Titel: | Ueber das im Trenton-Kalksteine vorkommende Erdöl. |
Autor: | Otto Mühlhäuser |
Fundstelle: | Band 292, Jahrgang 1894, S. 116 |
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Ueber das im Trenton-Kalksteine vorkommende
Erdöl.
Von Dr. Otto
Mühlhäuser.
Ueber das im Trenton-Kalksteine vorkommende Erdöl.
Durch die interessanten Mittheilungen von G. LungeZeitschrift für angewandte Chemie, 1894 S.
69. wurde kürzlich eine grosse Lücke in der Literatur
über amerikanisches Erdöl, speciell über das an Schwefelverbindungen reiche Ohio-Oel
ausgefüllt. Man ist jetzt in der Lage – wenn man das vorhandene literarische
Material einheitlich verarbeitet – sich ein Bild zusammenzusetzen, das der
Hauptsache nach alles das hervorhebt, was dem Chemiker zunächst wissens- und
bemerkenswerth erscheint.
Unter Lima-Oel versteht man bekanntlich ein im Staate Ohio gewonnenes Erdöl, welches
darum auch öfters als Ohio-Oel benannt wird. Beide Benennungen sind nicht
bezeichnend, denn dasselbe Erdöl findet sich auch in Indiana, und ausser in der
Stadt LimaDie Stadt
Lima liegt in Allen-County (O.) und verdankt ihre Blüthe namentlich der
Erdölindustrie. Die Stadt hatte 1870: 4500 E.; 1880: 7565 E.; 1890 schon
15981 E. wird es noch in Cleveland (O.) und in Whiting bei
Chicago (Indiana) verarbeitet. Man spricht vielleicht besser von
Trenton-Kalksteinöl, da es in dem untersilurigen Trenton-Kalksteine gelagert ist.
Die Gewinnung des Oeles aus diesem Gestein, welches die Basis des ungeheuren
Oelfeldes bildet, ist verhältnissmässig neueren Datums.
Man hat zwar in Ohio schon seit dem Jahre 1875 Erdöl gewonnen, die ausgebeuteten
Schichten gehörten aber dem Berea-SandeVgl. O. Mühlhäuser:
„Die Chemische Industrie auf der Columbischen Weltausstellung“, S.
32. an. Dieses Oel setzte der Verarbeitung auf die gewöhnlichen
Handelsmarken keine Schwierigkeiten entgegen, jedoch waren die gehobenen Mengen
verhältnissmässig gering. Bis Ende 1875 hatte man nur 200000 Barrels gewonnen, von
da ab waren die jährlichen Ausbeuten die nachstehenden:
1876
31763
Barrels
1881
33867
Barrels
1877
29888
„
1882
39761
„
1878
38179
„
1883
47632
„
1879
29112
„
1884
90081
„
1880
38940
„
Die Verhältnisse in Ohio änderten sich jedoch im J. 1885, als man mit dem
Anzapfen des „Kalksteinöles“ begann. Zunächst erwies sich jedoch das neue Oel
als unbrauchbar, da es widerliche Riechstoffe enthielt, welche schwefelhaltig waren
und deren Entfernung aus dem Oele mittels der bis dahin bekannten Raffinirmethoden
nicht gelingen wollte. Das Oel diente daher vorderhand nur zu Heizzwecken. Eine
grosse Anzahl von Chemikern beschäftigte sich jedoch seit dem Jahre 1885 mit der
Lösung der Aufgabe, das Lima-Oel zu entschwefeln, denn darin bestand, wie man
allgemein annahm, deren Lösung. Zahlreiche Patentschriften erzählen von den Wegen,
auf welchen man zum Ziele zu kommen suchte, das schliesslich auch von Hermann Frasch erreicht wurde. Wie Thomas und Gilchrist dem
flüssigen Eisen den Phosphor mit Calciumoxyd entziehen, so entnimmt Frasch den Kohlenwasserstoffen des Erdöles den
schädlichen Schwefel mit dem Oxyd des Kupfers. Die den Stempel der Genialität
tragenden Verfahren halten namentlich auch den Vergleich in wirthschaftlicher
Bedeutung aus. Auch springt in die Augen die Aehnlichkeit in der Verwerthbarkeit der
Nebenproducte, welche im einen Falle von grösster Bedeutung für die Landwirthschaft
geworden sind, deren Werth im anderen Falle aber klar wird, wenn man bedenkt, dass
man mit dem bei der Erdölreinigung abfallenden Schwefel wohl sämmtliche
Schwefelsäure, welche die chemische Industrie der Vereinigten Staaten aus Pyrit und
sicilianischem Schwefel erzeugt, herstellen könnte.
