Titel: | Neuere Locomotiven. |
Autor: | Fr. Freytag |
Fundstelle: | Band 293, Jahrgang 1894, S. 8 |
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Neuere Locomotiven.
Von Fr. Freytag.
(Schluss des Berichtes Bd. 292 S.
153.)
Mit Abbildungen.
Neuere Locomotiven.
Schnellzuglocomotive der französischen
Staatsbahnen.
Die in Chicago ausgestellte, von der Compagnie de
Fives-Lille in Lille erbaute Locomotive „Patay“ zeigt nach Revue industrielle vom 30. September 1893 die neueste
Abänderung der 128 viergekuppelten Schnellzuglocomotiven der genannten Verwaltung
und ist zur Beförderung der Expresszüge auf der neu eröffneten Linie Paris-Bordeaux
über Chartres und Saumur bestimmt. Die Ueberlegenheit der mit einer Steuerung mit
getrennten Ein- und Auslasschiebern nach dem System Bonnefond (1890 277 * 55) arbeitenden Maschine
in Bezug auf Unterhaltungskosten u.s.w. den bisherigen Schnellzuglocomotiven mit
gewöhnlicher Schiebersteuerung gegenüber geht aus der nebenstehenden Tabelle
hervor.
Die Locomotive unterscheidet sich noch dadurch von den älteren Schnellzuglocomotiven
der französischen Staatsbahn; dass die Kesselpressung von 12 auf 13 at erhöht und
auch die Rostfläche beträchtlich vergrössert wurde. Die Cylinder sind mit
aussenliegender Steuerung versehen. Die Hauptrahmen liegen hinter den Rädern; für
die Achsbüchsen der hinteren Laufachse sind jedoch leichte Aussenrahmen
Mittleres Traingewicht
VerbrauchtesBrennmaterial
Verbrauchtes Schmier-material
Kosten der Unter-haltung
für 1 km desTrains
für 1000 Kilo-meter-Tonen
von 1. Aprilbis31.
December1891
von 1. Januarbis20. Juli 1892
t
k
k
k
M.
M.
Maschine mit Steuerung nach BonnefondGewöhnl. Ma- schinen
127,5124,7
8,179 8,883
64,1 71,2
13,113,1
660,33 893,92
486,23 600,94
UnterschiedUnterschied in Proc.
––
– 0,704– 7,9
– 7,1– 9,97
––
– 233,59– 26,13
– 114,71– 19,09
angebracht, da die Feuerbüchse eine Lagerung in den
Hauptrahmen nicht gestattet. Die vordere Laufachse mit Rippenscheibenrädern aus
Schmiedeeisen ist mit Seitenverschiebung und Radialstellung nach System Ed. Roy versehen. Die Lastvertheilung ist folgende:
Leergewicht der Locomotive
43000 k
Gewicht von Wasser und Kohlen
4000 k
Dienstgewicht
47000 k
Vorderachse
13000 k
Treibachse
14600 k
Kuppelachse
14300 k
Hinterachse
5100 k
Adhäsionsgewicht
28900 k
Die Federn der Treib- und Kuppelachse sind durch Balanciers verbunden, während die
übrigen Federn selbständig sind.
Weitere Hauptabmessungen der Locomotive sind:
Mittlerer Durchmesser des Kessels
1,230
m
Anzahl der Rohre
158
Innerer Durchmesser der Rohre
0,045
m
Länge der Rohre
4,961
m
Kesselspannung
13
at
Heizfläche in der Feuerbüchse
9,45
qm
„ „ den Rohren
110,83
qm
Gesammtheizfläche
120,28
qm
Rostfläche
2,92
qm
Durchmesser der Cylinder
0,440
m
Kolbenhub
0,650
m
Durchmesser der gekuppelten Räder
2,020
m
„ „ Vorderräder
1,320
m
„ „ Hinterräder
1,120
m
Gesammtradstand
6,000
m
Gesammte Länge der Maschine
10,163
m
„ Breite „ „
2,760
m
Der Transport der Locomotive von New York nach Chicago über die Pennsylvania-Bahn
veranlasste besondere Schwierigkeiten insofern, als die normale Spurweite in
Frankreich etwas weiter ist als die amerikanische, und da auch die Krümmungen der
genannten Bahn ganz bedeutend sind, musste die hintere Laufachse entfernt
werden.
