Titel: | O. L. Kummer's Anordnungen für elektrische Strassenbahnen. |
Fundstelle: | Band 291, Jahrgang 1894, S. 37 |
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O. L. Kummer's Anordnungen für elektrische
Strassenbahnen.
Mit Abbildungen.
Kummer's Anordnungen für elektrische Strassenbahnen.
Die Firma O. L. Kummer und Co., in Niedersedlitz bei
Dresden hat eine Reihe von Anordnungen für elektrische Strassenbahnen mit äusserer
Strom Zuführung fabrikationsmässig durchgebildet und auch bereits bei der von ihr
gebauten Bahn Blasewitz-NiedersedlitzUeber die von
Siemens und Halske gebaute, seit dem Juli
1893 im Betriebe befindliche elektrische Bahn Dresden-Loschwitz vgl. Die Elektricität, 1893 S. 260. zur
Verwendung gebracht. Die Stromzuführung kann dabei ebenso wohl oberirdisch, als
unterirdisch erfolgen.
Die Personenwagen erweisen sich nach Fig. 1 in ihrer
äusseren Erscheinung als nicht wesentlich abweichend von denen, welche bei
Ausführungen anderer Firmen verwendet werden. Die eigentlichen
Unterscheidungsmerkmale liegen vielmehr in der Anordnung und Durchbildung der
Motoren und der Schaltungen derselben, sodann in der Anlassvorrichtung und in der
besonders eigenthümlichen Verbindung derselben mit den Vorkehrungen zur Erzielung
verschiedener Geschwindigkeiten einerseits und der Radbremse andererseits; die
weiter unten folgende eingehende Beschreibung der betreffenden Einrichtungen wird
dies deutlich hervortreten lassen.
Der für den Betrieb der Bahn erforderliche elektrische Strom wird in einer besonderen
Centralstation erzeugt, deren Lage möglichst nahe dem Mittelpunkte der zu
betreibenden Strecke angeordnet wird, damit die Leitungen möglichst billig
hergestellt werden können; mitunter üben jedoch auch anderweitige Rücksichten, wie
z.B. der Werth des Grund und Bodens u. dgl., einen maassgebenden Einfluss auf die
Wahl der Oertlichkeit für die Station aus.
Zur Erzeugung des Stromes verwendet die Firma ihre seit Jahren mit bestem Erfolge in
zahlreichen Exemplaren und jeder Grösse gebauten Dampfdynamo, von denen Fig. 2 ein Bild gibt (vgl. auch 1892 285 * 102). Jede dieser Dampfdynamomaschinen besteht für
grössere Leistungen aus einer zweicylindrigen Verbunddampfmaschine mit neben
einander angeordneten Cylindern und um 90° versetzten Kurbeln, sowie aus einer damit
untrennbar verbundenen Dynamomaschine, welche, je nach Bedürfniss, mit gemischter
oder mit Nebenschluss-Wickelung versehen wird. Die Hochdruckcylinder der grösseren
Dampfmaschinen sind gemantelt, und zwar unter Vermeidung besonderer Einsatzcylinder.
Sicherheitsventile sind an jedem Cylinder auf beiden Kolbenseiten vorgesehen. Alle
Dampfschieber sind völlig entlastete Kolbenschieber. Sämmtliche Maschinen sind mit
dem unter Nr. 57994 Kl. 60 vom 28. Februar 1891 für O. L.
Kummer und Co., E. Fischinger und H. Leck
patentirten (vgl. 1892 285 * 101) Momentachsenregulator
ausgerüstet, welcher neben seiner Thätigkeit als Schwungrad die Regelung des Ganges
durch Verstellung des Expansionsexcenters (bezieh. bei den kleinen Maschinen des
Grundschiebers) am Hochdruckcylinder nach Hub- und Voreilungswinkel, also durch unmittelbare und
vollkommenste Veränderung des Expansionsgrades – nicht aber durch unökonomische
Drosselung – bewirkt. Die Firma garantirt mit diesem Regulator, welcher in den
letzten 3 Jahren bereits an allen ihren Maschinen mit bestem Erfolge zur Anwendung
gelangte, die Innehaltung der Tourenzahl bis auf 2 Proc., selbst beim
Belastungswechsel der elektrischen Maschinen von voll auf Null, was bei der
unregelmässigen Stromabnahme im Betriebe elektrischer Bahnen nicht ohne Wichtigkeit
ist und zur Betriebssicherheit jedenfalls beiträgt. Die Dampfkolben sind aus
Gusstahl, ebenso die Kolbenstangen. Die Pleuelstangen und Kurbelwellen sind aus
Schmiedeeisen. Sämmtliche Lager sind aus Phosphorbronze und in so grossen
Abmessungen ausgeführt, dass ein Fressen in Folge Warmlaufens bei unachtsamer
Bedienung ausgeschlossen ist. Alle Maschinen sind mit Vorrichtungen zur Entnahme von
Indicatordiagrammen versehen.
