoxyd, welches zum Theil aus dem Thurme ins Freie
gelangt.
Die Mengen an schwefliger Säure und Stickoxyd, welche bei Zufuhr von zu wenig
salpetriger Säure entweichen, können ziemlich beträchtlich sein. Bei einem Versuche
hatten die Gase im Glover 8,635 Proc. schweflige Säure und 0,091 Proc. Stickoxyd; im
Gay-Lussac betrug der Gehalt an schwefliger Säure 0,531 Proc., der an Stickoxyd
0,029 Proc.; bei einem zweiten Versuche:
SO2
im
Glover:
8,545
Proc.;
im
Abzugsrohr:
2,018
Proc.
NO
„
„
0,083
„
„
„
0,193
„
Stickstofftetroxyd konnte auch bei dem Einkammersystem nicht nachgewiesen
werden.
Die Verluste durch die abziehenden Gase sind an verschiedenen Betriebstagen ermittelt
worden. Nimmt man bei normalem gutem Kammergange 5 Proc. Sauerstoffüberschuss = 23,8
Proc. Luftüberschuss an, so verlassen für 1 k Pyritschwefel, welches zur Verbrennung
1300 l Sauerstoff mit 4900 l Stickstoff bedarf, 6430 l Gas den Thurm. Bei täglicher
Beschickung mit 3000 k Pyrit mit 45 Proc. Schwefel (den in den Abbränden
verbleibenden Schwefel abgerechnet) = 1350 k Schwefel durchziehen den
Absorptionsthurm in 24 Stunden 8680 cbm Gas. Ist der Gehalt derselben 0,0021 Proc.
SO2, 0,0020 Proc. N2O3, 0,003 Proc. NO, so beträgt der
tägliche Verlust auf 100 k Schwefel berechnet 0,019 Proc. Schwefel und 0,169 Proc.
Natriumnitrat. Dieser geringe Verlust ist aber nicht ein Durchschnitt, denn bei der
hohen Empfindlichkeit des Einkammersystems gegen geringe Aenderungen in der
Luftzufuhr oder in der Menge der dem Systeme zuströmenden salpetrigen Säure
geschieht es leicht, dass der Process in der Kammer nicht zu Ende geht und die
Verluste auf die dreissigfache Höhe und noch darüber wachsen.
Um die in der Nähe der Kamm er wände herrschenden Temperaturen zu messen, waren neben
den Absaugestutzen Thermometer eingelassen, welche 30 cm in die Kammer hineinragten.
Die bei verschieden geleitetem Betriebe abgelesenen Temperaturen sind mit den
Schwankungen innerhalb einer Charge (2 Stunden) in Tabellen zusammengestellt, von
denen die folgenden zwei mitgetheilt seien:
3000 k Kies, 60 k Salpeter in 24 Stunden. Gloverthurm mit Nitrose
und Wasser gespeist.
Temp. °Min. u. Max.
Aussen-luft
Glover
I
II
III
IV
Kam-mer-ende
Eintrittin
denGay-Lussac
unten
oben
unten
oben
unten
oben
unten
oben
Minimaltemperatur
4
85
39
46
39
43
34
36
33
34
28
14
Maximaltemperatur
5
90
43
50
42
47
37
40
33
35
30
14
3300 k Kies, 60 k Salpeter in 24 Stunden. Gloverthurm mit Nitrose
und Kammersäure (50° B.) gespeist.
Temp. °Min. u. Max.
Aussen-luft
Glover
I
II
III
IV
Kam-mer-ende
Eintrittin
denGay-Lussac
unten
oben
unten
oben
unten
oben
unten
oben
Minimaltemperatur
10
112
60
70
57
65
55
59
52
53
48
20
Maximaltemperatur
10
119
65,5
75
65
73
61
65
57
58
51,5
20
Die Temperaturverhältnisse im Inneren der Kammer wurden durch Maximumthermometer
ermittelt, welche an 4 m langen Stäben durch die Stutzen eingeführt wurden. Es
stellte sich heraus, dass die im Inneren herrschenden Temperaturen nur ganz
unwesentlich von den an der Wand gemessenen abweichen.