Die Maschine hatte bereits einige Monate Dienst gethan, ehe sie nach Chicago
abgesandt wurde.
Schnellzuglocomotive der französischen
Ostbahn.
Das vermehrte Traingewicht, sowie die gesteigerte Geschwindigkeit der zwischen
Frankreich, der Schweiz, Italien und Oesterreich verkehrenden internationalen
Expresszüge, welche auf den Strecken der Ostbahn mit mittleren Geschwindigkeiten von
nicht unter 75 km in der Stunde bei einem Traingewicht von zuweilen 220 t
(einschliesslich Locomotive und Tender) über Troyes, Chaumont und Belfort befördert werden, führten
zur Construction der in Fig. 1 und 2 ersichtlichen eigenartigen Locomotive mit einem
zweiten, über dem gewöhnlichen Röhrenkessel liegenden Kessel von kleinerem
Durchmesser als der erstere. Hiermit wurde eine gegenüber den bisherigen
Schnellzuglocomotiven um etwa 50 Proc. grössere Kesselheizfläche geschaffen und der
Wasserraum des Kessels auf beinahe das Doppelte seines bisherigen Inhaltes gebracht,
so dass, da auch der Dampfraum ein entsprechend grösserer, selbst bedeutende und
anhaltende Steigungen ohne beträchtliche Verminderung der Geschwindigkeit
durchfahren werden können.
Die Locomotive wurde nach den Plänen der Ingenieure Salomon und Flaman in den eigenen Werkstätten
der Eisenbahngesellschaft zu Epernay erbaut.
Textabbildung Bd. 293, S. 8Fig. 1.Schnellzuglocomotive der französischen Ostbahn. Beide Kessel bestehen nach Mittheilungen in The
Engineer vom 4. März bezieh. Revue
industrielle vom 16. Januar 1892 aus je drei Stahlplatten von 12,7 mm
Dicke, die mittels einfacher Quer- und doppelter Längsnietung verbunden sind. Die
hinteren Kesselschüsse sind durch eine entsprechend geformte eiserne Kümpelplatte an
den Feuerbüchsmantel angeschlossen. Zur Verbindung von Ober- und Unterkessel bezieh.
zum Tragen des ersteren dienen schmiedeeiserne Stutzen von grossem Durchmesser. Die
Feuerbüchse enthält einen Tenbrink'schen flachen
Sieder, dessen bekannte Construction in Fig. 1
angedeutet ist. Einige Hauptabmessungen des auf 12 at Arbeitsdruck geprüften Kessels
finden sich nachstehend:
Durchmesser des Unterkessels
1,295
m
„ „ Oberkessels
0,850
m
Gesammtinhalt beider Kessel
7,946
cbm
Anzahl der Siederöhren (Stahl)
323
Aeusserer Durchmesser der Siederöhren
0,040
m
Wandstärke der Siederöhren
0,002
m
Länge zwischen den Rohrwänden
4,300
m
Heizfläche der Feuerbüchse „ des
Tenbrink-Sieders
13,01 2,25
15,86
qm
„ der Siederöhren
164,35
qm
Gesarnmtheizfläche
180,21
qm
Rostfläche
2,420
qm
Wasserinhalt bei normaler Höhe (d.h. in Höhe
der Achse des Oberkessels)
6,154
cbm
Dampfinhalt
1,792
cbm
Als Heizstoff dient ein Gemenge von 80 Proc. Staubkohle mit 20 Proc. Briquettes.
Die innere Feuerbüchse ist mit Ausnahme der aus gewelltem Stahlblech (System Fox) bestehenden, einen Halbkreis bildenden Decke, aus
Kupferplatten von 13 bezieh. 26 mm (Rohrwand) Stärke zusammengenietet; ihre Breite
beträgt unten 1,017, in der Achse des Unterkessels 1,033 m, die Länge in dieser
Achse 2,116, unten 2,363 m und die mittlere Höhe 1,920 m. Die Rauchkammer hat einen
inneren Durchmesser von 1194 mm und eine Länge von 1042 mm; im unteren Theile
derselben befindet sich ein rechteckiger Ausschnitt für einen anschliessenden mit
Klappe versehenen Zünderkasten, durch welchen auch die Ausströmrohre der vor
den Kuppelrädern liegenden Cylinder treten.