Auch ausserhalb der Technik stehende Männer haben sich seit Entdeckung des
Ohio-Oelfeldes mit der Lösung des Problems, das Oel zu entschwefeln bezieh. die
darin sich vorfindenden Schwefelverbindungen zu isoliren und zu charakterisiren,
beschäftigt, und ist hier namentlich der Arbeit von Ch.
Mabery und A. SmithAmerican Chemical Journal, 1891 S.
233. zu gedenken, welche – wenn richtig interpretirt – wohl
geeignet ist, einiges Licht auf die im Ohio-Oele enthaltenen Verbindungen zu
werfen.
Mabery und Smith haben die
Abscheidung und Isolirung der Schwefelverbindungen erstrebt und gingen im einen
Falle (I) von einem bei Findley erbohrten Oele, im anderen (II) von einem Präparate
aus, welches ihnen offenbar von einer Erdölraffinerie überlassen worden war und
seinen Ursprung der Operation des Absäuerns einer zwischen gewissen Siedepunkten
übergehenden Leuchtölfraction verdankte.
I. 250 l Findley-Oel, welche fast ganz unter 150° destillirten, wurden mit wässeriger
HgCl2-Lösung ausgeschüttelt. Man erhielt dabei
einen schweren flockigen Niederschlag, welcher abgepresst, getrocknet und bei
Gegenwart von Alkohol mit H2S zersetzt wurde. Nach
dem Trennen von rothem Quecksilbersulfid wurde das alkoholische Filtrat mit Wasser
gefällt. Das ausgeschiedene Oel wurde gewaschen, getrocknet und destillirt. Es war
farblos und hatte bei 20° ein specifisches Gewicht von 0,8543.
Die einzelnen Fractionen gaben bei der Schwefelbestimmung Zahlen, auf Grund deren Mabery und Smith annehmen,
dass Stoffe vorliegen, welche mit den Sulfiden der Reihe (CnH2n + 1)2S identisch sind. Die Grenzen, in welchen die
Flüssigkeiten siedeten, der Schwefelgehalt (C und H wurden nicht bestimmt), die Verbindbarkeit mit HgCl2 lassen Mabery und Smith vermuthen, dass die in den in der Tabelle
notirten Siedepunktsgrenzen siedenden Flüssigkeiten identisch sind mit:
Dimethylsulfid, Methyläthylsulfid; Diäthylsulfid, Aethylpropylsulfid, Normal- und
Isopropylsulfid:
Fraction:
Identisch mit:
Unter 50°
CH3–S–CH3
60–80°
CH3–S–C2H5
88–92°
C2H5–S–C2H5
110–112°
C2H5–S–C3H7
120–125°
n. C3H7–S–C3H7
127–132°
i. C3H7–S–C3H7
II. 50 l Petrolreinigungssäure (Sludge-acid) wurden vorsichtig mit Wasser verdünnt,
mit Kalk neutralisirt und das Filtrat mit Dampf destillirt. Die vordem an
Schwefelsäure gebundene und in Form von Calciumsalzen vorliegenden Oele wurden dabei
gespalten und gingen mit den Dämpfen über. Es wurden 2270 g Oel erhalten, dasselbe
war farblos und frei von H2S. Bei 16,5° C. hatte es
ein specifisches Gewicht von 0,9245. Es zersetzte sich bei der Destillation unter
Atmosphärendruck, konnte aber bei 150 mm bezieh. 100 mm Druck unzersetzt fractionirt
werden.
In der Fraction 80–90° wurde ein Kohlenwasserstoff entdeckt, welcher sich mit HBr und
Br2 zu O7H15Br bezieh. C7H14Br2 vereinigte. Es
lag Heptylen vor.
Alle Fractionen bestanden aus S-freien Stoffen von penetrantem Geruch und aus
S-haltigen Substanzen. Die Scheidung geschah wie folgt:
Man löste das Oel der resp. Fraction in Alkohol auf, fügte einen kleinen Ueberschuss
von HgCl2 zu und erhielt Niederschläge. – Das
Filtrat enthielt die S-freien Stoffe, z.B. Heptylen. – Die zumeist krystallinischen
Niederschläge wurden in Alkohol gelöst und mit H2S
zersetzt. Das alkoholische Filtrat wurde mit Wasser gefällt. Man erhielt so die
S-Verbindungen, welche man wusch, trocknete und fractionirte. Die S-Bestimmungen der
Oele sprechen für Körper der Reihe (CnH2n + 1)2S. Mabery und Smith glauben
daher an das Vorliegen derselben und nehmen an, Körper in Händen zu haben, welche in
der Tabelle verzeichnet sind, nämlich in der Fraction:
156–160° :
Aethylpentylsulfid
C2H5–S–C5H11
170–176° :
Isobutylsulfid
C4H9–S–C4H9
180–185° :
N.-Butylsulfid
dto.
