Titel: | Die Erzeugung von rauchlosem Pulver. |
Autor: | Oscar Guttmann |
Fundstelle: | Band 293, Jahrgang 1894, S. 137 |
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Die Erzeugung von rauchlosem Pulver.
Von Oscar Guttmann.
(Schluss des Berichtes S. 111 d. Bd.)
Mit Abbildung.
Die Erzeugung von rauchlosem Pulver.
Prof. C. E. Munroe beabsichtigt für sein rauchloses
Pulver, welches er „Indurit“ nennt, ganz reine Schiesswolle zu verwenden,
welche er erzielt, indem er die gewöhnliche Schiesswolle in einem
Extractionsapparate durch wiederholtes Aufgiessen von Methyl-Alkohol auslaugt, bis
alle lösliche Nitrocellulose ausgeschieden ist. Die zurückbleibende
Hexa-Nitrocellulose löst er in Nitrobenzol. Er walzt sodann die Masse aus und
schneidet sie in Blättchen, welche noch ziemlich weich sind, und behandelt diese
dann mit heissem Wasser oder Dampf, wie beim Walsrode-Pulver, wodurch sie äusserlich
erhärten. Er nennt diesen letzteren Process das „Induriren“. Da Nitrobenzol
bei verhältnissmässig niedrigen Temperaturen leicht flüchtig ist, glaube ich, dass
bei diesem Induriren einfach eine theilweise Verdampfung des Nitrobenzols an der
Oberfläche stattfindet, wodurch die Schiesswolle blossgelegt wird und hart
bleibt.
Das Dupont-Pulver, bei welchem gleichfalls Nitrobenzol und Nitrocellulose mit
einander behandelt werden, wird nach einem ähnlichen Verfahren hergestellt, wie das
von Lundholm und Sayers. Der einzige Unterschied ist
der, dass ein besonderer Apparat mit sich drehenden Schaufeln benutzt wird, wodurch
die Masse zuerst zu einem Teige verarbeitet und dann bei fortgesetztem Rühren in
Körner zerkleinert wird. Indem man in den Apparat Dampf einströmen lässt, werden die
ursprünglich weichen kittartigen Körner hart und fest. Wenn die Körner fertig sind,
kommen sie in ein Drehfass, in welches Dampf und Wasser eingelassen werden.
Hierdurch werden die Körner rund und der Ueberschuss von Lösungsmitteln wird
entfernt.
Das französische „Poudre Pyroxylée“ wird durch einen etwas complicirten
Process hergestellt. Die Materialien werden zuerst von Hand gemengt, sodann 45 Minuten
lang in einem Kollergange, wo ein Zusatz von 40 Proc. Wasser gegeben wird. Hierauf
reibt man sie durch ein Sieb von 2½ mm Maschenweite, trocknet bis zu 1 Proc.
Feuchtigkeit und gibt 65 Proc. Aether zur Mischung. Der so erhaltene Teig wird durch
ein durchlochtes Zinksieb mit Löchern von 1,6 mm Durchmesser gerieben. Die Mischung
von Körnern und Staub, welche auf diese Weise entsteht, wird 45 Minuten lang in
einer hölzernen Trommel herumgedreht, sodann mit 50 Proc. Wasser befeuchtet und
danach getrocknet. Die Körner werden sortirt, die zwischen 1,6 und 1 mm Durchmesser
werden mit 15 Proc. Aether befeuchtet und in einer kupfernen Trommel polirt. Das
Pulver wird sodann abermals durch ein Sieb von 1,6 mm Maschenweite durchgerieben und
neuerlich zu Körnern zwischen 1,6 und 1 mm sortirt. Der Rückstand wird in ähnlicher
Weise behandelt, um Körner von entsprechender Grösse zu erhalten. Das fertige Pulver
besteht aus einem Theile Körner von der ursprünglichen Erzeugung und zwei Theilen
jener, welche von der Aufarbeitung der Rückstände herrühren. Das „J“-Pulver
wird wahrscheinlich in ähnlicher Weise hergestellt.
