Titel: | Neuere Locomotiven. |
Autor: | Fr. Freytag |
Fundstelle: | Band 293, Jahrgang 1894, S. 26 |
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Neuere Locomotiven.
Von Fr. Freytag.
(Schluss des Berichtes S. 7 d. Bd.)
Mit Abbildungen.
Neuere Locomotiven.
Locomotive der Zahnradbahn von
Aix-les-Bains nach Revard.
Die Fig. 5 und 6 ersichtliche
Schmalspurlocomotive dient zur Beförderung der Züge auf der als reine Zahnradbahn
erbauten Strecke von Aix-les-Bains nach Revard mit fortwährenden Steigungen von
nicht unter 1 : 40, ausgenommen eine wagerechte Strecke von 22,5 m auf der Station
Aix und eine 733 m lange Strecke mit Steigungen 1 : 100 vor der Station Revard.
Textabbildung Bd. 293, S. 25Zahnradbahnlocomotive. Die Locomotive ruht nach Le Génie Civil 1893
S. 321 auf 3 Achsen, von denen die beiden vorderen in der Mitte je 2 Zahnräder
tragen, welche nach System Abt mit zwischen den
Laufschienen liegenden Zahnstangen in Eingriff stehen. Die Cylinder sind inmitten
der Locomotive auf der Plattform zu beiden Seiten des Kessels befestigt und die
Bewegungen der Kolben werden mit Hilfe von Stangen unter Zwischenschaltung je eines
am vorderen Ende der Locomotive drehbar gelagerten ungleicharmigen Hebels im
Verhältniss 1,4 : 1 auf die Treibachsen bezieh. die Zahnräder übertragen. Die
Geschwindigkeit der Locomotive ist auf 12 km in der Stunde, entsprechend nicht ganz
2 Umdrehungen der Räder in der Secunde, festgesetzt. Der normale Wasserspiegel im
Röhrenkessel liegt, wenn sich die Maschine auf der Wagerechten befindet, noch 150 mm
über der Feuerbüchsdecke und selbstverständlich auf den Steigungen höher. Die
Neigung des Kessels ist eine derartige, dass die Rohre auf Steigungen von 120 ‰
wagerecht liegen.
Die Hauptabmessungen der Maschine sind, soweit sie nicht auf den Abbildungen
angegeben, folgende:
Spurweite
1000
mm
Cylinderdurchmesser
300
mm
Kolbenhub
550
mm
Durchmesser der Zahnräder
573
mm
Beanspruchung der Zähne (Zugkraft)
6500
k
Kesselspannung
14
at
Dampfinhalt des Kessels
320
l
Heizfläche in der Feuerbüchse
3,5
qm
den Rohren
33,0
qm
Gesammtheizfläche
36,5
qm
Rostfläche
0,66
qm
Wasserinhalt des Kessels
1000
l
der Behälter
1200
l
Kohlenvorrath
770
k
Leergewicht
14,2
t
Dienstgewicht
17,4
t
Ueber den Brenn- und Schmiermaterialverbrauch dieser Art von Locomotiven dürften
einige Angaben am Platze sein.
An Brennmaterial sind auf der Steigung für jeden Zug 350 k Briquettes erforderlich,
während für die Thalfahrt, welche unter dem Einflüsse der eigenen Schwere unter
Benutzung von Bremsen erfolgt, kein Brennmaterial nöthig ist.
Auf der 9350 m langen Strecke von Aix-les-Bains nach Revard werden durchschnittlich
37,4 k Briquettes für jeden Kilometer Fahrt verbraucht, da indess die Thalfahrt kein
Brennmaterial erfordert, stellt sich der mittlere Verbrauch desselben auf nur
ungefähr 18,7 k. Beträgt der Preis einer Tonne Briquettes 24 M., so entfallen an
Ausgaben für Brennmaterial 0,448 M. auf jeden Kilometer Fahrt.
Auf der gemischten Zahnradbahn von Blankenburg nach Tanne werden auf jeden
Trainkilometer 13 k Kohle bester Qualität verbrannt. Die Locomotiven von 54 t
bewegen hier einen Train von 120 t mit mittleren Geschwindigkeiten von 10 km in der
Stunde auf normalspurigen Steigungen von 60 ‰.
