Titel: | Ein neues Verfahren zur Gewinnung und Trennung von Rohrzucker und anderen Zuckerarten aus unreinen, fremde Stoffe enthaltenden Zuckerlösungen, wie z.B. aus Melasse, Pflanzensäften u. dgl. |
Autor: | Georg Kassner |
Fundstelle: | Band 298, Jahrgang 1895, S. 65 |
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Ein neues Verfahren zur Gewinnung und Trennung
von Rohrzucker und anderen Zuckerarten aus unreinen, fremde Stoffe enthaltenden
Zuckerlösungen, wie z.B. aus Melasse, Pflanzensäften u. dgl.
Von Dr. Georg Kassner,
in Münster i. W.
Neues Verfahren zur Gewinnung und Trennung von Rohrzucker und
anderen Zuckerarten u.s.w.
Obgleich für den Gegenstand nachstehender Arbeit eine ganze Reihe hervorragender
Fachorgane bestehen, in denen gewiss nach Meinung der interessirten Kreise meine
Ausführungen den besten Platz gefunden haben würden, so habe ich mich doch
entschlossen, sie dieser technischen Zeitschrift zu übergeben, und zwar aus dem
Grunde, weil bereits eineDieselbe führt den
Titel: Ein neues Verfahren zur Nutzbarmachung des
Sauerstoffs der Luft und die demselben zu Grunde liegenden
Verbindungen. (D. p. J. 1889 274 136 u. f. und 1890 278 468.) meiner früheren Arbeiten, welche der
Industrie inzwischen nützlich geworden sind, in D. p.
J. enthalten ist.
Gewissermaassen ist auch die Materie derselben der Ausgangsstoff für die folgenden
Mittheilungen gewesen, so dass also zwischen beiden Arbeiten eine Art Zusammenhang
besteht.
Wie es mit ersterer der Fall ist, so hoffe ich auch von der jetzigen Arbeit, dass
ihre Resultate für das gewerbliche Leben willkommen sein und die in ihr enthaltenen
Anregungen vielfache Beachtung und Befolgung finden werden.
Der Inhalt meiner Ausführungen dürfte insofern einem wahren Zeitbedürfniss
entsprechen, als das hauptsächlich hier in Betracht kommende Verarbeitungsmaterial,
die Melasse der Rübenzuckerfabriken, in Folge der niedrigen Zuckerpreise und sonst
schlechter Conjunctur nahezu werthlos geworden ist, trotzdem sie, vom
wirthschaftlichen Gesichtspunkte aus betrachtet, in Folge ihres Gehaltes an Zucker
(im Mittel 50 Proc.) und an Kalisalzen eine hohe Beachtung verdient.
Von den verschiedenen Verwerthungsarten bezieh. -Vorschlägen für das in Deutschland
in einer Menge von etwa 10 Millionen Centnern im Jahr erzeugte Abfallproduct
der Rübenzuckerindustrie seien die hauptsächlichsten hier angeführt.
1) Verwerthung durch Erzeugung von Spiritus (Melassebrennerei),
2) Verwerthung durch Erzeugung von Potasche (meist combinirt mit 1),
3) Verwerthung durch Entzückerung,
4) „ „ Verfütterung,
5) „ „ Vergasung.
Die erstere Verwerthungsart ist momentan durch die im Deutschen Reiche zu Gunsten der
Kartoffelspiritusindustrie erfolgte Steuererhöhung ziemlich ganz unmöglich gemacht.
Hierbei entbehrt es nicht einer gewissen Tragikomik, dass dasjenige Land, welches
bisher die grössten Mengen deutscher Melasse verarbeitete, nämlich Frankreich,
nunmehr seine Grenze gegen dieselbe gesperrt hat und neuerdings nur so viel von
derselben hereinlassen will, als in äquivalentem Betrage an Spiritus zollfrei nach
Deutschland passiren kann, ein drastischer Fall der auf steuerpolitischem und
wirthschaftlichem Gebiete herrschenden Schwierigkeiten!
Die Entzuckerung der Melasse durch Strontium- und Bariumhydrat ist bei den jetzt
herrschenden niedrigen Zuckerpreisen in Folge der zu hohen Regenerirungskosten jener
Hydrate unlohnend geworden und das Gleiche gilt von anderen bekannten
Entzuckerungsprocessen, z.B. dem Elutionsverfahren, dem Abscheidungsverfahren
u.s.w.
Die Verwerthung durch Verfütterung der Melasse im Gemisch mit Torfstreu bezieh.
vegetabilischen Substanzen, bei niedrigen Melassepreisen nach Maercker die rationellste Verwerthung, scheitert an dem
Widerstände der ländlichen Kreise; auch dürfte die Frage der Unschädlichkeit der
Melassefütterung noch nicht ganz zu Gunsten derselben entschieden sein.
Was die Vergasung anbetrifft, für welche Degener in
Braunschweig eine Verwerthung der Melasse auf rund 1,50 M. für den Centner
berechnet, so dürfte sie wohl auch nicht allgemeine Bedeutung erlangen.
Diese kurze Betrachtung zeigt, dass es sowohl für den Zuckerproducenten als auch für
den Staat als wirthschaftliches Ganze eine ziemliche Bedeutung haben müsste, wenn es
gelänge, eine neue Methode der Verwerthung der Melasse
aufzufinden, bei welcher sowohl der in ihr enthaltene Zucker als auch deren Salze in
vortheilhaft billiger Weise abgeschieden werden können.
