Titel: | Bemerkungen über neue Kriegswaffen. |
Fundstelle: | Band 288, Jahrgang 1893, S. 2 |
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Bemerkungen über neue
Kriegswaffen.
Mit Abbildungen.
Bemerkungen über neue Kriegswaffen.
Gewehre.
In der letzten Zeit sind Angaben über 6,5 mm-Gewehre von Mannlicher und Daudeteau bekannt geworden,
welche einen Anhalt zur Beurtheilung der kleinkalibrigen Handfeuerwaffen bieten, die
in Italien, Holland und Rumänien zur Einführung bestimmt sind. Die Angaben über das
erstgenannte 6,5 mm-Mannlicher-Gewehr sind fast gleichzeitig im Juli 1892 in der Revue d'Artillerie und in den Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Geniewesens erschienen;
sie machen es zunächst möglich, einen Rückblick über die Verbesserung des
Geschossfluges während der letzten 30 Jahre zu werfen, aus dem sich auch einige
Schlüsse auf die zukünftigen Leistungen der Kriegsgewehre ergeben.
Dieser Rückblick besteht in einem Vergleich der Flugbahnen des Zündnadelgewehres von
1862, des französischen Gras-Gewehres von 1874, des österreichisch. Gewehres M. 88
und des Mannlicher-6,5-mm-Gewehres (1892). Es wird damit der Flug von 13, 11, 8, 6,5
mm-Geschossen mit ungefähr 300, 450, 620 und 730 m Anfangsgeschwindigkeit
verglichen.
Textabbildung Bd. 288, S. 1
Fig. 1.
a Flugbahnen innerhalb Mannshöhe
nebst Treffbildern. (Höhen im 20fachen Massstab der Längen.); b Eindringen der
Geschosse in Sand und in Buchenholz; c Flugbahnen für 1800 m nebst
Geschwindigkeiten und Treffbildern; Zündnadel-Gew. M. 4; Frz. (Gras-);
Oesterr.-Ung.; Mannlicher
Die nächste Folge einer grösseren Anfangsgeschwindigkeit ist natürlich eine geringere
Krümmung, also eine grössere Gestrecktheit (Rasanz) der Flugbahn. Recht auffallend
ist das bei den für das Schützengefecht besonders wichtigen Bahnen, d.h. bei denen,
welche sich nur um ein kleines Maass, z.B. von Mannshöhe (1,6 m) über den Boden
erheben. Wie Fig. 1a
zeigt, ändern sich die Schussweiten für diesen „ganz bestrichenen Raum von
Mannshöhe“ von 295 auf 375, 490, 590 m, also um das Doppelte. Diese
Verbesserung wird noch dadurch erhöht, dass auch die wagerechte Projection des
Theils der Bahn, welcher innerhalb einer noch geringeren Höhe, z.B. von 0,8 oder 0,4
m liegt, mit der Vergrösserung der Geschwindigkeit ein grösserer wird. Die Zeichnung
deutet die in genanntenHöhen „bestrichenen Räume“ durch Schraffirung an,
danach werden diese Ziele noch getroffen, wenn sie sich 48, 50, 60, 76 m bezieh. 23,
24, 28, 36 m näher dem Schützen befinden, als die wirkliche Schussweite beträgt. Es
gleicht also die grössere Streckung der Bahn neuerer Waffen Fehler im Schätzen der
Entfernung, welche naturgemäss mit der Vergrösserung der Schussweiten wachsen
müssen, erheblich aus.
Mit der Geschwindigkeit scheint auch die Treffähigkeit auf kleinen Entfernungen
beträchtlich zuzunehmen. Es würde zwar zur Zeit schwer fallen, diesen Zusammenhang
ganz überzeugend theoretisch darzulegen, die Wirklichkeit scheint ihn aber zu
beweisen. Unter den Bahnen der Fig. 1a u. c sind die kleinsten
Räume angegeben, welche auf den betreffenden Entfernungen alle gut gezielten Schüsse
aufnehmen (die kleinsten, schwarz angelegten, gelten für das Mannlicher-Gewehr). Zum
genaueren Vergleich mögen die Zahlen für die Höhen dieser Räume dienen. Es betragen
die „(totalen) Höhenstreuungen“ bei einer Anfangsgeschwindigkeit von
auf 300
400
500
600 m
300 m (Zündnadel-Gewehr)
1,62
2,36
3,18
4,14 m
450 „ (Gras-Gewehr)
0,96
1,37
1,83
2,34 „
620 „ (Oesterr. Gewehr M. 88).
0,48
0,69
0,94
1,27 „
730 „ (Mannlicher-6,5-mm-Gew.)
0,36
0,52
0,71
0,93 „
Es ergibt sich daraus zunächst die verblüffende Thatsache, dass die Treffähigkeit des
Mannlicher-Gewehrs (1892) auf 600 m besser ist, als die des Gras-Gewehrs (1874) auf
300 m war. (Wenn man auch Bedenken trägt, Treffähigkeitsangaben für heutige Gewehre
von fast gleichen Geschossdurchmessern und Anfangsgeschwindigkeiten, wie z.B. für
die des französischen, deutschen und österreichischen Gewehrs, zu vergleichen, weil
die Unterschiede zu gering sind und in den Ausführungen der Versuche liegen können,
so sind die
Zahlen obiger Tabelle doch so verschieden, dass man sie in Betracht nehmen
kann.)
Wenn man die vergrösserte Ladegeschwindigkeit und das verminderte Munitionsgewicht in
Betracht zieht, so lässt sich eine Zusammenstellung aufstellen, welche die
Leistungen der neuen Waffen noch mehr hervorhebt. Diese Zusammenstellung geht davon
aus, dass es zur allgemeinen Beurtheilung einer Waffe nothwendig ist, die Belastung,
welche ihre Munition für die Truppe bildet, ihrer Leistung gegenüberzustellen
(eigentlich müsste das Gewicht der Waffe auch einbezogen werden, das würde hier aber
zu weit führen). Es werden dazu die Schusstafeln herangezogen und die Annahme
gemacht, dass beträgt:
die Patronenzahl(Lader inbegriffen)auf 1
k
die Schuss-zahl in1 Min.
beim 11 mm-(Gras-) Gewehr
25,5
12
„ 8 „ (Oesterr.) Gewehr
29,5
16
„ 6,5 „ (Mannlicher-) Gewehr
41,66
16
Es ergeben sich dann gegen eine Zielfläche von 0,4 m im Quadrat:
Auf 300 m
Auf 400 m
auf 1 k Munitionsgewicht
10 Treffer aus
auf 1 k Munitionsgewicht
10 Treffer aus
beim 11 mm-Gewehr
5 Treffer in 2,1 Min.
1,402 k in 3,9 Min.
