Titel: | Die Zweckmässigkeit elektrischen Betriebes auf Hauptbahnen. |
Autor: | Fr. |
Fundstelle: | Band 295, Jahrgang 1895, S. 230 |
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Die Zweckmässigkeit elektrischen Betriebes auf
Hauptbahnen.
Die Zweckmässigkeit elektrischen Betriebes auf
Hauptbahnen.
Ueber die Zweckmässigkeit, Möglichkeit bezieh. Wahrscheinlichkeit der Einführung
elektrischen Betriebes auf Hauptbahnen haben sich im Verein für Eisenbahnkunde nach
Glaser's Annalen, 1894 Bd. 34, Stambke, Bork, Vogel, Wedding, Leissner, Hoffmann,
Glaser und Kolle ausgesprochen; wir geben im
Folgenden die wichtigsten Ergebnisse dieser Besprechung mit dem Bemerken wieder,
dass dieselben grösstentheils mit den bezüglichen Angaben, welche wir der
Beschreibung der elektrischen Locomotive nach Heilmann's System (1894 291 * 276)
vorausschickten, übereinstimmen.
Als die Mängel der Dampflocomotive, welche hauptsächlich
zu dem Wunsche nach Einführung elektrischen Betriebes führen, werden die folgenden
bezeichnet:
1) Das grosse Gewicht, welches zu seiner Bewegung Arbeit beansprucht.
2) Die hin und her gehende Bewegung schwerer Theile, welche den Gang unregelmässig
macht, den Oberbau wie die Theile der Locomotive stark beansprucht und daher der
zulässigen Fahrgeschwindigkeit enge Grenzen setzt, die auch schon durch die
Fliehkraft der Gegengewichte in den Triebrädern begrenzt wird.
3) Die durch die Bewegungen im Locomotivwagen fortwährend gestörte Maschine der
Locomotive verwendet den vergleichsweise sparsam erzeugten Dampf unvortheilhaft,
weil bei diesen Verhältnissen die theoretisch scharf durchgebildeten Steuerungen
feststehender Maschinen nicht anwendbar sind, man sich vielmehr mit einfachen
Muschel-, Kolben- oder Drehschiebern begnügen muss, auch deren Spiel noch vom
Federspiele gestört wird, und weil die Geschwindigkeit der Maschine unmittelbar von
der der Fahrt abhängig ist, so dass man die Maschine unter Umständen mit
unvortheilhafter Geschwindigkeit laufen lassen muss.
4) Für kurze Zeit erforderte besondere Erhöhung der Zugkraft, z.B. auf starken
Steigungen, kann nur durch Vergrösserung der Füllung, d.h. Verringerung der
Dampfdehnung, also der Nutzwirkung erzielt werden.
5) Der einzelne Zug ist, losgelöst von der Locomotive, nicht bewegungsfähig, man muss
also jeden Zug mit einer Locomotive versehen, mag sein Gewicht deren Leistung
ausnutzen oder nicht; Haltung verschieden starker Locomotiven für alle vorkommenden
Erfordernisse ist ausgeschlossen; der so entstehende Verlust macht sich namentlich
da fühlbar, wo man den Verkehr sich nicht zu Massen ansammeln lassen kann, die die
Locomotiven ausnutzen, wo vielmehr die geringste Masse stets sofort oder in ganz
geringen Abständen befördert werden muss.
Diesen Punkten gegenüber wird das Verhalten des elektrischen
Betriebes in folgender Weise festgestellt:
1) Die Elektricität ist an sich gewichtslos, der angeführte Mangel entfällt also bei
elektrischem Betriebe, wenn man den Strom von festen Stromerzeugungsstellen zuleitet
und zwar zu jeder zu bewegenden Achse oder wenigstens zum grösseren Theile
derselben, da, wenn man nur einzelne Achsen für längere Züge antreiben wollte, diese
behufs Erzielung der erforderlichen Zugkraft doch wieder schwer belastet sein
müssen.
