Titel: | Mechanisch betriebene Wagen in Frankreich. |
Autor: | Peter Climentitsch v. Engelmeyer |
Fundstelle: | Band 297, Jahrgang 1895, S. 223 |
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Mechanisch betriebene Wagen in
Frankreich.
Bericht von Peter
Climentitsch v. Engelmeyer.
(Schluss des Berichtes S. 125 d. Bd.)
Mechanisch betriebene Wagen in Frankreich.
Das grosse Ereigniss des laufenden Jahres war die Wettfahrt Paris-Bordeaux-Paris
(ungefähr 1200 km), welche vom 11. bis 15. Juni abgehalten worden ist. Die
Grundbedingungen waren folgende: der Wettbewerb war international, es nahm jedoch
von ausländischen Wagen nur ein belgischer theil. Anspruch auf den ersten Preis
konnten nur Wagen mit mindestens vier Sitzen machen. Jeder Wagen musste entweder die
volle Personenzahl oder 75 k Ballast für jede abwesende Person führen. Etwaige
Reparatur während des Weges durfte nur von den im Wagen Sitzenden und nur mit den im
Wagen befindlichen Hilfsmitteln bewerkstelligt werden. Jeder Wagen musste auf einer
besonderen Ausstellung ausgestellt werden, die fünf Tage vor der Fahrt eröffnet
wurde. Die Preise sollten die Schnelligkeit der ganzen Fahrt kennzeichnen.
Die Abfahrt geschah am 11. Juni um 10 Uhr früh von der Place de l'Étoile aus. Bis
Versailles (17 km) sollten sämmtliche Wagen langsam fahren und von Versailles
aus geschah die eigentliche Wettfahrt. Von hier fuhren die Wagen in Abständen von 2
Minuten von einander (auf Grund einer Loosziehung) und dieser Zeit ward nach der
Rückkehr Rechnung getragen. Von Versailles bis Étampes (17 bis 71 km) ist der Weg
wellenförmig mit Neigungen bis 0,14. Von Étampes bis Tours (71 bis 251 km) ist der
Weg eben und flach, von Tours bis Bordeaux (251 bis 595 km) wieder hügelig. Die
Strasse ist fast durchweg macadamisirt in sehr gutem Zustande, ausser einer Strecke
von etwa 60 km bei Paris. Im Ganzen sind 80 km Neigungen von 0,04 bis 0,14 (für den
Weg hin und zurück). Mehrere derselben sind ziemlich lang – 5 bis 6 km – und eine
bis 13 km (mit einer mittleren Neigung von 0,04).
Alle Wagen wurden auf dem Wege controlirt und zwar an folgenden elf Punkten: Orléans
(135 km), Tours (251 km), Poitiers (355 km), Angoulême (463 km), Bordeaux (595 km),
am Wendepunkte, ferner wieder: Angoulême, Poitiers, Tours, Orleans, Versailles (17
km) und Paris (Porte Maillot). Die verschiedenen Controlstationen wurden zu
verschiedenen Zeiten geschlossen und zwar so, dass nur diejenigen Wagen documentirt
werden konnten, die nicht weniger als 12 km in der Stunde zurücklegten, was für die
ganze Fahrt 100 Stunden ausmachte.
Die Concurrenten sahen von vorneherein gut ein, dass der Erfolg ebenso von den
Maschinen, wie auch von den Führern abhängen werde, und hatten verschiedene
diesbezügliche Vorbereitungen getroffen. Ein Theil hatte vier Personenrelais für
jeden Wagen, ein anderer Theil drei, ein anderer wieder zwei, wobei die ersten
Führer, genügend ausgeruht, den Wagen wieder nach Paris führten. Manche Wagen wurden
aber einem Führer anvertraut, der die ganze Fahrt machte, ohne den Lenkhebel aus der
Hand zu lassen. So hatte es auch Levassor gemacht, der
allen Anderen voran kam, seinen Wagen leitend. Damit aber die Führer solche Nerven-
und Muskelleistung zu entfalten im Stande wären, wurde allgemein zur Narcose
Zuflucht genommen, besonders zu der in Paris so beliebten Tinctur aus der Colanuss.