185–190° :
Butylpentylsulfid
C4H9–S–C5H11
205–210° :
Dipentylsulfid
C5H11–S–C5H11
225–235° :
Dihexylsulfid
C6H13–S–C6H13
Mindestens ½ jener 2270 g Oel destillirte über dem Siedepunkte des Hexylsulfids, es
fand dabei aber, selbst unter vermindertem Drucke, Zersetzung statt und bestand das
Oel zum grössten Theile aus geschwefelten Kohlenwasserstoffen.
Ein Blick auf die von mir in folgender Tabelle zusammengestellten Siedepunkte der
bekannteren und hier in Betracht kommenden Schwefelverbindungen mit gleicher Anzahl
von Kohlenstoffatomen im Molekül zeigt jedoch, dass die Siedepunkte der Glieder der
drei Reihen (CnH2n +
1)2S, CnH2n + 1SH und CnH2n + 4S sehr nahe bei einander liegen,
dass man also aus Siedepunkt und S-Gehalt allein nicht auf das Vorliegen von
Alkylsulfiden der Reihe (CnH2n + 1)2S schliessen
darf.
Textabbildung Bd. 292, S. 118Mercaptane, CnH2n + 1SH;
Alkylsulfide, (CnH2n + 1)2S; Thiophene, CnH2n–4S; Geschwefelte
Petrolkohlenwasserstoffe; Glieder der Reihe; SiedepunktGegen das Vorliegen von Sulfiden der Reihe (CnH2n + 1)2S spricht namentlich die Ausziehbarkeit der Sulfide durch concentrirte
Schwefelsäure. Auch Kast und LagaiD. p. J. 1892 284 69 72 und Berl. Ber., 1892 S.
469 R. können die Auffassung von Mabery und Smith nicht theilen, und beweisen,
dass die Sulfide der Reihe (CnH2n + 1)S sich nicht mit
Schwefelsäure verbinden. Diese Eigenschaft besitzen die Sulfide der Reihe CnH2n–4S, die
Thiophene z.B.:
Textabbildung Bd. 292, S. 118
ferner Körper von der Art des Allylsulfids (Knoblauchöles) und
des Hexylensulfids, welch letzteres sich, wie DestremAnnales de chimie, V. 27 S.
58. erwähnt, in concentrirter Schwefelsäure mit kastanienbrauner
Farbe löst:
Textabbildung Bd. 292, S. 118
und daraus sich wieder unverändert abscheiden lässt.
Man muss glauben, dass das Ohio-Oel Verbindungen enthält, in welchen der Schwefel
entweder mit gesättigten oder aber ungesättigten Kohlenwasserstoffresten in
Verbindung steht. Zu letzterer Art von Substanzen dürften die mit „Schwefelsäure
ausziehbaren Oele“ von Mabery und Smith gehören. Die Bindungsform des Schwefels könnte in
beiden Reihen eine der folgenden sein:
Textabbildung Bd. 292, S. 118 Da man aber annehmen muss, dass alles Erdöl, also auch das Lima-Oel
bezieh. die darin enthaltenen Schwefelverbindungen bei niederer Temperatur sich
gebildet haben und letztere aus den im Oele vorhandenen ungesättigten
Kohlenwasserstoffen durch Addition von S bezieh. SH2
hervorgegangen sind, so wird man geneigt, in den im Lima-Oele anwesenden
Schwefelverbindungen in erster Linie die folgenden Gruppen zu vermuthen:
Textabbildung Bd. 292, S. 118 Ungesättigte Kohlenwasserstoffe, z.B. das von Mabery und Smith im Ohio-Oel aufgefundene
Heptylen, wird S gemäss der Gleichung:
Textabbildung Bd. 292, S. 118
und SH2 gemäss:
Textabbildung Bd. 292, S. 118
anlagern.Schwefel
bezieh. Schwefelwasserstoff dürften sich bei Zerfall der Seethierleichen
stets bilden, und ist es erklärlich, warum man fast immer mehr oder weniger
S im Erdöl vorfindet. Ich habe auf Veranlassung von Geh.-Rath Engler einige Proben Wasser, welche derselbe
bei Cleveland – also in der Nähe des grossen Oelfeldes – dem Grunde des
Erie-Sees entnommen hatte, untersucht, habe darin aber keinen H2S nachweisen können. Aehnlich
werden sich auch andere Kohlenwasserstoffe, in denen man mehrfache Bindungen
annimmt, verhalten, vor allem auch die im Oele augenscheinlich in grösseren Mengen
vorkommenden Wasserstoffkarbide der Acetylenreihe.