3 Treffer in 2,1 Min.
3,405 k in 7,2 Min.
„ 8 „ „
26 „ „ 1,8 „
0,385 k „ 0,7 „
18 „ „ 1,8 „
0,555 k „ 1 „
„ 6,5 „ „
42 „ „ 2,6 „
0,231 k „ 0,6 „
36 „ „ 2,6 „
0,362 k „ 0,7 „
Für den Beurtheiler der Waffe sind besonders die senkrechten Spalten für „10
Treffer“ von Belang; daraus ergibt sich z.B., dass ein vorzüglicher Schütze
mit dem Gras-Gewehr viel mehr als seinen ganzen Patronenvorrath auf 400 m gebrauchen
müsste, um das angegebene Ziel eines liegenden Infanteristen in 7,2 Minuten mit nur
10 Treffern zu belegen. Mit dem Mannlicher-Gewehr würde derselbe Schütze zu diesem
Zwecke mit nur 1/10 des Munitionsgewichtes und der Zeit ausgekommen sein. Die beiden
anderen Spalten, Treffer „auf 1 k Munitionsgewicht“ sind nur angegeben, um zu
zeigen, dass derartige Vergleichungen in Folge der Rauchlosigkeit der neuen
Pulversorten auch praktisch angestellt werden können. Es muss besonders
eingeschaltet werden, dass nur ganz hervorragend geschickte Schützen den Record der
gegebenen Zahlen zu verbessern im Stande sein werden; für praktische Zwecke, z.B.
zum Berechnen der Wirkung eines Gefechtsschiessens, würden die Gewichts- und
Zeitzahlen mit 2 bis 10 zu multipliciren sein.
Aus dem bisher Angeführten lässt sich noch schliessen, dass mit einer Steigerung der
Anfangsgeschwindigkeit und einer weiteren Verminderung des Geschossdurchmessers auch
eine Steigerung der Leistungen auf kleinen Schussweiten möglich sein wird, dass also
ein neueres Gewehr von 6 mm und einer Anfangsgeschwindigkeit von 800 m noch bessere
Ergebnisse bei diesen Entfernungen erreichen kann als
das Mannlicher-Gewehr.
Bei grösseren Schussweiten macht sich die grössere Anfangsgeschwindigkeit in der
Form der Bahn zwar noch weiter geltend, so dass die Bahn der grösseren
Geschwindigkeit bis auf 1800 m und selbst bis auf 2000 m die gestrecktere bleibt,
indess nimmt die Krümmung auffallend stark zu. Die Hauptursache davon ist der
Luftwiderstand, der bei Geschwindigkeiten, die eine gewisse Grösse überschritten
haben, plötzlich unverhältnissmässig stark zunimmt. (Näheres wird weiter unten
besprochen werden.) Dies drückt sich durch grossen Geschwindigkeitsverlust der
Geschosse aus; derselbe ergibt sich bei der Zeichnung 1c aus der Angabe der Geschwindigkeiten (ds :
dt) bei den Schussweiten 0–600–800–1200 m.
Es verliert das Geschoss mit
derAnfangsgeschwindigkeit von
450 m
620 m
730 m
auf der Strecke 0 bis 600 m
206 m
283 m
311 m
„ „ „ 600 „ 1200 „
86 „
82 „
125 „
„ „ „ 1200 „ 1800 „
47 „
46 „
75 „
Aus diesen Zahlen ergibt sich, dass selbst das österreichische Geschoss trotz seiner
scheinbar günstigsten Form zur Ueberwindung des Luftwiderstandes von 600 m ab seine
Flugbahn mit einem Geschwindigkeitsverlust fortsetzen muss, der um ⅓ grösser als
beim Gras-Gewehr ist. (Ein etwas kürzeres 8 mm-Geschoss mit derselben
Anfangsgeschwindigkeit von 620 m würde vielleicht noch grössere Verlustzahlen zeigen
und seine Bahn mehr krümmen, wenn auch nicht so stark, wie es das 6,5 mm-Gewehr bei
730 m Anfangsgeschwindigkeit thut.) Durchaus fehlerhaft kann es sein, wenn bei den
Gewehren mit hohen Anfangsgeschwindigkeiten und bei anderen mit noch höheren von der
Gestrecktheit der Bahn bei kleinen Schussweiten auf die bei grossen geschlossen
wird.
Noch fehlerhafter würde es sein, anzunehmen, dass die Zahlen für die Treffähigkeit bei kleinen Schussweiten, wie sie oben in
der Tabelle über Höhenstreuungen gegeben wurden, auch bei grossen Entfernungen in
einem ähnlichen Verhältnisse wiederkehren. Schon aus der Betrachtung der unter den
drei Flugbahnen bei 6–12–1800 m (Fig. 1c) dargestellten
kleinsten Trefflächen für alle von einem „guten Schützen“ abgegebenen Schüsse
lässt sich das feststellen; nachfolgende Tabelle macht dies noch ersichtlicher. Die
Zahlen in den wagerechten Reihen unter dem Striche geben an, um das Wievielfache die
Höhenstreuungen grösser sind:
Auf 300
400
500
600
1200
1800
2000
2100
2400 m
beim Gras-Gewehr als beim österreichischen
2
2
1,95
1,84
(1,34)
1,3
–
–
–
„ Gras-Gewehr als beim Mannlicher
2,66
2,63
2,58
2,56
(2,25)
1,57
–
–
–
„ österr. Gewehr als beim Mannlicher.
1,33
1,31
1,30
1,28
(1,67)
1,16
1
0,912
0,51
Recht bezeichnend ist besonders der Vergleich der senkrechten Spalten für 300 m und
1800 m; während auf ersterer Entfernung die Treffähigkeit der neuen Gewehre mit 620 bis 730 m
Anfangsgeschwindigkeit das Doppelte und 2⅔fache des alten Gras-Gewehrs beträgt,
sinken diese Zahlen bei 1800 m auf 1,3 und 1,57 herab. (Auf 1200 in scheint in den
Schusstafeln entweder die Treffähigkeit des österreichischen Gewehrs zu klein, oder
die der beiden anderen zu gross angegeben zu sein, sonst würden die Zahlen noch
deutlicher sprechen.)
