Titel: | Glossen zur Theorie der Gerberei. |
Autor: | F. Knapp |
Fundstelle: | Band 286, Jahrgang 1892, S. 93 |
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Glossen zur Theorie der
Gerberei.
Von F. Knapp.
Glossen zur Theorie der Gerberei.
Processe, bei denen es beim ersten Angriff zweifelhaft erscheint, auf welchem
wissenschaftlichen Gebiete man ihre Erklärung zu suchen habe, sind wiederholt
vorgekommen. In solchen Fällen hat sich von Seiten der Chemiker nicht selten eine
eigenthümliche Abneigung zu erkennen gegeben gegen die Zurückführung der Erscheinung
auf andere Kräfte als die Affinität; man hat die chemische Erklärung mit einer
gewissen Zähigkeit auch dann noch festzuhalten gesucht, wenn sie bereits den Boden
verloren hatte. So mühte man sich seiner Zeit ab, das bekannte, aus Schwefelantimon
und Antimonoxyd bestehende pharmaceutische Präparat nach Bildung und Zusammensetzung
mittels sinnreicher chemischer Formeln zu erklären, bis das Mikroskop erwies, dass
die beiden Bestandtheile darin unverbunden neben einander liegen; so sah man in der
Appert'schen Methode der Conservirung von
Nahrungsmitteln anfangs nur eine Absorption des in den Büchsen miteingeschlossenen
Sauerstoffes der Luft, statt Ertödtung der Mikrobien; so wehrte man sich lange, in
der Hefe, auch nachdem ihre pflanzliche Natur erwiesen war, etwas anderes als
gefällten Kleber zu erkennen. In keinem Falle hat man sich aber so fest in jenem
Dilemma verfahren, als bei der Erklärung des Processes von der Umwandelung der
thierischen Haut in Leder, von dem Gerbeprocess. Die Weissgerberei wurde als eine
chemische Verbindung der Haut mit Aluminiumchlorid definirt, während Kochsalz und
Alaun in der Lösung sich zu solchem schlechterdings nicht umsetzen. Was die
Lohgerberei anlangt, so liegt ihre Theorie noch fortdauernd umstritten, und die
chemische Erklärung wird von ihren Bekennern mit einem Eifer vertheidigt, als handle
es sich um die Abwehr eines Angriffes gegen verbriefte Rechte.
Die Frage, ob das Leder das Product eines chemischen oder eines physikalischen
Processes sei, kann logischer Weise überhaupt nicht mehr gestellt werden: dies ist
der Hauptpunkt, den die Streitenden auf beiden Seiten durchaus ignorirt haben. Seit
man nämlich weiss – und dies ist lange her –, dass bei der Entgerbung des Leders
(des lohgaren durch alkalische Carbonate) nicht eine beliebige Stickstoffverbindung,
sondern die ursprüngliche Haut, also ein Organ in seiner vollen histologischen
Verfassung zurückbleibt, kann von einer solchen Frage nicht mehr die Rede sein. Die
Vorstellung, dass aus der Scheidung einer chemischen Verbindung das eine Constituens
in Gestalt eines geformten histologischen Organs hervorgehe, ist unzulässig und
nicht mehr als ein Absurdum.
Nichtsdestoweniger, wenn auch das Endresultat im voraus feststand, verdienen die
Untersuchungen über die Natur des Leders wohlerworbenen Dank für die Erweiterung und
Feststellung der Erkenntniss, um so mehr, als sie mit grossem Aufwand von Mühe und
Ausdauer verbunden waren. Für die Weissgerberei war es A.
ReimerD. p. J. 1872 205 143 248 358 457., für die Lohgerberei sind
es v. Schröder und J.
