Titel: | Patentprocess wegen des englischen rauchschwachen Pulvers. (The Cordite case.) |
Fundstelle: | Band 292, Jahrgang 1894, S. 18 |
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Patentprocess wegen des englischen
rauchschwachen Pulvers. (The Cordite case.)
Patentprocess wegen des englischen rauchschwachen
Pulvers.
Streitfragen und Urtheil.
Alfred Nobel erhielt 1875 ein vorläufiges englisches
Patent auf Verdickung von Nitroglycerin durch 1 bis 4 Proc. Schiessbaumwolle; ein
Zusatz von Aceton, Alkohol- oder Essigäther sollte die innige Vermischung bezieh.
„Gelatinirung“ beider Körper unterstützen. In dem zugehörigen, 1876
ertheilten, endgültigen Patente war die Menge der Schiessbaumwolle auf 7 bis 8 Proc.
verdoppelt. Der erhaltene neue Stoff wurde Sprenggelatine (blasting gelatine)
genannt; durch seine Herstellung sollte das sehr gefährliche, flüssige Nitroglycerin
für Industrie und Handel brauchbar gemacht und gleichzeitig ein Sprengmittel
geschaffen werden, das mehr Gase lieferte, also mehr Kraft entwickelte, als irgend
ein anderes.
1888, also 2 Jahre nach Einführung des rauchschwachen Pulvers in Frankreich, erhielt
Nobel in England ein Patent auf die Herstellung
eines als rauchschwaches Schiesspulver in Waffen verwendbaren, „Ballistit“
genannten Körpers; derselbe sollte durch Auflösung von 33 bis 66 Proc. löslicher
Schiessbaumwolle (Collodiumbaumwolle, löslicher Nitrocellulose) in Nitroglycerin
entstehen, wenn ein flüchtiger Körper, z.B. Kampher, der Masse zugefügt war und die
Mischung durch erwärmte Walzen gepresst wurde. Der neue, zu körnende, gasliefernde
Stoff (explosive) sollte eine hornartige oder annähernd hornartige Beschaffenheit
haben. Durch die Vermehrung der Nitrocellulose von 1 bis 4 und 7 bis 8 auf mehr als
33 Proc. ist also das bis dahin nur zu Sprengzwecken benutzbare Nitroglycerin in ein
Treibmittel verwandelt worden, welches die Waffe weniger anstrengt und den
Geschossen mehr Anfangsgeschwindigkeit ertheilt, als das damalige Schiesspulver aus
Salpeter, Schwefel und Kohle.Nach Angabe des
Betriebsdirectors von Armstrong betragen bei
Gasspannungen zwischen 2450 und 2600 bei 40 Kal. langen Kanonen dieAnfangs-geschwin-digkeitenengl.
FussVerhältniss-zahl
derlebendigenKräftebei Cordit von 0,4 engl. ZollDurchmesser27945413 „ „ „ 0,3 „ „„24694227 „ Ballistit „ 6,3 „ „Körnerhöhe24164047 „ Chokoladepulver21103086 „ E × E (Schwarz-) Pulver20202828Die Zahlen lassen erkennen, welche bedeutenden Gasspannungen bei den beiden
letztgenannten „alten“ Pulvern sich ergeben würden, wollte man
dieselben auf die Leistungen des Cordits von 0,4 Zoll Korndurchmesser
bringen. Dieser Verwendung liegt die grosse Entdeckung Nobel's zu Grunde, dass die
Nitroverbindungen des Glycerins und der Cellulose, welche allein sich sehr
heftig zersetzen, von ihrer Brisanz verlieren, wenn sie mit einander combinirt
werden (ein Sprengmittel „bezähmt“ das andere). Diese Entdeckung ist
aber in dem Patent nicht so ausgesprochen, dass ihre Benutzung durch Andere
ausgeschlossen ist.