Der über der Feuerbüchse angeordnete Dampfdom trägt auf jeder Seite ein mittels
Schraubenfeder direct belastetes Sicherheitsventil. Das Regulatorgehäuse sitzt auf
dem vorderen Kesselschuss. Zwischen Regulatorgehäuse und Dampfdom liegt der
Sandstreuer, von welchem aus senkrechte Rohre mit Dampfstrahlgebläse (System Gresham) vor die Kuppelräder führen.
Die Cylinder haben 500 mm Durchmesser für 660 mm Kolbenhub. Die Trick'schen Kanalschieber bewegen sich in über den
Cylindern liegenden geneigten Schieberkästen; die Dampfvertheilung erfolgt mittels
Stephenson'scher Coulissen.
Am Vordertheil der Maschine, wo sonst gewöhnlich die Cylinder liegen, haben Luftpumpe
und Hauptluftbehälter für die Westinghouse-Bremse, welche mittels je eines
Bremsklotzes auf die Treib- und Kuppelräder wirkt, Aufstellung gefunden.
Das Leergewicht der Locomotive beträgt 49177 t, das Dienstgewicht mit 0,44 m Wasser
über der Feuerbüchsdecke (500 k) und Brennmaterial auf dem Rost 55,831 t; dasselbe
vertheilt sich wie folgt:
Vorderes Drehgestell
23,093 t
Kuppelräder
16,480 t
Treibräder
16,258 t
Das Adhäsionsgewicht beträgt 32,738 t, die mittlere Zugkraft (mit einem Coefficienten
y = 0,65) 6,101 t, das Verhältniss beider demnach
5,37.
Der sechsräderige Tender von 18110 k Leergewicht fasst 19,737 cbm Wasser und 5 t
Brennmaterial; auf jedes Rad wirken zwei Bremsklötze.
Weitere Hauptabmessungen von Locomotive und Tender sind nachstehend zu entnehmen:
Schornstein:
Innerer Durchmesser
540 und 390
mm
Länge
1523
mm
Höhe über Schienenoberkante
4200
mm
Rahmen:
Zwischen den Rahmen
1250
mm
Stärke
30 und 40
mm
Breite der Plattform
2800
mm
Höhe über Schienenoberkante
1445
mm
Räder:
Durchmesser der Treibräder
2090
mm
„ „ Räder des
Drehgestelles
1080
mm
Radstand der Treibräder
3000
mm
Von Mitte Kuppelachse bis Mitte
Drehgestell
3500
mm
Maschine:
Von Mitte zu Mitte Cylinder
2130
mm
Länge der Pleuelstangen
2830
mm
„ „ Kuppelstangen
3000
mm
Durchmesser der Kurbelzapfen
145
mm
„ „
Kreuzkopfzapfen
90
mm
Zapfen der Kuppelstangen
vornhinten
100160
mmmm
Länge der Excenterstangen
1650
mm
Excenter- bezieh. Schieberhub
140
mm
Schieber
langbreit
302370
mmmm
Aeussere Ueberdeckung
33
mm
Innere „
1
mm
Dampfeinströmkanäle
langbreit
37045
mmmm
Dampfausströmkanäle
langbreit
37086
mmmm
Tender:
Gesammter Radstand
3900
mm
Von Mitte Vorderachse bis Mitte
Mittelachse
2200
mm
„ „ Hinterachse „ „
„
1700
mm
Gewicht eines Radsatzes
1720
k
Ueber Versuche, welche mit der Locomotive angestellt wurden, ist noch Folgendes
zu berichten:
1) Zug von 600 t Traingewicht wurde auf Steigungen von 1 : 125 mit einer mittleren
Geschwindigkeit von 20 km in der Stunde bewegt.
2) Züge mit 210 bis 220 bezieh. 140 t Traingewicht wurden mit mittleren
Geschwindigkeiten von 76 bezieh. 90 km in der Stunde befördert.
Die letztgenannten beiden Resultate ergaben sich auf der Strecke Paris-Châlons,
welche abgesehen von kurzen Steigungen 1 : 170 im Verhältniss 1 : 333 andauernd
steigt.
Schnellzuglocomotive der
Paris-Lyon-Mittelmeer-Eisenbahn.
Die nach dem Verbundsystem mit einem Kesselüberdruck von 15 at arbeitende Locomotive
besitzt, wie die The Engineer vom 7. October 1892
entnommene Abbildung (Fig. 2) erkennen lässt, ein
vorderes vierachsiges Drehgestell und vier gekuppelte Treibräder, von denen die
beiden hinteren unterhalb der Feuerbüchse liegen.