Ich bin dabei mit Degener der Ansicht, dass die
Entzuckerung der Melasse immer die beste Verwerthung derselben darstellt und an den
Resultaten derselben alle Factoren gleichmässig ein Interesse haben, die
Zuckerindustrie sowohl als auch die Landwirthschaft und der Steuerfiscus.
Wir wollen nun sehen, welcher Art die von mir in den folgenden Ausführungen
vorgeschlagene Lösung dieser Aufgabe ist, wobei ich es dem Urtheile des Lesers
bezieh. der interessirten Kreise überlasse, die nöthigen Schlussfolgerungen für die
Praxis aus meinen Darlegungen und Anregungen selbst zu ziehen.
Nachdem ich im J. 1889 die drei Erdalkaliorthoplumbate Ca2PbO4, Sr2PbO4 und Ba2PbO4 entdeckt und deren Eigenschaften
beschriebenD. p. J. 1889 274
183, 226. hatte, war es mit mein erster Gedanke, die interessante
Thatsache nutzbar zu machen, dass durch Bleioxyd unter Mitwirkung des Sauerstoffs
der Luft die Kohlensäure der Erdalkalicarbonate viel leichter, d.h. bei niedrigeren Temperaturen ausgetrieben werden kann,
als beim Glühen dieser Carbonate für sich allein. Besonders auffallend erweist sich
diese Erscheinung bei der Darstellung des Bariumorthoplumbats, bei dessen Bildung
nach der Gleichung
2BaCO3 + PbO + Luft (O + 4N) =
Ba2PbO4 + 2CO2 + 4N
bereits eine Temperatur von etwa 800° C. genügt, während die
Caustificirung des unvermengten BaCO3 eine Hitze von
noch über 1200° C. erfordert.
Wenn es nun auch gelänge, das Bariumplumbat in glatter Weise aufzuschliessen, etwa
gemäss der Gleichung
Ba2PbO4 + 2H2O = 2Ba(OH)2 + PbO2,
so wäre damit eine Grundlage gewonnen, um das sonst
schwierigVgl. D. R. P. Nr.
60908 und Nr. 77002 von Höndorf, Becker und Co.
in Magdeburg-Neustadt. in Bariumhydrat zu verwandelnde
Bariumcarbonat immer wieder in leichter Weise in jenen zur Entzuckerung von Melasse
dienenden Körper überzuführen. Leider haben alle seitdem ausgeführten Arbeiten nicht
recht zum Ziele geführt.
Es wird zwar ein erheblicher Betrag von Barythydrat erhalten, aber eine vollständige
Umsetzung wird durch Bildung von PolyplumbatenD. R.
P. Nr. 82583 und Archiv der Pharmacie, 1894 Bd.
282 Heft 5. verhindert.
Auch die auf Anregung des Fabrikdirectors H. Steffens zu
Lüben unternommenen und zum grossen Theile auch von ihm selbst in dankenswertester
Weise ausgeführten Versuche, das Bariumplumbat auf andere Weise, z.B. durch
Reductionsmittel aufzuschliessen, führten insofern zu keinem Ziele, als alle diese
Mittel zu theuer waren, um eine vortheilhafte Erzeugung und Regenerirung des
Bariumhydrats aus dem Saturationsschlamm zu gestatten.
Wiederholt hatte ich auch versucht, das in der Hitze mit Wasser unter Druck
theilweise aufgeschlossene Bariumplumbat, welches eine Mischung von Bariumhydrat und
Polyplumbat darstellt, direct auf Melasselösung wirken zu lassen, doch erhielt ich
immer nur wenig Krystalle von Bariumsaccharat.
Es musste daher die Verwendung des Orthoplumbats als Mittel zur Regenerirung von
Barythydrat für die Zwecke der Melasseentzuckerung fallen gelassen werden.
Da kam ich gelegentlich auf eine andere Spur. Unter den längere Zeit stehen
gebliebenen Reactionsmischungen mit Bariumplumbat beobachtete ich nämlich eines
Tages das Auftreten eigenthümlicher weisser Kügelchen von der Grösse eines
Hirsekorns. Ich isolirte dieselben auf mechanische Weise aus der schmutzig braunen,
trüben Mischung und fand, dass es warzen- bezieh. blumenkohlartige Gebilde waren,
welche aus radial gestellten mikroskopisch feinen Nadeln bestanden, also
Sphärokrystalle waren. Mit destillirtem Wasser behandelt, zeigten sie keine
Veränderung, erwiesen sich demnach als schwer löslich. Beim Uebergiessen mit Säuren
lösten sie sich auf. Die mit verdünnter Salzsäure gekochte Lösung der vorher
sorgfältig gewaschenen Sphärokrystalle gab nach der Neutralisation mit Fehling's Lösung Abscheidung von rothem
Kupferoxydul.
Es lag also eine Zuckerverbindung vor.
Nun glaubte ich anfangs, dass dieselbe nach ihrer Entstehung aus einer
Bariumplumbatmischung ein Doppelsaccharat beider Metalle sei.
Die qualitative Analyse ergab indessen das Irrige dieser Vermuthung. Baryt war in der
Zusammensetzung der Verbindung nicht enthalten; sie bestand lediglich aus
Rohrzucker, Blei und Wasser.