Verwendet man jedoch eine elektrische Locomotive, d.h. ein Fahrzeug mit Dampf- und
Dynamomaschine, welches seine Achsen mittels des auf ihm erzeugten Stromes antreibt,
so gelangt man wieder zu Achsbelastungen, die denen der Dampflocomotiven nicht
nachstehen werden. Die Heilmann'sche Versuchslocomotive
der französischen Nordbahn (1894 291 * 276) hat auf zwei
vierachsigen Drehgestellen ein Triebachsgesammtgewicht von 100 t, also etwa 15 t
Zugkraft, d.h. Lastverhältnisse, wie sie bei keiner Dampflocomotive vorkommen, und
die auch bei der heute vorhandenen Stärke der Zugverrichtungen nicht ausnutzbar
sind.
Der Betrieb mit Elektricitätsspeichern, die in durchaus brauchbarer Gestalt noch
nicht hergestellt sind, weil die vorhandenen die Erschütterungen des Betriebes nicht
vertragen, würde bei dem hohen Gewichte der Speicherzellen wieder zu hohen
Achslasten führen, wenn man die Stromquelle in ein
Zugkraftsfahrzeug sammelte; die Vertheilung auf alle Wagen eines Hauptbahnnetzes ist
aber ausgeschlossen, weil dadurch die freie Verfügung über die Wagen zu sehr
beeinträchtigt werden würde. In der hier besprochenen Beziehung ist also die äussere
Stromzuführung den übrigen Formen des elektrischen Betriebes überlegen.
2) Die ungünstige Wirkung hin und her gehender Massen wird bei allen elektrischen
Betrieben vermieden, da sie alle die Achsen unmittelbar in kreisende Bewegung
versetzen; in dieser Beziehung ist also keiner der elektrischen Betriebe dem
anderen, alle sind sie dem Dampfbetriebe überlegen.
3) Die Dampfausnutzung ist am vollkommensten in grossen feststehenden Maschinen zu
erreichen, daher erscheint die Zuführung des Stromes von aussen von festen
Erzeugungsstellen aus in dieser Beziehung als die beste. Die Leitungsverluste werden
durch die bessere Wirkung der Maschine mehr als aufgewogen.
Aber auch die Heilmann-Locomotive erscheint im Ganzen in dieser Beziehung der
Dampflocomotive noch überlegen. Zwar werden die Vortheile, welche man durch bessere Wirkung der
auf einem vergleichsweise ruhig laufenden Fahrzeuge gelagerten Maschine der ersteren
erzielt, dadurch im Wesentlichen wieder verschlungen, dass man die Kraft der
Maschine erst in elektrischen Strom und diesen wieder in Kraft umsetzt; es bleibt
ihr aber der erhebliche Vortheil, dass man die Geschwindigkeit des Ganges der
Maschine von dem des Fahrzeuges fast ganz unabhängig gestalten, also für alle
Zustände vortheilhaft einrichten kann, ja dass es möglich ist, die Maschine selbst
während des Stillstandes des Fahrzeuges weiter arbeiten zu lassen, wenn man etwa
Speicher zu Hilfe nimmt oder die Maschine noch für andere Zwecke mitarbeiten lässt.
Besonders fühlbar macht sich dieser Unterschied auf starken Steigungen, wo
gleichzeitig die Geschwindigkeit des Fahrzeuges abnimmt, die der Maschine steigt.
Bremsung auf der Thalfahrt können zum Laden etwa vorhandener Speicher benutzt
werden.
Die Verwendung von Speichern als Hauptbetriebsmittel erscheint bei ihrer Zartheit und
ihrem geringen Wirkungsgrade auch in dieser Beziehung bisher ganz ausgeschlossen, da
die Leistung der grossen Krafterzeugungsstellen nur zu geringem Theile ausgenutzt
werden würde.
4) Die Anpassung der bewegenden Kraft an die Schwankungen der Bewegungswiderstände
ist am vollkommensten bei der Zuführung des elektrischen Stromes von aussen, da man
bei ihr innerhalb gewisser Grenzen jederzeit eine Kraftquelle beliebiger Leistung
zur Verfügung hat; dass aber auch die elektrische Locomotive in dieser Beziehung der
Dampflocomotive wegen der Unabhängigkeit der Geschwindigkeiten von Maschine und
Fahrzeug noch überlegen ist, wurde schon betont.
5) Bezüglich der Vertheilung der Zugkraft auf die Fahrzeuge bietet die Strom
Zuführung von aussen den grossen Vortheil, dass man die Kraftquelle in genügender
Stärke stets und an jeder Stelle zur Verfügung hat, dass also die Fahrzeuge ihrer
Stellung nach von der Krafterzeugung unabhängig sind.