Textabbildung Bd. 293, S. 9Fig. 2.Schnellzuglocomotive der Paris-Lyon-Bahn. Die Hochdruckcylinder von je 340 mm Durchmesser und 620 mm Kolbenhub sind
ausserhalb der Innenrahmen nahezu in der Mitte derselben, die beiden
Niederdruckcylinder von je 540 mm Durchmesser und demselben Kolbenhub an der
Innenseite des Rahmens über der Mitte des Drehgestelles befestigt; erstere arbeiten
auf die hintere, letztere auf die vordere Treibachse. Die Dampfvertheilung erfolgt
bei allen Cylindern nach Heusinger v. Waldegg.
Die Veränderung der Füllung bezieh. Umsteuerung der Maschine erfolgt mittels Handrad
und Schraubenspindel durch Hilfsdampfcylinder für alle vier Cylinder gemeinsam, so
dass in allen Stellungen das Füllungsverhältniss der Hoch- und Niederdruckcylinder
dem günstigsten Wirkungsgrade entspricht; hierzu ist folgende Einrichtung getroffen.
Bei der ersten halben Umdrehung eines Handrades öffnet sich ein Hahn, welcher Dampf
in zwei Hilfssteuercylinder gelangen lässt, deren Kolben auf die Steuerstangen
wirken. Bei fortgesetzter Drehung des Handrades wird alsdann ein Zahnbogen entlang
einer festliegenden Zahnstange verschoben und gleichzeitig in Umdrehung versetzt.
Auf der Achse des letzteren sitzen fest zwei unrunde Scheiben, welche von den
Steuerstangen der Hoch- und Niederdruckcylinder umfasst werden und deren
ungleichförmige Verschiebung bezieh. die Veränderung der Füllung in gewünschter
Weise herbeiführen.
Nach Erreichung des beabsichtigten Füllungsgrades wird das Handrad um eine halbe
Umdrehung zurückgedreht, dadurch der Dampf von den Hilfscylindern wieder
abgesperrt und die weitere Verschiebung des Steuergestänges unterbrochen.
Unbeabsichtigte Drehungen des Handrades werden durch eine Federklinke verhindert.
Mit den Hilfsdampfcylindern sind, um die Kolbenbewegungen zu massigen,
Flüssigkeitsbremscylinder in üblicher Weise verbunden. Für das Anfahren kann
unmittelbar Dampf in den Zwischenbehälter gelassen werden.
Das Gewicht der Locomotive beträgt 47,8 t, von denen 8,9 t auf jede Achse des
Drehgestelles und 15 t auf jede Treibachse kommen. Die früheren
Schnellzuglocomotiven hatten ein Dienstgewicht von 53,51 (vgl. Zeitschrift d. V. d. I. 1890 S. 646). Die
Gewichtsersparniss ist zum Theil durch den Ersatz der früheren kupfernen Feuerbüchse
von 15 mm durch eine solche aus Stahlblech von 10 mm Wandstärke, zum grössten Theil
jedoch durch den Ersatz der einfachen Kesselrohre durch solche mit Innenrippen nach
Serve (1890 275 * 395)
erzielt worden. Die Einführung der Serve-Rohre gestattete den Kessel kürzer zu
halten und damit das Gewicht des in demselben eingeschlossenen Wassers zu
verringern. Die Rohre besitzen jetzt eine Länge von 3,050 m, d.h. sie sind um 610
bis 915 mm kürzer, als die bisher zur Verwendung gekommenen glatten Rohre.
Das Drehgestell trägt in der Mitte eine kugelförmige Pfanne, in welche sich ein am
Maschinengestell befestigter Kugelzapfen legt.
Die totale Heizfläche des Kessels beträgt 147,8, die Rostfläche 2,32 qm. Weitere
Hauptabmessungen sind auf der Abbildung ersichtlich.
Viergekuppelte Tenderlocomotive für
leichte Züge der französischen Nordbahn.
Die Nordbahn hat für ihre leichten Züge von Lille nach Tourcoing, von Boulogne nach
St. Omer und von Liège-Longdoz nach Flémalle eine neue Art von Locomotiven
eingeführt, die den besonderen Verhältnissen jenes Betriebes angepasst sind.
