Titel: | Bemerkungen über neue Kriegswaffen. |
Fundstelle: | Band 291, Jahrgang 1894, S. 50 |
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Bemerkungen über neue
Kriegswaffen.
(Fortsetzung des Berichtes S. 25 d.
Bd.)
Bemerkungen über neue Kriegswaffen.
Küsten- und Schiffsgeschütze.
Die schwersten
Schiffsgeschütze.
Der Untergang des englischen Schlachtschiffes erster Klasse Victoria hat in Europa zur Zeit jeden Gedanken an
neue Schiffsgeschütze, welche ebenso schwer oder schwerer als die bisherigen
sind, zum Verstummen gebracht, nachdem schon vorher schlimme Erfahrungen mit
diesen Geschützen, die sich beim Schiessen verbogen und aufrissen, gemacht
worden waren. Durch ihre Schwere und ihre hohe Lage über dem Wasser hatten die
110,5 t-Geschütze (41,25 cm) mit ihren Panzerthürmen den Schwerpunkt des
Schiffes so hoch gelegt, dass einige Minuten nach dem Aufreissen einer Seite ein
Umkippen erfolgte, welches bei weniger schweren Geschützen vielleicht nicht
stattgefunden hätte oder weniger unheilvoll geworden wäre.
Als grösstes Gewicht für schwerste Geschütze scheint man jetzt in England 45 bis
60 t festgesetzt zu haben, mit einem Geschossdurchmesser bis zu 31 cm. In
Frankreich scheint das 30 cm-Kaliber als das grösste für neue Schiffsgeschütze
betrachtet zu werden; in Oesterreich das 24 cm-Kaliber mit 35 bis 45
Kaliber-Länge. Eines der grössten italienischen Panzerschiffe hat seine beiden
100 t-Geschütze vertauscht mit zwei von 25 t; die schwersten Geschütze, welche
diese Marine beibehält, haben 86 t Gewicht.
Bei diesen Festsetzungen hatte man noch keine Kenntnisse von den Erfolgen der Brown'schen Kanone. Gelangt diese Construction zur
Einführung, dann ist auf eine weitere Verminderung des Durchmessers zu
hoffen.
Das Krupp'sche Riesengeschütz in
Chicago.
Die Firma Krupp hatte auf der Ausstellung in Chicago
ein Riesengeschütz aufgestellt, welches die englischen 110,5 t-Geschütze an
Bohrungsdurchmesser, Länge, Gewicht und Leistung übertrifft. Die Haltbarkeit ist
dadurch bewiesen, dass das Geschütz nach einer ordentlichen Beschiessung mit elf
Schuss auf die Ausstellung geschickt und den kritischen Untersuchungen von
Fachmännern zur Verfügung gestellt werden konnte.
Aus der nebenstehenden, nach dem Engineer
wiedergegebenen Tabelle geht die Ueberlegenheit der Krupp'schen Arbeit über die Armstrong's
hervor.
Da das Geschütz nicht, wie Zeitungen berichteten, der Stadt Chicago geschenkt
wurde, so wird es vielleicht noch zu weiteren Schiessversuchen benutzt werden,
aus welchen weitere Angaben, z.B. über Leistungen auf grösseren Schussweiten,
hervorgehen können. Ein kleiner Wermuthstropfen mischt sich aber doch in die
Freude der deutschen Kanonenfabrik, das grösste und leistungsfähigste
Geschütz der Welt gebaut zu haben. Es ist auch hier wieder die grosse Länge des
Theiles unangenehm, den der Verschluss vom Rohre für sich in Anspruch nimmt. Der
Abstand der Vorderfläche des Verschlusses bis zur hinteren Rohrfläche beträgt
beim Krupp'schen Geschütz mit Keilverschluss 9,5
Proc., beim englischen Geschütz mit Schraubenverschluss nur 8,2 Proc. der vor
dem Verschlusse liegenden Bohrung. Es muss doch vermuthet werden, dass beim Krupp'schen Rohr die vordere Verschlussfläche um
mindestens 10 cm hätte zurückgerückt werden können, wenn der Verschluss ein
Schraubenverschluss gewesen wäre, die Ueberlegenheit an lebendiger Kraft des
Geschosses wäre dadurch eine grössere geworden.