Textabbildung Bd. 293, S. 138Fig. 8.Flugbahnen. Die Eigenschaften der rauchlosen Pulver wechseln bedeutend je nach ihrer
Zusammensetzung, der Erzeugungsweise und auch nach dem Zwecke, zu welchem dieselben
verwendet werden. Für schwere Geschütze benöthigt man ein Pulver, welches langsam
verbrennt, so dass die Kraft sich allmählich entwickelt und die dem Projectile
zugeführte Energie in dem Augenblicke ihr Maximum erreicht, wo das Geschoss den Lauf
verlässt. Für Jagdpulver ist andererseits eine rasche Verbrennung wünschenswerth, um
der Schrotladung genügende Durchschlagskraft und geringe Streuung zu geben, d.h. ein
gutes Trefferbild zu erzielen. Zugleich soll das Pulver einen möglichst geringen
Gasdruck und eine hohe Anfangsgeschwindigkeit ergeben. Für militärische Zwecke ist
es wünschenswerth, dass soviel Energie als möglich durch die Gewichtseinheit des
Pulvers entwickelt werde, denn dies ermöglicht es, sowohl Gewehre von kleinem
Kaliber zu verwenden, als auch dem Soldaten eine grosse Anzahl von Patronen
zuzutheilen. Für Jagdpulver ist es andererseits nicht möglich, die einmal im
Gebrauche befindlichen Gewehre so rasch umzuwechseln, als dies mit Hilfe des
Finanzministers für Militärgewehre geht, und der Jäger zieht daher ein Pulver vor,
das er in derselben Patrone wie das Schwarzpulver verwenden kann. Wenn man nun
berücksichtigt, dass die durchschnittliche Ladung für eine 0,500 Express Rifle
ungefähr 8,94 g (138 grains) von Curtis' und Harvey's
Schwarzpulver Nr. 6 ist, während von einem guten rauchlosen Pulver nur ungefähr 3 g
(47 grains) erforderlich sind, so ist es leicht ersichtlich, dass bei rauchlosen
Pulvern ein grosser Theil des Hülsenraumes leer bleiben wird, trotzdem die
volumetrische Dichte des rauchlosen Pulvers viel kleiner ist, als die von
Schwarzpulver. Für Jagdzwecke wird daher ein solches Pulver, dessen volumetrische
Dichte die geringste ist und welches sonach die ganze Patronenhülse ausfüllt,
Vortheile besitzen.
Dadurch drängt sich eine andere Frage auf, deren Lösung einige Zeit lang bei
rauchlosen Pulvern ziemlich viel Umstände machte, nämlich das Laden der Hülsen. Bei
Schwarzpulver bedeutete eine geringe Vermehrung der Ladung viel weniger als bei
rauchlosen Pulvern. Die letzteren können sehr leicht ausserordentlich hohe Gasdrücke
entwickeln, wenn die Ladung vergrössert wird, und bei manchen wurde es als unmöglich
befunden, die Ladung mehr als 1 ½fach zu vergrössern, weil man ein Zerspringen der
Läufe befürchten musste. Wegen der blättchenartigen Form mancher Pulver konnten die
gewöhnlichen Maschinen zum Laden der Hülsen, wo das Pulver durch einen Trichter in
ein ausgemessenes Gefäss läuft, nicht wohl verwendet werden, weil das Pulver sich in
verschiedener Weise setzt und gelegentlich eine Gewichtsvermehrung bis zu 10 Proc.
eintritt. Dieses Hinderniss wurde jedoch bei den meisten Pulvern beseitigt.