Da man bei dem Betriebe mit einer Kammer mit 8000 k Kies und 60 k Salpeter (= 4,4
Proc. KNO3 für 100 S) am Maximum der
Leistungsfähigkeit angelangt war, so theilte man die beschriebene Kammer in zwei,
derart, dass eine grössere Vorkammer von 36,9 m Länge und 1932,5 cbm Inhalt und eine
kleinere Nachkammer von 18,5 m Länge und 968,9 cbm Inhalt entstand. Zwischen beiden
Kammern wurde ein Gang von 1,9 m Breite hergestellt. Dadurch wurde eine Verminderung
des Kammerraumes um 3,3 Proc. (99,5 cbm) und eine Vergrösserung der Oberfläche um
2,8 Proc. (50,5 qm) bewirkt. Durch diese Umänderung wurde aber auch erreicht,
dass man nun in 24 Stunden 4200 k Kies, das sind 40 Proc. mehr, mit demselben
Salpeterverhältniss von 4,4 Proc. Natriumnitrat auf 100 k Schwefel verarbeiten
konnte. Die Untersuchung des Kammerganges, bei welcher die Punkte der Probenahme
nicht verrückt waren, ergab, dass die schweflige Säure nach Eintritt in die erste
Kammer nicht sofort so bedeutend heruntergeht, wie bei den entsprechenden Versuchen
im Einkammersystem. Während dort unmittelbar hinter der Einmündung des Gloverrohres
der Gehalt der Kammergase an SO2 0,6 Proc. beträgt,
so finden sich im getheilten System 1,5 m von der Vorderwand 2 Proc. SO2 und am Ende der ersten Kammer treten noch 0,7
Proc. SO2 in die Kammer über.
Was die Temperaturen des getheilten Kammersystems anbelangt, so ist die Abkühlung der
ersten Kammer nicht so gross als die in dem gleich grossen Raum der ungetheilten
Anlage. Dagegen kühlt sich die zweite Kammer mehr ab als der entsprechende Endraum
der ungetheilten. Das Zweikammersystem uitlässt unter sonst gleichen Umständen die
Endgase mit viel niedriger Temperatur in den Gay-Lussac als der
Einkammerbetrieb.
Stickstofftetroxyd liess sich bei dem getheilten System in der kleinen Nachkammer in
geringer Menge nachweisen.
Verf. fasst das Ergebniss seiner Untersuchungen dahin zusammen, dass die Anlage eines
Einkammersystems trotz des geringeren Bleiaufwandes als eine nicht ökonomische zu
betrachten sei, weil seine Productionskraft erheblich geringer ist und sein Betrieb
unregelmässiger verläuft als in Anlagen mit Vielkammersystemen.
Anknüpfend an obige Temperaturmessungen Retter's theilt
SchertelDie chemische Industrie, 1892 Bd. 15 S.
169. die Temperaturen und Productionsfähigkeit
verschiedener Kammersysteme anderer Fabriken mit und weist darauf hin, dass bei der
Temperaturvertheilung in der Kammer noch unbekannte Factoren eine Rolle spielen.
Da nach neueren Untersuchungen der in der Kammer schwebende Schwefelsäurenebel die
salpetrige Säure bindet und das Fortschreiten der Schwefelsäurebildung hemmt, so
wurden schon von Sorel Versuche über die Spannung der
in Schwefelsäure gelösten salpetrigen Säure ausgeführt. Im vorigen Jahre hat nun Lunge (Zeitschrift für angewandte Chemie, 1891 S. 37),
unterstützt von R. Zalociecki und L. Marchlewski, die Mengen der Salpetrigsäure
bestimmt,
welche nitrose Schwefelsäuren verschiedener Concentration bei Temperaturen
zwischen 50° C. und 90° C. während einer Stunde an je 5 l durchstreichende trockene
reine Kohlensäure abgeben. Aus den Ergebnissen der zahlreichen Versuche wurden
Curven construirt und mit Hilfe dieser wurden Tabellen für die
Salpetrigsäurespannung der nitrosen Schwefelsäure angefertigt. Schwefelsäure mit
weniger als 69 Proc. H2SO4 vermag die Salpetrigsäure nur lose zu binden. Stärkere Säuren binden die
Salpetrigsäure bei niederer Temperatur als Nitrosylschwefelsäure und geben dieselbe
bei zunehmender Temperatur oder Verdünnung wieder ab. Wie viel Salpetrigsäure in der
Kammer thatsächlich von dem Schwefelsäurenebel gebunden wird, ist nicht bekannt.
Doch beweisen die Lunge'schen Untersuchungen
hinreichend, wie sehr letzterer den Process in der Kammer hemmt.
Ueber die Vorgänge in den Kammersystemen und über die Concentration der Säure
berichtet in Kürze auch Robert Hasenclever.Die chemische Industrie, 1892 Bd. 15 S.