Krupp'sches42 cm-Geschütz
Englisches110,5 t-Geschütz(41,25
cm)
Bohrungsdurchmesser (Kaliber), Zoll engl.
16,54
16,25
Gewicht, Tonnen engl.
120,46
110,5
Ganze Länge des Rohres, Fuss engl.
45,93
43,67
Länge der Bohrung vor dem
Ver- schluss, Fuss engl.
41,66
44,06
Lebendige Kraft des Geschosses an der Mündung,
Fuss-Tonnen engl.
60003
54390(mit der
Ge-brauchsladung)
57630(mit der Ladung,welche
Rohrver-letzungen her-beiführte)
61190(vor dem erstenSchusse
ge-schätzt, abernicht erreicht)
Lebendige Kraft Fuss-Tonnen für 1
tRohrgewicht
498
492
Dynamitgeschütze.
Es ist vielleicht nöthig, ein Geschütz zu erwähnen, welches in Amerika viel von
sich reden macht, in Europa, ausser in England, aber nicht viel Beachtung
findet. Es ist das sogen. Dynamitgeschütz (Pneumatische Kanone); es besitzt ein
langes Rohr, welches durch Einwirkung von zusammengepresster Luft ein mit einer
sehr grossen Dynamitladung gefülltes, 9 Durchmesser langes, Geschoss vorwärts
treiben kann. Die neuesten veröffentlichten Treffergebnisse auf 3300 m sind ganz
gut; das Widerstreben gegen die Einführung dieser Kanone in Europa hängt
vielleicht mit der Beschaffung der Triebkraft zusammen. Bei der Verwendung von
Pulver hat man keinen grossen Raum, keine grossen Maschinerien, Röhren und
Behälter nöthig, um diese Triebkraft zu erzeugen, wie bei der Dynamitkanone mit
Luftdruck. Da man in neuerer Zeit gelernt hat, durch Pulver auch aus
gewöhnlichen Geschützen Geschosse zu verschiessen, welche mit grossen Massen von
Sprengstoff gefüllt sind und dabei mehr Durchschlagskraft besitzen als die
Geschosse der Dynamitkanonen, so fällt ein Hauptbeweggrund weg, der für die
Einführung derselben in Amerika maassgebend gewesen war.
Ermittelung der Kraftäusserung des Pulvers.
Verschiedene Apparate.
Im 10. Heft der Mittheil. über Gegenst. des Art.- und
Gen.-Wesens ist eine Zusammenstellung von neueren und älteren Apparaten
gegeben, welche zur Ermittelung der Wirkung der 'Pulvergase dienen können; mit
Rücksicht auf die Wichtigkeit solcher Ermittelungen sei hier die Wiedergabe
eines kurzen Auszuges gestattet.
Es gibt besondere Apparate zum Messen der Gasdrücke eines Pulvers. Sie bestehen
aus einem Hohlraum, der einen mit wenig Spielraum nach aussen verschiebbaren
Boden (Stempel) hat. Wird eine bestimmte Pulvermenge in dem Raume verbrannt, so
wird dieser Boden (Stempel) herausgetrieben. Aus der Strecke, die er zurücklegt,
oder aus dem Drucke, mit welchem er gegen Federn oder gegen Lasten von
bestimmter Grösse wirkt, lässt sich dann auf die Kraftäusserung der verbrannten
Pulvermasse schliessen (manometrische Wagen, Accelerometer).
Bringt man senkrecht auf der Aussenseite des Stempels eine Tafel an, auf welcher
ein Stift eine gerade Linie quer zur Bewegungsrichtung andeuten kann, so wird
letzterer eine berechenbare Curve verzeichnen, wenn er eine gleichförmige
Bewegung während des Herausfliegens des Stempels ausführt. Aus der gezeichneten
Curve lässt sich die Beschleunigung berechnen, welche der Stempel an jedem Orte
hatte (Accelerograph).