Aus diesen Angaben ergibt sich, dass die Verbesserung der Leistungen der Gewehre auf
grossen Entfernungen nur wenig zugenommen hat und dass die vielfach aufgetretene
Ansicht, die neueren Gewehre könnten auch auf grossen Entfernungen die
Feldartillerie ersetzen, ganz irrig ist. Wenn die Wirkung der Feldartillerie auf
mehr als 1200 m nur wenig verbessert wäre, dann dürfte sie den Leistungen der
neuesten Infanteriegewehre auf grösseren Schussweiten ebenso überlegen gegenüber
treten, wie vor 10 oder 20 Jahren den damaligen besten Gewehren; eine grosse
Ueberlegenheit der neuesten Gewehre über die Feldartillerie ist eben nur auf kleinen
Entfernungen vorhanden und darauf beschränkt geblieben.
Wenn man die Veränderungen der Gewehre mit den Veränderungen in den Leistungen
zusammenstellt, so darf man die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass auf den
Geschossflug nicht nur die Vergrösserung der Anfangsgeschwindigkeit, sondern auch
die Verminderung des Geschossdurchmessers Einfluss haben. (Weiter unten wird dies
unter „Forschungen über den Geschossflug“ noch besprochen werden.) Sollte
vielleicht bei grossen Entfernungen die Annäherung der Streuungen neuer Gewehre an
die der alten und weiter noch die in der letzten Tabelle angedeutete ganz
eigenthümliche Verschlechterung der Treffähigkeit des 6,5 mm-Gewehrs über 2000 m
dieser Verkleinerung des Kalibers theilweise zuzuschreiben sein, so könnte die bis
jetzt noch offene Frage über die Begrenzung des Kalibers in einfacher Weise gelöst
werden. Es brauchten dann nur mit neuen Gewehren von 5 mm, z.B. Treffbilder auf
grossen Entfernungen, 18–15–1200 m erschossen und mit den entsprechenden der 8
mm-Gewehre verglichen zu werden; wenn die letzteren gleich oder besser sind dann
wird die sogen. Kaliberfrage wohl verstummen.
Mit der Anfangsgeschwindigkeit hängt augenblicklich auch die Grösse der
Durchschlagskraft der Geschosse zusammen und zwar ist die Durchschlagskraft der
Mantelgeschosse (also auch die des österreichischen und des Mannlicher-Gewehrs) in
Holz, Sand und Metallblech bei grösseren Geschwindigkeiten grösser als bei kleinen.
Bei den Bleigeschossen älterer Gewehre, wie z.B. der Gras- und Zündnadel-Gewehre,
war das nicht der Fall. Bei grossen Auftreffgeschwindigkeiten (also dicht vor der
Mündung) schlugen sich die Geschosse pilzförmig breit, und so geschah es, dass auf
nahen Entfernungen sich kleinere Eindringungstiefen ergaben, als auf grösseren. Fig. 1b gibt einen
Vergleich der Eindringungstiefen auf 10 bis 20 m vor der Mündung in Sand und in
Buchenholz; hier dringen das Zündnadel- und Gras-Geschoss nur 26 bis 20 cm in Sand
ein, das österreichische und Mannlicher aber 80 bezieh. 100 cm tief. Dieses
„Formverlieren“ der früheren und das „Formbehalten“ genannter
neuer Geschosse hat vielleicht eine besondere Bedeutung für das Schiessen im
Gelände. Während ein Bleigeschoss ohne Mantel bei einem Aufschlage auf nicht zu
grossen Entfernungen seine Gestalt verlorund mit ungünstiger Form und geringer
Geschwindigkeit eine kurze Strecke weiter flog, prallen die Mantelgeschosse bei
einem Anschlage sehr leicht ab und fliegen mit grosser Geschwindigkeit eine grosse
Strecke weiter. Diese neuen Geschosse gefährden also jetzt nach dem Anschlage ein
viel grösseres Gelände, als es die mantellosen thaten, und deshalb besonders müssen
für neue Schiessplätze sehr ausgedehnte Flächen beansprucht werden. In Gefechten
wird sich wohl die Trefferzahl der Prellschüsse sehr vermehren, wenn die
Truppenführung in der Aufstellung der Unterstützungstruppen keine freie Hand hat.
Vielleicht würde in den Worten: „Aufstellung seitwärts rückwärts der
Schützenlinie“ das „seitwärts“ durch „rechts“ zu ersetzen
sein, wenn die Gewehre des Gegners Zugwindungen in dem Sinne eines Uhrzeigers haben
und wenn die Beobachtung richtig ist, dass diese Geschosse zum weitaus grössten
Theile nach der Seite der rechten Hand des Feuernden abprallen. (Zur Beurtheilung
solcher neuen Gewehre, welche, wie das Schweizer Gewehr, kein Geschoss mit
vollständigem, besonderem Mantel haben, würden Angaben über die Durchschlagskraft
und das Abprallen dieser [Rubin-] Geschosse sehr beachtenswerth sein.)
Die Bedeutung, welche die Verkleinerung des Kalibers und die Steigerung der
Anfangsgeschwindigkeit hatte, ist vielleicht den übrigen Einrichtungen des
Mannlicher-Gewehrs nicht zuzuschreiben. Es sei deshalb nur erwähnt, dass die Waffe
ein Kastenmagazin für das Einladen der Patronen sammt Lader und ein ähnliches
Schloss hat, wie das deutsche Gewehr. Hervorgehoben sei die Thatsache, dass der
Constructeur den Verschluss des ihm nahe liegenden österreichischen Gewehrs (mit
„Gradzug“) nicht angenommen hat; er scheint demnach den grossen Abstand
des Verschlusskopfes von dem einseitigen Stützpunkte des Verschlusscylinders nicht
für richtig zu halten und verurtheilt damit gewissermaassen die Schlösser des
österreichischen und des Schweizer Gewehrs. Eine Einrichtung des Schlosses, welche
erst dann ein Hochgehen der obersten Magazinpatrone gestattet, wenn vorher der
Verschluss ordentlich geschlossen und dann vollständig zurückgezogen worden war, ist
wohl selbstverständlich; sie soll das „doppelte Repetiren“ verhindern. Zu
letzterem Zwecke ist vielleicht auch bei der Patrone die vorspringende Krempe wieder
eingeführt, welche ein sichereres Arbeiten des Ausziehers gewährleistet. Neu ist die
Lagerung der Patronen, im Lader, d.h. einem Rahmen von buchdeckelartigem
Querschnitt; nur die Ränder der drei mittleren Patronen stehen über einander, die
der untersten und obersten legen sich davor, dadurch werden die Höhen des Laders und
des Magazins etwas vermindert. Um den Lauf ist kein Mantelrohr gelegt, sondern nur
ein hölzerner Handschützer, welcher eine Lücke für das Visir enthält. Letzteres ist
mit einer zweckmässigen Einrichtung versehen, um ein Stellen während des Anschlages
zu ermöglichen.