Die zu befördernden Züge sind verhältnissmässig leicht, müssen jedoch häufig und in
kurzen Zeiträumen anhalten und sollen den daraus erwachsenden Zeitverlust durch
schnelles Anfahren und verhältnissmässig grosse Geschwindigkeit auf der Strecke
ausgleichen; ausserdem haben sie sehr scharfe Curven zu durchfahren. Die für diesen
Zweck gebauten Tenderlocomotiven haben nach den Revue
generale de chemins de fer vom 1. Januar 1893 S. 3 entnommenen
Mittheilungen in dem Organ für die Fortschritte des
Eisenbahnwesens vier Achsen, von denen zwei zu einem vorderen Drehgestelle
vereinigt, die beiden anderen als Treibachsen gekuppelt sind. Sie erfüllen die
Bedingungen leichten Ganges in Curven, einer starken Kraftentwickelung beim Anfahren
und kurzen Achsstandes für 6,2 m Drehscheibendurchmesser.
Die Hauptabmessungen sind:
Rostfläche
1,57
qm
Gesammte Heizfläche
85,0
qm
Kesseldruck
10
at
Treibraddurchmesser
1,664
m
Cylinderdurchmesser
420
mm
Kolbenhub
600
mm
Betriebsgewicht
42,8
t
Geringstes Reibungsnutzgewicht
24,8
t
Die Cylinder sind aussen angeordnet, um wegen der häufigen starken Beanspruchungen
beim Anfahren eine gekröpfte Achse zu vermeiden; die Schieber liegen innerhalb der Rahmen und
werden durch Stephenson'sche Coulissen angetrieben.
Das Drehgestell ist ohne seitliche Verschieblichkeit ausgeführt; es trägt den
Locomotivrahmen durch zwei seitliche Gleitflächen, – der Drehzapfen ist
unbelastet.
Das Dampfauspuffrohr ist gespalten; ein Theil ist als gewöhnliches Blasrohr
ausgebildet, der andere endet erst oberhalb des Schornsteins.
Durch eine Stellklappe vor der Abzweigungsstelle kann man also den künstlichen Zug
regeln. In Folge des häufigen Anfahrens wurde der künstliche Zug bei der
gewöhnlichen Anordnung zu stark.
Die Locomotiven können ihre leichten Züge mit einer Geschwindigkeit von 80 km in der
Stunde befördern und Curven von 150 m Halbmesser durchfahren.
Neue Schieberanordnung der Locomotiven
der Orleans-Bahn.
Die Orleans-Bahn hat seit einer Reihe von Jahren im Gegensatz zu anderen
Bahnverwaltungen, welche neue Locomotiven ausschliesslich nach dem Verbundsystem
bauen bezieh. in Auftrag geben, die Schieberanordnung gewöhnlicher Locomotiven so zu
verbessern gesucht, dass trotz hoher Dampfspannungen und grosser Geschwindigkeiten
immer noch eine vortheilhafte Ausnutzung und Vertheilung des Arbeitsdampfes erzielt
wird. Von der Ansicht ausgehend, dass eine stetige Schieberbewegung bei schnell
laufenden Maschinen besser ist, als eine ruckweise, und ferner empfindliche
Steuerungstheile hier möglichst zu vermeiden sind, hat die Orleans-Bahn die
Coulissensteuerung von Gooch beibehalten und nach den
Vorschlägen von Durant und Lencauchez behufs Verlängerung der Expansion und besseren Regelung der
Compression des Dampfes in ähnlicher Weise, wie dies seitens der französischen
Staatsbahnen bereits früher geschehen ist, den Einströmschieber vom Ausströmschieber
getrennt, so dass beide unabhängig von einander arbeiten können.
Wir brachten bereits 1892 286 * 126 kurze Mittheilungen
über die Construction der mit schwingenden Schiebern arbeitenden Steuerung von Durant und Lencauchez und
lassen heute einige Angaben über Versuchsfahrten, welche mit Schnellzuglocomotiven
der Orleans-Bahn angestellt wurden, folgen, aus denen die Ueberlegenheit der
Steuerung von Durant und Lencauchez gegenüber der gewöhnlichen Schiebersteuerung hervorgeht. Die
mit der erstgenannten Steuerung erzielten Vor- und Nachtheile lassen sich nach der
Zeitschrift für Berg-, Hütten- und
Maschinenindustrie vom Januar 1894 wie folgt zusammenfassen:
Die Dampfabkühlung ist eine äusserst geringe, weil der kalte Abdampf vom frischen
Dampf räumlich weit getrennt bleibt. Die grossen Einströmungsöffnungen vermindern
den Spannungsverlust. Die schädlichen Räume sind sehr klein. Die Expansion des
Dampfes ist verlängert, die Compression desselben dagegen verkürzt. Die Ausnutzung
des Gegendampfes liefert mehr Widerstandsarbeit, weil die schädlichen Räume klein,
das Voreilen der Ausströmung verkürzt ist. Die äusserst leichten Rundschieber geben
wenig Schieberreibung. Die unterhalb der Cylinder angebrachten Ausströmschieber
beseitigen auch das Niederschlagswasser.