Behufs Analyse wurden die über Schwefelsäure und Aetzkalk zur Vermeidung einer
Kohlensäureaufnahme getrockneten Krystallaggregate zunächst im Trockenkasten zur
Bestimmung des Krystallwassers erhitzt. Alsdann wurde der verbleibende Rest im
Tiegel vorsichtig zu Bleioxyd verascht.
Die richtige Ermittelung des Krystallwassers ist indessen mit Schwierigkeiten
verknüpft, da beim Erhitzen ausser dem Krystallwasser auch aus dem Zuckerradical
etwas Wasser gebildet wird, wobei sich der Körper blassgelblich färbt.
1) 0,8932 g der Verbindung verloren beim Trocknen bis zu 125° C. 0,102 g Wasser =11,4
Proc.
2) 1,2094 g verloren beim Trocknen bis zu 150° C. 0,1483 g Wasser = 12,2 Proc.
Der
Glührückstand
(PbO)
in
1)
betrug
0,4754 = 53,2
Proc.
„
„
„
„
2)
„
0,6409 = 52,9
„
Gefundenim Mittel
Berechnet fürC12H18O11 . Pb2 + 5H2O
Berechnet fürC12H18O11 . Pb2 + 4H2O
Proc.
PbO 53,05
52,9
54,1
H2O 11,8
10,6
8,7
C12H18O9 35,15
36,5
37,1
(= C12H22O11
(durch – 2H2O) Differenz)
Es ergibt sich also, dass in obigen Analysen das Mehr an erhaltenem Wasser einem
Minus an Zuckersubstanz entspricht, mit anderen Worten, dass beim Trocknen des
Bleisaccharats bei höherer Temperatur neben der Abgabe des Krystallwassers auch aus
dem Molekül des Zuckers etwas Wasser abgespalten wird.
Entscheidend für die Zusammensetzung ist somit lediglich der Gehalt an Blei bezieh.
auch die Elementaranalyse.
Das krystallisirte Saccharat besitzt demnach jedenfalls die Formel O12H18O11 . Pb2 + 5H2O.
Nach Ermittelung der Zusammensetzung hatte die Feststellung der Löslichkeit des
erhaltenen Körpers für mich Interesse.
Es wurde destillirtes Wasser mit einem Ueberschuss fein zerriebener Sphärokrystalle
gelinde erwärmt, mehrere Male tüchtig geschüttelt und alsdann bis auf
Zimmertemperatur erkalten gelassen.
215 cc des Filtrats hinterliessen nur 0,0203 Abdampfrückstand; die Löslichkeit bei
gewöhnlicher Temperatur beträgt somit nur 1 : 10591 oder rund 1 : 10600.
Eine andere Probe wurde mit Wasser 20 Minuten lebhaft gekocht und das heiss gewonnene
Filtrat ebenfalls abgedampft; hier constatirte ich eine Löslichkeit von 1 : rund
2000.
Diese erfreulich geringen Löslichkeitsverhältnisse legten mir nun den Gedanken nahe,
die Bildung des Bleisaccharats an Stelle der des Barytsaccharats, von welcher ich
ursprünglich ausgegangen war, als ein Mittel zur Abscheidung von Rohrzucker aus
Zuckerlösungen in Betracht zu ziehen und zu versuchen.
Doch waren hierfür mancherlei Fragen zu beantworten.
Zuerst musste eine wirklich vortheilhafte Darstellung des Körpers ausfindig gemacht
werden; dann aber war zu untersuchen, welchen Einfluss die in den unreinen
Zuckerlösungen enthaltenen fremden Körper, wie Salze und organische
Nichtzuckerstoffe, auf die Bildung des Körpers haben, ob es trotz ihrer Anwesenheit
möglich sei, nahezu quantitativ den Zucker abzuscheiden.
Nachdem übrigens festgestellt war, dass die erwähnten weissen Sphärokrystalle
Bleidisaccharat mit 5 Mol. Krystallwasser darstellten, sah ich mich in der
Litteratur nach den über diesen Körper vorhandenen Notizen um. Es waren nun bereits
zwei Verbindungen des Rohrzuckers mit Bleioxyd bekannt, ein zweibasisches Saocharat
C12H18O9 . 2PbO und ein dreibasisches C12H16O8 . 3PbO.
Das erstere wurde wohl zuerst von PeligotJournal für praktische
Chemie, 1838 S. 378 bis 383, und Compt.
rend., Bd. 6 S. 233. beschrieben und dabei des älteren
Versuchs von Berzelius erwähnt, welcher die Verbindung
benutzte, um daraus das Atomgewicht des Zuckers zu bestimmen.
Dann aber hat DubrunfautCompt. rend., 1851
Bd. 32; die dort befindliche Formel 2PbO(C12HO9) ist offenbar ein
Druckfehler. Vgl. auch Lippmann, Chemie der
Zuckerarten., der in der Chemie der Zuckerverbindungen
wohlbekannte französische Forscher, welcher auch für manche spätere
Entzuckerungsverfahren das wissenschaftliche Fundament geliefert hatte, dieselbe
Verbindung beschrieben.
Dubrunfaut gibt ihr ebenfalls die Formel 2PbO(C12H18O9) und zeigt, dass man diese Verbindung erhält durch
Fällen von Zuckerlösung mit ammoniakalischem Bleiessig.