Es kann auch der bewegliche Stempel gegen einen zu stauchenden Kupfercylinder
drücken und gleichzeitig mit einer Stimmgabel parallel der Druckrichtung
versehen werden. Befindet sich an jedem Stimmgabelende ein Schreibstift, der auf
einer feststehenden Tafel eine Linie verzeichnen kann, so werden sich zwei
Curven ergeben, wenn die Stimmgabel beim Losbrennen der Pulverladung in Bewegung
gesetzt war (der Schuss selbst kann das z.B. durch Herausreissen eines zwischen
die Zinken gesteckten Keiles verursachen). Aus den mikroskopisch
festzustellenden Curven lassen sich dann wieder die Kraftäusserungen des Pulvers
für jeden Ort berechnen. Ein ähnlicher Apparat lässt sich auch zu Bestimmungen
in Waffen verwerthen (Stauchapparat mit Registrirvorrichtung).
Der Rücklauf einer ganzen Waffe, eines blossen Geschützrohres oder eines blossen
Gewehrlaufes wird auch zur Bestimmung der Kraftäusserung des Pulvers gebraucht.
– Auf einem Rohre, dessen Rücklauf wenig behindert ist, wird ein Blechstreifen
befestigt, der durch einen Lacküberzug beschreibbar gemacht worden ist;
gegenüber demselben wird eine Stimmgabel mit den Zinken parallel zur Rohrachse
angebracht; auf jedem Zinken ist ein Schreibstift befestigt, der den Streifen
berührt. Wird nun ein Schuss im Rohre losgelassen, während die Stimmgabel
schwingt, so werden auf dem mit dem Rohre zurückfliegenden Blechstreifen zwei
Curven gebildet, aus welchen sich dann wieder die Kraftäusserungen des Pulvers
im Rohre ermitteln lassen (Velocimeter). (Das Ingangsetzen der Stimmgabel durch
den Schuss oder durch Elektricität, sowie der vollständige Inhalt des
interessanten Artikels der Mittheilungen können hier leider nicht wiedergegeben
werden.)
Messen von Gasspannungen in
Gewehren.
Das sogen. Messen von Gasspannungen in Gewehren ist bereits früher besprochen
worden (1893 288 27). Die Mittheilungen der deutschen Versuchsanstalt für Handfeuerwaffen
bringen October 1893 Angaben über derartige Messungen bei Schrotladungen, aus
welchen sich die Richtigkeit des früheren absprechenden Urtheils als ganz
begründet herausstellt. In einem besonderen, einem Flintenlaufe nachgebildeten
Apparate konnte die stauchende Wirkung des Bodens einer Schrotpatrone gemessen
werden und gleichzeitig die Kraftäusserung des Pulvers auf einen dicht vor der
Patrone angebrachten Stauchcylinder (1893 288 27 Fig. 1b und 1a). –
Bei einer Serie von fünf Bodendrücken schwankte die Grösse der gemessenen (sogen.) Atmosphären zwischen 347 und 567, trotzdem die gleichzeitig vor
der Mündung gemessene Geschwindigkeit der Schrotladung „ziemlich
dieselbe“ war. Wenn schon in einem Geschütze Unterschiede der
Gasspannungen von 200 at bei einem Schusse von einem Gesammtdrucke von 2600 at
als „gross“ betrachtet wurden, so dürften die obigen Zahlen ein geradezu
vernichtendes Urtheil über die Messmethode bedeuten.
Die Messungen an der Seite des Laufes, vor der
Patrone, waren schon früher (1893 288 17) als
gänzlich verfehlt betrachtet worden, nach einer Ansicht waren sie zu gross, nach
einer anderen zu klein. Die Mittheilungen der Versuchsanstalt beweisen
schlagend, dass jede der beiden Ansichten eine Berechtigung hat, dass aber eine
richtige Messung demzufolge ganz undenkbar ist. Die am schnellsten verbrennenden
Pulver haben in der Patrone einen höheren Druck als
dicht vor der Patrone, bei den langsam
verbrennenden ist meist das Umgekehrte der Fall, jedoch nicht immer. Es fehlt
also jedes Princip in der Messung, und zwar wahrscheinlich deshalb, weil einmal
Drücke mit Geschwindigkeiten (dynamische Grössen), das andere Mal eine Zeitlang
ruhende Spannungen (statische Grössen) sich äussern.