Auf der nur mittels Adhäsion betriebenen schmalspurigen Bahnstrecke von Saint-Georges
de Commiers nach La Mure, welche Steigungen von 28 ‰ aufweist, beträgt der
Brennmaterialverbrauch 10,6 k für jeden durchlaufenen Kilometer entsprechend 0,246
M. bei 23,2 M. pro Tonne.
Der Verbrauch an Schmiermaterial stellt sich für Berg- und Thalfahrt zusammen auf 2,5
k, d.h. es werden bei der Bergfahrt 1,5 und bei der Thalfahrt 1,0 k verbraucht;
hierin ist das vor der Bergfahrt zum Schmieren verwendete Oel inbegriffen.
Auf der Strecke Saint-Georges-La Mure werden 100 g Schmiermaterial für jeden
durchlaufenen Kilometer verbraucht.
Hiernach sind die Ausgaben für Brennmaterial und Schmierung auf der erstgenannten Zahnradbahn mit
mittleren Steigungen von 140 ‰ nicht wesentlich höher als diejenigen auf der mittels
Adhäsion betriebenen letztgenannten Bahn mit Steigungen von 28 ‰, namentlich, da
noch zu berücksichtigen ist, dass die Verbrauchszahlen der Zahnradbahn kurze Zeit
nach Eröffnung des Betriebes derselben festgestellt wurden, sich also
erfahrungsmässig um etwa 30 Proc. (?) verringern, sobald der Betrieb ein
regelrechter geworden ist.
Verbundlocomotive der österreichischen
Staatsbahnen.
Eine dreifach gekuppelte Güterzug-Verbundlocomotive ohne Anfahrvorrichtung (Bauart
Gölzdorf) befindet sich auf den österreichischen
Staatsbahnen im Betriebe und hat bisher allen Anforderungen entsprochen.
Bei gewöhnlichen Locomotiven ist die für das Anfahren ungünstigste Kurbelstellung
jene, in der einer der Schieber den Einströmkanal eben abschliesst, wobei die
gebräuchlichen Steuerungen – wenige Ausführungen ausgenommen – bei ausgelegter
Steuerung etwa 75 Proc. Cylinderfüllung geben.
Aus diesen ungünstigen Stellungen fahren gewöhnliche Locomotiven noch sicher an,
obschon nur die Kraft eines Kolbens an einer ziemlich geneigt stehenden Kurbel zur
Wirksamkeit kommt. Hat der Schieber auf der rechten Maschinenseite gerade
abgeschlossen, so findet links Dampfeintritt statt.
Bei der Kolbenfläche f und dem Dampfdruck p at ist der auf den Kolben ausgeübte Druck gleich f . pk und die am Treibzapfen auftretende
Umfangskraft
T = K . f .
pk
wobei K alle auf die Grösse der
Umfangskraft einwirkenden Grössen enthält.
Soll eine Verbundlocomotive anstandslos anfahren, so muss die kleinste Umfangskraft
ebenfalls den Werth K . f . p besitzen und in den
Verbinder stets frischer Kesseldampf eingeführt werden, dessen Druck p1 entsprechend dem
Flächen Verhältnisse der beiden Kolben gewählt werden muss, damit gleiche
Beanspruchungen der Zapfen, Achsen u.s.w. auf beiden Maschinenseiten stattfinden. Da
dieser in den Verbinder eingeführte Dampf, sich nach beiden Seiten hin ausbreitend,
links als treibender Dampf auf den Niederdruckkolben, rechts als Gegendampf auf die
der Bewegungsrichtung entgegengesetzte Seite des Hochdruckkolbens wirkt, ergibt er
eine Umfangskraft Tv, die – gleiche Abmessungen im Triebwerke wie bei den gewöhnlichen
Locomotiven vorausgesetzt – sich darstellen lässt durch
Tv = K . F . p1
– K1fp1,
ein Werth, der nahezu 50 Proc. kleiner ist als die kleinste
Anfahrkraft einer gewöhnlichen Locomotive und bei Steuerungen, die nur 60 bis 70
Proc. höchsten Füllungsgrad haben, sogar Null werden kann.