Auch erwähnte er, dass das Bleisaccharat entstehen kann, wenn man Bleioxyd mit Lösung
von (reinem) Zucker in der Kälte stehen lässt, wobei sich nach längerer Zeit (sous
l'influence du temps) der Körper bildet.
Von den Eigenschaften erwähnte er, dass es in Nadeln krystallisire und in der Kälte
total unlöslich sei.
Das letztere stimmt nun nach meinen Untersuchungen (siehe oben) nicht ganz, wenn auch
freilich die Löslichkeit nur eine geringe ist. Das Zusammenwachsen der Nadeln zu
Sphärokrystallen, welches, wie wir später sehen werden, eine gewisse technische
Bedeutung besitzt, erwähnt Dubrunfaut nicht, ebenso
wenig hat dieser Forscher einen Krystallwassergehalt in der Verbindung beobachtet,
während Maumené ihr ein Molekül zuertheilt.
Hinsichtlich des dreibasischen Saccharats (C12H16O8)3PbO liegt eine
Arbeit von E. Boivin und D.
LoiseauCompt. rend., 1865 Bd. 60 S. 455.
vor. Diese Forscher erhielten dasselbe durch Fällen von Bleizuckerlösung mit Kali
und Natron bei Gegenwart von Zucker, desgleichen auch durch Fällen von Zuckerlösung
mit ammoniakalischem Bleiacetat. Bemerkenswerth ist ihre Angabe, dass sich das
dreibasische Bleisaccharat, sonst in Wasser unlöslich, sehr
leicht in Zuckerwasser auflöst, worauf diese Lösung nach und nach
zweibasisches krystallisirtes Saccharat abscheidet.
Aus dieser letzteren Notiz ergab sich mir durch Combination mit dem Vorstehenden die
Folgerung, dass das Bleidisaccharat die stabilste Verbindung dieser Art sei, und
dass man unter geeigneten Bedingungen die Abscheidung von Zucker durch Blei so
leiten könnte, dass thatsächlich nicht bloss Bleidisaccharat entsteht, sondern
dass auch aller Zucker aus seiner Lösung gefällt wird.
Es handelte sich mir nun zunächst um eine vortheilhafte Darstellungsweise dieses
Körpers. Dass die Bildung desselben aus einer Mischung von Bleiessig oder anderen
Bleisalzen mit Ammoniak, wenn sie auch leicht vor sich geht und von guter Ausbeute
ist, als zu umständlich und zu theuer für technische
Zwecke gar nicht erst in Frage kommen konnte, war klar. Einzig und allein kam für
mich das Bleioxyd in Betracht. Wenn es gelang, diesen Körper derart zur
Saccharatbildung zu verwenden, dass er nicht bloss sicher, sondern auch vor allem
schnell und ferner quantitativ entzuckernd wirkte, so konnte wenigstens dieser Theil der
Aufgabe als gelöst gelten, wobei mich bereits der Gedanke einer leichten
Regenerirung des Fällungsmittels leitete, welche in dem ganzen Entzuckerungssystem
ihren Platz finden musste.
Es lag mir also daran, einen Kreisprocess ausfindig zu
machen, in welchen die benutzten Materialien ohne Substanzverlust wieder
zurückkehren, nachdem sie ihren Dienst verrichtet haben.
Die obige Notiz Dubrunfaut's über die Möglichkeit der
Entstehung von Bleisaccharat beim Stehenlassen von Zuckerlösung mit Bleioxyd in der
Kälte genügt für diesen Zweck nicht, da sie keine Angabe des gegenseitigen
Verhältnisses der Componenten enthält und in ihrer Ausführung viel Zeit in Anspruch
nimmt.
Auch ist die Wirkung eine unvollkommene. Versucht man nach dieser Angabe zu arbeiten,
so findet man, dass sich das schwere Bleioxyd zu Boden setzt und lange Zeit
unverändert bleibt, bis es sich vielleicht an seiner Oberfläche weisslich färbt und
dann nach und nach zu einem festen Klumpen zusammenbäckt, der aus grösstentheils
unverändertem Bleioxyd besteht, welches durch etwas Saccharat zusammengehalten wird.
Jedenfalls muss ohne eine weiter vorgenommene Manipulation der grösste Theil des
benutzten Oxyds der Reaction entzogen bleiben. So wurde Dubrunfaut's Notiz in der Technik nicht weiter beachtet und zur Grundlage
weiterer Arbeiten gemacht.
Es hat ja auch für jeden Leser, welcher mit den unter besonderen Umständen
eintretenden Reactionen des hier in Betracht kommenden Materials nicht vertraut ist,
etwas Ungewöhnliches an sich, wenn ihm die Aufgabe gestellt wird, ein so schweres
und unlösliches Metalloxyd, wie es das Bleioxyd mit dem spec. Gew. 9,25 ist, zur
Herstellung einer gleichförmigen Reactionsmischung mit einer wässerigen Flüssigkeit
zu verwenden. Dies scheint mir auch der Grund zu sein, weshalb noch Niemand auf die
praktische Verwendung des Bleioxyds zur Saccharatbildung gekommen ist, da eben die
unter gewissen Bedingungen eintretende Schnelligkeit der Reaction unbekannt war.
Ferner musste ja auch der Gedanke als eine Paradoxie erscheinen, Blei, welches
bisher in Gestalt von Bleiessig als ein Mittel zur Fällung der Verunreinigungen des
Zuckers angesehen und angewandt wurde, zur Fällung des Zuckers selbst zu
benutzen.