Ganz besondere Druckunterschiede ruft die Festigkeit hervor, mit welcher die
Geschosse durch den vorderen Patronenrand umschlossen werden. Dann scheint die
Beschaffenheit der Hülse selber die Grösse des Gasdruckes zu beeinflussen. Bei
einigen Pulversorten hatten Metallhülsen höhere Drücke, bei einer anderen
Papphülsen.
Gerade der Einfluss der Hülsen dürfte deshalb so gross sein, weil die Pulvergase
die Hülsen wände aus einander dehnen und gegen die Laufwand drücken; je fester
dieses Andrücken erfolgt, um so mehr wird die Bewegung der Hülse nach hinten,
also auch der Bodendruck, vermindert.
Es ist sehr wohl möglich, dass bei einer sehr
elastischen Patrone trotz einer sehr
heftig wirkenden Pulverladung die kleinsten Gasdrücke gemessen werden (wenn man den
„Bodendruck der Patronenhülse“ überhaupt für identisch mit
„Gasdruck“ hält).
Wenn Jemand in die Patronenhülse auf den Amboss für das Zündhütchen ein Röhrchen
mit besonderem Pulver setzt und dann die Patronenhülse mit Gebrauchspulver
füllt, so wird eine ganz eigenartige Verbrennung stattfinden, bei welcher der vordere
Rand ganz anders gegen den Lauf gedrückt wird als bei einer gewöhnlichen
Patrone; der Bodendruck wird vielleicht ein viel geringerer werden und der mit
ihm für identisch gehaltene Gasdruck ebenfalls. – Ueber eine Gewehrpatrone
„Marga“ wurden im Jahre 1892 ganz geringe Gasspannungen
veröffentlicht; diese Patrone hatte die erwähnte Röhrcheneinrichtung; vielleicht
besteht der ganze Erfolg derselben in der durchaus fehlerhaften Messung der
sogen. Gasdrücke.
Um der Erzeugung von Irrthümern vorzubeugen, dürfte es sich empfehlen, den
Ausdruck „Gasdruck in Atmosphären“ für diese Messungen in Gewehren fallen
zu lassen und dafür zu setzen: „Druck des Patronenbodens gegen eine
Hinterlage“. Man bleibt dann der Wahrheit näher und ist gezwungen, zu
überlegen, was man denn eigentlich in diesem „Bodendruck“ hat. Besonders
amerikanische und englische Schriftsteller geben mit einer Sicherheit Gasdrücke
in Atmosphären an, als ob deren Messung mit dem Stauchapparat dasselbe wäre, wie
etwa das Gewicht eines Beutels mit Aepfeln, welches mit einer richtigen Wage
ermittelt wurde. Sie scheinen gar nicht zu berücksichtigen, dass die Gasdrücke
in Gasometern und Dampfkesseln ganz andere sind als die in Gewehren. In
Gasometern werden eben ruhende Drücke durch die Manometer gemessen, in Gewehren
hat man gewisse Drücke, die mit ungeheuren Geschwindigkeiten wirken, aber von
rechtswegen nicht mit den einfachen Worten „Atmosphären“ bezeichnet
werden dürften; diese „Kraftgrössen“ werden wahrscheinlich durch die oben
angegebenen Verfahren wissenschaftlicher ermittelt als durch die
Stauchapparate.
Ermittelungen durch Schiessen aus
abgeschnittenen Läufen.