Um das Auftreten des Gegendruckes fp1 zu verhindern, bringt man im Verbinder
Abschlussmittel (Ventile, Klappen, Schieber u.s.w.) an, die beim Anfahren durch den
aus dem Anlassventile oder Hahne eintretenden Dampf geschlossen werden, mithin eine
Umfangskraft Tv' = K . Fp1 =
T ermöglichen. Ist die Maschine in Gang gesetzt, so
werden diese Abschlussmittel beim ersten Auspuffe des Dampfes aus dem
Hochdruckcylinder ausser Thätigkeit gesetzt.
Auf andere Weise wird dieser Zweck erreicht durch Bohrungen im
Hochdruckschieber. Diese Bohrungen gestatten dem aus dem Verbinder auf die
Vorderseite des Hochdruckkolbens der Bewegung entgegengesetzt wirkenden Dampfe auch
auf die im Sinne der Bewegung liegende Seite des Hochdruckkolbens zu drücken, geben
daher eine Tangentialkraft
Tv'' = K . F .
p1
– K1f . p1 + K1 . f.p1 = K . F . p1.
Verbundlocomotiven mit Abschlussmitteln im Verbinder erfordern
vermehrte Aufsicht und Instandhaltungskosten, auch sind selbst bei der grössten
Achtsamkeit Versager nicht ausgeschlossen, solche mit Bohrungen im
Hochdruck-Schieber verleiten während des Zeit erfordernden Druckausgleiches auf
beide Seiten des Hochdruckkolbens den Führer öfter zu unnöthigen Steuerumlegungen,
da dieser das Zustandekommen des Druckausgleiches nicht immer abwartet oder abwarten
kann.
Eine besondere Anfahrvorrichtung wird entbehrlich, wenn die Steuerung derart
ausgebildet wird, dass während nahezu des ganzen Kolbenweges Dampf in beide Cylinder
eintreten kann.
Am besten geeignet für diesen Zweck ist die Steuerung nach Heusinger, die durch entsprechende Wahl des Verhältnisses
\frac{\mbox{ausnützbare Coulissenlänge}}{\mbox{Länge des
Schwingungsarmes}} ohne weiteres brauchbar gemacht werden kann.
Textabbildung Bd. 293, S. 26Fig. 7.Dampfeinführung für Verbundlocomotiven. Die Einführung von frischem Kesseldampf in den Verbinder bezieh.
Niederdruckcylinder erfolgte bisher durch Hähne oder Ventile, die meistens in
Verbindung mit der Anfahrvorrichtung stehen, oder zwangläufig mit der Steuerung
verbunden sind. Da diese Hähne oder Ventile nur dann geöffnet zu sein brauchen, wenn
die Steuerung ganz ausgelegt ist, können dieselben entbehrt werden, wenn die
Oeffnungen für den Eintritt des Anfahrdampfes in den Schieberspiegel des
Niederdruckcylinders verlegt werden und der „dampfdichte“ Schluss sowie das
Oeffnen derselben durch den Niederdruckschieber unmittelbar besorgt wird. Die
Oeffnungen für den Eintritt des Dampfes sind in der dem Organ für die Fortschritte
des Eisenbahnwesens entnommenen Abbildung (Fig. 7)
mit m bezeichnet. Im weiteren Verlaufe stehen diese
Oeffnungen oder Bohrungen durch Kupferrohre En1 und En2 mittels eines Gabelstückes und eines Kupferrohres
En mit dem Regler-Kreuzrohre oder Schieberkasten
des Hochdruckcylinders in Verbindung.
Beim Oeffnen des Reglers tritt Dampf in den Schieberkasten des Hochdruckcylinders und
zugleich durch die der Bewegungsrichtung entsprechende, in Folge der vollen
Auslegung der Steuerung fast während des ganzen Kolbenweges offenstehende Bohrung m in den Schieberkasten des Niederdruckcylinders und in
diesen selbst. Die Gegenöffnung dieser Bohrung m ist
durch eine in den Schieber eingegossene Rippe geschlossen.