Derartig geschwefelte Kohlenwasserstoffe werden wohl Metalloxyde: Blei und
Kupferoxyde u.a.m. anlagern, lösen können:
Textabbildung Bd. 292, S. 118
und versteht man, dass solche Additionsproducte beim Erhitzen
unter Abgabe von Schwefelmetall zerfallen und mit der Zerstörung der „Geruch
verleihenden Gruppe“ letzterer verschwindet. Das Vorliegen derartig constituirter
Verbindungen erklärt alle von G. Lunge mitgetheilten
Reactionen des Lima-Erdöles leicht. Die Bildung neuer „Skunk-Verbindungen“
beim Erhitzen eines „geschwefelten“ Oeles (durch Zusatz von S) erhellt
unschwer aus dem Vorhandensein ungesättigter Kohlenwasserstoffe. Nicht alle im
Ohio-Oele vorhandenen Schwefelverbindungen lassen sich beim Frasch-Process umsetzen,
manche derselben reagiren mit Metallsulfiden nicht, lassen sich aber mittels
Schwefelsäure – nach der Destillation mit Metalloxyden – entfernen und könnte man
vermuthen, dass diese Schwefelverbindungen zur Thiophen-Klasse gehören und
vielleicht, erst während der Destillation, aus dem Zerfall hochmolekularer
Substanzen hervorgehen.
Die grossen Oelfelder des Trenton-Kalksteines liegen im nordwestlichen Theile von
Ohio und im westlichen Theile des angrenzenden Staates Indiana, in den
Sammelgebieten der dem Erie-See zuströmenden Flüsse Maumee, Sandusky und Portage.
Das Gebiet umfasst in Ohio die folgenden Counties: Fulton, Henry, Lucas, Wood,
Seneca, Hancock, Wyandot, Allen Anglaize und Mercer; in Indiana: Jay- und
Black-Ford-County. Von da scheint sich ein schmaler ölführender Gürtel nach
Vigo-County zu erstrecken, während andererseits die Ohio-Lager im Norden – unter dem
Erie-See hindurch – mit den canadischen Oellagern, im Osten durch Trumbull-County
mit den grossen pennsylvanischen Oel- und Gasfeldern in Verbindung zu stehen
scheinen. Die verschiedenen Counties entnommenen OeleVgl. O. Mühlhäuser: Die Chemische Industrie auf der
Columbischen Weltausstellung im J. 1893, S. 32. Sonderabdruck aus
D. p. J. Bd. 290. sind schon
früher durch Angabe der specifischen Gewichte charakterisirt worden.
Es ist nicht uninteressant, den Aufschwung, den die Erdölindustrie in Ohio genommen
hat, in Zahlen zu verfolgen; man förderte:
1885
650000
Barrels
1886
1782970
„
1887
5018015
„
1888
10010868
„
1889
12471965
„
In Indiana gewann man:
1889
32758
Barrels
Wie G. LungeZeitschrift für angewandte Chemie, 1894 S.
72. mittheilt, werden jetzt täglich etwa 65000 Fass
Trenton-Steinöl nach dem Frasch-Process verarbeitet. Das entspreche einer jährlichen
Verarbeitung von
23725000 Barrels,
33 Proc., also
7829250 Barrels
geben marktfähiges Leuchtöl.
Wie mir Herrn. Frasch mittheilt, enthält das
Trenton-Kalksteinöl im Maximum 1 Proc. im Minimum 0,4 Proc. S, also im Durchschnitt
0,7 Proc.; Professor Lunge gibt 0,75 Proc. S an.
Danach enthalten jene jährlich gewonnenen 23725000 Barrels (= 4015000 t) Roherdöl
28105 t Schwefel, welche heute noch unbenutzt in die Luft entweichen. Man könnte
damit etwa 90000 t Schwefelsäure von 66° B. fabriciren,
ein Quantum, welches den amerikanischen Bedarf wohl mehr als decken dürfte. –
Wenn ich nun auch durch eigene Untersuchungen zur Lösung der Frage über die
Zusammensetzung der im Ohio-Oele anwesenden Schwefelverbindungen nichts
beigetragen habe, so hoffe ich doch, neue Anregung zur erneuten Durchforschung des
Gebietes gegeben zu haben, und dieses ist im Wesentlichen der Zweck der
Veröffentlichung dieser Abhandlung, deren Abfassung zunächst zur eigenen Instruction
unternommen wurde.
University of Chicago (Ill.), März 1894.