69. Seinem Berichte ist in der Hauptsache das Folgende entnommen:
Bleikammern in Gasometerform sind in Petrowitz (Oesterreich) und in Gent (Belgien)
im Betrieb; von besonders günstigen Betriebsergebnissen ist nichts bekannt
geworden.
Die Aufklärung Schertel's über die nachtheilige Wirkung
des Koks im Gloverthurme hat für die Praxis wohl wenig Nutzen, da der Glover fast
durchgängig nur mit Steinen gefüllt wird. Auch im Gay-Lussac findet der Koks wenig
Anwendung; er wird passend durch Poterie ersetzt, um so mehr, da derselbe mit der
Zeit verschlammt und unwirksam wird und auch den Nachtheil hat, die sich bildende
Nitrosylschwefelsäure zu zersetzen.
Um die Verunreinigung der Schwefelsäure möglichst zu vermeiden, fängt man den
Flugstaub der Röstgase vor Eintritt in die Kammer nach Möglichkeit auf. Die trotzdem
noch mitgerissenen und in der Säure suspendirten Theile setzen sich grösstentheils
ab, wenn die für die Concentration bestimmte Schwefelsäure vorher durch verschiedene
Kammern hindurch fliesst. Wurden mehrere Kammersysteme zu diesem Zwecke vereinigt,
so reducirte sich nach Erfahrungen in Griesheim der Rückstand in der Schwefelsäure
auf ¼ bis ⅓ und ging z.B. von 0,009 auf 0,003 g für 1 l.
In der Concentration der Schwefelsäure auf 66° B. sind
in letzter Zeit vielfache Veränderungen vor sich gegangen, welche ihren Grund
grösstentheils in dem hohen Preise des Platins haben. Man hat versucht, die
Platingefässe entweder ganz zu verlassen oder das Platin auf geeignete Weise
widerstandsfähiger zu machen. In letzterem Bestreben ist namentlich durch Heraeus ein grosser Fortschritt zu verzeichnen. Heraeus verwerthete den Umstand, dass Gold gegen hoch
concentrirte Säure viel widerstandsfähiger ist als das reine Platin, und überzog
seine Platinapparate mit einer dünnen Goldschicht. Wenn dieser Gedanke nach dem Moniteur scientifique, 1892 Bd. 6 S. 666, auch nicht absolut neu ist, indem man früher schon in
England versucht hatte, vergoldetes Platin anzuwenden, so ist es doch das Verdienst
Heraeus', dauerhafte Goldüberzüge auf Platin
hergestellt und in die Praxis eingeführt zu haben.
Eine absolut feste Verbindung des Platins mit der Goldschicht wird nach HeraeusZeitschrift für angewandte Chemie, 1892 S.
300. erzielt dadurch, dass man geschmolzenes Gold auf die über
den Schmelzpunkt des Goldes erhitzten Platinbarren aufgiesst und dann durch
Auswalzen die Bleche in gewöhnlicher Weise fertigstellt. Ein Abblättern oder
Loslösen der Goldschicht ist nicht vorgekommen. Die Widerstandsfähigkeit der
Platingoldcombination gegen die chemische Einwirkung der Schwefelsäure im Betrieb
ist so gross, dass äusserlich, nach halbjähriger Betriebsdauer, in keinem Falle eine
sichtbare Einwirkung wahrgenommen werden konnte. Der Verlust an Gold im Verhältniss
zu dem früheren an Platin wird sich im ungünstigsten Falle so stellen wie bei den
Vorversuchen, nämlich 1 : 7 bis 1 : 10. Um die Vortheile, welche die
Platingoldcombination gegenüber dem Platin bietet, im vollen Maasse ausnützen zu
können, wird vorgeschlagen, nicht allein den Böden der Apparate, sondern auch deren
Gewölbe einen dünnen Goldüberzug zu geben. Die Goldschicht des Gewölbes kann sehr
dünn gewählt werden, wodurch die Kosten nur unbedeutend vermehrt werden. Da man
beobachtete, dass das Platin dort, wo es innerhalb des Säurebereiches mit Gold in
Berührung steht, verhältnissmässig stärker angegriffen wird als dort, wo dies nicht
der Fall ist, so gibt man der ganzen Innenfläche des
Apparates einen Ueberzug von Gold.
Die Haltbarkeit der Platingoldkessel ist so bedeutend, dass die geringen Goldverluste
kaum in Betracht kommen. Aus folgender Tabelle lassen sich die ungefähren Mehrkosten
der Platingoldapparate gegen Platinapparate der verschiedenen Systeme ersehen:
System
Ungefähres Gewichteines
Apparates
Goldverbrauch
Mehrkostenbei einem Platinpreisvon
1200 M. für 1 k
Boden allein0,1 mm dickvergoldet
Boden 0,1 mm,Gewölbe0,025 mm
dickvergoldet
Boden alleinvergoldet
Boden undGewölbe ver-goldet
k
g
g
M.
