Titel: | Construction von Kreisen bei unzugänglichen Mittelpunkten. |
Autor: | Ernst Fischer |
Fundstelle: | Band 294, Jahrgang 1894, S. 133 |
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Construction von Kreisen bei unzugänglichen
Mittelpunkten.
(Ein Beitrag zur Theorie und Praxis der
Zeicheninstrumente.)
Mit Abbildungen.
Construction von Kreisen bei unzugänglichen
Mittelpunkten.
In einer ausführlichen Abhandlung haben wir früher in dieser Zeitschrift eine
„Geschichte, Theorie und Praxis der Zeicheninstrumente“ gegebenD. p. J. 1885 255
188 u. ff., wobei wir mit den ältesten griechischen Zirkeln
(befindlich im Münchener Antiquarium) den Anfang machten. Wir erwähnten dabei der
grossen, bequem zerlegbaren Stangenzirkel u.s.w. Unterdessen sind beim Zeichnen
grosser Kreisbögen fast durchgehend die aus Carton hergestellten Curvenlineale von Schleicher
und Schutt zur Anwendung gekommen.
Auf jedem dieser Lineale ist sowohl der Radius als der betreffende Zeichnungsmaasstab
angegeben, so dass man in jenen Fällen den Stangenzirkel bei Seite legt, in welchen
man ein Reissbrett behufs Erlangung des Mittelpunktes anstossen müsste.
Dass man aber bei Ausführung von Bauten, wo es sich um die Herstellung grosser
Bogentheile handelt, noch immer der Schnur sich bedient, d.h. eine solche im
verhältnissmässig weit entfernten Mittelpunkte befestigt, um dann das betreffende
Kreisbogenstück zu schlagen, veranlasst uns, an dieser Stelle auf ein zwar altes,
aber vortreffliches Verfahren aus unserer Baupraxis hinzuweisen; dasselbe
eignet sich besonders zur Herstellung der segmentförmigen Schalstücke für Fenster
der Wohngebäude u.s.w., sowie der einzelnen Bogenstücke jeglicher Lehrgerüste
u.s.w., und besteht in Folgendem:
In allen den gedachten Fällen ist die Sehne ab (Fig. 1, Spannweite) und die Höhe hc (Pfeilhöhe) bekannt, bezieh. gegeben.
Textabbildung Bd. 294, S. 133Fig. 1. Man beschreibe nun aus a mit ab den Bogen bv und aus
b den Bogen a u. (Dies
kann auf einem Reissboden immer geschehen.) Verbinde den Höhenpunkt c mit a und b und verlängere beide Linien über c hinaus; nehme auf au ein
beliebiges Stück, z.B. 01, an (wir haben den vierten
Theil von ao gewählt) und trage dasselbe beiderseits
des Punktes o mehrmals auf, verbinde den rechts
oberhalb o' befindlichen Punkt 1'' mit a und den links unterhalb des Punktes
o befindlichen Punkt 1' mit b, so erhält man I: 2'' mit a und 2' mit b gibt II: 3'' mit a und 3' mit b gibt III u.s.w.
Dem Kenner der synthetischen Geometrie wird es sofort in die Augen springen, dass es
sich hier um die Projection eines Kreises aus zwei Strahlenbündeln handelt.
Die voranstehenden Betrachtungen führen uns nunmehr auf ein recht hübsches
Instrument, das Dr. E. Hederich in Mittweida i. S.
construirt und im Praktischen
Maschinen-ConstructeurXVII. Jahrg.
Nr. 11 vom 24. Mai 1894. veröffentlicht hat.
Das Instrument führt den Titel:
Zusammengesetzter Kreiszirkel.
Textabbildung Bd. 294, S. 133Fig. 2. Der zusammengesetzte, in Fig. 2 abgebildete
Kreiszirkel ist das Ergebniss der Bemühungen des Dr. E.
Hederich, ein Instrument ausfindig zu machen, mit Hilfe dessen man Kreise
mit beliebigen Halbmessern zu schlagen vermag, ohne durch die Grösse des
Zeichenbrettes beschränkt zu sein.