Textabbildung Bd. 291, S. 38Fig. 1.Motorwagen auf der Versuchsstrecke in Niedersedlitz. Der Magnetring der Dynamomaschine bildet mit dem Fundamentkörper der
Dampfmaschine ein zusammenhängendes Gusstück, während der Anker der Dynamo
unmittelbar auf der Kurbelwelle der Dampfmaschine sitzt.
Die Dynamomaschinen im Besonderen zeichnen sich durch geringe Erwärmung und
funkenlosen Gang bei hoher Nutzleistung vortheilhaft aus und sind so gebaut, dass
etwa nöthige Ausbesserungen äusserst schnell und bequem vorgenommen werden können.
Diese zuletzt genannten Vorzüge sind durch die eigenartige Befestigung des
Stromsammlers und des Ankers auf der Welle und durch die Art der
Ankerbewickelung erreicht worden.
Textabbildung Bd. 291, S. 38Fig. 2.Dampfdynamo für Kummer's Strassenbalm. Der in diesen Maschinen erzeugte Strom mit einer Spannung von etwa 500
Volt wird nun mittels einer oberirdisch oder unterirdisch geführten Kupferleitung
den auf der Bahnstrecke befindlichen Motorwagen zugeführt und, nachdem er seine
Arbeit in den Motorwagen verrichtet hat, durch die Schienen zu den Dynamomaschinen
in der Centralstation zurückgeleitet. Die oberirdische Kupferleitung besteht aus dem
6 m über der Mitte des Schienengleises ausgespannten sogen. Fahrdrähte; sie wird isolirt an
Stangen befestigt, welche dem Charakter der zu befahrenden Strecke entsprechend
entweder als einfache Holzmasten mit schmiedeeisernen Auslegern (vgl. Fig. 1) hergestellt werden, oder als schmucke eiserne
Masten mit geschmackvoll geformten Auslegern.
Hat die Bahnstrecke eine grössere Länge, so verwendet man ausser dem Fahrdrahte noch
einen oder mehrere Zuführungsdrähte, welche nach Art der Telegraphendrähte auf
Porzellanisolatoren an den eigentlichen Stangen befestigt werden und den Zweck
haben, den Fahrdraht auf seiner ganzen Länge mit Strom von möglichst gleicher
Spannung zu versorgen.
Textabbildung Bd. 291, S. 39Fig. 3.Vorderansicht von Kummer's Dynamo. (Gehäuse
geschlossen.) Dem soeben beschriebenen Fahrdrahte entnehmen sich die einzelnen
Motorwagen ihren Strombedarf mittels einer an einer federnden Ruthe angebrachten
Rolle. Die von der Firma angestellten eingehenden Versuche mit einem
ContactbügelEin solcher Bügel
wird u.a. auf der Bahn Dresden-Loschwitz benutzt. Vgl. auch Fig. 1. an Stelle der Rolle haben
die bedeutende Ueberlegenheit der Rolle unzweifelhaft nachgewiesen.
Die Ruthe ist an ihrem unteren Ende mittels eines Scharniers auf dem Deck des Wagens
gelagert und derartig mit einer Anzahl langer Spiralfedern verbunden, dass die Rolle
stets kräftig gegen die stromführende Leitung gedrückt wird. Die Federn sind so
elastisch, dass der durch den Durchhang des Drahtes, die Durchfahrt unter Brücken
u.s.w. bedingte Unterschied in der Höhenlage des Fahrdrahtes schon sehr bedeutend
sein kann, ohne dass die gute Berührung zwischen dem Fahrdrahte und der Rolle
darunter leidet. Von der Ruthe wird der Strom einem Umschalter zugeführt, welcher in
der Mitte des Wagens unter der Decke angebracht ist und den Führer des Wagens
befähigt, die Fahrrichtung zu ändern. Von dem Umschalter geht nämlich der Strom, je
nach der Stellung desselben, nach den oberen oder nach den unteren Bürsten der
beiden Elektromotoren und von hier nach den beiden auf den Plattformen des Wagens
angeordneten Steuerapparaten.
Mit Hilfe der letztgenannten Apparate vermag der Führer des Wagens: erstens die
Fahrgeschwindigkeit innerhalb weiter Grenzen ohne Kraftverschwendung nach Bedürfniss
zu verändern, sowie auch den Strom ganz zu unterbrechen; zweitens den Wagen zu
bremsen; drittens das Glockensignal zu geben. Alle diese verschiedenen Thätigkeiten
werden mit nur einer Kurbel ausgeführt, im Gegensatz zu den Anordnungen anderer
Firmen, welche in der Regel zwei Kurbeln anwenden. Der Steuerapparat wird also genau
so gehandhabt wie die Bremskurbel der heutigen Pferdebahnwagen, was als ein
besonderer Vorzug anzusehen ist. Da der Steuerapparat Gegenstand eines
Patentgesuches ist, so kann hier von ihm noch keine ausführliche Beschreibung und
Zeichnung gegeben werden.