PässlerD. p. J. 1892 284 256 283., die sich, jener wie diese, in
sehr eingehender Weise diesen Untersuchungen gewidmet haben. Die beiden letzteren
bestimmten die Menge Tannin, die aus Lösungen dieses Stoffes durch
„gemahlene“ Haut niedergeschlagen wird, und zwar indirect, theils aus der
Abnahme des Tanningehaltes der angewendeten Lösung, theils der des Stickstoffes
der Haut durch die Lederbildung; sie kommen zu dem Ergebniss, dass dieser Betrag
durchaus von der jedesmaligen Concentration der Tanninlösung abhänge, die
Niederschlagung mithin als ein physikalischer Process der Flächenanziehung anzusehen
sei. Soweit war das Ergebniss ja zu erwarten und hat im Allgemeinen nichts
Auffallendes. Aber die Untersuchung führt auch auf eine ganz unerwartete Anomalie,
nämlich eine Abnahme des Betrages des von der Haut niedergeschlagenen Tannins bei
über einen gewissen Punkt hinaus gesteigerter Concentration der angewendeten Lösung
(etwa 13 g Tannin in 500 cc Wasser). Auch die Urheber der Untersuchung finden die
Erscheinung „höchst merkwürdig“; sie ist mehr als das, sie ist unmöglich,
denn es ist gegen die Vernunft, anzunehmen, dass aus der stärkeren Lösung weniger
Tannin aufgenommen werde, als aus einer schwächeren, oder die in schwächerer Lösung
zu Stande gekommene Gerbung in einer darauffolgenden schwächeren Lösung wieder
zurückgehe. Der Versuch, diese Anomalie dahin zu erklären, als gäbe das zuerst an
die Haut angefallene Tannin eine gegen weitere Aufnahme schützende Decke ab, ist
sichtlich von der Noth abgerungen und mit den Thatsachen im Widerstreit. Diese
Anomalie ist vielmehr nur das Spiegelbild einiger irriger Voraussetzungen, von denen
man bei der Methode der Versuche ausgegangen ist. Die bei dem Schlusse des Versuches
verbleibende Lösung befindet sich zum Theil aufgesaugt in der Haut, zum anderen
Theil frei ausserhalb derselben. Die Verfasser nehmen nun unbedenklich und ohne
weiteres einen gleichen Tanningehalt für beide Theile der nach dem Versuche
bleibenden Lösung an, – eine Annahme, die sich längst als unzutreffend erwiesen hat,
wie Reimer in ausführlicher und eingehendster Weise
dargethan.A. a. O. S.
259 ff. Er ging von derselben unhaltbaren Voraussetzung aus,
stiess aber schon bei den ersten Versuchen auf Ergebnisse, deren handgreifliche
Unwahrscheinlichkeit ihn den Fehler sogleich erkennen liess. Bei dem Gerben mit
Alaun und Salz wird, wie bekannt, das alkalische Sulfat von ersterem abgespalten:
nur das Thonerdesulfat fällt an die Haut, das alkalische Sulfat bleibt in Lösung.
Nach eingetretener Gare findet sich aber dieses Sulfat in ungleich grösserem
Verhältniss in der ausserhalb des Hautgewebes gebliebenen Lösung, als in dem
aufgesaugten Theil. Indem nun Reimer jene beiden Theile
der Lösung für gleichwertig hielt und den in der äusseren Lösung gefundenen Betrag
an Schwefelsäure als den für die gesammte Lösung geltenden ansah, hat er natürlich
zuviel Schwefelsäure von der Lösung vor dem Eintragen der Haut, als mit dem
Thonerdesulfat absorbirt, in Abrechnung gebracht. Es musste daher der aus der
Differenz berechnete Betrag der von der Haut aufgenommenen Schwefelsäure weitaus zu
klein ausfallen, um mit der Thonerde im Leder neutrales Salz zu bilden. Erst als es
ihm gelang, eine für die Verdrängung der in der Haut aufgesaugt bleibenden Lösung –
das Resultat der Gerbung nicht verschiebende – Flüssigkeit zu construiren,
verschwanden die ungereimten Zahlen. Er fand nämlich in je drei gleichnamigen
Versuchen von der von der Theorie geforderten Menge Schwefelsäure in neutralem
Thonerdesulfat: bei der fehlerhaften Methode 13,3 – 19,7 – 35,2 Proc., bei
verbesserter Methode 91,4 – 96,56 – 93,5 Proc.
Bei den Gerbversuchen mit Tannin hat natürlich mutatis mutandis die gleiche
fehlerhafte Voraussetzung den gleichen schädlichen Einfluss auf das Resultat, wenn
auch nicht in gleich auffallendem Grad. Wie alle Organe des thierischen Körpers
begabt sind mit grossem Imbibitionsvermögen, so ist es auch bei der Haut der Fall,
und zwar in ausgesprochenstem Grade; auch die „gemahlene Haut“ ist nach wie
vor hoch befähigt, sich mit Flüssigkeiten zu imbibiren und es bedarf geraumer Zeit,
mehr als 1 Tag, bis das Gleichgewicht auf dem Weg der Diffusion zu Stande kommt.