Eine der Eigenthümlichkeiten eines kleinkalibrigen Gewehres ist die, dass, je kleiner
der Durchmesser des Projectiles, desto gerader der Geschossflug wird, weil der
Luftwiderstand sich vermindert. Dies hat zur Verwendung von sehr langen Geschossen
geführt, und bei der Beurtheilung eines Pulvers wird die Geradlinigkeit der Flugbahn
des Projectiles in Berücksichtigung zu ziehen sein. Ein Bild von der Verminderung
der Flughöhe gibt Fig. 8, in welcher die Flugbahn
eines preussischen 13 mm-Zündnadelgewehres vom Jahre 1862 (ab), des französischen 11 mm-Gras-Gewehres vom Jahre 1874 (ac) und des 6½ mm-Mannlicher-Gewehres vom Jahre 1892
(ad) dargestellt sind. Man sieht daraus, dass ein
Mann von der durchschnittlichen Höhe von 1,6 m bis auf eine Entfernung von 295 m mit
dem Zündnadelgewehre dem Schusse völlig ausgesetzt ist, jedoch bis auf 375 m mit dem
Gras-Gewehre und bis auf 590 m mit dem Mannlicher-Gewehre. Für niedrigere Objecte
ist eine entsprechende Steigerung vorhanden, wie dies aus den vollen und
schraffirten Theilen der Zeichnung ersichtlich ist, welche Gegenstände von 0,4 und
0,8 m Höhe darstellen.
Die Abwesenheit von Rauch ist bei einem Pulver von grosser Wichtigkeit, es kann
jedoch behauptet werden, dass fast jedes rauchlose Pulver nur Wasserdampf und
farblose Gase erzeugt. Der einzige Unterschied ist in der Zusammensetzung der Gase
zu finden, welche bei manchen Pulvern freie salpetrige Säure enthalten, während bei
anderen eine vollständige Verbrennung stattfindet. Man hat früher geglaubt, dass
Truppen das Feuern mit rauchlosem Pulver auf die Dauer nicht aushalten würden wegen
des durchdringenden „chemischen“ Geruches, doch ist man darüber jetzt schon
fast vollständig hinaus. Es ist möglich, den augenfälligen Unterschied zu zeigen,
welcher in der Farbe der Verbrennungsproducte von Schwarzpulver und der rauchlosen
Pulver besteht, und zwar nach einer von meinem Assistenten, Herrn Pollitt, vorgeschlagenen Methode. Sie besteht darin,
dass kleine Mengen Pulver mit einem glühenden Drahte auf einer Schale entzündet
werden und durch eine Laterna magica der Schatten ihrer Verbrennungsproducte auf
eine Wand geworfen wird. Man beobachtet, dass der Rauch von rauchlosem Pulver mehr
der Wellenbewegung erhitzter Luft ähnlich ist, als wirklichem Rauche.
Die Frage des entstehenden Rückstandes und der entwickelten Wärme ist sehr
wichtig. Manche Pulver hinterlassen einen geringen, kaum bemerkbaren Rückstand,
welcher durch den nächsten Schuss selbsthätig ausgefegt wird. Die entwickelte Wärme
in Verbindung mit der durch den Rückstand erzeugten Reibung greift die Züge der
Waffe an, und wie ausserordentlich empfindlich derlei Züge sind, wird verständlich,
wenn man sagt, dass die Tiefe der Züge in dem englischen Lee-Metford-Gewehre nur
0,004 Zoll (0,1016 mm) beträgt.
Ein gutes rauchloses Pulver soll ferner unter wechselnden Temperaturen stabil sein
und soll durch Lagerung in warmen Klimaten oder feuchten Magazinen nicht leiden. Zu
gleicher Zeit ist es höchst wünschenswerth, dass das Pulver, wenn durch eine Kugel
getroffen, nicht explodire, und dass geladene Patronen nicht in grosser Anzahl
losgehen, wenn in einen Munitionswagen ein Geschoss einschlägt.
Aus all diesem ist ersichtlich, dass die Erzeugung eines guten rauchlosen Pulvers
grosser Geschicklichkeit und Erfahrung bedarf, und dass, wie gut auch die
Zusammensetzung eines Pulvers sein möge, es doch unverwendbar sein kann, weil es
eine oder die andere der vielen aufgestellten Bedingungen nicht erfüllt.