Da nur etwa anderthalbe Umdrehungen der Kurbel für den Uebergang von schnellster
Fahrt auf Bremsen nothwendig sind und da die Bremse überdies viel stärker wirkt als
die gewöhnlichen Bremsen, so ist es erklärlich, dass die Bremsung eines in
schnellster Fahrt befindlichen Wagens mit dem hier benutzten Steuerapparate in
überraschend kurzer Zeit erfolgt. Umgekehrt wird beim Anfahren durch Zurückdrehen
der Kurbel zunächst die Bremse gelöst und durch Weiterdrehen dann erst die
langsamste Fahrt begonnen und darauf mehr und mehr Kraft bis zur höchsten
Geschwindigkeit eingeschaltet. Somit ist hierdurch jede Kraftvergeudung
ausgeschlossen, und dazu ist die Handhabung des ganzen Apparates so ausserordentlich
einfach, dass jeder Laie dieselbe ohne irgend welche Schulung sofort zu übernehmen
vermag. Unter dem Wagengestell sind in der Regel zwei Elektromotoren angebracht,
welche normal je 8 effective entwickeln, für kurze Zeiträume, z.B. beim
Anzüge des stehenden Wagens, auf einer Steigung u. dgl., sogar bis zu je 15
effective leisten können. Jeder Motor ist einerseits mittels Federn an dem
Wagengestelle aufgehängt, andererseits mit zwei Lagern auf einer der beiden
Radachsen gelagert, welche von den Motoren durch zwei Stirnräder im
Uebersetzungsverhältniss 1 : 5 angetrieben werden. Fig.
3 und 4 zeigen die Motoren und ihre
Aufhängung an den Radachsen, sowie den Antrieb und die um das Ganze angeordneten
Schutzkappen.
Textabbildung Bd. 291, S. 39Fig. 4.Seitenansicht von Kummer's Dynamo. (Gehäuse geöffnet.) Das kleine Stirnrad ist nahezu ganz aus Leder hergestellt, so dass das den
sonstigen Rädergetrieben in der Regel anhaftende Geräusch nach Möglichkeit
vermindert und auf der Fahrt im Wagen durchaus unhörbar ist. Der Motor ist ganz in
ein gusseisernes Gehäuse eingeschlossen, um ihn gegen Schmutz und
Witterungseinflüsse zu schützen; die Möglichkeit, zum Stromsammler zu gelangen, ist
jedoch durch Anordnung einer Thür beschafft.
Die Verwendung zweier Elektromotoren gegenüber nur einem stärkeren bietet
mehrere Vortheile. Zunächst wird die Last auf beide Achsen gleichmässig vertheilt
und so die volle Adhäsion beider Räderpaare und der auf ihnen lastende Druck für die
Fortbewegung nutzbar gemacht, weshalb ein Gleiten der Räder auch bei stärkeren
Steigungen, Glatteis u.s.w. nicht zu befürchten ist. Daher können in den meisten
Fällen ohne weiteres sogen. Anhänge wagen verwendet werden, so dass den
Bahnverwaltungen die Möglichkeit geboten ist, an verkehrsreicheren Tagen den
Bedürfnissen des gesteigerten Verkehrs voll gerecht zu werden, ohne andere
Mehrausgaben als für den etwas höheren Kohlenverbrauch in der Centralstation, in
welcher die vorhandenen Bereitschaftsmaschinen dann mit arbeiten müssen. Dass die
Zweitheilung der beweglichen Kraft ferner eine verdoppelte Sicherheit des Betriebes
bedeutet und für die Vermeidung von Verkehrsstockungen auf der Strecke von grosser
Bedeutung ist, bedarf wohl kaum der besonderen Hervorhebung.
Um die von der Firma Kummer und Co. gewählten
Anordnungen benutzen zu können, braucht man übrigens nicht besonders für den
elektrischen Betrieb gebaute Wagen, es lassen sich vielmehr in der Regel die jetzt
gebräuchlichen Pferdebahnwagen ohne Umbau hierzu verwenden.
Die Beleuchtung der Wagen erfolgt durch vier hinter einander geschaltete Glühlampen,
von denen zwei im Wageninnern und je eine auf den Plattformen angebracht sind.
In der bisherigen Beschreibung ist der Einfachheit halber nur von einzeln, nach
Befinden auch mit je einem Anhängewagen fahrenden Motorwagen für Personenverkehr
gesprochen worden, weil dies eben den nächstliegenden und allgemeinsten Bedürfnissen
entspricht. Selbstverständlich steht da, wo ein weitergehendes Bedürfniss es
bedingen sollte, wie z.B. in dicht bevölkerten, langgestreckten Industriebezirken
mit regem Güterverkehr, dem nichts im Wege, dass man auch dem Gütertransporte die
Vortheile des elektrischen Betriebes zu Theil werden lasse, da sich die Güterwagen
in einer dem Unterbau angepassten Ausführung und Tragfähigkeit sowohl als
selbständige Motorwagen, wie auch als Anhängewagen mühelos einstellen lassen.
Endlich wäre noch zu betonen, dass die vorstehend beschriebenen Einrichtungen für den
elektrischen Bahnbetrieb nicht an eine bestimmte Ausführungsweise des Unterbaues
gebunden sind, dass vielmehr bei allen bisher eingeführten Arten des Unterbaues von
Strassenbahnen der elektrische Betrieb in der angegebenen Weise sich durchführen
lässt.