Zur Bestimmung der Kraftäusserung des Pulvers dürfte den oben erwähnten Verfahren
noch eins hinzuzuzählen sein, welches vielleicht in den Mittheil. über Gegenst. des Art.- und Gen.-Wesens deshalb nicht
erwähnt wurde, weil es eigentlich keiner besonderen Apparate bedarf. Wenn man
aus einer Waffe mit einer bestimmten Ladung schiesst und die
Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses misst, dann ein Stück der Waffe
abschneidet, mit derselben Ladung wieder schiesst und wieder misst und dies
Verfahren wiederholt, bis die Waffe so kurz geworden ist, dass sie nicht mehr
abgeschnitten werden kann, dann hat man eine Reihe von Geschossgeschwindigkeiten
bekommen, aus denen sich die Beschleunigungen der Geschosse bei verschiedenen
Lauflängen ergeben. Bei einem schnellbrennenden Pulver erscheinen bei kurzen
Laufstücken grosse Geschwindigkeiten, bei einem langsam brennenden kleine, bei
dem letzteren werden aber mit Zunahme der Lauflängen die Geschwindigkeiten
beträchtlich wachsen, und gerade dies Verhalten will man meistens vom Pulver
haben. Da heutzutage Läufe sehr billig zu haben sind und
Anfangsgeschwindigkeiten (oder Durchschlagsgrössen) leicht ermittelt werden
können, so dürfte die Untersuchung der Kraftäusserungen neuer Pulversorten
leicht zu bewerkstelligen sein, wenn man zu dem Zwecke vier Läufe derselben Art
verwendete, von denen drei in verschiedener Länge abgeschnitten sind (der
Rücklaufsgrössen wegen müsste man sie auf das gleiche Gewicht bringen).
Vielleicht würde es sich aber dann empfehlen, die Originalmessungen anzugeben,
nicht etwa die Umrechnungen in Atmosphären, und zwar so lange nicht, bis
erwiesen wird, dass eine derartige Rechnung alle vorkommenden Umstände
berücksichtigt hat. – Da wahrscheinlich bei Herstellung vieler Waffen dieses
oder ein ähnlich empfehlenswertes Verfahren zur Bestimmung der Kraftäusserung
des Pulvers benutzt wurde, so haben diese Waffen meist eine ganz ausreichend
begründete Construction; es sind also nicht blosse Phantasiegebilde, was der
Fall sein würde, wenn sie nach den „Zahlen für Gasdrücke in Atmosphären“
construirt wären, welche mit Vorliebe von Schriftstellern gebracht werden, die
mit praktischen ballistischen Ermittelungen nicht vertraut sind.
Kenntnisse über Rotation.
Kreisel von Newton and Co. in
London.
Im J. 1893 hat in Nottingham in England die jährliche grosse Versammlung von
englischen Naturforschern und Technikern stattgefunden; auf derselben wurden die
Bewegungen eines nicht in der Cardanischen Aufhängung rotirenden Kreisels
vorgeführt. Der Kreisel ist in Deutschland längst unter dem Namen
„Curvenkreisel“ bekannt; er ist glockenförmig und seine untere
Achsenspitze kann deshalb höher als der Schwerpunkt gestellt werden; wird bei
dieser Stellung der Kreisel in Drehung versetzt, so vermag die obere Spitze
Namenszüge und Curven zu beschreiben, wenn sie an ein Metallstück rührt, welches
in geeigneter Weise über dem unteren Lagerpunkte befestigt ist und solche
Figuren zeigt. Diese Erscheinungen, welche sogar in der Times Erwähnung gefunden haben, sind zur Zeit wohl nur eine
Spielerei.
Mehr Bedeutung hat es, dass der ausstellende Mechaniker, Newton and Co., 3 Fleet Street, London, die Achse verstellbar gemacht
hat, so dass die untere Achsenspitze unter den Schwerpunkt geschraubt werden
kann, wodurch ermöglicht wird, dass dieser „Curvenkreisel“ wie ein ganz
gewöhnlicher Kreisel arbeitet. Man lässt ihn in einem hohlkugelförmigen Lager
von Achat laufen; es zeigt dann seine Achse die bekannte Drehung um die
Senkrechte (Präcession); sie würde auch die Bewegungen zu dieser Linie
(Entfernung und Annäherung, Nutation) dem Auge sichtbar machen können, wenn der
Kreisel in einem Punkte ausserhalb der Achse beschwert oder erleichtert würde.
Aus dieser Thatsache ergibt sich, dass in England ein Interesse an dem
praktischen Studium der Rotation erweckt worden ist und die „Letters to the
Editor“ in The Engineer vom Mai bis
September 1892 haben vielleicht zu diesem Erfolge etwas beigetragen.
Drehung der Kreiselachse um einen
sogen. „festen Punkt“ oder um den Schwerpunkt.