Das Gewehr Daudeteau hat dasselbe Kaliber, 6,5 mm, wie das von Mannlicher und im
Allgemeinen auch dieselbe Einrichtung. Das Visir ist dem französischen nachgebildet;
der Lader wird nicht in das Magazin geladen, sondern die aus demselben gedrückten
Patronen allein. Es scheint diese Einrichtung der des belgischen Mauser-Gewehrs zu
gleichen.
Eine Bemerkung in der Beschreibung dieses Gewehrs (Revue du
cercle milit. September 1892) bedarf besonderer Erwähnung. Ein Theil der
Gewehre wird nämlich ohne Sicherheitsvorrichtung hergestellt; zu seiner Sicherung
soll der Schütze mit einem Gewehr marschiren, welches keine Patrone im Laufe
enthält; er hat zuvor bei geöffnetem Verschluss die oberste Patrone einfach hinunter
zu drücken, so dass der Verschluss beim Vorschieben hinübergleiten muss. Um
schiessen zu können, muss der Schütze dann bei einem plötzlichen Angriff den
Verschluss öffnen und schliessen. Daudeteau hält das
für sicherer als das Entsichern des Gewehrs, weil diese Bewegung eine seltene und
deshalb ungewohnte ist.
Für diese Art der Sicherung spricht aber noch eine andere, bisher noch nicht erwähnte
Vermuthung. Wenn ein Gewehr viele Schüsse hinter einander, besonders im Schnellfeuer
abgegeben hat, so erwärmt es sich bekanntlich beträchtlich (daher der Handschützer);
befindet sich nun eine Patrone im Laufe, während das Feuer eine Zeitlang, z.B. auf
15 Minuten, eingestellt worden ist, so wird sie durch die Wärme des umschliessenden
Laufes allmählich erhitzt. Steigt bei dieser Art der Erwärmung die Temperatur der
Pulverladung über 70°, so beginnt eine Zersetzung, welche sicherlich die Wirkung des
nächsten Schusses beeinträchtigt, und da es nach Zeitungsnachrichten sehr wohl
möglich erscheint, dass bei einer solchen Zersetzung eine plötzliche
(„brisante“) Gasentwickelung des Nitratpulvers eintritt, so ist damit die
Gefahr des Springens der Waffe nahe gelegt. Wenn Versuche diese Ansicht bestätigen
sollten, so dürfte ein ähnliches Schliessen der Verschlüsse „ohne zu laden“
auch bei den eingeführten Gewehren bei Feuerpausen empfehlenswerth sein und zwar
besonders bei grosser Sonnenhitze.
Textabbildung Bd. 288, S. 4
Fig. 2.
a1 Wandconstruction des schweren
nordamerikanischen Feldgeschützrohres; a Durschnitt des leichten
nordamerikanischen Feldgeschützrohres; b Leichtes nordamerikanisches
Feldgeschütz; c Achsfutter; d Querschnitt der Laffetewände; e Verbindung von
Protze und Laffete.
Eine weitere Besprechung des Nitratpulvers, welches die Leistungen der Gewehre,
besonders die Anfangsgeschwindigkeit und Treffähigkeit, vielleicht noch mehr bedingt
als die Einrichtung der Waffen selbst, kann hier noch nicht stattfinden. Es verdient
vielleicht eine Anordnung der französischen Regierung vom verflossenen Jahre der
Erwähnung, welche es ermöglicht, grosse Vorräthe an Gewehrpulver rasch zu
verbrauchen; dadurch werden einestheils zu erwartende, aber noch wenig bekannte
Nachtheile einer jahrelangen Aufbewahrung vermieden und anderentheils alle
Verbesserungen in der noch recht jungenFabrikation für die vorhandenen Gewehre
nutzbar gemacht. Diese Anordnung besteht darin, dass das Scheibenschiessen der
Reservisten und Landwehrleute im Civilstande in grossartiger Weise unterstützt wird.
Die Scheibenstände der Truppen, Gewehre früherer Art, Munition, Schiesspreise,
Verkehrserleichterungen werden der Bevölkerung zur Verfügung gestellt, und es ist
wohl keinem Zweifel unterworfen, dass Munition mit Nitratpulver überwiesen werden
wird, wenn das noch vorhandene alte Schwarzpulver aufgebraucht ist. Diese Art und
Weise, das Schiessvergnügen des Volkes für die Landesverteidigung nutzbar zu machen,
ist wahrscheinlich eine verbesserte Nachahmung der Einrichtungen, welche andere
Staaten (z.B. Oesterreich und die Schweiz) schon getroffen hatten, ehe noch die
Neuheit der Fabrikation und die Aufbewahrung einer ganz neuen Pulversorte einen
raschen Verbrauch wünschenswerth machten.
Feldartillerie.
Ueber die Einführung neuer Feldgeschütze bei den Grossmächten unseres Erdtheils lässt
sich noch Nichts berichten. Eine Steigerung der Wirkung durch eine Erhöhung der
Anfangsgeschwindigkeit auf 600 bis 700 m und mehr, wie sie bei den Gewehren, Küsten-
und Schiffsgeschützen stattfand, ist nirgends eingetreten; auch scheinen die
Einrichtungen zum schnellen Laden durch Anwendung von Metallhülsen zur Aufnahme der
Pulverladung noch nicht zur Einführung gelangt, Versuche mit Feldlaffeten, in
welchen das Rohr zurückläuft und eine kleine Seitenrichtung bekommen kann, bei
einigen Staaten noch in der Schwebe zu sein.
Vielleicht sind einige Bemerkungen über die heutigen Feldgeschütze der Vereinigten
Staaten von Nordamerika beachtenswerth, welche aus Angaben des Engineering vom April 1892 zusammengestellt wurden.