Textabbildung Bd. 294, S. 133Fig. 3. In Fig. 2 sind verschiedene Kreise
veranschaulicht, welche mit dem dargestellten Kreiszirkel geschlagen sind. Wie man
sieht, ist darin der kleinste Halbmesser R = 303 mm und
der grösste R = ∞. Die untere wagerechte Stange, für
die Folge Führung genannt, hat am rechten Ende eine
feste Spitze, in der Mitte eine verschiebbare und einstellbare Spitze und am linken
Ende eine Art verschiebbarer Gabel als Unterstützung. Die veränderliche Entfernung
zwischen den beiden Spitzen seimit a bezeichnet. Um die
obere Verlängerung der festen Spitze als Zapfen lassen sich zwei kurze Schienen, Gegenlenker genannt, unabhängig von einander im Kreise
drehen. Die Länge derselben sei mit b bezeichnet. Die
Enden der Gegenlenker sind mit zwei Eckzapfen des dargestellten Parallelogramms
gelenkig verbunden. Die das Parallelogramm bildenden Stangen sind gleich lang und
ihre Länge sei mit c bezeichnet. An dem einen der
anderen Eckzapfen des Parallelogramms ist die Reissfeder angebracht. Der gegenüber
liegende Eckzapfen ist mit einer Stange, Lenker
genannt, gelenkig verbunden, deren anderes Ende an dem Zapfen über der beweglichen
Spitze drehbar sitzt. Die Länge des Lenkers sei mit d
bezeichnet.
Die beiden Spitzen liegen in der Mittellinie des zu schlagenden Kreises (der Erfinder
hätte besser gesagt: Symmetrieachse des zu schlagenden Bogens) und müssen daher so
auf die Zeichnung gesetzt werden, dass sie in die betreffende Linie kommen. Der
Mittelpunkt des Kreises liegt für grössere Halbmesser zur Linken von der beweglichen
Spitze und kann ausserhalb der Zeichnung liegen. Um den gesuchten Kreis zu schlagen,
stellt man die bewegliche Spitze auf weiter unten angegebene Weise so ein, dass a die richtige Grösse hat. Dann setzt man die
Reissfeder in einen Punkt, durch welchen der Kreis gehen soll, und die beiden
Spitzen in die Mittellinie (s. unsere obige Bemerkung) des Kreises. Endlich fasst
man die Führung und hält sie fest, während man mit der Reissfeder den Kreisbogen
schlägt.
Der Halbmesser R des Kreises hat bei gegebenen Werthen
für a, b, c und d die
Grösse:
R=\frac{d\,(c^2-b^2)}{d^2-a^2} . . . . . . . . .
. 1)
Bei dem angeführten Kreiszirkei ist b = 100 mm, c = 250 mm, d = 174 mm und
a kann bis zu 174 mm wachsen. Dann ergibt sich für
einen gesuchten Kreis die erforderliche Entfernung zwischen den Spitzen zu:
a=\sqrt{30276-\frac{9135000}{R}} . . . . . . . .
. . 2)
Für die Grenzen a = 10 mm und a
= 168,7 mm kann man den Halbmesser zwischen 303 mm und 5000 mm wählen, doch
kann man selbst bei a = 174 mm bis zu R = ∞ gehen und eine gerade Linie ziehen. In letzterem
Falle verhält sich der Kreiszirkel wie eine Geradführung.
Um die Rechnung nach Gl. 1) oder 2) entbehrlich zu machen, ist eine Curve construirt
worden, deren Abscissen die Kreishalbmesser und deren Ordinaten die Werthe von a sind. Der Bequemlichkeit wegen ist die Curve in
mehrere Theile zerlegt und diese über einander auf derselben Abscissenachse
verschoben worden, so. dass man mit einer handlichen Tafel auskommt.
Wenn wir Beschreibungen, wie die vorstehende des Erfinders, lesen, so drängt sich uns
immer unwillkürlich der Wunsch auf, auch die Theorie eines so hübsch erdachten
Instrumentes gründlich vor uns zu haben, d.h. im vorliegenden Falle die Formel 1) zu
entwickeln, so wie die Fälle
R = ∞, a > d,
a < d u.s.w.
herzuleiten.
