Titel: | Die elektrische Strassenbahn in Bremen. |
Fundstelle: | Band 289, Jahrgang 1893, S. 186 |
Download: | XML |
Die elektrische Strassenbahn in
Bremen.
Die elektrische Strassenbahn in Bremen.
Die elektrische Strassenbahn für die alte Hansestadt Bremen, deren reger
Handelsverkehr in immer grösserer Entfaltung begriffen ist, und um deren Kern
zahlreiche Vorstädte und Vororte aufblühen, wurde von der Union Elektricitäts-Gesellschaft zu Berlin nach Thomson-Houston's Anordnung angelegt, an deren Durchbildung van Depoele mitgearbeitet hat. Van Depoele verwerthete sein grosses Können und Wissen in elektrischer
Kraftübertragung zusammen mit den Erfahrungen der Thomson-Houston-Fabrik und das Ergebniss dieses Zusammenwirkens ist die
bekannte Thomson-Houston-Anordnung, die bisher nicht nur in Amerika zur Anwendung
gekommen ist, sondern auch in anderen Ländern verwerthet wurde. Nicht weniger als
188 Gesellschaften haben ihre Bahnen nach dieser Anordnung eingerichtet, weitere 35
Bahnen sind in der Ausführung begriffen.
Die Bremer Strassenbahn-Gesellschaft hatte zu Anfang dieses Jahres zwei Linien in
elektrischem Betrieb; sie laufen beide vom Stadthause aus und führen über dieselbe
Strecke nach dem Bahnhofe. Hier trennen sich die beiden Linien, und zwar führt die
eine hinaus nach Hörn und die andere nach dem Bürgerpark, jenem ausgedehnten
Waldpark im Nordosten der Stadt, der mit seinen herrlichen Laubgängen und Teichen,
sowie Concertlocalen den Lieblingsaufenthalt der Bremer bildet. – Die Entfernung vom
Stadthause nach dem Bahnhofe beträgt 900 m, von hier nach Hörn 4900 m, und nach dem
Bürgerpark 800 m, so dass die ganze Länge der für elektrischen Betrieb
eingerichteten Strecke 6,6 km beträgt, wovon 2,4 km Doppelgleis und 4,2 km einfaches
Gleis haben.
Zwischen dem Stadthause und dem Bahnhofe befinden sich neun Curven; sieben derselben
haben Halbmesser von weniger als 30 m, zwei sogar nur 20 in Radius. Die Zahl der
Curven auf den anderen Theilen der Linie ist nicht gross; auch sind die Curven nicht
scharf. Die Strecke ist nahezu eben; die einzige bemerkenswerthe Steigung beträgt
ungefähr 3 Proc. auf einer Länge von 75 m.
In den bebauten Strassen, und wo es sonst praktisch erschien, sind die die
oberirdischen Zuleitungsdrähte tragenden Spanndrähte an den Häusern mittels
ornamental ausgestatteter Rosetten befestigt, welch letztere gleichzeitig als
Isolatoren dienen. Sonst liegen die Stromleitungen entweder auf Masten mit einem
Arme bei eingleisigen und mit zwei Armen bei zweigleisigen Strecken, oder in beiden
Fällen auf zwischen zwei Masten gespannten Drähten.
Die angewandten Masten sind aus Stahlröhren zusammengesetzt und mit gusseisernem
Sockel und Kappe versehen. Wo es möglich war, sind die Masten derartig zwischen
Bäumen aufgestellt, dass sie fast vollständig verdeckt sind und den Verkehr auf den
Fussteigen nicht stören.
Ueberall, wo Telephon- oder Telegraphen drahte die Strecke kreuzen oder nahe an die
Bahnleitung herankommen, sind eiserne Schutzdrähte über die stromführende Leitung gespannt;
ferner ist an den scharfen Curven die Leitung durch Holzleisten geschützt.
Der Wagenpark besteht aus zehn (15 ) Motorwagen, von denen sechs für 26 Sitze
und vier für 16 Sitze eingerichtet sind. Jeder Wagen kann im Bedarfsfalle einen
zweiten Wagen mitziehen. Ausser den Rheostaten und den Ausschaltern hat jeder Wagen
eine Bleisicherung, sowie einen Blitzableiter, und wird durch fünf 16kerzige
Glühlampen erleuchtet.
Die höchste zulässige Fahrgeschwindigkeit beträgt 16 km ausserhalb und 12 km
innerhalb der Stadt, die mittlere Geschwindigkeit einschliesslich des Haltens 14 km
bezieh. 10 km in der Stunde.
Die Kraftstation liegt beim Schlachthofe nahe an der Linie, welche nach dem
Bürgerpark führt, und zwar an einem Zweiggleise der Eisenbahn, auf welchem die
Kohlen direct bis an das Kesselhaus herangeschafft werden können. Der Betrieb auf
der Linie Stadthaus-Hörn wurde am 1. Mai eröffnet und die erzielten Ergebnisse haben
die höchsten Erwartungen noch übertroffen. In der Zeit von der Eröffnung vom 1. Mai
bis 8. Juni 1892 betrug die Zahl der beförderten Personen 98676 gegen 74769 in
derselben Zeit des Vorjahres bei Pferdebetrieb, diese Zahlen zeigen eine
Verkehrszunahme von 30 Proc.
Gewöhnlich verkehren fünf Wagen mit oder ohne Anhängewagen auf der Strecke, welche
Anzahl indess an Sonntagen bis auf sieben Motorwagen mit ebenso vielen Anhängewagen
vermehrt werden muss; letztere haben 40 Stehplätze, so dass ein Zug, bestehend aus
einem Motor- und einem Anhängewagen, 80 bis 90 Personen zu befördern im Stande
ist.
Vereinnahmt wurden vom Mai bis Ende December 1891 bei sechs Pferdebahnwagen 71120 M.,
in derselben Zeit 1892 mit fünf elektrischen Wagen 86950 M., was eine Mehreinnahme
von 22,2 Proc. darstellt. Die Kosten des elektrischen Betriebes beliefen sich in
jenen acht Monaten auf 32 285 M., d.h. 36 Proc. der Einnahme.
In Folge des gesteigerten Verkehrs hat sich die Verwaltung der Bremer Strassenbahn
entschlossen, den bisherigen 17-Minuten-Betrieb in einen 7½-Minuten-Betrieb zu
ändern und gleichzeitig weitere 15 Motorwagen anzuschaffen. Auch die Bahnstrecken
Börse-Freihafen und Langenstrasse-Hohethor sind inzwischen bereits in elektrischen
Betrieb genommen worden, und es ist dadurch die Gesammtlänge der Strecken auf 10,3
km gestiegen, wovon 6,5 km mit einfachem und 3,8 km mit doppeltem Gleise. Die
Betriebsergebnisse für 1893 werden sich noch günstiger gestalten.