Von der elektrischen Locomotive gilt in dieser Beziehung dasselbe wie von der
Dampflocomotive.
Nach diesem Vergleiche der Eigenschaften ergibt sich ziemlich schlagend zunächst die
Stromzuführung von aussen als das von allen betrachteten vollkommenste
Betriebsmittel; jedoch treten nun für unsere Hauptbahnen noch mehrere nicht berührte
Gesichtspunkte hinzu, welche die vortheilhaften Eigenschaften erheblich
abschwächen.
Ihre volle Wirksamkeit entwickelt die Stromzuführung von aussen nur, wenn man jedes
Fahrzeug oder wenigstens eine grosse Anzahl von Fahrzeugen mit Antrieb versieht und
diese dann in möglichst gleichförmiger und unveränderlicher Vertheilung auf der
Strecke laufen lässt, denn die Einführung von Locomotiven mit äusserer
Stromzuführung hebt einen grossen Theil der Vortheile wieder auf und die Anhäufung
von Fahrzeugen zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Punkten macht die
Stromerzeugung wieder vortheilhaft. Verhältnisse, die einen solchen Betrieb
ermöglichen, liegen für Hauptbahnen nur selten vor, für Kleinbahnen werden gerade
diese Eigenschaften der Elektricität voraussichtlich schnell das ganze Feld erobern,
für Hauptbahnen findet man sie nur im Stadt- und Vorortverkehre, wo diese Art
elektrischen Betriebes schnell Eingang finden wird, nachdem sie nach den Erklärungen
der Elektrotechniker für Hauptbahnbetrieb völlig reif entwickelt ist. Die
regelmässigen Verhältnisse der langen Hauptbahnen gestalten sich so, dass sich der
Verkehr namentlich in den maassgebenden Verkehrsmittelpunkten hauptsächlich zu
bestimmten Tagesund Jahreszeiten ansammelt, und diese Eigenthümlichkeit wird er auch
nicht verlieren, wenn man ihm ein in jedem Augenblicke zu benutzendes Verkehrsmittel
zur Verfügung stellt; er verlangt die Beförderung sehr grosser Massen auf einmal in
grösseren Zwischenräumen, und das ist der an sich vollkommensten elektrischen
Betriebskraft mit Stromzuführung nicht günstig. Auch die Anstellung der vielen
Führer für einzelne Wagen, die Haltung der Blockabstände zwischen diesen u.s.w.
stossen auf grosse Bedenken. Die Heilmann-Locomotive genügt dieser Bedingung, aber
es ist bezeichnend, dass die amerikanischen Versuche, welche sich bekanntlich meist
durch richtige Erfassung der wirthschaftlichen Seite der Fragen auszeichnen, darauf
ausgehen, trotz der Verwendung elektrischer Locomotiven die Stromzuführung von
aussen durchzuführen; man hält dort die Heilmann-Locomotive nicht für günstig.
Ein gewichtiges Wort spricht bei uns die Landesvertheidigung mit. Diese wird vermuthlich die Beförderung grosser
geschlossener Truppenkörper in langen Zügen stets fordern müssen, und sehr
bedenklich erscheint für sie der Umstand, dass bei Stromzuführung von aussen durch
eine Kleinigkeit, etwa durch einen glücklichen Büchsenschuss, lange Strecken
plötzlich vollkommen lahm gelegt werden können und man dann über gar kein
Beförderungsmittel mehr verfügt.