Nachdem dieses Land den Beschluss gefasst hatte, unter Benutzung der eigenen
Industrie seine Artillerie der anderer Mächte gleichwerthig zu machen, entstanden
ein leichtes und ein schweres Feldgeschütz von 8,13 und 9,14 cm Seelenweite (in
Frankreich betragen die entsprechenden Zahlen 8 und 9, in Oesterreich 7,5 und 8,7
cm). Die Leistungen der Geschütze sind es indessen nicht, welche die Bemerkungen
veranlassen, sondern Einzelheiten der Einrichtungen, welche zeigen, wie die in
Europa gefundenen Constructionsgrundsätze mehr oder minder verbessert ausgeführt
worden sind, und welche den Beweis führen, dass die amerikanische Eisenindustrie
eine achtunggebietende Höhe erreicht hat. – Für beide Rohre wird dieselbe Laffete
benutzt; für das leichte ist die Anfangsgeschwindigkeit mit 535, für das schwere mit
474 m angegeben; durch ein anderes Pulver werden sich diese Zahlen wohl noch
steigern lassen. Das leichte Geschütz ist in Fig. 2b dargestellt.
Das leichte Rohr (durch Fig.
2a im Längenschnitt gegeben) besteht aus einem Kernrohr und einem Mantel,
der sich aus mehreren Stücken zusammensetzt und um den hinteren Theil des ersteren
gelegt ist. Das rückwärtige Ende des Mantels ragt über das Kernrohr nach hinten
hinaus, um eine grosse Hohlschraube aufzunehmen, welche innerlich ein Gewinde für
den Schraubenverschluss hat. Das hintere Mantelstück wird bei der Fabrikation von
vorne so weit über das Kernrohr geschoben, bis sich ein vorne befindlicher
Vorsprung an eine vorspringende Kante des letzteren lehnt. Ein Hinausdrücken des
Kernrohres aus dem Mantel ist damit unmöglich gemacht. Drei andere Mantelstücke sind
noch weiter vorwärts aufgeschoben, das mittlere trägt die Querachse
(Schildzapfenachse) zum Lagern des Rohres, Um eine Bewegung des Kernrohres nach
rückwärts zu verhindern, ist eine besonders bemerkenswerthe Einrichtung getroffen.
Vor der Vorderkante des Schildzapfenstückes ist eine kleine rechteckige Vertiefung
in die Aussenwand des Kernrohres geschnitten, in dieselbe ein in seine Hälften
getheilter, genau passender rechteckiger Ring gelegt, welcher nach aussen ein wenig
vorspringt; darüber ist von vorne das letzte Mantelstück geschoben, welches mit
einem entsprechenden Ausschnitt versehen ist. Durch den Widerlagering und die eben
erwähnten Kanten sind Kernrohr und Mantel untrennbar mit einander verbunden. Alle
Mantelstücke haben vor dem Aufziehen einen inneren Durchmesser bekommen, der etwas
kleiner ist, als der äussere des Kernrohres an der Stelle, wo sie liegen sollen; zum
Aufschieben sind sie durch Erwärmen erweitert worden; nach dem Aufschieben ziehen
sie sich beim Erkalten zusammen, dabei einen Druck auf die Aussenwand des Kernrohres
ausübend. Vor dem Schusse hat also das Kernrohr eine nach innen gerichtete Spannung,
beim Schusse müssen die Pulvergase diese zuerst überwinden, sie werfen damit einen
Theil ihrer Kraft zuerst auf den Mantel und drücken die Schichten des Kernrohres
erst mit dem Rest ihrer Kraftäusserung auseinander. Durch diesen Theil der
Mantelconstruction wird also die Wand des Kernrohres gegen eine radial nach aussen
gerichtete Kraft verstärkt; durch die Anbringung des Verschlusses, welcher den Druck
der Pulvergase nach hinten auffangen muss, im Mantel, soll die Längenanstrengung des
Kernrohres vermindert werden.
Von der inneren Einrichtung des Rohres ist die eigenthümliche, ellipsoidale Form des
Ladungsraumes hervorzuheben. Wahrscheinlich sollte damit ein weiter Raum geschaffen
werden, den die Pulverladung nicht ausfüllt, um eine Verminderung der Gasspannung zu
erzielen (bei den französischen Geschützen wird dieselbe durch eine Verlängerung des
cylindrischen Ladungsraumes bewirkt).
Die Züge haben eigenthümlich er Weise keine Windung mit zunehmender Steilheit (also
keinen „Progressivdrall“), aber mit sehr starker gleichförmiger; sie machen
auf nur 25 Seelenweiten eine Umdrehung. Vielleicht ist für diese Anordnung die
neuerdings von Nobel aufgestellte Behauptung
maassgebend gewesen, dass bei Progressivdrall zwar der grösste Widerstand (an irgend
einer Stelle) Meiner, der gesammte Kraftverlust aber
grösser sei als bei einem entsprechenden
gleichförmigen Drall. Die fast rechteckige Form der Zugbalken ist vielleicht auch
nicht gerade den neueren Anschauungen entsprechend, welche nur eine Kante radial machen will, die sogen.
Führungskante, das heisst diejenige; gegen welche das Geschoss bei der
Vorwärtsbewegung geschoben wird, die andere aber ganz wegfallen lässt (also einen
sägeförmigen Querschnitt der Wand zur Folge hat). Der ganz veralteten Anbringung des
Zündloches über dem Pulverraume hat vielleicht die Annahme zu Grunde gelegen, dass
seine Lage im Verschlusse, wie z.B. bei den französischen Geschützen, Uebelstände
mit sich bringe.
Das hintere Ende des Rohres ist oben und an denSeiten nach rückwärts verjüngt
und erlaubt dadurch bei grossen Erhöhungen eine Bewegung des Rohres zwischen den
Laffetenwänden.