Es ist nur schlimm, dass bei dem Newton'schen
Kreisel die untere Spitze in einem begrenzten Lager steht, nicht auch sich frei
auf einer glatten Ebene bewegen kann. Nach der analytischen Mechanik finden die
Bewegungen der Kreiselachse um die Senkrechte ebenso wohl statt, wenn eine
Spitze der Achse feststeht, als wenn diese Spitze frei beweglich ist; in
ersterem Falle macht dann der Schwerpunkt des Kreisels die langsame Drehung um
die Senkrechte, in letzterem ruht er vollständig
(wenn der Luftwiderstand nicht zu kräftig wirkt oder wenn die Unsymmetrie nicht
stört), und es beschreibt dann häufig der sogen. „feste Punkt“ der
Kreiselachse grössere Wege als irgend ein anderer Punkt der Achse. (Wenn jemals
ein Wort zu Täuschungen Veranlassung gegeben hat, so ist es das Wort
„fester Punkt“; der Ersatz desselben durch ein anderes, wie z.B.
„Stützpunkt“, welches den Formeln der Mechanik entspricht, dürfte
vielleicht eine Nothwendigkeit sein.)
Der Unterschied der Erscheinungen ist nicht unwichtig. Es ergibt sich das aus dem
berühmten Werke Siacci's: Balistique extérieure,
Paris 1892, S. 121 und 122. Dort heisst es etwa, um die Rotation zu betrachten,
könne man den „Schwerpunkt des Geschosses als fest“ (in Bezug auf die
Flugbahn) ansehen und dieses Geschoss mit einem Kreisel vergleichen; der einen
festen Punkt habe, welcher dem Schwerpunkte dieses Geschosses entspreche. Es ist ganz
unbegreiflich, weshalb der feste Schwerpunkt des Geschosses nicht mit dem festen
Schwerpunkte eines Kreisels verglichen wird; weshalb also Siacci und sein Bearbeiter Laurent beim Leser nur die lückenhaften Kenntnisse über
Kreiselbewegung voraussetzen, welche der Londoner Kreisel von Newton and Co. hervorrufen kann. Es wird zwar durch
den unpraktisch gewählten Vergleich der übrige Inhalt des berühmten Werkes von
Siacci kaum berührt; aber wahrscheinlich wäre
Einzelnes anders gestaltet worden, wenn die einfache Kreiselbewegung den
Verfassern besser bekannt gewesen wäre. Vergleicht man den Schwerpunkt des
Geschosses mit dem eines Kreisels, ein entsprechendes Stück der Flugbahn des
ersteren mit der Senkrechten bei letzterem, so lässt sich der Stützpunkt (der
sogen. feste Punkt) des Kreisels mit dem Angriffspunkt des Luftwiderstandes beim
Geschosse vergleichen, und daraus ergibt sich eine Anschauung über den Flug
eines Geschosses, die höchst einfach ist, der analytischen Mechanik nicht
widerspricht und die vielleicht ganz bedeutende praktische Ergebnisse haben
kann.
Zusammenhang zwischen Geschoss-
und Kreiseldrehung.
Durch einfache Experimente lässt sich die Aehnlichkeit der Bewegung von Geschoss
und Kreisel physikalisch beweisen. Lässt man einen schrägstehenden Kreisel mit
ziemlich schwerer Peripherie auf einer wagerechten Glasplatte rotiren, so bewegt
sich die wagerechte Projection des Schwerpunktes nicht, der Schwerpunkt ruht; die stützende Spitze beschreibt
eine Curve, die um so grösser wird, je mehr die Drehgeschwindigkeit der
Peripherie abnimmt. (Mit dieser Abnahme nimmt die Drehung der Achse um die
Senkrechte an Geschwindigkeit scheinbar zu.) – Lässt man denselben Kreisel mit
einer scharfen konischen Spitze von etwa 60° in einem konischen Lager von 120°
rotiren, dann bleiben die Dreherscheinungen der Achse dieselben, nur dass jetzt
der Stützpunkt fest steht („ruht“), während
der Schwerpunkt sich um die Senkrechte dreht.