Der Gedanke Nobel's, dass die Nitrocellulose in
Nitroglycerin löslich sein müsse, spielt in dem Processe über die Tragweite seines
Patentes von 1888 eine grosse Rolle. Gerichtlich wurde entschieden, dass der Inhalt
des Patentes so aufgefasst werden müsse, wie er zur Zeit seiner Abfassung verstanden
wurde, demgemäss könne unter „löslicher“ Nitrocellulose nur die (auch zur
Celluloidfabrikation benutzte) Collodiumwolle (collodion-cotton), nicht aber
die Schiessbaumwolle (gun-cotton) gemeint sein; durch die Verwendung von
Kampher und erwärmten Walzen wäre die Anwendung der letzteren überhaupt unmöglich
gewesen; ausserdem würde durch das Studium des Patentes Niemand auf die Idee
gebracht worden sein, die damals „unlöslich“ genannte Nitrocellulose mit
Nitroglycerin zu einer Masse zu vereinigen. Es wurde demnach festgestellt, dass Nobel's Patent von 1888 die Fabrikation eines
Treibmittels aus Nitroglycerin und der damals „unlöslichen“ Schiessbaumwolle
Jedem freiliess. – Die Annahme Nobel's, dass sein
Patent sich auf Nitrocellulose jeder Art erstrecke; hat merkwürdiger Weise dadurch
eine gewisse Berechtigung neuerdings bekommen, dass die Löslichkeit der damals für
unlöslich angesehenen Schiessbaumwolle in Aceton als möglich angenommen werden muss;
durch einen Zusatz dieser flüchtigen Flüssigkeit wird auch Nitroglycerin vielleicht
diese Masse in Lösung aufnehmen können. Ausserdem ist festgestellt, dass sowohl in
der unlöslichen Nitrocellulose lösliche, wie umgekehrt in der löslichen unlösliche
enthalten ist. Ein Versuch, aus diesen Erwägungen Nutzen zu ziehen, blieb aber
erfolglos.
Das angedeutete Patent Nobel's war seiner Zeit mit
einigen anderen an die englische Regierung gekommen. Eine besondere Commission
prüfte dasselbe und gab es zurück; weil es nicht für verwendbar befunden wurde. Zwei
Mitglieder dieser Commission, die Professoren Abel und
Dewar, machten dann auf Grund ihrer Erfahrungen
neue Experimente und fanden, dass man statt der löslichen Nitrocellulose unlösliche
mit Vortheil verwenden konnte, weil sie unter Umständen einen höheren Nitrirungsgrad
besass; man brauchte nur eine Erwärmung der Mischung zu vermeiden und statt des
Kamphers Aceton oder Essigäther zuzusetzen. Durch Vermeidung des Kamphers glaubte
man ausserdem das Pulver haltbarer und seine Wirkung gleichmässiger zu machen, weil
man annahm, dass der Kampher noch lange Zeit nach der Fertigstellung der Masse
ausschwitze und deren Beschaffenheit verändere; als vortheilhaft erwies sich
ausserdem ein Zusatz von Vaseline. Um eine besondere Form zu erhalten, presste man
die Masse, solange sie noch bearbeitbar war, durch eine durchlochte Platte, erhielt
dadurch bindfadenartige Stücke (cords), und zerschnitt diese später in kleinere (der
Name „Cordit“ rührt von dieser Anfertigung her).
Es wurde zugestanden, dass bei diesem Verfahren das Patent Nobel's von 1875 benutzt worden war (denn streng genommen war nur eine
Vermehrung der Nitrocellulose eingetreten); da aber die Gültigkeitsdauer eines
Patentes in England nur 14 Jahre beträgt, so konnte die Anwendung dieses Verfahrens
von 1889 ab als „frei“ betrachtet werden. Die Erfinder nahmen Patente auf die
Herstellung von Cordit, welche von der englischen Regierung zur Anfertigung
rauchschwachen Schiesspulvers für Gewehre und für Geschütze bis zum 15 cm-Kaliber
benutzt werden.
Auf Grund dieser Thatsachen wurde eine Klage auf Verletzung des Nobel'schen Patentes von 1888 bei dem
High-Court-Gericht in London eingereicht und dort unter der Bezeichnung Nobel's Explosives Company (lim.) versus Anderson vom 29. Januar bis 14.
Februar 1894 in 13 Sitzungen verhandelt.