Die Grösse dieser Oeffnungen ist derart zu bemessen, dass die Spannung des Dampfes im
Verbinder bei geschlossenem Hochdruckschieber in längstens ein bis zwei Secunden 5
at erreicht; bei normalen Vollbahnlocomotiven genügt hierzu eine Oeffnung von 4 qc
(der Dampfüberdruck im Kessel beträgt 12 at, das Volumenverhältniss der beiden
Cylinder etwa 2,2).
Da jede Locomotive, mithin auch die Verbundlocomotive in den Abmessungen der Cylinder
derart eingerichtet sein soll, dass die höchste Leistung auf Steigungen, selbst wenn
die am Zughaken zu äussernde Zugkraft der Reibungsnutzgrenze (⅙ bis 1/7) entspricht,
noch immer vortheilhaft, also mit möglichst weit getriebener, 3- bis 4facher
Expansion des Dampfes ermöglicht werde, sind die Oeffnungen m in den Rippen des Schieberspiegels derart anzuordnen, dass dieselben bei
Anwendung einer, der regelmässig höchsten Leistung entsprechenden Füllung von etwa
50 Proc. geschlossen bleiben.
Tritt in Folge schlechter Bedienung, schlechter Kohle oder ungünstiger
Witterungsverhältnisse Dampfmangel ein, wodurch ein weiteres Vorlegen als 50 Proc.
erforderlich wird, dann ist das Blosslegen der Bohrungen durch den Schieber ein
Vortheil, weil der Druck im Niederdruckcylinder durch unmittelbares Einströmen des
Dampfes aus dem Kessel etwas erhöht werden kann.
Die nach diesen Grundsätzen von K. Gölzdorf entworfene
Verbundlocomotive wurde in der Locomotivenfabrik Wiener-Neustadt für die k. k.
österreichischen Staatsbahnen gebaut und hat sich bezüglich Leistung und
Brennstoffverbrauch derart bewährt, dass weitere Nachbestellungen erfolgten, so dass
zur Zeit bereits 19 Locomotiven dieser Bauart in Dienst stehen.
Nachstehende Zusammenstellung gibt die Hauptabmessungen der neuen
Verbundlocomotive:
Cylinderdurchmesser
HochdruckNiederdruck
500740
mmmm
Kolbenhub
632
mm
Treibraddurchmesser
1290
mm
Dampfüberdruck
12
at
Anzahl der Siederohre
186
Länge der Siederohre
4165
mm
Aeusserer Durchmesser der Siederohre
51
mm
Rostfläche
1,8
qm
Heizfläche der Feuerbüchse
8
qm
„ „ Siederohre
124
qm
Gesammtheizfläche
132
qm
Leergewicht
37,2
t
Dienstgewicht
42,0
t
Steuerung: Bauart Heusinger.
Selbst bei den grössten Leistungen, bei 596 t (114 Achsen) auf 10 ‰ Steigung wurde
mit einem Dampfüberdrucke von 11½ bis 12 at gefahren. Der Auspuff zeigte sich
hierbei gegenüber den gewöhnlichen Locomotiven wesentlich milder; ein Mitreissen von
Kohlenstücken durch die Siederohre in die Rauchkammer fand nicht statt.
Locomotiven der preussischen
Staatsbahnen.
