Titel: | Das Elektricitätswerk der Stadt Königsberg i. Pr. |
Fundstelle: | Band 292, Jahrgang 1894, S. 64 |
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Das Elektricitätswerk der Stadt Königsberg
i. Pr.
Das Elektricitätswerk der Stadt Königsberg i. Pr.
In D. p. J. 1891 282 * 264
haben wir eine Beschreibung des mit Fünfleiter-Anlage
versehenen Elektricitätswerkes der Stadt Königsberg i. Pr. veröffentlicht, zu der
uns die Firma Gebrüder Naglo in Berlin, welche diese in
mannigfacher Hinsicht hochinteressante elektrische Centrale ausgeführt hat, jetzt
noch eine Reihe von Angaben zur Verfügung gestellt hat, die wir unseren Lesern als
Ergänzung und Erläuterung zu obengenanntem Artikel nicht vorenthalten wollen.
Nach dem Lageplane des Leitungsnetzes hat das Stromverbrauchsgebiet etwa die Gestalt
eines Halbkreises von ungefähr 2,25 km Durchmesser. Die Centralstation liegt etwa
400 m vom Mittelpunkte der Basis entfernt. Diese ungünstige Lage der Centrale
gestaltet sich noch unvortheilhafter durch den Umstand, dass die Gebiete des
Hauptlichtverbrauches von dem für die Centrale bestimmten Platze weit abliegen. Alle
diese Verhältnisse liessen das Fünfleitersystem, das Siemens
und Halske 1887 in Wien-Neubad, 1889 in Trient und 1890 in Paris-Clichy
angewendet haben, besonders vortheilhaft erscheinen.
Die Vertheilung des Stromes im Leitungsnetze erfolgt durch über die ganze Stadt
vertheilte acht Speisepunkte.
Der Grundriss der Centralstation, deren eigenartige Form durch den verfügbaren Raum
bedingt war, ist so gut als möglich ausgenützt. An das in der Mitte gelegene hohe
und luftige Maschinenhaus gliedert sich rechts das Kesselhaus nebst Kohlengelass,
links der Speicherzeilenraum mit dem davor befindlichen Verwaltungsgebäude und
hinten eine Werkstatt an. Die Schaltwand befindet sich an derjenigen Wand des
Maschinenhauses, an welche der Speicherzellenraum grenzt. Im Kesselhause sind vier
Siederohrkessel von Dürr in Ratingen aufgestellt.
Dieselben haben eine Heizfläche von je 134 qm und sind für 12 at Ueberdruck
bestimmt.
Der Antrieb der Dynamomaschinen zeigt eine äusserst gedrängte und praktische
Anordnung, bei welcher die Anker je zweier Dynamo auf die beiderseits verlängerte
Welle einer jeden der vier Dampfmaschinen unmittelbar aufgekeilt sind und auf diese
Weise gleichzeitig als Schwungmassen dienen. Die Dampfmaschinen, welche mit den
Dynamomaschinen direct verkuppelt sind, stammen aus der Maschinenfabrik von F. Schichau in Elbing. Die beiden grösseren Maschinen
sind für 200 e, die kleineren für 100 e bestimmt. Alle vier sind
stehende Dreifach-Expansionsmaschinen; sie arbeiten mit Condensation, für welche das
erforderliche Wasser sowohl aus einem Brunnen, der mit dem Pregel durch eine
Rohrleitung communicirt, als auch aus der städtischen Wasserleitung entnommen werden
kann. Sämmtliche Maschinen machen der seiner Zeit gegebenen Vorschrift entsprechend
200 Umdrehungen in der Minute. Die Cylinderdurchmesser der grösseren Maschinen
betragen 300 bezieh. 490 bezieh. 750 mm bei einem gemeinsamen Hub von 350 mm,
während die Cylinderdurchmesser der kleineren Maschinen 240 bezieh. 390 bezieh. 600
mm bei einem gemeinsamen Hub von 300 mm betragen.