In Folge der Bewegung der beiden Schieberpaare durch eine Coulisse, welche für den Vorwärtsgang eingestellt ist, erhält man
eine rückwärts schlecht arbeitende Steuerung, dies hat indess wenig Bedeutung,
da Schnellzuglocomotiven fast nie rückwärts fahren.
Bisher sind 11 Schnell- und 3 Eilgüterzuglocomotiven mit der Steuerung ausgestattet;
erstere erreichen zuweilen 100 km Geschwindigkeit in der Stunde und zwar gegenüber
den älteren Locomotiven mit besonderer Leichtigkeit.
Die Steigung bei Etampes 1 : 125 auf 8 km Länge befahren
sie z.B. bei gleichem Zuggewicht (150 bis 194 t) mit 7 bis 8 km grösserer
Geschwindigkeit in der Stunde.
Die erste dieser Locomotiven wurde nach 64694 km Fahrt zur Untersuchung gebracht; die
Abnutzung aller Schieber war unerheblich, die Flächen waren völlig glatt. Die
Gelenke des Steuergestänges schlössen fest an und die Excenterringe zeigten die
gewöhnliche Abnutzung. Ausbesserung erforderten nur die Lagerbüchsen der auf den
Schieberwellen sitzenden Hebel, sonst war keinerlei Nacharbeitung für die
Wiederindienststellung nöthig.
Eine der neugebauten Schnellzuglocomotiven wurde dauernd mit 19 der bisherigen
verglichen; dieselbe brauchte mit 5352 k für 100 km 3,4 Proc. weniger Kohlen als die
beste der übrigen, 15,2 Proc. weniger als der Durchschnitt und 24,5 Proc. weniger
als die schlechteste Locomotive.
Vor dem Umbau nahm dieselbe Locomotive 1891 die 21. Stelle in der Güteordnung der
Locomotiven ein, ihr Führer die 5. Stelle unter den Führern – nach dem Umbau
erreichten beide die 1. Stelle. An Schmiermitteln wurden 52 k gegen im Mittel 43 k
im Jahre verbraucht.
Textabbildung Bd. 293, S. 10Vergleichende Schaulinien. Zu erwähnen ist noch, dass gegenüber der 1892 286 * 126 beschriebenen Construction, der Steuerung die Bewegung der
Auslasschieber bei der jetzigen Anordnung nicht mehr durch einen mittels Lenker
geführten Hebel, sondern durch eine Stange, die an einem fest mit dem Cylinder
verbundenen Doppelhebel angreift, erfolgt. In der Coulisse steht die Stange mit der
Treibstange der Einlasschieber in fester Verbindung und wird zugleich mit dieser
durch den Steuerhebel gehoben und gesenkt. Diese Aenderung ist deshalb getroffen
worden, weil der bisher verwendete Evans'sche
Doppelhebel mit Gelenkviereck bei grossen Geschwindigkeiten schädliche Schwingungen
annahm.
Bei den Güterzuglocomotiven ist der Zwischenhebel zur Bewegung der Auslasschieber
weggelassen; diese werden dann durch eine Stange unmittelbar von der Coulisse her
bewegt.
Die Diagrammcurven (Fig.
3 und 4)
lassen die jetzige und frühere Arbeitsweise der Locomotiven der Orleans-Bahn bezieh.
die Vortheile, welche mit Anordnung der besprochenen Steuerung erreicht werden,
namentlich die Verminderung des Gegendruckes proportional dem Wachsen der Geschwindigkeit,
deutlich erkennen.
Ueber die Abmessungen der Steuerung bezieh. einiger Locomotiven, an denen dieselbe
zur Ausführung gekommen ist, sowie über weitere Versuchsresultate berichtet auch Le Génie Civil 1893.
(Schluss folgt.)