In neuester Zeit hat sich eine gewisse Wandlung in dem Bau von Locomotiven für die
preussischen Staatsbahnen insofern vollzogen, als für einige Nebenbahnen, sowie für
gemischte und Schnellzüge andere Locomotiven als die im Jahre 1872 entworfenen
sogen. Normallocomotiven (für den Zugdienst auf sämmtlichen Linien der
preussischen Staatsbahnen wurde im Jahre 1872 eine
Personenzuglocomotive und eine Güterzuglocomotive
festgesetzt) zur Einführung gelangten bezieh. unter die Normalien aufgenommen
wurden, deren Gestalt theils mehr, theils weniger von den bisherigen Locomotiven
abweicht. Die Normalpersonenzuglocomotive hat im betriebsfähigen Zustande (mit
Kohlen und Wasser) ein Gewicht von 38 t, von denen ungefähr 26 t auf der mittleren
Treibachse und der hinteren Kuppelachse, 12 t auf der vorderen Laufachse ruhen, die
Normalgüterzuglocomotive dagegen ein Gewicht von ungefähr 40 t, welches sich
gleichmässig auf drei mit einander gekuppelte Achsen vertheilt. Mit der Zeit stellte
sich nach Stahl und Eisen, September 1893 S. 733
heraus, dass die Normalpersonenzuglocomotive doch nicht überall am Platze, es
vielmehr zweckmässiger sei, in einzelnen Bezirken besondere Locomotiven
einzustellen. Die zuerst für den Eisenbahndirectionsbezirk Magdeburg gebaute
Schnellzuglocomotive ist der Normallocomotive ähnlich, hat aber grössere Treib- und
Kuppelräder, grössere Feuerbüchse, grössere Cylinder und ein grösseres Gewicht
(nahezu 40 t). Die Locomotive für gemischte Züge unterscheidet sich von der
Normalpersonenzuglocomotive dadurch, dass die Kuppelachse vorn liegt, die Laufachse
nach hinten verlegt ist und die Treib- bezieh. Kuppelräder einen um 1500 mm
geringeren Durchmesser (derselbe beträgt bei der Normalpersonenzuglocomotive 1730
mm) haben. Die Locomotiven für Nebenbahnen sind Tenderlocomotiven von 29 t Gewicht
mit 3 gekuppelten Achsen.
Tenderlocomotiven (zweiachsige) wurden auch für den Rangirdienst, für die Berliner
Stadtbahn, für Personenzüge im Ortsverkehr und – wenn auch in geringerem Umfange –
zur Beförderung von Güterzügen auf Hauptstrecken dort, wo die örtlichen Verhältnisse
die theoretisch immer günstige Verwendung solcher Locomotiven zuliessen,
benutzt.
Ferner wurde unter die Normalien eine mit beweglicher; sich nach dem
Bahnkrümmungsmittelpunkte einstellender Laufachse versehene, für Strecken mit
starken Krümmungen bestimmte Personenzuglocomotive aufgenommen, wie noch eine
weitere Gattung solcher Locomotiven Annahme fand, als die v.
Borries'sche Verbundmaschine zur Einführung gelangte. Während bei der
Güterzuglocomotive die Anwendung der Verbundwirkung keine besondere auffällige
Veränderung der Normalgüterzuglocomotive mit sich brachte, unterscheidet sich die
Verbundpersonenzuglocomotive äusserlich schon von der Normallocomotive insofern, als
bei ersterer die Dampfcylinder zwischen die Mittel- und Vorderräder gelegt sind und
die Steuerung eine aussenliegende geworden ist.
Die Zunahme des Verkehrs und die immer mehr gesteigerte Geschwindigkeit der Personen-
und Schnellzüge brachte es mit sich, dass vielfach die Leistungsfähigkeit der
3achsigen Normalpersonen- und Schnellzuglocomotiven für die Beförderung der Züge in
der durch den Verkehr bedingten Stärke nicht ausreichte und nun entweder diese Züge
mit 2 Locomotiven gefahren, oder in je 2 Züge getheilt werden mussten. Die
Beförderung mit Vorspannlocomotiven hat aber bekanntlich den Uebelstand, dass die
Locomotiven nicht voll ausgenutzt werden können und zwar zum Theil schon nicht bei
der Fahrt vor dem Zuge und dann namentlich wegen der entstehenden Leerfahrten; zu
starke Züge aber zu theilen, erscheint, wenn der Zug an und für sich, d.h. in
Hinsicht auf die Sicherheit nicht zu stark ist, nicht wirthschaftlich, weil dadurch
eine Personalvermehrung bedingt und eine sehr stark befahrene Strecke noch mehr
belastet wird. Diese Uebelstände lassen sich beseitigen, wenn man stärkere
Locomotiven verwendet, wobei sich allerdings auch wieder ein anderer Uebelstand,
nämlich der der schlechten Ausnutzung der Locomotiven in dem Falle einstellen kann,
dass der Verkehr auf einer gewissen Strecke sehr wechselt.