Die Form der gegenwärtig verwendeten rauchlosen Pulver ist, wie bereits erwähnt,
entweder die von Körnern, kleinen Blättchen, Würfeln oder Schnüren. Die Körner
wechseln in ihrer Grösse derart, dass zwischen 2000 und 3000 Körner auf das Gramm
gehen. Die Blättchen für militärische Zwecke sind 1½ mm im Quadrat und 0,3 mm dick,
für Jagdzwecke wird die Dicke bis auf 0,1 mm herabgesetzt. Je dünner die Blättchen
des Pulvers sind, desto rascher wird es brennen. Für schwere Geschütze werden die
Blättchen von 3 mm Seite und 0,7 mm und mehr Dicke gemacht, oder man erzeugt Würfel
von 2, 5, 10, 15 und 20 mm Seitenlänge.
Cordit und Filit werden in verschiedener Dicke hergestellt. Das Cordit für das
englische Armeegewehr ist 3/80 Zoll dick (0,95 mm). Sein Durchmesser wird
grosser genommen je nach dem Kaliber des Geschützes, für welches es Verwendung
finden soll.
Die Farbe des rauchlosen Pulvers ist in Folge der Verwendung des Lösungsmittels ein
etwas schmutziges Grau oder Gelb, bei Nitroglycerinpulvern von licht- bis
dunkelbraun. Häufig werden die Pulver mit Graphit polirt, um die Poren auszufüllen
und dem Pulver eine glatte Oberfläche zu geben, in welchem Falle dasselbe ein
silbergraues oder schwarzes Aeussere hat.
Die Aufnahmefähigkeit für Feuchtigkeit ist bei einem guten rauchlosen Pulver sehr
gering, und falls es feucht wird, kann es leicht wieder getrocknet werden. Ein
Versuch mit Ballistit, welches man in offener Schale ein ganzes Jahr hindurch stehen
Hess, zeigte, dass die meisten der versuchten Sorten am Ende der Aussetzungsperiode
weniger Feuchtigkeit enthielten, als am Anfange derselben.
Die volumetrische Dichte der rauchlosen Pulver wechselt zwischen 0,55 und 0,40; das
absolute specifische Gewicht ist für die meisten derselben ungefähr 1,60.
In England und in den meisten anderen Staaten werden rauchlose Pulver auf ihre
Stabilität gegen Wärme in ähnlicher Weise wie Schiessbaum wolle geprüft. Sie werden
aber auch auf das Anwachsen des Gasdruckes untersucht, welcher in Folge der
bedeutenden Steigerung der Temperatur im Laufe entsteht. Nach einem von Sir Andrew Noble ausgeführten Versuche mit einer
4,7zölligen Schnellfeuerkanone entwickelte Ballistit einen mittleren Druck von 2180
Atmosphären, Cordit einen solchen von 2027 Atmosphären, während das gewöhnliche
Kieselpulver 2024 Atmosphären Gasdruck entwickelte. Die Anfangsgeschwindigkeit war
2140 Fuss-Secunden für Ballistit, 2146 für Cordit und 1839 für das Kieselpulver.
Rauchlose Pulver sind in der Regel im gewöhnlichen Sinne des Wortes nicht explosiv.
Sie brennen mit einiger Schwierigkeit und sind auch ziemlich unempfindlich gegen
Schlag oder das Einschlagen von Kugeln. Die Folge davon ist, dass sie Zündhütchen
von grösserer Stärke und grösserer Warmeentwickelung bedürfen. Diese Pulver
entwickeln bei der Entzündung hauptsächlich Kohlensäure und Wasserdampf, doch werden
auch Stickstoff-Sauerstoffverbindungen gebildet, welche dem Rauche eine leichte
gelbe Farbe und unangenehmen Geruch verleihen. – Nach dem Abbrennen dieser Pulver
bleiben im Laufe stets geringe Mengen von Säure zurück, und wenn die Läufe nicht
nach Einstellen des Feuers gereinigt werden, so rosten sie leicht.
Die chemische Analyse von rauchlosen Pulvern geschieht in derselben Weise wie die der
Sprenggelatine, doch ist es nothwendig, dieselben in einer Mühle zu mahlen, um die
sehr harten Körner zu einem feinen Pulver zu zerreiben. Dadurch gelangen manchmal
kleine Theilchen von Eisen und Stahl in das gemahlene Pulver, welche sodann durch
den Magneten ausgelesen werden müssen.