Indem wir im Nachstehenden diese theoretische
Entwickelung geben, hoffen wir ebenso einem Wunsche unserer Leser
entgegenzukommen.
Die zuletzt erwähnte Curve bezieh. graphische Darstellung kann sich wohl Jedermann
selbst leicht anfertigen.
In theoretischer Beziehung lässt sich die Aufgabe des zusammengesetzten Kreiszirkels,
wobei einer unserer früheren Schüler, Reallehrer Kuen,
gefälligst mitgewirkt hat, in folgender Weise formuliren: In dem beweglichen Rhombus
CDEF (Fig. 3) sind
zwei gegenüber liegende Ecken E und F mit einem festen Punkt B
in Verbindung gebracht. Dieser Punkt B liegt auf der
die beiden anderen Ecken C und D verbindenden Diagonale. Man denke sich nun einfache Stäbe um ihre Enden
drehbar. Welche Curve beschreibt jetzt der Punkt D,
wenn dessen Gegenpunkt C einen Kreis um A – welches Centrum bereits weiter vorn definirt ist –
beschreibt?
Aus der Fig. 3 erhellt zunächst:
x
2
+ y
2
= d
2
und:
\overline{CB}^2=y^2+(x+a)^2
= \underbrace{ y^2+x^2}_{=\ \ \
d^2+a^2+2\,a\,x}+2\,a\,x+a^2
also:
\overline{CB}=\sqrt{d^2+a^2+2\,a\,x}
Ferner hat man:
\overline{FG}=\sqrt{b^2-z^2}
Aus Dreieck CFG ergibt sich:
(\overline{CB}-z)^2+\overline{FG}^2=c^2
oder:
\overline{CB}^2-2\,z\,\overline{CB}+z^2+b^2-z^2=c^2
oder:
\overline{CB}^2-2\,z\,.\,\overline{CB}+b^2=c^2
also:
2\,z\,.\,\overline{CB}=\overline{CB}^2+b^2-c^2
und daher:
\frac{z=\overline{CB}^2+b^2-c^2}{2\,\overline{CB}}
Da nun:
BD = GD – z = (CB – z) – z = CB – 2z
so hat man durch Substitution obigen Werthes von z:
B\,D=C\,B-\frac{\overline{CB}^2+b^2-c^2}{C\,B}
oder:
B\,D=\frac{\overline{CB}^2-\overline{CB}^2-b^2+c^2}{C\,B}
also:
B\,D=\frac{c^2-b^2}{C\,B}
oder endlich:
BD . CB = c2– b2= Const. . . . . . . . . . . 3)
d.h. bei der Bewegung des ganzen Systems beschreiben also die
Punkte D eine Curve, die aus der der Punkte C durch die sogen. Transformation mittels reciproker Radien hervorgeht. Bei dieser
Transformation geht ein Kreis wieder in einen Kreis über; man vergleiche die
folgende Fig. 4.
Textabbildung Bd. 294, S. 134Fig. 4. Da AB Symmetrieachse ist, so liegt auf dieser
Geraden auch der Durchmesser M1N1 des von der Spitze D
beschriebenen Kreises. Da also, wie oben entwickelt, das Product:
BD . CD = c
2
– b
2
= Const.
ist, so gilt dieser Satz auch für die auf der Symmetrieachse
liegenden Kreispunkte, nämlich:
BM . BM1= c2– b2, also
B\,M_1=\frac{c^2-b^2}{a+d}
ebenso:
BN . BN1= c2– b2, also
B\,N_1=\frac{c^2-b^2}{a-d}
folglich ergibt sich der Durchmesser M1N1 = BN1 – BM1 oder M1N1 mit 2R
bezeichnet:
2\,R=\frac{c^2-b^2}{a-d}-\frac{c^2-b^2}{a+d}=(c^2-b^2)\,\frac{a+d-a+d}{a^2-d^2}=\frac{2\,d\,(c^2-b^2)}{a^2-d^2}
und somit der Radius des mit der Spitze D beschriebenen Kreises:
R=\frac{d\,(c^2-b^2)}{a^2-d^2} . . . . . . . . .