M.
Faure und Kessler
11
1350
–
2430
–
Delplace1500 mm lang, 450 mm breit
17
2000
2400
3600
4320
Prentice 920 mm lang,460 mm breit
12
1400
1900
2520
3420
Von besonderer Wichtigkeit für die Concentration der Schwefelsäure ist die weitere
Erfahrung von Heraeus, dass Platin, welches mit 10
Proc. Iridium legirt ist, beim Eindampfen der Schwefelsäure nur etwas mehr als die
Hälfte an Gewicht verliert, wie reines Platin. Diese Thatsache wurde übrigens schon
in den 50er Jahren von Scheurer-KestnerComptes rendus, 1875 S.
892. festgestellt.
Nach dem Vorschlage von Faure und Kessler kommen auch flache Platinschalen mit
verbessertem Bleihelm in Anwendung. Namentlich hat sich eine Construction bewährt,
bei welcher spiralförmig gewundene Bohren zu einem Cylinder zusammengelöthet werden,
dessen unterer Rand in den Wasserverschluss einer Platinschale hineinpasst, eine
Construction, welche sich sowohl zur Kühlung
gut eignet, als auch bei Befestigung der Röhren auf eisernem Gestelle
hinreichenden Widerstand leistet.
Scheurer-Kestner hat in Thann flache Apparate im
Betrieb, die unten aus Gusseisen bestehen, während oben Platin aufgeschraubt ist.
Die Anordnung ist aus der französischen Patentschrift Nr. 211076 vom 30. Januar 1891
ersichtlich. Nach den Erfahrungen in Thann ist diese Combination von Eisen und
Platin empfehlenswerth; besonders günstig ist die geringe Platinabnutzung.
Der in Thann aufgestellte Apparat besteht aus zwei Kesseln, welche hinter einander
aufgestellt sind und zusammen arbeiten. Die Säure läuft zuerst in eine Platinschale
mit Platinhelm und dann in einen gusseisernen Kessel, dessen Helm aus Platin
besteht. In solchen Apparaten werden 4500 k Schwefelsäure mit 95 Proc. Monohydrat in
24 Stunden hergestellt. Das Platingewicht beträgt 18,8 k. Das Gewicht von Gusseisen
250 k. Was den Platinverbrauch betrifft, so stellt dieser sich unter 0,15 g für 1 t
concentrirter Säure von 66° B.
M. Neuerburg hat ein Patent (D. R. P. Nr. 58511) zur
Concentration der Schwefelsäure, wonach dieselbe in Kupferapparaten vorgenommen
werden soll, welche, soweit sie mit der Säure in Berührung kommen, vergoldet
sind.
Ausser den angeführten Apparaten sind neuerdings solche aus Porzellan und Glas in
Anwendung gekommen. So dampft Negrier die Schwefelsäure
in Porzellanschalen ein, welche terrassenförmig über einander auf eisernen Platten
stehen, die von unten erhitzt werden.
Während in England die Concentration der Schwefelsäure auf 66° B. schon von Anfang an fast ausschliesslich in Glasretorten vorgenommen
wird, geschah dies in Deutschland erst seit 1885 in einer Fabrik zu Mülheim. Die
Anlage, welche für eine tägliche Leistung von 3500 k 66gradiger Säure zur Ausführung
kam, besteht nach Fritz LütyZeitschrift für angewandte Chemie, 1892 S.
385. aus 22 Retorten, welche in einer Reihe aufgestellt
waren. Jede Retorte stand für sich in einem Sandbade mit besonderer Feuerung.
Sämmtliche Füchse der einzelnen Feuerungen mündeten in einen gemeinsamen Kanal,
welcher hinter den Retorten herlief und direct zum Schornstein führte. Der eiförmige
Theil der Retorten, welche aus England bezogen werden mussten, hatte eine Grösse von
94 × 58 cm und fasste etwa 2 hl. Der Helm sass lose auf; damit kein Festsetzen
möglich war, wurden über den Hals drei bis vier kleine Bleistreifen gehängt.