Derjenige Theil der gerbenden Lösung, den sie aufgesaugt enthält, wird eben durch
die Niederschlagung des Tannins geringhaltiger daran sein als der ausserhalb der
Haut. Setzt man nun nach geschlossener Gerbung den Tanningehalt der gesammten Lösung
des Versuches gleich dem der äusseren Lösung, wie v.
Schröder und Pässler thun, so ist folgerichtig
auch der Betrag des von der ursprünglichen Lösung vor dem Versuche abzuziehenden
Tannins zu hoch, mithin der Rest nicht der wahre Betrag des bei der Gerbung fixirten
Tannins, sondern fictiv und kleiner als dieser. Ist mit schwacher Lösung gearbeitet
worden, so wird der Fehler weniger augenfällig, ist die verwendete Lösung
concentrirt, um so beträchtlicher sein; ist die Concentration endlich über ein
gewisses Maass hinausgetrieben, so muss der dadurch hervorgerufene Fehler den Betrag
der Aufnahme an Tannin durch die Haut übertreffen und als Defect, als ihr
Gegentheil, als Rückgang der Gerbung erscheinen. Auspressen und Einrühren des
erzeugten Leders „auf einige Augenblicke“ in Wasser sind viel zu
unzureichende Mittel, die imbibirte schwächere Tanninlösung aus dem Hautgewebe
vollkommen auszutreiben, so dass ihre Vermischung mit dem nichtabsorbirten Theil den
wahren unabsorbirt gebliebenen Tanningehalt repräsentirt.
Auch andauerndes Waschen des gebildeten Leders mit Wasser würde nicht zu dem
beabsichtigten Ziele führen, man würde damit nur gegen eine andere Regel verstossend
aus der Scylla in die Charybdis gerathen. In Lösungen wie die des Tannins in Wasser
stehen sich bei dem Zusammenbringen mit der eingetragenen Haut zwei Kräfte einander
gegenüber: die lösende Kraft des Wassers und die Flächenanziehung von Seiten der
Haut. Es wird so lange Tannin von letzterer niedergeschlagen bis die beiden Kräfte
sich das Gleichgewicht halten. Eben deshalb ist die Menge des von der Haut
aufgenommenen Tannins jederzeit abhängig von der jeweiligen Concentration der
angewandten Lösung. Umgekehrt läuft das Waschen des Leders mit Wasser
selbstverständlich auf eine Steigerung der dem aufgenommenen Tannin gegenüber
stehenden Menge, und mit dieser seiner lösenden Kraft: es wird sich bereits mit der
Haut verbundenes Tannin mehr oder weniger wieder lösen, die Gerbung wieder
zurückgehen.Dieses
Verhalten gilt natürlich nicht für Leder, deren Gerbmittel an der Luft in
unlösliche Körper übergeht, noch für geschmierte Leder. Dieser
entgerbende Process durch Waschen kann naturgemäss – insofern er nur in dem Maasse
der Diffusion des Wassers gegen die im Leder enthaltende schwache Gerbflüssigkeit
verläuft – nur ein langsamer, allmählicher sein, aber doch weit genug gehen, um sich
zum Nachtheil der Versuche in fühlbarer Weise geltend zu machen.
Mit einem Worte, die thierische Haut – auch wenn sie vorher gemahlen wird, ist
kein Ding, mit dem sich verfahren lässt, wie mit einem gewöhnlichen Niederschlag,
wie mit Bariumsulfat oder Chlorsilber u. dgl.
Die in den Versuchen von v. Schröder und Pässler aufgetretene Anomalie – Abnahme der Gerbung mit
der höheren Concentration der Tanninlösung – ist also in der That nicht wirklich,
nur rechnerisch vorhanden als Ausfluss der auf irriger Voraussetzung beruhenden
Methode. Bei den Versuchen nach der „Eindampfungsmethode“ ist es einerseits
die Voraussetzung, die nach der Gerbung gebliebene Lösung inner- und ausserhalb der
Haut seien von gleichem Gehalt an Gerbmitteln, andererseits auch das Auswaschen des
Leders; bei der „Stickstoffbestimmungsmethode“ nur das letztere, die
Voraussetzung der Indifferenz des Wassers gegen das Leder. Der gerbstoffentziehende
Einfluss des Wassers muss naturgemäss auf Leder schwacher Gare geringer, auf solche
von satter Gare am stärksten sein. Wie diese Einflüsse, je nach den Umständen des
Versuches, bald mehr bald weniger sich geltend machen, schwanken die Differenzen der
Bestimmung des von der Haut aufgenommenen Tannins nach den beiden Methoden
(Abdampfungsmethode, Methode der Stickstoffbestimmung): so in der Tab. I von 0,2 bis
8,3, in der Tab. II von 0,1 bis 9,1, in der Tab. III von 0 bis 7,5 Proc. der Haut.