Das Urtheil, welches bezeichnender Weise der Richter sofort nach der letzten Rede eines Anwaltes der
klagenden Partei aussprach, entschied, es läge keine Verletzung des Nobel'schen Patentes von 1888 vor, weil dieses Patent sich nicht auf die
von Abel und Dewar
angewandte Nitrocellulose erstrecken könne. Die Herstellung des Cordit geschehe aus
anderen Stoffen, als die des Nobel'schen Ballistit,
seine Form sei eine andere und seine Eigenschaften seien andere. In Bezug auf das
wissenschaftliche Verdienst Nobel's bemerkte ausserdem
der Richter: „Nobel hat ein chemisches Problem
gelöst, aber“, setzte er hinzu: „er hat alle Vortheile daraus erlangt,
welche er rechtmässiger Weise daraus beanspruchen konnte.“ Diese Bemerkung
sollte vielleicht den vielfach in der Presse ausgesprochenen Glauben zerstören, dass
Nobel nicht nach Verdienst behandelt worden
sei.
Besonderes über Ballistit und Cordit.
Die Bedeutung des Ballistit als Kriegspulver geht aus dem Umstände hervor, dass unter
den Sachverständigen sich befanden: je ein Director der Krupp'schen Fabrik und der Köln-Rottweiler
Pulverfabriken und je ein Professor der Universität Wien und des Züricher
Polytechnikums; ein Briefwechsel Nobel's mit Italien
wurde verlesen. Demnach müssen einige der im Dreibunde und in der Schweiz
gebrauchten Schiesspulver in gewissen Beziehungen zum Nobel'schen Verfahren stehen. (Die Fabrik Krupp hat ausserdem 1890 einen Schiessbericht über Versuche mit Nobel'schem Pulver veröffentlicht.) Es ist deshalb
vielleicht eine weitere Angabe über die Fabrikation des Ballistit und des Cordit von
einigem Interesse. Nach dem in Deutschland ertheilten Patent von 1889, welches
vielleicht etwas von dem englischen des Patentprocesses abweicht (z.B. in Bezug auf
Nichtverwendung von Kampher) würde Ballistit in
folgender Weise herstellbar sein: 1 Th. lösliche Nitrocellulose (Collodiumbaumwolle)
wird mit 7 bis 8 Th. Nitroglycerin bei 6 bis 8° C. gemischt. Um diese Mischung
möglichst innig zu machen, wird das Nitroglycerin im luftverdünnten Raum in die
Nitrocellulose eingesogen, dann gewogen und hierauf gepresst oder centrifugirt, um
so viel Nitroglycerin zu entfernen, dass die Masse gleich grosse Gewichtstheile
beider Explosivstoffe enthält. Das Gewicht des entfernten Nitroglycerins dient
hierzu als Anhalt. Der erhaltene Kuchen wird zerstückelt, und nun erst soll die
Auflösung oder genauer gesagt, die „Gelatinirung“ beginnen, dazu wird die
Masse in einen Raum von 60 bis 90° C. oder in Wasser von dieser Temperatur gebracht,
nach einiger Zeit folgt dann ein Pressen und Trocknen durch erwärmte Walzen;
schliesslich ergeben sich Platten von 1 bis 2 mm Dicke, welche, wenn sie
gleichmässig durchscheinend sind, in Blättchen (Körner) zerschnitten werden. Durch
Zusammenpressen mehrerer Platten lassen sich auch dickere bilden, aus denen
würfelförmige Stücke geschnitten werden. Dadurch ist es möglich geworden, für jedes
Geschütz eine beste Körnergrösse herzustellen, und so gibt es augenblicklich schon
rauchschwaches Ballistitpulver für Geschütze vom kleinsten Kaliber bis zu dem von 24
cm. Durch Behandeln mit verdünntem Methylalkohol kann dem fertigen Pulver noch
Nitroglycerin entzogen werden. Um die chemische Beständigkeit zu erhöhen, kann der
Mischung zu Anfang 1 bis 2 Proc. Diphenylamin zugesetzt werden.
Für den Verbrennungsprocess dieses Pulvers ist folgende Formel aufgestellt:
(Nitroglycerin)
10[C3H5(O . NO2)3]
+ 9[C6H7 .O2 . OH(O . NO2)2] = 58CO +
26CO2 + 61H2O +
48N
((Dinitro-) Collodiumbaumwolle).
Nach dieser Formel ergeben sich nur gasförmige Verbrennungsproducte; in Wirklichkeit
bleibt aber in der Waffe ein Rückstand in Gestalt einer dünnen Haut zurück.