Die Retorten waren gegen die Feuerung durch eine Wand geschützt, in welcher sich
gegenüber jeder einzelnen Retorte ein Schaufenster befand, durch welches der Heizer
das Kochen der Schwefelsäure beobachten konnte. Ueber den Feuerungen lag ein
Bleirohr von 40 cm Durchmesser, in welches entsprechend jeder Retorte ein Bleirohr
von 50 mm Weite mündete, welches durch die Schutzwand in das Innere des
Retortenhauses reichte. In das aufgetriebene Ende dieses Rohres wurden die Helme mit
ihrem engeren Theile lose eingesetzt. Das weite Bleirohr, welches die abdestillirten
Dämpfe aufnahm, führte durch Bleicondensatoren in den Schornstein, so dass in dem
Rohre beständig Zug herrschte, der so stark sein musste, um alle entstehenden Dämpfe
fortzuführen. Als Condensatoren dienten vier cylindrische Bleithürme von 80 cm
Durchmesser und je 5 m Höhe, welche von aussen stark berieselt wurden. Die
Condensation war jedoch in diesen Thürmen keine vollständige und namentlich gegen
Ende einer Operation gingen viele Dämpfe in den Schornstein.
Da der Betrieb der Concentration ein unterbrochener war, so wurde die Säure in einer
Pfanne, welche bedeutend tiefer und grösser als eine gewöhnliche 60°-Pfanne war, auf
60° eingedampft und darin bis zum Einfüllen in die Retorten aufbewahrt.
Die Anlagekosten waren im Verhältniss zu denen eines Platinapparates niedrig; dafür
war aber auch der Altwerth der Materialien ein geringer; derselbe betrug nur 25 bis
30 Proc. des Anschaffungswerthes.
Die Betriebsresultate der Concentration waren keine besonders günstigen, da sowohl
wegen der Ungeübtheit der Arbeiter, als auch durch längeren Gebrauch und durch das
Einfüllen ein ziemlicher Verlust an Retorten und der anfänglich gebrauchten
thönernen Kühlgefässe statt hatte. Wegen der unterbrochenen Feuerung war der
Kohlenverbrauch ein erheblicher. Derselbe betrug für die ersten 14 Monate des
Betriebes 60,2 Proc. für 100 k 66grädiger Säure. Im weiteren Betriebe gelang es,
diese Zahl durch vorsichtigeres Arbeiten auf 55,02 Proc. herabzudrücken; im
Vergleiche zu den Platinapparaten immer noch sehr hoch. Während der ersten 14 Monate
lieferte jede Retorte täglich 144,2 k 66grädiger Säure; später wurde diese Leistung
auf 153,6 k für den Tag gesteigert.
Immerhin blieb als Auslage zur Umwandlung der 60grädigen Säure in 66grädige als
Endresultat bestehen:
100 k 66° =
0,4924
M.
Kohlen
0,0750
„
Glas
0,2350
„
Arbeitslohn
0,3384
„
Verzinsung u.s.w.
–––––––––––––––
1,1408
M.
Hierzu wäre noch der directe Verlust der verlorenen Destillatsäure, welche nicht
condensirt wurde, zu rechnen.
Weitaus bessere Betriebsresultate ergibt das continuirliche System zur Concentration
der Schwefelsäure in Glasretorten, wie es in England eingeführt ist. In Deutschland
befindet sich zur Zeit wohl keine derartige Anlage. Das continuirliche System, wie
es bei Chance Brothers in Oldenbury bei Birmingham 1886
im Betriebe war, wurde mit Bunsenbrennern geheizt und bestand aus vier Retorten, die
zu einem System verbunden waren. Je zwei solcher Systeme arbeiteten in einen
gemeinsamen Feuerkanal. Die Retorten eines Systems stehen treppenförmig über
einander, haben seitliche Ausflusschnauzen und Einlauftrichter, so dass die heisse
60grädige Säure fortwährend zufliesst; die fertige 66grädige Säure dagegen beständig
aus der vierten Retorte in gekühlte Bleigefässe ablauft. Genaue Betriebsresultate
kann Verf. leider nicht geben.
L. Kessler (in Firma Faure und
Kessler) concentrirt Schwefelsäure nach einem patentirten Verfahren
dadurch, dass er in Apparaten aus Blei und Stein erhitzte Luft durchleitet. Eine
derartige Anlage, die bis jetzt nur in Clermont-Ferrand in beständigem Betriebe ist,
soll dort befriedigende Resultate ergeben.
(Nach Zeitschrift für angewandte Chemie, 1891 S. 1 bis
18; 1892 S. 300 und 385; nach Die chemische Industrie,
1892 Bd. 15 S. 69 und 166, und nach Moniteur
scientifique, 1892 Bd. 6 S. 664.)
(Fortsetzung folgt.)