Selbstredend wurden Wasser, Koks, Benzin, Oel im voraus an entsprechenden Punkten
des Weges bereitgestellt. Ebenso hatte Jeantaud für
seinen elektrischen Wagen geladene Accumulatoren an zwanzig Punkten vorläufig
vertheilt. Diese Accumulatoren nahmen sechs volle Eisenbahnwagen in Anspruch, und
nur dank diesen Bemühungen, die natürlich des praktischen Charakters gänzlich
entbehren, konnte der elektrische Wagen den ganzen Weg zurücklegen, obwohl nicht in
den 100 Stunden, welche die Concurrenzfähigkeit bestimmten.
Eingeschrieben wurden 46 Wagen, darunter 3 Benzinzweirader, aber aus Versailles
fuhren nur 22 ab, nämlich 12 Benzinwagen, 6 Dampfwagen, 1 elektrischer Wagen und 3
Benzinzweiräder. Zehn von denselben kamen nicht nach Bordeaux und nur neun kehrten
in den 100 Stunden zurück. Diese neun Wagen wurden preisgekrönt, nur bekam der
erstangelangte nicht den ersten, sondern den zweiten Preis, weil er nur zweisitzig
war. Acht Wagen hatten Benzinmotoren und nur der letzte hatte einen Dampfmotor.
Diese neun Sieger sind die folgenden:
Zahl der Plätze
ArtdesMotors
Dauer derFahrt
Erhaltener Preis
Std. Min.
Panhard und Le-
vassor
2
Benzin, Daimler umgeändertDie zwei
Cylinder sind längs der Achse und die Tourenzahl 800 anstatt 700,
bei geringerem Gewichte entwickelte der Motor bis 4
.
48 48
II. 12500 Frcs.
Peugeot
2
Benzin, Daimler
54 36
III. 6300 „
„
4
„ „
59 48
I. 31500 „
„
4
„ „
59 50
IV. 3150 „
Roger
4
„ Benz
72 15
V. 3150 „
Panhard und Le-
vassor
4
„ Daimler
76 31
VI. 3150 „
Panhard und Le-
vassor
5
„ „
76 45
VII. 3150 „
Roger
4
„ Benz
82 49
VIII. 1500 „
Bollée
Dieser „Omnibus“ ward von Bollée
in Mans (Frankreich) bereits 1880 gebaut; er führt einen
Field-Kessel von 20 qm Heizfläche und einen 20pferdigen Motor; der
Wagen wiegt 4 t leer und 5 t mit dem nöthigen Vorrath ohne Personen.
Er hatte etwa 20 Stunden an „erlaubte“ Reparatur unterwegs
verloren.
7
DampfDieser
„Omnibus“ ward von Bollée in
Mans (Frankreich) bereits 1880 gebaut; er führt einen Field-Kessel
von 20 qm Heizfläche und einen 20pferdigen Motor; der Wagen wiegt 4
t leer und 5 t mit dem nöthigen Vorrath ohne Personen. Er hatte etwa
20 Stunden an „erlaubte“ Reparatur unterwegs
verloren.
90 04
IX. 1500 „
Zur Herstellung eines eingehenden technischen Berichtes über die Ergebnisse dieser
beschriebenen Wettfahrt und ausserdem auch über den allgemeinen Stand der Motorwagen
wurde folgende Commission ernannt: Marcel Deprez,
Akademiker, Präsident; Pérignon, Ingenieur, und Dumont, Eisenbahningenieur, Vizepräsidenten; de la Valette, Ingenieur, Secretär; Varennes, Ingenieur, Collin, Eisenbahningenieur, Marquis de
Chasseloup-Laubat, Marineingenieur, und der Verfasser dieses Artikels (der
einzige Ausländer). Voraussichtlich wird diese Arbeit zu Ende des laufenden Jahres
zu Stande kommen; das 400 bis 500 Seiten starke Buch wird die Zeitschrift Le Génie Civil herausgeben. Als Theilnehmer an dieser
Arbeit kann ich jetzt nur ganz allgemeine Betrachtungen vorführen.