Das schwere Feldrohr hat eine cylindrische Pulverkammer und eine kleine Aenderung in
der Verbindung zwischen Mantel- und Kernrohr (Fig. 2a1). Sein Mantel besteht aus einem Stück
und reicht von der Bodenfläche des ganzen Rohres bis vor die Schildzapfen, das
heisst bis zu einem Absatz des Kernrohres, der durch eine Verstärkung der Wand nach
aussen gebildet wird. Das vordere Ende des Mantels ist zunächst auf den Durchmesser
dieses Kernrohrvorsprunges abgedreht. Wie aus der Fig. 2a1 ersichtlich, ist dann auf jedem Stücke
eine Rille angebracht zur Aufnahme der Vorsprünge eines halbirten Ringes. Die
Verbindung hat im Querschnitt Aehnlichkeit mit der Zusammenfügung zweier Wandstücke
eines Schrankes durch eine Knaggenklammer. Festgehalten wird der halbirte Ring in
seiner Lage, ähnlich wie der des leichten Feldrohres durch einen aufgeschobenen,
kappen artig umfassenden Ring. Durch diese Verbindung wird das Innere des schweren
Rohres nicht nur auf einer grösseren Strecke von dem Widerstände gegen Zug nach
hinten entlastet, sondern gleichzeitig auch an einer Stelle, an welcher die höchste
Gasspannung auftritt. Es ist eine eigenthümliche Thatsache, dass die vier kleinen
Vorsprünge, welche vielleicht verhältnissmässig noch kleiner sind, als in der
Zeichnung angegeben, die Anstrengungen der Pulvergase in der Längenrichtung
aushalten. Etwas von diesen Anstrengungen wird allerdings gemindert durch die
Reibung, welche die feste Auflage des Mantels auf dem Kernrohre erzeugt. – Das
Kernrohr hat z.B. einen äusseren Durchmesser von 157,62 mm, der Mantel einen inneren
von 157,45 mm. Durch Erwärmen wird letzterer um 0,51 mm ausgedehnt, dann der Mantel
aufgeschoben; beim Erkalten wird sich dieser sehr fest um das Kernrohr legen, da ihm
theoretisch 0,17 mm Durchmesser im Inneren zum Zusammenschrumpfen fehlen.
Textabbildung Bd. 288, S. 5
Fig. 3.Schraubenverschluss von Gerdom.
Nach einer besonderen Angabe des Engineering (29. April
1892 S. 517) soll die Einführung eines Schrauben Verschlusses nach dem System
„Gerdom“ bei den amerikanischen
Feldgeschützen in Erwägung gezogen worden sein. Dieser Verschluss bedarf nur zweier
Bewegungen (Griffe) zum Oeffnen oder Schliessen, während der der französischen
Feldgeschütze drei erfordert. Bei demselben kommt das Herausziehen oder
Hineinschieben des Verschlusscylinders in Wegfall; zum Oeffnen braucht er zuerst nur
um seine Achse und dann um ein seitliches Scharnier gedreht zu werden. Letzteres
befindet sich in einem Ansatz des Verschlusstrageringes; dieser Ansatz bewegt sich
in einem seitlichen Ausschnitte des Rohres, wie Fig.
3 andeutet. Aus der eigenthümlichen Lage des als Drehpunkt dienenden
Bolzens ergibt sich, dass das Drehen des Trageringes um denselben möglich ist, wenn
der Verschlusskopf an der entgegengesetzten Seite (hier rechts) etwas Spielraum hat.
Dieser Spielraum kann bei kleinen Verschlüssen durch die Anordnung der
Unterbrechungen der Verschlussgewinde herbeigeführt werden, indem die Ausschnitte
(parallel der Achse) an vier Stellen gemacht und die
Gewindetheile des
Rohres an der Seite ausgeschnitten sind (bezieh. nur an der rechten, da links das
Scharnier angebracht ist). Wenn der Tragering vollständig herumgeschwenkt worden
ist, so liegt der Verschluss derartig, dass er nur um seine Achse gedreht zu werden
braucht, um mit seinen stehengebliebenen und seitlich sich befindenden Gewindegängen
in die „oben“ und „unten“ verbliebenen Gewindegänge des Rohres
einzugreifen und letzteres zu verschliessen.
In Bezug auf das Material der Rohre muss erwähnt werden, dass nach neueren Angaben in
Nordamerika Versuche mit einer Nickelstahllegirung gemacht werden sollen. Die zu
verwendenden Blöcke sind in Frankreich bei Schneider
(Creuzot) bestellt, weil diese Firma das bezügliche Patent für die
Vereinigten Staaten besitzt. Einige Einzelheiten über diesen Stabl werden weiter
unten, bei den „Panzerplatten“ besprochen werden.
Bei der nordamerikanischen Feldlaffete fallen zwei Neuerungen auf: die Einrichtung
der Wände und die Verstärkung der Achse.
Die Wände zeigen eine so ausgedehnte Benutzung des Drückens (Stanzens) von
Stahlblech, wie sie wohl bis dahin noch nicht vorgekommen ist. Wie sich aus dem
Querschnitt Fig. 2d
ergibt, ist jede Wand eigentlich eine Doppelwand. Die oberen und unteren Ränder
bilden Hohlräume von kreisförmigem Querschnitt, welche das zu einer Wand
zusammengelegte und vernietete Doppelblech verbindet. Unten stossen beide Enden
zusammen, das innere ist schräg abgeschnitten, das äussere verlängert zur
Befestigung von Verbindeplatten (oder Blechen). (Leider ist in der Beschreibung des
Engineering [15. April 1892 S. 453] nicht genau die
Form der winkeligen Stücke der Schildzapfenlager und des Laffetenschwanzes angegeben
und die hier gegebene Zeichnung an diesen Stellen vielleicht recht
verbesserungsbedürftig.)
Die neuartige Verstärkung der hohlen Achse besteht in einem Achsenfutter, das aus
zwei auf einander genieteten Kesselblechstücken zusammengesetzt ist (Fig. 2c). Die Aushöhlung
für die Achse liegt so, dass nach einer Seite ein kleinerer, nach der anderen ein
grösserer trapezförmiger Vorstand gebildet ist. Beide werden mit den Verbindeplatten
unter der Vorderseite der Laffete vernietet und zwar so, dass der grössere Vorstand
nach hinten, nach dem Laffetenschwänz hin, gerichtet ist. Wenn diese Form des
Achsenfutters nur des Rückstosses, nicht auch der Befestigung der Achsensitze wegen
eingeführt ist, so erscheint sie verbesserungsfähig mit Rücksicht auf die Wirkung
des Rückstosses, wenn das Rohr mit einer Neigung nach unten schiessen soll; es kommt
dies z.B. bei einer Stellung auf einem 100 m hohen Hügel vor gegen ein in der Ebene
auf 1000 bis 2000 m gelegenes Ziel. Der in der Richtung der Seelenaxe des Rohres
sich äussernde Rückstoss wirkt dann in einem Winkel von über 30° zur Richtung der
Achsenfuttervorsprünge und veranlasst ein Drehen der ganzen Laffete um den
Laffetenschwanz, weil dieser sich der Rückwärtsbewegung widersetzt; hierbei ziehen
die Räder die Achsenschenkel nach unten. Um eine Achsenverbiegung zu vermeiden,
müsste für diesen Fall auch eine Verstärkung des Achsenfutters nach unten angebracht
sein. Möglicher Weise ist aber die Achsenfutterverstärkung ganz überflüssig; ihr
Wegfall würde also eine bedeutende Erleichterung ergeben.