Wenn von manchen Theoretikern der Elektrotechnik ausgesprochen wird, dass man mittels
elektrischen Betriebes Geschwindigkeiten von 200 km/Std. und mehr ohne weiteres einführen
könne, so hat dies für die wirklichen Betriebsverhältnisse keine Bedeutung, denn man
würde dabei den Arbeitsaufwand für Ueberwindung des Luftwiderstandes ins Ungemessene
steigern. Unsere sämmtlichen Bahnnetze sind weder nach Grundriss, noch Aufriss, noch
Oberbau, noch Bauwerken solchen Geschwindigkeiten gewachsen, und für sie liegt ein
Bedürfniss auch nur an wenigen Punkten unter besonderen Verhältnissen, z.B. auf den
amerikanischen Ueberlandbahnen, in Europa wohl kaum irgendwo vor. Die Art und Weise
der Strom Zuführung ist eine für Hauptbahnen mit grossen Geschwindigkeiten heute
noch ganz ungelöste Frage. Die oberirdische Zuführung würde mit Rücksicht auf die
erforderlichen internationalen Vereinbarungen und namentlich in den Bahnhöfen schon
sehr grosse Schwierigkeiten ergeben, die Einfügung der unterirdischen in das
Gestängegewirre eines nach den heutigen Regeln ausgestatteten Bahnhofes erscheint
vorläufig als hoffnungsloses Bemühen.
Ganz besondere Ueberlegung erheischt ferner die Gestaltung des Ueberganges von der
heutigen Betriebsart zur elektrischen. Man wird hier die Bedingung stellen müssen,
dass bis zum Verbrauche der vorhandenen Betriebsmittel beide Betriebe neben einander
möglich sein müssen, dann aber auch, dass sich die Aufwendung der ungeheuren Kosten
auf längere Zeit erstrecken muss.In den Wagen
und Locomotiven der europäischen Bahnen stecken heute 5 Milliarden
Mark. Diese Bedingungen werden nun nur von den beiden
unvollkommeneren elektrischen Betriebsarten mit selbständigen Locomotiven und Speichern
ganz oder annähernd erfüllt. Wollte man bei Stromzuführung von aussen die
Krafterzeugungsstellen anfangs auch mit den vorhandenen Locomotiven betreiben, so
verbleiben doch die Kosten für die Leitungen, die Gebäude, den Umbau der Fahrzeuge
für den elektrischen Antrieb als sofort aufzuwendende, und so würden Summen
erforderlich werden, deren Aufbringung auf erhebliche Schwierigkeiten und
wirthschaftliche Bedenken stossen müsste.
Die wichtigste Frage ist schliesslich die in den obigen Besprechungen schon überall
durchleuchtende nach den Kosten und wirthschaftlichen
Verhältnissen des elektrischen Betriebes. In dieser Beziehung ist heute
wohl kaum noch ein Zweifel vorhanden, dass, wenn es sich ohne Rücksicht auf
Nebenfragen um die Einführung des wirthschaftlich besten Betriebes handelte, man nur
den mit Stromzuführung von aussen in Betracht ziehen könnte, ja man geht wohl mit
der Behauptung nicht zu weit, dass man nur diesen Weg gegangen und heute zu
ausschliesslich elektrischem Betriebe gelangt sein würde, wenn Stephenson schon über das Können und Wissen unserer
Zeit verfügt hätte.
Wenn man nun das Ergebniss aus diesen Erörterungen zieht, so dürfte dies heute wohl
folgende Fassung annehmen: Die Einführung des elektrischen Betriebes auf Hauptbahnen
in grossem Umfange ist für die nächste Zeit nicht zu erwarten, weil der Durchführung
der wirthschaftlich an sich vollkommensten Form die grössten Schwierigkeiten
entgegenstehen und aus den minder vollkommenen Formen keine Erfolge zu erhoffen
sind, die als Grund für die Ueberwindung der immerhin bedeutenden Schwierigkeiten
auch ihrer Einführung angesehen werden könnte.
Dagegen erscheint der elektrische Betrieb für alle über Zeit und Strecke gleichmässig
vertheilten Verkehrsarten, auch wenn ein Theil der Leistung einer für andere Zwecke
eingerichteten Stromquelle verfügbar ist, in seiner Entwickelung vollkommen reif und
heute die wirthschaftlich beste Betriebsart. Das trifft zu bei vielen Kleinbahnen,
bei Strassen-, Stadt- und Vorortbahnen, der letztere Grund bei Anschlussbahnen
grösserer gewerblicher Anlagen mit elektrischer Beleuchtung.
Zu bemerken ist schliesslich noch, dass die erwähnten elektrischen Locomotiven mit
äusserer Stromzuführung, welche im Bau sind, ihr Entstehen weniger dem Bestreben
nach allgemeiner Einführung elektrischen Betriebes, als der Nothwendigkeit
rauchfreien Betriebes in gewissen längeren Tunneln verdanken.
Fr.