Die Sache lässt sich aber noch weiter verfolgen. Man kann dem Kreisel die Form
eines Geschosses geben und dessen Achsenbewegung beobachten, wenn es sich auf
dem Boden stützt oder wenn es sich durch die Luft oder im Wasser bewegt. Lässt
man ein derartiges rotirendes Geschoss durch die Luft oder in Wasser fallen,
dann übernimmt der Angriffspunkt des Luftwiderstandes (bei einer Fallhöhe über
10 m) oder der des Widerstandes im Wasser vollständig die Rolle des Stützpunktes
bei dem auf dem Boden laufenden Geschosse (Kreisel). Durch eine Umwickelung der
Peripherie in Höhe des Schwerpunktes lässt sich das „Ruhen“ des letzteren
sichtbar machen. Aus der Richtung der Achsendrehung, welche in analytisch
festgestellter Weise stattfindet (von der Lage des Schwerpunktes zum genannten
Angriffspunkt und von der Drehrichtung der Peripherie abhängig) und aus der
Zunahme der Achsengeschwindigkeit bei, Abnahme der Peripheriegeschwindigkeit
ergibt sich physikalisch der Zusammenhang zwischen den Bewegungen des Geschosses
und des Kreisels. (Für die analytische Bestimmung der Drehrichtung ist
maassgebend: Hess,
„Ueber das Gyroskop“, Math. Ann., Bd. 19;
für die Berechnung der Achsengeschwindigkeit [Präcession]: Programme des
Gymnasiums zu Seehausen i. A. 1873 und 1874. Streng genommen braucht der
Angriffspunkt des Luftwiderstandes nicht in der Spitze zu liegen, er kann auch
seitwärts der Achse angenommen werden, ähnlich wie es mit dem Stützpunkte des
Kreisels geschieht in Jellett: A Treatise on the theory
of friction, London 1872, S. 181.)
Der Zusammenhang zwischen Kreisel- und Geschossrotation ist in der Mechanik schon
längst vorausgesetzt worden, indem für beide Bewegungen dieselben
Bewegungsgleichungen, sogen. Euler'sche
Gleichungen, verwandt wurden. Leider ist aus den Gleichungen nicht der Nutzen
gezogen worden, der sich ergeben haben würde, wenn man der Achsenbewegung (den
Präcessionen) mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Unter Zuhilfenahme der
Rechnung hätte man beim Kreisel aus der Zunahme dieser Achsengeschwindigkeit auf
die Abnahme der Drehgeschwindigkeit schliessen, also der Frage der Reibung näher
treten können. Leider standen diesen Bestrebungen die bisherigen
Kreiselexperimente der physikalischen Cabinette entgegen, welche fast nur
Kreisel in schweren Ringen kennen, deren Achsenbewegung der Richtung nach zwar
angedeutet wird, aber deren Achsengeschwindigkeiten ganz unbestimmbar sind. –
Bei den Geschossen hat ein russischer Ballistiker Sabudski Folgendes ausgeführt. Nachdem er die willkürliche Behauptung
aufgestellt hat, die Reibung der Luft an den Seiten des rotirenden Geschosses
sei gleich Null, setzt er die sogen. drei Euler'schen Gleichungen als gültig für die wirkliche Geschossbewegung in
der Luft ein. Unter diesen Gleichungen findet sich folgende:
Das Trägheits-moment für dieGeschossachse
×
der Beschleu- nigung um diese Achse
=0\,\left(A\,\frac{d\,r}{d\,t}=0\right)
Nach diesen Annahmen behauptet Sabudski,
„dass nach den Euler'schen Gleichungen die
Winkelgeschwindigkeit um die Längsachse während der ganzen Bewegungsdauer
sich gleich bleibe“. (Archiv f. Art.- und
Ing.-Off., 1892.) Diese Behauptung dürfte aber unstatthaft sein, denn
die angedeutete Gleichung hätte nur dann gebraucht werden dürfen, wenn vorher
besonders bewiesen worden wäre, dass sie auf die Geschossbewegung passt, d.h.
dass die Beschleunigung \frac{d\,r}{d\,t} nur = 0 ist; z.B.