Die Richtmaschine für das Heben und Senken desHintertheiles des Rohres
entspricht zum Theil der in Deutschland eingeführten Doppelschraubenrichtmaschine.
Die Kurbel und das Getriebe zum Drehen der äusseren Schraube liegen, in der
Zeichnung unsichtbar, in der rechten Wand. Das Durchführen der Kurbel durch die Wand
scheint das Laffetengewicht nicht gerade zu verringern.
Die Laffete würde vielleicht an Haltbarkeit bedeutend gewinnen, wenn eine Vorrichtung
angebracht wäre, welche das Rohr lose mit der Richtsohle verbindet, damit das
schädliche Hochgehen des hinteren Rohrendes bei einem Schusse mit kleinen Erhöhungen
oder mit Senkung der Mündung vermieden wird. Vorhin schon, bei der Besprechung des
Achsenfutters, wurde erwähnt, dass dann ein Drehen der Laffete stattfindet, während
das Rohr seine alte Richtung beibehält und sich mit seinem hinteren, unteren Ende
immer mehr von seinem Auflagepunkte auf der Richtsohle entfernt; es behält diese
Bewegung oft dann noch bei, wenn schon die Vorderseite der Laffete eine
Abwärtsbewegung begonnen hat. Stossen nun die Räder auf den Boden, so fällt auch
bald das hintere Röhrende herunter, schlägt gewaltig auf die Richtsohle und strengt
damit die Laffeten wände von oben nach unten an. Wenn die erwähnte lose Verbindung
zwischen Rohr und Richtsohle (z.B. durch ein Kettenstück oder eine Feder)
hergestellt wäre, welche natürlich die senkrechte Bewegung des Rohres nicht
beeinflussen dürfte, so lange das Geschoss noch nicht heraus ist, dann würde die
leicht zu vermeidende „secundäre“ Wirkung des Rückstosses und damit
vielleicht ein Brechen der Laffetenwände bei gewissen ungünstigen Umständen zu
verhindern sein.
Solche Umstände treten möglicher Weise bei grosser Kälte ein. In den österreichischen
Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und
Gen.-Wesens, 1892 Heft 9 und 10, befindet sich ein interessanter Aufsatz
über das Verhalten von Stahl und Eisen bei Kälte, der vielleicht hier von Belang
ist. Nach demselben hielten alle Laffeten gut, bis 1890 bei Kälte unerwartet die
Wände dreier Feldlaffeten und einer 15 cm-Mörserlaffete auf dem Versuchsschiessplatz
Felixdorf sprangen. Um diese Thatsache zu erklären, wurde Metall aus den
Laffetenwänden untersucht und zwar wurde die Festigkeit ermittelt für Stücke
parallel der Walzrichtung und senkrecht dazu. Es zeigte sich, dass bei Kälte die
Festigkeit des Eisens und Stahles bei einem ruckartigen Zuge in Richtung des Walzens
nicht kleiner, sondern eher grösser wird, dass aber die Festigkeit in der
senkrechten Richtung dazu beträchtlich geringer erscheint. Demzufolge würden also
Laffetenachsen in der Zug- und Schussrichtung, Laffetenwände in senkrechter
Richtung, das heisst von oben nach unten geringere Festigkeit zeigen. Dass diese
Erscheinung bis jetzt nicht vorgekommen ist, mag daran gelegen haben, dass die
beiden Umstände: Kälte und geringe Erhöhungswinkel oder sogar Neigung der
Rohrmündung nach unten selten zusammengetroffen sind. Ein Feldgeschütz muss aber
unbedingt auch für diesen Fall ausreichende Widerstandsfähigkeit besitzen, denn es
ist nicht ausgeschlossen, dass er im Kriege vorkommt.
In dem Berichte über die amerikanische Laffete wird besonders hervorgehoben, dass der
Richtbaum aus einer senkrechten Stahlschiene mit je einer halbrunden Holzschiene an
jeder Seite besteht; andere Constructionen waren nicht haltbar. Es würde vielleicht
eine weniger starre Verbindung zwischen diesem Baume und der Laffete eine Verbesserung bedeuten.
Wenn eine Federvorrichtung so angebracht wäre, dass die oben beschriebene drehende
Bewegung der Laffete um den Auflagepunkt sich allmählich auf den Baum übertrüge, so würde eine grössere Haltbarkeit oder
eine Gewichtsverminderung zu erzielen sein.
Die amerikanische Laffete wird mit einer neuen Schiess- und Fahrbremse versehen,
welche noch in Versuch ist.
Die Lagerhöhe des Rohres beim amerikanischen Feldgeschütz erscheint heutzutage als zu
hoch. Ein Tieferlegen des Rohres um ungefähr 12 cm würde das concave Ansteigen des
oberen Laffetenrandes überflüssig machen und eine grosse Gewichtsverminderung und
eine festere Lage bei schiefem Räderstande ermöglichen. Wenn eine hohe Visirlinie
erforderlich erscheinen sollte, so könnte diese auf dem Rohre angebracht werden,
ohne besondere Gewichtsvermehrung.
Die Verbindung der Laffete mit der zugehörigen Protze (dem Vorderwagen) zu einem
Fahrzeuge zeigt dadurch eine gewisse Aehnlichkeit mit den französischen Geschützen,
dass der Protzhaken, in welche sich die Oese des Laffetenschwanzes legen soll, sehr
nahe an der Protzachse liegt. In entsprechender Weise tragen auch die Stangenpferde
allein das Vordergewicht der Deichsel und zwar mittels einer Vorderbracke. Die Taue
bezieh. Zugriemen der Mittelpferde werden in nicht gerade vortheilhafter Weise
unmittelbar an die der Stangenpferde befestigt. – Durch die Lage des Protznagels
zwischen den Rädern wird das Wenden der Geschütze recht ungünstig beeinflusst, wie
in Fig. 2d dargestellt
ist. (Zum Vergleich ist ein Geschütz mitgezeichnet, welches eine weiter nach
rückwärts verlegte Verbindung zwischen Vorder- und Hinterfahrzeug hat).