Ich unternahm es nun, die noch fehlenden Bedingungen für eine glatte Saccharatbildung
mittels Bleioxyd ausfindig zu machen.
Zunächst wog ich die einzelnen Bestandtheile, welche in chemisch reinem Zustande
verwendet wurden, genau in dem ihrer Verbindung entsprechenden Atom- bezieh.
Molekularverhältniss ab, rührte sodann das Bleioxyd für sich mit Wasser gleichmässig an und gab
dann den Zucker in Lösung hinzu, worauf ich fortdauernd weiter rührte, in der
Meinung, dass nur dann eine exacte Saccharatbildung eintreten könnte, wenn das wirksame Oxyd an allen Stellen der Mischung
suspendirt blieb.
Indessen es trat anfangs doch nicht sofortige Bildung von Saccharat ein. Das
beständige Rühren ermüdete und so liess ich die Mischung stehen, wobei sich das
schwere Bleioxyd rasch zu Boden setzte, während die Zuckerlösung oben blieb. Wenn
aber nach längerem Stehen die Oberfläche des Oxyds fest geworden war, konnte an eine
gleichmässige Vertheilung nicht mehr gedacht werden.
Nach mancherlei fehlgeschlagenen Versuchen dieser Art kam ich auf die Vermuthung, es
möchte auch die Menge des zugesetzten Wassers von
gewissem Einfluss auf die Schnelligkeit und Gleichmässigkeit der Saccharatbildung
sein, indem ich annahm, dass eine concentrirtere Lösung nicht bloss mehr
Angriffskraft auf das Bleioxyd äussern würde, sondern auch mechanisch durch ihr
höheres specifisches Gewicht wirken müsste, indem sie das schwere Bleioxyd langsamer
zu Boden sinken lasse. Auch glaubte ich, dass eine Erwärmung die Saccharatbildung beschleunigen müsse.
In dieser Voraussetzung verwandte ich jetzt nur so viel Wasser, dass dasselbe etwa
das Doppelte vom Gewichte der beiden übrigen Componenten ausmachte, während ich
früher bedeutend mehr davon zugesetzt hatte, und brachte die Mischung unter
fortwährendem Umrühren auf das Wasserbad. Hier hatte ich nun die Freude, die
Mischung bereits nach wenigen Minuten lebhaften Rührens
steifer werden zu sehen.
Zwar war der Zucker noch nicht total abgeschieden, aber es war doch wenigstens die
Saccharatbildung eingeleitet und, was die Hauptsache ist, die Mischung zeigte sich
von so dicker Consistenz, dass ich sie jetzt ruhig stehen lassen konnte, ohne ein
Zu-Bodensinken des schweren, noch unverbundenen Bleioxyds befürchten zu müssen.
Letzteres konnte daher in Ruhe und in innigster
Mischung mit dem Zucker auf letzteren noch weiter
einwirken.
Nach 24 Stunden ruhigen Stehens in der Kälte fand ich dann die Masse durch und durch
aus den schönsten Krystallkugeln zusammengesetzt,
ein Zeichen, dass sich an allen Stellen der Mischung Krystallisationscentren
gebildet hatten. Eine abgepresste Probe der wässerigen Lösung zeigte nur noch
geringe Spuren von Zucker.
Es ist somit ein für den technischen Effect wesentliches
Erforderniss, dass man die Mischung nach kurzem Durchrühren salben- oder breiförmig
dick bekommt, da sich dann die erforderliche innige Vertheilung von Bleioxyd und
Zucker bis zur völligen Krystallisation und Abscheidung des Zuckers von selbst erhalten lässt; denn es geht in der Praxis
nicht an, grössere Quantitäten des Gemenges stunden- oder tagelang in beständiger
Bewegung zu erhalten.
War nun auch nach etlichen vergeblichen Versuchen der erste Theil der zu
bewältigenden Aufgabe glücklich gelöst, so blieb noch die wichtige andere Frage zu
beantworten, ob sich die Saccharatbildung auch quantitativ vollziehen lasse, wenn
der Zucker noch verunreinigende Stoffe, zumal Salze enthält, wie solche in der
Melasse und in Pflanzensäften vorkommen, und von denen man auch eine gewisse
Einwirkung auf das Bleioxyd voraussetzen musste.
War ferner nicht auch anzunehmen, dass sich in beträchtlicher Weise organische
Nichtzuckerstoffe mit dem Bleisaccharat abscheiden würden?
Hierzu ist zu bemerken, dass ich in der That fand, dass gewisse Salze die Löslichkeit
des Bleisaccharats erheblich beeinflussen.
Dies gilt zumal von den Ammoniumsalzen, ferner auch von Alkalinitraten und Acetaten.
Desgleichen beobachtete ich aber auch, dass die Vermehrung der Löslichkeit des
Bleisaccharats durch diese Salze hauptsächlich nur in der Wärme stattfindet, während
in der Kälte ein Einfluss weniger zu beobachten ist.
Es ergab sich mir aus dieser Wahrnehmung für später die Folgerung, das erzeugte
Saccharat nur in der Kälte von den löslich gebliebenen Verunreinigungen (Salzen o.
dgl.) zu befreien, um Zuckerverluste möglichst fern zu halten.