Textabbildung Bd. 293, S. 28Fig. 8.Locomotive der preussischen Staatsbahnen. Nachdem die preussische Staatsbahnverwaltung die Frage längere Zeit
geprüft hat, ist sie im Jahre 1892 für einige Strecken zu der Beschaffung stärkerer
Locomotiven geschritten und da solche Locomotiven in Folge eines grösseren Kessels,
grosserer Dampfcylinder etc. ein grösseres Gewicht als die bisherigen
Normallocomotiven erhalten mussten, bei diesen aber die für jedes Rad zulässige
Höchstbelastung von 7 t schon ziemlich erreicht ist, musste die 3achsige Locomotive
aufgegeben und die 4achsige eingeführt werden. Fig. 8
zeigt die neue Personenzuglocomotive mit vorderem 2achsigen Drehgestell an Stelle
der bisherigen festen Laufachse. Während die Normalpersonenzuglocomotive eine
Heizfläche von 103 qm besitzt, weist die neue Personenzuglocomotive 125 qm auf; die
Dampfcylinder haben einen Durchmesser von 430 mm für 600 mm Hub gegenüber 400 mm für
560 mm Hub bei der Normallocomotive. Die Tender der neuen Locomotive haben einen
Wasserraum von 15 cbm, wodurch letztere im Stande sind Strecken von 150 km und mehr
ohne Wasseraufnahme zu durchlaufen.
Ausser der 4achsigen Personenzuglocomotive ist noch eine ganz ähnliche, aber mit
grösseren Treib- und Kuppelrädern, für Schnellzüge eingeführt; auch arbeitet ein
Theil der neuen Locomotiven mit Verbundwirkung.
Wie bei den Personenzuglocomotiven ist man auch hinsichtlich der Güterzuglocomotiven
im Begriff, dem Vorgehen amerikanischer Eisenbahnen, denen ja seit einiger Zeit das
lebhafteste Interesse seitens der deutschen Eisenbahntechniker gewidmet wird, zu
folgen und noch schwerere Locomotiven, als die jetzt allein übliche Normallocomotive
zu beschaffen, die dann auch mehr als 3 Achsen erhalten werden müssen. Einstweilen
sind von dieser Locomotivgattung nur erst einige Stück mit je 3 gekuppelten Achsen
und vorderer beweglicher Laufachse, welche sich den Curven entsprechend einstellen
und durch wagerecht gelagerte Spiralfedern in die Mittelstellung gedrängt werden,
behufs Anstellung von Versuchen gefertigt.
Die Heizfläche dieser Locomotiven beträgt je 138 qm gegen 125 qm bei der
Normallocomotive, es ist also die Dampferzeugungsfähigkeit um so mehr
gesteigert, als auch der Rost um ein Bedeutendes (2,3 qm gegen 1,53 qm) vergrössert
ist. Dadurch ist das gesammte Gewicht der Locomotive im betriebsfähigen Zustande auf
48,35 t gestiegen.
Während bei der Normallocomotive alle 3 Achsen vor der Feuerbüchse liegen und diese
Locomotiven daher nur mit einer Geschwindigkeit von höchstens 45 km in der Stunde
fahren dürfen, ist bei der 4achsigen Güterzuglocomotive eine Geschwindigkeit bis zu
55 km in der Stunde zulässig, weil die Feuerbüchse durch die Hinterachse unterstützt
ist.
Auch 4achsige Tenderlocomotiven sind neuerdings eingeführt, von denen z.B. diejenigen
auf der Strecke Wiesbaden-Langenschwalbach zur Unterstützung der Feuerbüchse eine
hintere in derselben Weise wie bei der 4achsigen Güterzuglocomotive verschiebbar
angeordnete Laufachse haben und mit grosserer Geschwindigkeit fahren, als sonst
thunlich sein würde. Die Locomotive ist mit Handbremse, Dampfgegenbremse und mit
Haspel für Heberleinbremse ausgerüstet.