Also auch diesmal hat wie im vorigen Jahre Benzin über Dampf gesiegt. Wollte man aber
daraus schliessen, dass die Dampfmotoren für Wagen ganz zu verwerfen seien, so wäre
dies ein grosser Irrthum. Diese Frage, wie auch jede andere wirklich technische und
commercielle, die Motorwagen betreffend, blieb bei dieser Wettfahrt unberührt und
offen. Die ganze Einrichtung der Wettfahrt bot ja unzweideutig nur den Charakter
eines Sportes dar. Betreffs der Ergebnisse ist es ganz unmöglich, die Leistung der
Maschinen von der der sie leitenden Personen zu trennen, und wurden die letzteren
narcotisirt, so darf man auch von den Maschinen sagen: sie alle bedurften hernach
des gründlichsten Remontes. Ihr Zustand übte aber keinen Einfluss auf die
Preiskrönung. Ausserdem wurden noch sehr tüchtige Concurrenten aus dem Feld
geschlagen durch ganz unwesentliche Zwischenfälle, und nur das Reglement war daran
schuld. Dazu kam noch die praktisch ganz überflüssige Strenge der „erlaubten“
Reparatur während des Weges (siehe oben). Ebenso wurde weder der Preis des Wagens
und die Kosten der Arbeit, noch die Bequemlichkeit der Handhabung und die Solidität
in Betracht gezogen, und somit muss man gestehen, dass die erhaltenen Preise für die
praktische Beurtheilung der Wagen von keinem Belang sind. Da dasselbe Comite
beabsichtigt, jedes Jahr eine Wettfahrt zu veranstalten, so habe ich ihm
gegenüber diesen Gesichtspunkt eingehend entwickelt und kann sagen, dass ich mehrere
Mitglieder für die Einsicht gewonnen habe, dass die bevorstehende Prüfung möglichst
die praktischen Fragen zu beantworten habe, d.h. solche Ergebnisse erzielen solle,
welche endlich dem Käufer erklären, was seinen Anforderungen am besten entspreche
bei gegebenem Verkehr, Entfernung, Eigenschaft der Wege, Arbeitspreise u.s.w.
Die Typen der Wagen und der Motoren, die sich auf der Wettfahrt Paris-Bordeaux-Paris
ausgezeichnet haben, kennen wir. Ob und inwiefern die Veränderung, welche dem Daimler'schen Motor Panhard und
Levassor beibrachten, sich als eine wesentliche Verbesserung erweist, muss
man noch abwarten; als Fortschritt aber beim Gebrauch der üblichen Benzinmotoren
müssen zwei Neuerungen angesehen werden: die Vorrichtung zur selbsthätigen
constanten Schmierung des Cylinders und der Brenner von Longuemare. Letzterer hat folgende Construction: ein kleiner,
kesselartiger, 5 bis 10 l messender Benzinbehälter ist mit einem Manometer und zwei
mit Draht verstärkten Gummischläuchen versehen. Durch den einen derselben wird
mittels einer kleinen Fahrradluftpumpe Luft bis höchstens 2 at Ueberdruck in den
Behälter hineingepumpt, durch den anderen tritt das Benzin unter Druck zu den zwei
(oder mehr) Brennern, wo es aus einer engen, stark erhitzten Röhre in Gasform
heraustritt, Luft ansaugt und mit blauer, rauschender, sehr heisser Flamme
verbrennt. Varennes, Besitzer eines Motorwagens,
schätzt den Gewinn an Kraft des Motors durch Einführung dieser beiden Vorrichtungen
auf eine halbe Pferdekraft.