Nach diesen Vorarbeiten schritt ich dann zu den Versuchen mit Melasse selbst. Ohne
die weniger geglückten Versuche aufzuzählen, bei denen aus verschiedenen Gründen
eine noch unvollkommene Abscheidung des Saccharats stattfand, will ich gleich das
Verfahren angeben, so wie es sich mir schliesslich am besten bewährt hat.
Es wurden 1000 g Melasse (mit einem Rohrzuckergehalt von rund 50 Proc.) zunächst mit
800 g Wasser gelöst und unter beständigem Umrühren in eine kalte Anreibung von 800 g
Bleioxyd mit 400 g Wasser eingetragen. Unter lebhaftem weiteren Rühren wurde jetzt
auf dem Wasserbade erwärmt und nach wenigen Minuten, sobald sich unter dem Einfluss
der Wärme Verdickung eingestellt hatte, noch 800 g Wasser hinzugemischt. Dann wurde
das Ganze behufs Abscheidung der Krystallaggregate auf 24 Stunden ruhig bei Seite
gestellt.
In der Regel war dann die Mischung zu einem weisslichen dicken Brei erstarrt, welcher
aus unzähligen Sphärokrystallen zusammengebaut war, und über welchem sich eine dünne
Schicht einer klaren bräunlichen Flüssigkeit befand. Wurde dieselbe abfiltrirt und
in Verdünnung mit dem Polarisationsapparat geprüft, so konnte meist kaum mehr eine
Rechtsdrehung, vielfachIst wohl nur für
invertzuckerhaltige Melassen von allgemeiner Gültigkeit. sogar
eine geringe Linksdrehung constatirt werden, ein Zeichen, dass aller Rohrzucker
abgeschieden war.
In vorstehender Vorschrift bedeuten 800 Th. Bleioxyd auf 1000 Th. Melasse bezieh. 500
Th. Rohrzucker einen kleinen Ueberschuss des Abscheidungsmittels, denn nach dem
Ansatz
\underbrace{\mbox{C}_{12}\mbox{H}_{22}\mbox{O}_{11}}_{342}\,:\,\underbrace{2\,\mbox{PbO}}_{446}=500\,:\,x
wären theoretisch nur 650 g des Metalloxyds nothwendig
gewesen.
Ein Ueberschuss ist aber doch erforderlich und zwar deshalb, weil auch in dem feinst
pulverisirten Bleioxyd einzelne gröbere Partikelchen oder auch etliche
Verunreinigungen vorkommen, welche die Reaction beeinträchtigen, und weil ferner,
was besonders hervorgehoben werden soll, auch die meisten
Nichtzuckerstoffe Bleioxyd in Beschlag nehmen und durch dasselbe gefällt
werden.
Unter Umständen wird man daher obigen Betrag an Bleioxyd noch ziemlich vermehren
müssen, wie es in einzelnen Versuchen thatsächlich auch von mir geschehen ist.
Welchen Einfluss der organische Nichtzuckergehalt auf die Isolirung des
Rohrzuckers aus dem unreinen Saccharat besitzt, werden wir später sehen. Zunächst
will ich mich mit der Entfernung der nicht durch Bleioxyd gefällten und in Wasser
löslichen Verunreinigungen befassen.
Da dieselben grösstentheils aus den in der Melasse enthaltenen Salzen, daneben auch
aus braunen organischen Stoffen, vermuthlich Salzen mit organischer Säure bestehen,
so lassen sich diese wasserlöslichen Substanzen ziemlich gut von dem Saccharat
trennen.
Zweckmässig ist es dabei, durch blosse Pressung (Centrifugiren) oder durch Absaugen
die concentrirte Mutterlauge zunächst soviel wie möglich
für sich zu gewinnen und erst dann die Pressrückstände erst mit wenig, dann
mit viel Wasser systematisch weiter auszuwaschen.
Die concentrirte Mutterlauge kann mit Leichtigkeit auf Potasche verarbeitet werden.
In einzelnen Fällen enthielt sie nur noch Spuren von Blei, in manchen war sie frei
davon; jedenfalls kann man im Grossbetriebe einen eventuellen Bleigehalt ohne grosse
Umstände durch die geeigneten Mittel entfernen.
Von technischer Wichtigkeit für das Auswaschen erscheint mir auch das Auftreten des Saccharats in Sphärokrystallen.
Wenigstens ist darauf zu sehen, möglichst nur diese Abscheidungsform zu erhalten, da
sich diese Gebilde leicht zu Boden setzen und auch schon durch blosses Decantiren,
ja durch Schlämmen weitgehend gereinigt werden können und alsdann ein schönes
weisses Product ergeben.
Dass aber das Auswaschen des Saccharats zweckmässig nur in der Kälte erfolgt, wurde bereits oben erwähnt.
So gewann ich denn durch blosses Absaugen aus dem Saccharatbrei von 300 g Melasse
(entsprechend 1140 g obiger Mischung) 210 g Filtrat (concentrirte Salzlauge). Durch
successives Nachwaschen mit Wasser, bis das Ablaufende nur noch schwach gefärbt war,
wurden die löslichen Theile ziemlich vollständig
entfernt, wobei noch 2060 cc Flüssigkeit erhalten wurden, so dass die Salze,
Farbstoffe u. dgl. im Ganzen in etwa 2300 g Lösung enthalten waren.