Textabbildung Bd. 288, S. 7
Fig. 4.Shrapnel.
Die Shrapnels der amerikanischen Feldgeschütze sind durch Benutzung des elektrischen
Schweissens hergestellt. Das Geschoss besteht aus Kopf, Mittelstück und Bodenstück
(Fig. 4). Im Inneren des Mittelstückes ist ein
Schraubengewinde für den Zünder angebracht und ein Messingrohr eingelegt. Auf den
Gusstahlkopf wird zuerst das aus gezogenem Stahl bestehende Mittelstück geschweisst,
dann werden die Kugeln eingefüllt, hierauf Gyps eingegossen und eine eiserne Platte
aufgelegt, das hineinragende Ende des Messingrohres umgebogen und endlich der Boden
angeschweisst. Zuletzt, nachdem noch ein kupferner Führungsring in die Wand des
letzteren eingepresst worden ist, werden die durch das Schweissen entstandenen
Unebenheiten beputzt, und das Shrapnel ist zum Einbringen der Pulverladung und des
Doppelzünders fertig. Wenn diese Geschosse gute Trefffähigkeit haben, so muss das
Schweissverfahren ganz erstaunlich genau arbeiten.
Die Schussleistungen der amerikanischen Geschütze scheinen noch für frühere
Pulversorten bemessen zu sein. Mit Einführung neuen Pulvers werden sie sich noch
steigern lassen.
Die nordamerikanischen Feldgeschütze von 1889 geben im allgemeinen Zeugniss von dem
Bestreben der Vereinigten Staaten, sich das Neueste und Beste zu Nutze zu machen und
auch selbständig mit Neuerungen vorzugehen. Allerdings scheinen praktische
artilleristische Vorversuche den betreffenden Versuchscommissionen nicht in so
grosser Zahl vorzuliegen, wie den europäischen, und deshalb erscheineneinzelne
Gesichtspunkte noch nicht genügend beachtet, z.B. der, jedes überflüssige
Gewichtstheilchen mit der peinlichsten Sorgfalt zu vermeiden. Indess scheinen
Verbesserungen nach dieser Richtung angestrebt zu werden, und da einerseits die
nordamerikanische Armee klein ist, nach unseren Begriffen höchstens zwei Armeecorps
umfasst, und andererseits verhältnissmässig grosse Geldmittel vorhanden sind, so
können Aenderungen viel leichter vorgenommen werden, als bei dem ungeheueren
Artilleriematerial einer europäischen Armee. Aus allen diesen Gründen ergibt sich,
dass in Zukunft die Geschütze der Vereinigten Staaten von Nordamerika auch mit
Vortheil von Europäern studirt werden können.
Nach der Darstellung des amerikanischen Feldgeschützes wird vielleicht die Berührung
der Frage verständlicher, weshalb das Steigern der Anfangsgeschwindigkeit der
Feldgeschosse so schwierig ist. Greift man die Hauptsache aus vielen Umständen
heraus, so muss man sagen, besonders deshalb, weil Laffete nebst Rohr der Bedienung
wegen ein bestimmtes Gewicht nicht überschreiten dürfen. Wahrscheinlich hat das
Gewicht des leichten amerikanischen Geschützes nebst der Lafette mit 925 k schon die
zulässige Grenze erreicht. Die Anfangsgeschwindigkeit zu steigern durch Verstärkung
der Pulverladung bei Beibehaltung der jetzigen Geschossdurchmesser und gewichte und
durch Verlängerung der Rohre ist der Gewichtsvermehrung wegen unzulässig. Grössere
Anfangsgeschwindigkeiten würden demnach eine Verkleinerung des Kalibers nothwendig
machen. Longridge will sie dadurch ermöglichen, dass er
grössere Spannungen, als bisher gebräuchlich, verwendet, nachdem die Rohrwand
stärker construirt ist. Er schlägt deshalb Geschütze mit Drahtumwickelung vor, bei
welchen Gasdrücke bis zu 4750 at gefahrlos sein sollen (die bisherigen betrugen 2600
bis höchstens 3000). Es scheint aber, dass man bis jetzt Bedenken getragen hat, so
weit zu gehen; denn nach der Revue d'artillerie, Bd. 40
S. 286 sind 21 Sorten neuer Feldgeschütze von Fabriken tabellarisch aufgeführt (6
ausserdem angedeutet), aber keine hat über 580 m Anfangsgeschwindigkeit und einen
Gasdruck über 2800 at.
Diese Bedenken sind vielleicht durch die geringen Erfahrungen mit den neuen
Nitratpulversorten wachgerufen. Man kann ruhig zugeben, dass besonders verstärkte
Rohre die angegebenen riesigen Spannungen aushalten; aber es fragt sich, ob die
angewendeten Nitratpulver nicht durch Aufbewahrung oder durch andere Umstände einmal
dazu gebracht werden können, grössere Spannungen zu entwickeln, die zum Springen
führen müssen, wenn die Rohre nicht einen Sicherheitscoefficienten haben, wie er bei
den bisherigen geringeren Ladungen und Spannungen
möglicher Weise vorhanden war. Selbst wenn die Zeitungsnotiz unrichtig ist, dass das
neue Pulver durch Aufbewahrung brisanter wird, so kann doch der beim Gewehr
Daudeteau angedeutete Vorgang der Erhitzung des Pulvers durch Liegen in einem
heissen Rohr besonders bei Geschützen eine unangenehme Bedeutung durch die niedrige
Zersetzungstemperatur von 70° bekommen. Wer Gelegenheit hatte, 30 bis 50 Schuss
mässig schnell mit einem Feldgeschütz abzugeben, wird wissen, dass ein Schneeball,
der nach dem Schiessen in oder auf das Geschützrohr gelegt wird, sich bald in
kochendes Wasser verwandelt. Die Temperatur beträgt also über 100°. Liegt eine
Pulverladung einige Zeit in dem Rohre, so muss sie sich unbedingt über 70° erhitzen, und was dann
geschieht, wird zwar noch untersucht werden müssen, wahrscheinlich tritt aber eine
grosse Steigerung des Gasdruckes ein, die recht bedenklich werden kann.
Eine Besprechung aller veröffentlichten Vorschläge für neue Feldgeschütze mit
Nitratpulver liegt hier zu fern. Einiges aus denselben ist zur obigen Beurtheilung
der amerikanischen Feldgeschütze C. 89 benutzt worden.
(Fortsetzung folgt.)