Als Dynamo sind Innenpolmaschinen der Ri-Type von Gebrüder
Naglo verwendet. Diese Dynamo besitzen einen Ringanker von sehr grossem
Durchmesser des Ringes. Die Befestigung des Ringes ist derartig, dass sein Innenraum
frei bleibt. In diesem Innenraume sind die Feldmagnete mit nach aussen gerichteten,
also der Innenwickelung des Ringes zugekehrten Polflächen untergebracht. Die
grösseren Dynamo besitzen sechs, die kleineren vier Pole. Die Wickelung des Ankers
besteht aus Kupferschienen von zwei verschiedenen Formen. An der inneren und
äusseren Seite des Ringes sind die Schienen gerade gestreckt, von trapezförmigem
Querschnitt und in Rinnen aus isolirendem Material gelegt. Die Enden dieser Schienen
sind durch Querschienen derart verbunden, dass eine fortlaufende Spirale entsteht.
Die aussen liegenden Schienen haben einen viel grösseren Querschnitt, als mit
Rücksicht auf die durch sie fliessende Stromstärke erforderlich wäre, da sie nicht
nur einen Theil der Wickelung, sondern gleichzeitig den Stromsammler oder
Stromabgeber darstellen. Die einzelnen Schienen sind mit einander entsprechend
vernietet und verlöthet. Um noch weiterhin die Stromabgebertheile und die Wickelung
gegen Verschiebungen irgend welcher Art zu sichern, sind bei diesen Dynamo je zwei
benachbarte Theile noch mehrfach durch Zapfen aus isolirendem Material mit einander
verbunden. Auf dem Stromabgeber schleifen bei den kleineren Dynamo vier, bei den
grösseren sechs Gruppen von je drei Bürsten, die sich durch eine besondere
Vorrichtung sowohl gleichzeitig anlegen bezieh. abheben, als auch auf dem
Stromabgeber verschieben lassen. Die letztere Bewegung wird dadurch eingeleitet,
dass mittels eines im unteren Theile des Lagerbockes gelagerten Handrades und eines
mit demselben in Verbindung stehenden kleinen Zahnrades ein grösserer Zahnkranz bewegt
werden kann, welcher um das Wellenmittel drehbar ist und mit dem vier- oder
sechsflügeligen Bärsten träger in Verbindung steht. Die Bürsten sind auf isolirte
Phosphorbronzebolzen aufgesetzt, welche in den endständigen Naben des Bürstenträgers
drehbar gelagert sind. Die Bolzen tragen rechtwinkelig zu ihrer Achsenrichtung
hebelartige Verlängerungen, welche am unteren Ende geschlitzt sind und mit einem
zweiten kleineren Kranze in Verbindung stehen. Derselbe ist neben dem Zahnkranze
angeordnet und kann gegen denselben mit Hilfe eines Stellhebelgetriebes gedreht
werden. Eine Rechtsdrehung bewirkt alsdann ein Abheben, eine Linksdrehung ein
Anlegen der Bürsten. Der Stellhebel ist an einem Laufbogen geführt und mit einer am
Handgriff befestigten Klinkensperrung versehen. Die ganze Maschine ist nach vorn
durch einen Schutzmantel aus durchlochtem Eisenblech gesichert. Dagegen ist der
Stromabgeber selbst frei zugänglich und damit auch der Anker und seine
Wickelung.
Die Magnetspulen sämmtlicher acht Dynamomaschinen sind mit Nebenschlusswickelung
versehen. Die Wickelung ist so reichlich bemessen, dass die Spannung jeder Dynamo
zwischen 90 und 160 Volt verändert werden kann.
Für die grossen Dynamo Modell Ri 900 war als Höchstleistung 64000 Volt-Ampère (Watt)
bei einer Antriebsleistung von 100 effectiven , für die kleineren, Modell Ri
450, die halbe Leistung bei halbem Leistungsverbrauch von der Firma Gebrüder Naglo angegeben und ein totaler Wirkungsgrad
von 85,6 Proc. garantirt worden. Bei den behufs Abnahme vorgenommenen Messungen
haben sich erheblich höhere Leistungsfähigkeiten, insbesondere der grossen Dynamo,
ergeben. Es stellte sich nämlich heraus, dass jede der vier grossen Dynamo Modell Ri
900 ohne Erhöhung der Tourenzahl und ohne bemerkenswerthe Erwärmung oder
Funkenbildung 500 Ampère bei 170 Volt, also 85000 Volt-Ampère, d.h. ungefähr ⅓ mehr
zu leisten vermochten, als zu beanspruchen war. Der totale Wirkungsgrad ergab sich
zu 90 Proc. also ebenfalls bedeutend höher, als garantirt war.