. 4)
Ist a < d, was stets bei dem vorbeschriebenen
Apparat der Fall sein wird, so ist statt a – d überall
d – a zu setzen,
und
R=\frac{d\,(c^2-b^2)}{d^2-a^2} . . . . . . . . .
. 5)
Für d = a ist R = ∞, d.h.
der Bogen M1D wird in eine Gerade übergegangen sein (Geradführung, wie oben bereits bemerkt).
Der Satz, dass bei der Transformation durch reciproke Radien ein Kreis wieder in
einen Kreis übergeht, lässt sich leicht beweisen, wenn man die Gleichung eines
Kreises in Polarcoordinaten ρ und φ aufstellt. Dabei ergibt
sich zugleich der Radius des transformirten Kreises auf eine andere
Art.
a < d
Im Dreieck ABC (Fig. 5)
ist:
d2= a2 + ρ2 + 2aρcos . φ
also:
(ρ + acos φ)2
= d2
– a2
+ a2cos2
φ
= d2
– a2 (1 – cos2
φ)
= d2 – a2
sin2
φ
somit:
\rho+a\,cos\,\varphi=\pm\,\sqrt{d^2-a^2\,sin^2\,\varphi}
und folglich:
\rho=-a\,cos\,\varphi\,\pm\,\sqrt{d^2-a^2\,sin^2\,\varphi}
dies ist die Gleichung des Kreises C in Polarcoordinaten. Auf diese Form kann die Gleichung eines jeden
Kreises gebracht werden.
Textabbildung Bd. 294, S. 135Fig. 5. Da nun nach der vorausgehenden Betrachtung folgt:
ρ.ρ
1
= c
2
– b,
so hat man:
\rho_1=\frac{c^2-b^2}{\rho}
und durch Substitution des eben gefundenen Werthes von ρ:
\rho_1=\frac{c^2-b^2}{-a\,\cos\,\varphi\,\pm\,\sqrt{d^2-a^2\,sin^2\,\varphi}}
. . . . . . . . . . 6)
oder:
\rho_1=\frac{(c^2-b^2)\,(-a\,cos\,\varphi\,\mp\,\sqrt{d^2-a^2\,sin^2\,\varphi})}{a^2\,cos^2\,\varphi-d^2+a^2\,sin^2\,\varphi}
\rho_1=\frac{(c^2-b^2)\,(-a\,cos\,\varphi\,\mp\,\sqrt{d^2-a^2\,sin^2\,\varphi})}{a^2-d^2}
\rho_1=-\frac{a\,(c^2-b^2)\,cos\,\rho}{a^2-d^3}\,\mp\,\sqrt{\left[\frac{c^2-b^2}{d^2-a^2}\,.\,d^2\right]^2-\left[\frac{a\,(c^2-b^2)}{a^2-d^2}\right]^2\,.\,sin^2\,\varphi}
und wenn wir setzen:
\frac{a\,(c^2-b^2)}{a^2-d^2}=a_1 und
\frac{c^2-b^2}{d^2-a^2}\,.\,d=d_1
so wird:
\rho_1=a_1\,cos\,\varphi\,\mp\,\sqrt{{d_1}^2-{a_1}^2\,sin^2\,\varphi}
. . . . . . . . . . 7)
Demnach hat die von Punkt D beschriebene Curve dieselbe
Polargleichung wie der Kreis, ist also ein Kreis, und zwar vom Radius:
d_1=\frac{d\,(c^2-b^2)}{d^2-a^2} . . . . . . . .
. . 8)
Der Mittelpunkt dieses Kreises ist vom Punkt B –
abgesehen von der Richtung, nach welcher man a1 abtragen müsste – entfernt um das Stück:
a_1=\frac{a\,(c^2-b^2)}{d^2-a^2} . . . . . . . .
. . 9)
München, Anfang October 1894.
Ernst Fischer.