Bezüglich der nach der Bauart von Worsdell und v. Borries im Betrieb und im Bau befindlichen
Verbundlocomotiven im Besonderen ist noch anzuschliessen, dass die Anzahl derselben
im letzten Jahre wieder um rund 250 Stück zugenommen hat (vgl. 1893 287 23). Die genaue Ziffer und die Vertheilung der
Zunahme auf die einzelnen Länder konnte indess nicht mehr festgestellt werden. Die
Zunahme zeigt, dass die guten Eigenschaften dieser Locomotiven weitere Würdigung
gefunden haben. Man begegnet indess nach dem Organ für die
Fortschritte des Eisenbahnwesens 1894 S. 21 noch so häufig unrichtigen
Anschauungen über die Eigenschaften und die Verwendungsfähigkeit der Verbundwirkung
bei Locomotiven, dass es angezeigt erscheint, diese Eigenschaften und ihre Wirkung
auf die Betriebsergebnisse kurz zu besprechen.
Die Veränderlichkeit der Zugkraft ist bei der Locomotive mit unveränderlicher
Verbundwirkung geringer, als bei der gewöhnlichen Zwillingsmaschine, da bei ersterer
nur die Füllungsgrade von 30 bis 75 Proc. in dem einen Hochdruckcylinder, bei
letzterer aber diejenigen von 10 bis 75 Proc. in beiden Cylindern zur Verfügung
stehen. Die Zugkraft bei dem geringsten Füllungsgrade beträgt daher bei der
Verbundlocomotive etwa 50 Proc., bei der Zwillingslocomotive etwa 25 Proc. der
grössten Zugkraft. Nimmt man an, dass die Abmessungen der Dampfcylinder so gewählt
sind, dass bei der durchschnittlichen Zugkraft die Verbundlocomotive mit 40 Proc.,
die Zwillingslocomotive mit 25 Proc. Füllung gefahren wird, so ergibt sich ferner,
dass die grösste Zugkraft der ersteren nur etwa das 1,5fache, der letzteren dagegen
das 2fache der durchschnittlichen Zugkraft beträgt.
Wenn die Locomotiven mit unveränderlicher Verbundwirkung trotz dieser geringen
Veränderlichkeit ihrer Zugkraft nicht nur in der Regel eine Brennstoffersparniss von
15 bis 20 Proc. und bei starker Anstrengung bis 25 Proc. erzielen, sondern auch in
Betreff ihrer Zugkraft auf Steigungen den zu stellenden Anforderungen meistens
entsprochen haben, so liegt dies daran, dass die Betriebsverhältnisse keine grössere
Veränderlichkeit verlangten, dass insbesondere die auf den Steigungen geforderte
Zugkraft mit Füllungen unter 75 Proc. geleistet werden konnte, weil die
Dampfcylinder gross genug waren.
Diese Verhältnisse treffen allerdings nicht überall zu, es ist vielmehr auf
vorwiegend günstig gelegenen Strecken aber mit einzelnen stärkeren Steigungen
zweckmässig, für kurze Zeit möglichst grosse Zugkraft ausüben zu können, um schwere
Züge sicher über derartige Steigungen zu bringen. Dasselbe gilt für das Anfahren auf
Steigungen.
Diese grössere Zugkraft ist aber ohne übermässige Vergrösserung der Dampfcylinder nur
durch Umwandlung der Verbundwirkung in die Zwillingswirkung mittels geeigneter
Wechsel- bezieh. Anfahrvorrichtungen, wie solche bereits mehrfach in D. p. J. besprochen wurden, zu erreichen. Die
Dampfcylinder können alsdann die für die mittlere Zugkraft vortheilhafte Grösse
erhalten, womit die grösstmögliche Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit erreicht wird.
Da bei der Umwandelung in Zwilling Wirkung der Dampfverbrauch der Locomotiven ein
erheblich grösserer als mit Verbundwirkung ist, soll erstere stets auf das Anfahren
und auf Nothfälle beschränkt bleiben.
Innerhalb der angegebenen Veränderlichkeit ihrer Zugkraft arbeitet die
Verbundlocomotive bei allen Füllungsgraden mit erheblich besserer Dampfausnutzung
als die Zwillingsmaschine; der Vortheil verschwindet erst in dem Maasse, wie die
erforderliche Zugkraft unter die Hälfte der vollen Zugkraft sinkt. Hiernach ist es
nicht schwierig zu beurtheilen, unter welchen Verhältnissen die Anwendung der
Verbundwirkung überhaupt vortheilhaft ist.