Als ich diese gesammte filtrirte Flüssigkeit abgedampft hatte, verblieben 67 g eines
zähflüssigen Rückstandes von schlechtem salzigen Geschmack mit nur geringen Mengen
von Rohrzucker. Die Veraschung dieses Rückstandes ging leicht von Statten; das
Product war hauptsächlich Potasche.
Ging dieser Theil der Aufgabe, welcher die Reinigung des Saccharats betraf,
verhältnissmässig glatt vor sich, so stand ich jetzt vor der wichtigen Frage, würde bei der Isolirung des Zuckers aus dem gewaschenen
Saccharat nicht auch der darin gebundene Nichtzucker ebenfalls wieder freigemacht
werden und so nur ein sehr unreines Product resultiren, so dass das ganze Verfahren
wenig Werth besässe?
Dass in der That diese Frage sehr berechtigt war und das Resultat nicht ohne weiteres
erschlossen werden konnte, geht auch aus dem Urtheile eines Fachmannes hervor, der
mir in privater Mittheilung die Verunreinigung des Zuckers bei der Wiederabscheidung
aus dem Saccharat als etwas ganz Selbstverständliches bezeichnete.
Von der Beantwortung vorstehender Frage hing, wie man sieht, die Aussicht des ganzen Systems ab.
Nun hatte ich bereits bei verschiedenen Vor versuchen constatiren können, dass sich
die Bleiverbindungen der organischen und unorganischen Nichtzuckerstoffe gegen
das allbekannte Zersetzungsmittel der Saccharate, welches hier nur allein in
Betracht kommen kann, nämlich gegen Kohlensäure, ganz verschieden wie die
Zuckerverbindungen des Bleis verhalten. Letztere werden nämlich viel leichter
angegriffen und zersetzt, als die Nichtzuckerverbindungen des Bleis, und als ich
selbst einmal weit über die völlige Sättigung des Saccharats Kohlensäure einführte,
so dass sich bereits etwas Bleibicarbonat gebildet hatte, so fand ich doch nach dem
Auswaschen des Zuckers im Schlamm viel gebundene organische Nichtzuckermaterie.
Deren Anwesenheit constatirte ich dadurch, dass ich den gut gewaschenen
Saturationsschlamm mit Schwefelwasserstoff behandelte, vom Schwefelblei abfiltrirte
und die Lösung abdampfte.
Es resultirte ein braungefärbter gummiartiger Rückstand, der aus verschiedenen
Körpern bestehen dürfte, aber süssen Geschmack kaum mehr zeigte.
Dieses Resultat war für mich von hoher Bedeutung, denn jetzt erst konnte ich hoffen,
dass nicht bloss die Abscheidung des Zuckers aus seinen
verunreinigten Säften, sondern auch die Wiedergewinnung
desselben aus dem unreinen, aber von löslichen Salzen befreiten Saccharat glatt erfolgen und zu einem reinen Product führen würde, welches ja das Ziel meiner Bestrebungen war.
Selbstverständlich ist darauf Bedacht zu nehmen, die in unreinen Zuckerlösungen
vorkommenden fällbaren Nichtzuckerstoffe vor der
Behandlung mit Bleioxyd soviel wie möglich
herauszuschaffen, wenn solches ohne Umstände und grosse Kosten geschehen kann.
Deshalb empfiehlt sich bei Pflanzensäften eine vorhergehende Behandlung mit Kalkmilch
bezieh. auch mit Bleiessig. Für Melasse, weiche ja aus kalkhaltigen Säften gewonnen
wurde, kommt eine solche Reinigung nicht mehr in Betracht.
Es wurde jetzt ein quantitativer Versuch ausgeführt.
Der oben erhaltene Auswaschrückstand, das Saccharat von 300 g Melasse, wurde in eine
Literflasche gebracht und nur mit so viel Wasser aufgerührt, dass ein Volumen von
etwa 600 cc breiförmiger Masse resultirte.
Ich hätte selbstverständlich weit mehr Wasser nehmen und dadurch bequemer arbeiten
können; doch lag mir nebenbei daran, zu sehen, ob man bei der Saturation unbeschadet
der Kohlensäureaufnahme hochconcentrirte Zuckerlösungen
gewinnen könne, was zutreffendenfalls natürlich ein weiterer günstiger Umstand sein
würde.
Ich leitete nun unter Umschütteln gewaschene Kohlensäure in den Saccharatbrei ein.
Anfänglich ging die Saturation wegen der dicken Consistens langsam vor sich; in dem
Grade aber, als die Masse durch Zuckerabspaltung dünnflüssiger wurde, erfolgte die
Kohlensäureaufnahme rascher und leichter. Da das Gefäss tarirt war, konnte die Menge
der schliesslich absorbirten Kohlensäure schnell bestimmt werden; sie betrug rund 42
g.
Ein gewisser Anhalt für das Ende der Saturation bietet sich bei Betrachtung der
Mischung. Setzt sich in derselben das basisch kohlensaure Bleioxyd rasch zu Boden,
so zeigt sich darin die vollständige oder nahezu vollständige Zerlegung des
Saccharats an. Auch kann man mit dem Mikroskop leicht den Fortgang der Saturation
verfolgen. Zeigen sich im Schlamme noch nadelförmige Krystalle, so ist noch
entsprechend unzersetztes Saccharat vorhanden.