Cordit wird in der englischen Pulverfabrik Waltham Abbey so hergestellt: Unlösliche
(Tri-)Nitrocellulose (gun-cotton, Schiessbaumwolle) wird mit Nitroglycerin unter
Zusatz von Aceton 3½ Stunden lang durch Kneten bei gewöhnlicher Temperatur gemischt,
alsdann wird 5 Proc. Vaselin zugesetzt und wieder 3½ Stunden lang geknetet, dann die
sich ergebende plastische Masse in Fäden gepresst und diese 3 bis 9 Tage lang
getrocknet, um das als „Amalgamator“ gebrauchte Aceton verschwinden zu
lassen; in einem geeignet erscheinenden Moment werden die Fäden in kleine Stückchen
geschnitten. Nach der im Engineer vom 2. Februar 1894
wiedergegebenen, aber nicht völlig verständlichen Aussage des englischen Professors
Odling soll der Zusatz an Vaselin das Pressen
dieser Fäden und die Zersetzung des Pulvers beim Schiessen begünstigen, indem er die
Bildung von CO an Stelle von CO2 hervorruft;
vielleicht auch soll das Vaselin als Schmiermittel für die Waffe dienen. – Ueber den
Rückstand des Cordit wird übrigens geklagt; wenn ein Gewehr ungereinigt einige Tage
nach dem Schiessen stehen bleibt, so befindet sich im Laufe eine harte Kruste,
welche nur durch ein besonderes Oel (cordite-oil) oder durch Abfeuern eines
besonders eingefetteten Geschosses entfernt werden kann.
Die Ueberlegenheit der Nitropulver als Krafterzeuger über die aus Salpeter, Schwefel
und Kohle hergestellten ergibt sich am schlagendsten aus den Ladungsverhältnissen,
so z.B. braucht das deutsche Feldgeschütz jetzt nur 0,64 k rauchschwaches Pulver,
während es früher für genau dieselbe Schussleistung eine Ladung von 1,5 k
grobkörnigem (Schwarz-)Pulver hatte. Nach dem Director Andr.
Nobel der Firma Armstrong soll 1 g Cordit 688
cc Gase liefern, 1 g Ballistit 615; die gesammten entwickelten Kräfte beider Pulver
sollen sich verhalten wie 875 : 834. Diese letzteren Zahlen werden aber nur Werth
für das Jahr 1893 haben, da die Fortschritte in der Pulverfabrikation durchaus nicht
aufgehört haben; aus demselben Grunde darf aus den oben angegebenen Andeutungen über
die Herstellung von Ballistit und Cordit nicht geschlossen werden, dass sie heute
noch vollständig beibehalten worden ist.
Für den Jäger und Schützen ergibt sich die interessante Thatsache, dass der Rückstand
verschiedener Nitro-Pulversorten durchaus nicht so gleichmässig sein kann, wie der
der alten Schwarzpulver. Zur Vermittelung der Lösung von Nitrocellulose in
Nitroglycerin können die verschiedensten Stoffe, wie Kampher, Aceton,
Essigsäure-Aether u.s.w. gebraucht werden; es können Schmiermittel oder besondere
Mittel zur Begünstigung der Zersetzung oder Haltbarkeit, wie z.B. Vaselin oder
Diphenylamin, angewandt worden sein; daraus ergibt sich, dass der Rückstandsbildung
und dem Rosten der Läufe ganz besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist.
Um ein Studium des Patentprocesses zu erleichtern, seien hier die genauen
Bezeichnungen einiger Patente angegeben:
Englische Patente
Nobel's:
1875
Nr. 4179
1888
Nr. 1476
D. R.-P.
„
1889
Nr. 51471 (Kl. 78).
Ein wichtiges englisches Patent von Abel und Dewar ist wahrscheinlich das von 1890 Nr. 11664. Leider
ist dasselbe augenblicklich in Deutschland noch nicht zu haben; es gehört zu den
„nicht veröffentlichten“ („void“) Patenten und die Aufhebung des
Verbots der Veröffentlichung scheint noch nicht erfolgt zu sein.Vgl. auch Häussermann, Sprengstoffe und Zündwaaren, S. 29
u. ff., sowie Sprengstoffe von H. Kast in Ladenburg's
Handwörterbuch der Chemie, Bd. XI S. 87 u. ff.
W. Jansen.