Interessante Beobachtungen machte ich an Gummireifen,
mit denen die meisten Wagen versehen waren. An manchen Wagen wurden Backenbremsen
direct auf den Gummireifen angebracht, und nach beendeter Fahrt erwies es sich, dass
die hölzernen Backen sehr stark abgenutzt waren, dagegen die Reifen sehr wenig. Doch
spürte ich selbst den bekannten Geruch des brennenden Gummis während des Bremsens
bei der Fahrt. Natürlich ist die Anbringung der Backenbremse auf Gummireifen nur in
solchen ausschliesslichen Verhältnissen zulässig wie diese Wettfahrt, wo die Frage
über die Kosten eliminirt war. Den Dienst der Gummireifen betreffend, halte ich aus
der wirklichen Praxis Folgendes: die vier Reifen kommen, je nach der Güte, auf 150
bis 250 Frcs., dabei ist die Leistung derer, die an 200 Frcs. kosten, 8000 bis 10000
km auf französischen Wegen.Die Chausseen in
Frankreich werden sehr gut erhalten. Als Radfahrer in Frankreich und jetzt
in Böhmen kann ich sagen, dass, wenn man die Angaben der allgemein bekannten
Deutschen Strassenprofilkarte für
Radfahrer, wo die Wege als „gut“, „mittelmässig“ und
„schlecht“ bezeichnet sind, mit den wirklichen Strassen in Böhmen
und in Frankreich vergleicht, eigentlich für Frankreich
„mittelmässig“ dasselbe heissen soll, was für Böhmen „gut“
heisst.
Der Benzinverbrauch erweist sich (auch in der wirklichen
Praxis) für einen zweisitzigen Wagen, ziemlich unabhängig von seiner Construction,
derart, dass 1 l Benzin vom spec. Gew. 0,700 auf etwa 10 km reicht, was nach den
französischen Preisen 5 Centimes für 1 km ausmacht.
Um mit den Motorwagen vorläufig zu beenden, füge ich
sehr interessante Resultate allerneuester, in Paris gemachter Versuche über den Zugwiderstand der Wagen auf verschiedenen Wegen an.
Diese Versuche wurden von der Compagnie Générale des
voitures und von der Carrosserie Industrielle
für eigenen Gebrauch gemacht, und ich verdanke deren Kenntnissnahme persönlichen
Beziehungen. Bis jetzt galten immer nur die Messungen von Morin. Die neuen Ergebnisse weichen aber bedeutend von denselben ab.
Tausend Versuche haben Folgendes ergeben:
Vor allem gilt als Regel, die Räder proportional ihren Durchmessern zu belasten.
Unter dieser Voraussetzung gelten folgende Formeln:
Die gleitende Reibung ist (bei guter Schmiere):
\frac{0,09\,.\,P\,.\,r}{R}.
Die rollende Reibung ist:
\frac{A\,.\,P}{R}.
Es sind: P = Belastung des Rades (in k), R = Radius des Rades (in m), r = Radius der Achse, A = empirischer
Coëfficient, der folgende Grösse hat:
Für
gutes trockenes Pflaster
A
=
0,008
„
schlechtes nasses Pflaster
A
=
0,010
„
gute trockene Chaussee (Macadam)
A
=
0,012
„
gute nasse Chaussee
A
=
0,016
„
schlechte nasse Chausse
A
bis
0,030.
Es ist allerdings überraschend, dass eine gute Chaussee immer grösseren Widerstand
bietet als ein schlechtes Pflaster. Die Pflaster in Paris werden aber so oft
remontirt, dass, was dort schlecht, d.h. remontebedürftig, heisst, anderswo als gut
gilt. Die Coefficienten sind also auch dementsprechend zu verstehen.