–
Am Schlusse ihrer Abhandlung discutiren die Verfasser auf Grund ihrer Versuche noch
einige nicht unmittelbar im Rahmen der gestellten Aufgabe liegende Fragen, nämlich:
ob die Aufnahme des Tannins durch die Haut eine Grenze hat; ferner ob das Maximum
der Aufnahme, die volle Durchgerbung in der That nur so zu erreichen ist, dass man
stufenweise mit schwachen Lösungen beginnt und allmählich zu stärkeren vorschreitet;
endlich wie viel Tannin die Haut bei völliger Sättigung zu binden vermag.
Was die erste Frage anlangt, so ist eine ins Grenzenlose fortgehende Aufnahme a
priori schlechterdings undenkbar, also müssig, diese Wahrheit erst experimentell
beweisen zu wollen.
Zur Beantwortung der zweiten Frage – ob die allmähliche Steigerung der Concentration
der Gerblösung Bedingung der satten Durchgerbung sei – sind zwei Reihen Versuche,
jede zu vier auf einander folgenden Gerbungen, angestellt. In jeder ist die Menge
der angewendeten Haut (5 g), sowie der in den vier Bädern zusammengenommen ihr
gebotenen Menge Tannin (20 g) dieselbe. Sie unterscheiden sich lediglich darin, dass
in der einen Reihe (A) das Tannin in allen vier Bädern gleich vertheilt ist, in der
anderen (B) nach den Gewichtsverhältnissen 2 – 3 – 5 – 10 steigt. Das Ergebniss ist,
dass in beiden Reihen die Menge des auf die Haut niedergeschlagenen Tannins von Bad
zu Bad rasch abnimmt; sie betrug in den auf einander folgenden Bädern nach Procenten
der trockenen Haut bei der Reihe (A) 58 – 25 – 12 und 8, bei (B) 32 – 25 – 22 – 10.
Es stellte sich ferner die Summe des in allen vier Bädern schliesslich aufgenommenen
Tannins bei den Hautproben, die durch alle vier hindurchgegangen, bei (A) auf 95,3
(nach der „Stickstoffmethode“) bezieh. 104 (nach der
„Abdampfmethode“), bei (B) (nach der Stickstoffmethode) auf 99,6 Proc. der
Haut. Die Sättigung der Gerbung ist also – bis auf geringfügige Unterschiede, wie
sie die Fehler der Methode ja erwarten lassen – auf beiden Seiten gleich, die Haut
nimmt hier wie da nahe ihr gleiches
Gewicht an Tannin auf und die Frage ist mit den Versuchen somit zu keiner
Entscheidung gebracht. Dazu wäre vor allen Dingen ein Gegenversuch erforderlich
gewesen, wobei die Haut mit Uebergehung der schwächeren Lösung unmittelbar in die
stärkste gebracht worden wäre.
Die Verfasser, die in ihren Versuchen einen Beweis für die Nothwendigkeit einer
allmählichen Steigerung der Concentration der gerbenden Lösung erblicken, stützen
sich dabei wesentlich auf folgende Thatsache: Nach der dritten Gerbung ist die Menge
des aufgenommenen Tannins (der Stickstoffgehalt des gebildeten Leders) in beiden
Versuchsreihen bereits der gleiche, während der Haut dabei sehr ungleiche Mengen
Tannin gegenüber standen; nämlich bei (A) 3 × 5 = 15 g, bei (B) nur 2 + 3 + 5 = 10
g. Daraus folgt jedoch nichts weiter, als dass die Haut im dritten Bade, wo die
Concentration auf beiden Seiten die gleiche war – nämlich 5 g – in gleicher Zeit
gleichviel Tannin aufgenommen hat.