Die 248 Tudor-Speicherzellen gehören, wie früher schon erwähnt, der Type 24 an. Die
Capacität dieser Type beträgt beim Höchstentladestrom von 276 Ampère 920
Ampère-Stunden und steigt für eine Entladung mit 158 Ampère auf 1320 Ampère-Stunden.
Der Ladestrom hat 230 Ampère. Um die Batterie, welche rund 1260 Glühlampen speisen
kann, leicht vergrössern zu können, ist das Dach des Speicherzellenhauses so
eingerichtet worden, dass es leicht gehoben werden kann, und die Gründungen und
Holzgerüste sind für eine vierfache Belastung berechnet.
Die schematische Darstellung der interessanten Schaltanlage (vgl. D. R. P. Kl. 21 Nr.
55712) haben wir bereits in dem eingangs genannten Artikel in Fig. 10 auf S. 268
veröffentlicht.
Das Leitungsnetz besteht, wie früher erwähnt, abweichend von der sonst üblichen
Ausführung, nicht aus Kabeln, sondern aus blanken Kupferschienen, welche in
Monier-Kanälen, die im Keller des Maschinenhauses
ihren Anfang nehmen und von da aus die 40 Hauptvertheilungsleitungen nach den acht
Speisepunkten führen, auf Isolatoren verlegt sind. Die Stützen der Isolatoren sind
auf eisernen Querträgern in 100 mm Abstand auf gerader Strecke angeordnet. Die
Querschnitte der Kupferschienen wechseln zwischen 5 und 845 qmm, ihre Längen
zwischen 6 und 20 m. Die Verbindung der Schienen geschah durch Verschraubung mittels
zweier Bolzen, wobei die verzinnten Enden auf 13 cm über einander greifen. Speise-
und Kreuzungspunkte sind in Form von gemauerten Brunnen ausgeführt. Die Kanäle sind
so nivellirt, dass etwa eindringendes Wasser sich in diesen Brunnen sammelt, von wo
es durch ein Saugrohr ausgepumpt werden kann. Je nach den Verhältnissen sind einige
der Brunnen am Grunde mit Sickerrohren versehen, andere an das Kanalsystem
angeschlossen. Um ferner sich etwa in den Kanälen ansammelnden Gasen Abzug zu
verschaffen und allgemein eine gute Ventilation der Kanäle herbeizuführen, sind an
geeigneten Punkten besondere Abzugsrohre, welche von der Kanaldecke ausgehen und ein
Stück über die Strassenfläche hinaufreichen, angebracht. Trotz der mehrfach recht
ungünstigen Grundwasserverhältnisse hat sich diese Verlegungsart vorzüglich bewährt.
Auch haben sich bei einem Betriebe von nunmehr über 3 Jahren noch keinerlei
Isolationsfehler gezeigt. Ueberhaupt verdient das Königsberger Elektricitätswerk
nicht nur eine höchst interessante, sondern auch in ihrer Ausführung durchaus
mustergültige Anlage genannt zu werden.
Bei den Anschlüssen der einzelnen Hausinstallationen wurde der Grundsatz
festgehalten, dass bei kleineren Abzweigungen bis zu 12 Ampère nur zwei Zuleitungen
von den fünf Leitungen des Netzes aus in das Haus eingeführt wurden, bei 12 bis 24
Ampère wurden drei, bei 24 bis 36 Ampère vier und bei höherer Stromentnahme
alle fünf Leiter in das Haus bis zum Schaltbrett geführt.
Trotz der stellenweise überaus ungünstigen Grundwasserverhältnisse haben sich doch
die Kanäle aufs beste bewährt. Auch haben sich bis jetzt, also während eines
Betriebes von nahezu 3 Jahren, keine Isolationsfehler gezeigt. Dies hat wohl zum
Theil seinen Grund darin, dass Luft wohl das einzige mit Sicherheit unveränderliche
Isolationsmaterial ist, andererseits sind die Leitungen durch die Art der Verlegung
vor sonst schwierig zu vermeidenden zufälligen mechanischen Beschädigungen
vortrefflich geschützt.