durch eine Reibung darf \frac{d\,r}{d\,t} nicht einen
wirklichen negativen Werth (d.h. eine Verzögerung) bekommen, oder es muss für
diesen, der Wirklichkeit entsprechenden Fall eine andere Gleichung eingesetzt
werden. Da statt dieses Beweises nur eine willkürliche Annahme gemacht worden
ist, so ist der geschehene Gebrauch der Euler'schen
Gleichungen anfechtbar und die Sabudski'sche
Behauptung, dass die Rotationsgeschwindigkeit des Geschosses sich nicht
verändere, erscheint als eine unmathematische Privatansicht. – Da es einfach ist,
durch Durchschläge von 37 mm-Geschossen (mit blosser hinterer Führung) eine
beliebige Anzahl von auf einander folgenden Achsenlagen zu bekommen, so dürfte
es sehr leicht sein, aus der Schnelligkeit dieser Achsenbewegung (Präcession)
auf Grund der Seehausener Rechnungen auf die Grösse des Verlustes an
Rotationsgeschwindigkeit zu schliessen.
Die Geschosspitze und die
Rotation.
Wenn der eigentlich von Siacci hervorgerufene
Vergleich eines Geschosses mit einem Kreisel stichhaltig ist, und wenn beim
Kreisel (nach der Seehausener Rechnung und nach Jellett a. a. O.) die Achsenbewegung von der Lage des Stützpunktes
abhängig ist, dann muss beim Geschosse auch die Achsenbewegung zur Flugbahn von
der Lage des Angriffspunktes des Luftwiderstandes und damit von der Form der
Spitze abhängig sein. Bei einer breiten Spitze wird z.B. bei kleinen
Schwankungen der Achse der Abstand dieses Angriffspunktes vom Schwerpunkte mehr
gleichmässig gross bleiben als bei einer schlanken Spitze, bei welcher der
Angriffspunkt auf der Oberfläche grosse Wege macht, wenn die Achse schwankt.
Aufklärungen in dieser Richtung können indess nur Versuche und Rechnungen
geben.
Prof. August in Berlin hat vor einigen Jahren
berechnet, welche Spitzenform am günstigsten sein würde, wenn der Luftwiderstand
nur in der Richtung der Flugbahntangente gegen die Spitze wirkte; er hat also
eine seitliche Reibung des Luftwiderstandes, also das, was soeben hier
vorausgesetzt wurde, vollständig ausgeschlossen. Leider haben viele der heutigen
Waffenschriftsteller die Voraussetzungen ganz in den Wind geschlagen und die
Geschossspitze von August als die einzig beste für
wirkliche Geschosse gepriesen. Dass die Voraussetzungen des Professor August in der Wirklichkeit nicht vorkommen, hat
zuletzt, wie bekannt, Prof. Neesen in Berlin durch
photographische Aufnahme der starken Drehung einer Geschossachse um die Flugbahn
bewiesen; da ausserdem noch andere gewichtige Stimmen schon längst eine Bewegung
der Geschossachse um die Flugbahn für erwiesen
halten (vgl. auch die Besprechung des Krnka-Hebler-Geschosses), so dürfte wohl
die August'sche Spitzenform nur eine mathematische
Bedeutung haben.
Unsymmetrische
Geschosse.
Bei den obigen Betrachtungen wurde auf Formeln Bezug genommen, welche nur für
symmetrische Körper passen. Es ist bewiesen, dass die Art der geschilderten Ausschlagsbewegungen der Achse auch bei anderen
nicht symmetrischen Körpern vorkommt, für
welche die Formeln nicht genau passen; die Grössen
der Bewegungen sind indess andere. So wird durch eine künstliche Unsymmetrie der
rotirenden Holzgeschosse die Drehung der Achse um die Flugbahn beschleunigt. Mit
Rücksicht auf diese Erscheinungen dürfte es, wie oben schon erwähnt,
wünschenswerth sein, eine gleichmässige Lagerung der Theilchen eines Geschosses
anzustreben; beim Gewehrgeschoss z.B. würde es also wünschenswerth sein, alle
unsymmetrisch liegenden, lockeren Stellen des Hartblei- oder Bleikernes zu
vermeiden, und das würde wahrscheinlich herbeigeführt, wenn, wie früher schon
erwähnt, statt des Einpressens der Kerne in die Geschossmäntel mittels
Stempel ein Einsaugen und Verdichten der Kerne mit Hilfe einer grossen
Centrifugalkraft stattfände.
(Schluss folgt.)