Ich erhielt nun über einem weisslichen dichten Bodensatz (basisch kohlensaures
Blei) eine schwach gelblich gefärbte Flüssigkeit. Ohne Auswaschen wurde durch
Absaugen direct gewonnen: 442 cc Zuckerlösung vom specifischen Gewicht 1,1077 =
489,6 g Lösung, welche demnach nach der Tabelle von Scheibler 25,5 Proc. = 125 g Rohrzucker enthielt; dies macht 83,3 Proc.
des Gesammtzuckers des in der Melasse enthaltenen aus.
Durch sorgfältiges Auswaschen wurden noch 249 cc verdünnte Lösung vom spec. Gew. 1,04
erhalten = 10 Proc. = 26 g = rund 16,6 Proc. des Gesammtzuckers.
Somit gewann ich im Ganzen in Gestalt seiner Lösung rund 100
Proc. des vorhandenen Zuckers wieder.
Wenn nun auch zugegeben werden muss – und dies zeigt schon die Farbe der Lösung,
sowie das erstaunlich gute oder vielmehr zu gute Resultat an –, dass sich noch
einige fremde Stoffe in der Lösung befanden, so kann doch nach Obigem der Betrag
nicht gross sein, und ausserdem bewies das weitere Verhalten der Lösung die Güte des
gewonnenen Zuckers.
Die klare Lösung, welche übrigens nicht die geringste Spur von Blei enthielt, wurde
im Vacuum eingedampft; dabei schied sich nach einiger Zeit ein geringfügiger
flockiger Niederschlag aus. Nach nochmaliger Filtration unter Aussüssen des Filters
wurde dann bis zur Syrupconsistenz eingedampft.
Ich gewann 195 g dicken klaren Syrup von Madeirafarbe, welcher bereits nach 24
Stunden auszukrystallisiren begann. Er wurde in mehrere Gläser gefüllt, welche gut
verschlossen stehen blieben.
Hier wuchsen nun die Krystalle von Tag zu Tag, bis die grössten von ihnen nach einem
Monat den Durchmesser von etwa 10 mm besassen.
Wurden einige Tropfen der Lösung auf dem Uhrglase langsam verdunsten gelassen, so war
der Rückstand nach einiger Zeit durch und durch krystallisirt.
Es ist nun aber hervorzuheben, dass die Zuckerlösung nach meinen Beobachtungen sich
nur dann nach der Saturation frei von Spuren von Blei erweist, wenn die benutzte
Melasse alkalische Reaction besitzt und möglichst frei
von InvertzuckerOffenbar ist es hier
der Einfluss der Lävulose, welche auch nach einer Mittheilung von Stern und Hirsch
(Zeitschrift für angewandte Chemie, 1894
Heft 4) eine lösende Wirkung auf Bleicarbonat zeigt. ist.
Bei Anwesenheit grösserer Mengen des letzteren gelingt es kaum, durch blosse
Saturation mit Kohlensäure die letzten Spuren von Blei zu entfernen, dann ist es
erforderlich, in die vom Bleicarbonat abfiltrirte Lösung einige Blasen von
Schwefelwasserstoff eintreten zu lassen, durch welchen Körper das Metall sicher und
glatt abgeschieden wird.
Selbstverständlich kann man auch eine gewisse Menge Schwefelcalcium oder dergleichen Schwefelverbindungen zusetzen und dann
nochmals mit Kohlensäure saturiren, wodurch Kalk und Blei zugleich abgeschieden
werden, was manche Vorzüge für die Klärung haben dürfte.
Das Verhalten des Invertzuckers führte mich zu einer weiteren, für die Zuckerreinigung wichtigen Entdeckung. Wenn man nämlich
Nädelchen der Rohrzuckerbleiverbindung mit weiterer Rohrzuckerlösung übergiesst, so
beobachtet man keine Veränderung, lässt man aber zum Bleidisaccharat etwas Invertzuckerlösung fliessen, so lösen sich die
Krystallnadeln auf, und wenn nicht zu viel Zucker vorhanden ist, so scheidet sich
nach einiger Zeit ein äusserst feiner, amorpher Niederschlag von Glykosesaccharat
ab.
Hieraus ist zu schliessen, dass die Glykosen grössere Verwandtschaft zum Bleioxyd
besitzen als der Rohrzucker und dass es gelingen muss, durch Bleioxyd beide
Zuckerarten von einander zu trennen.
Dieser Schluss erwies sich mir in der That als richtig.
Ich mischte 25 g einer nur Invertzucker (40 Proc.) enthaltenden sauren Melasse nach
Abstumpfung der Säure mit 10 g Rohrzucker und 15 g Wasser. Die Mischung wurde mit 13
g Bleioxyd so lange gerührt, bis breiförmige Erstarrung eintrat, alsdann wurde auf
ein Volumen von reichlich 70 cc mit Wasser aufgefüllt und um geschüttelt. Nach 2
Tagen wurde der dicke, feinkörnige, aber nicht krystallinische Brei abgesaugt,
worauf in ihm hauptsächlich Invertzucker constatirt wurde.
10 cc des Filtrats (= rund 1/7 der Gesammtmischung) wurden mit überschüssigem
Bleioxyd (6 g) behandelt und abermals eine breiförmige Erstarrung erhalten, welche
aber diesmal krystallinisch war. Die nach mehreren
Tagen abfiltrirte Flüssigkeit schmeckte nicht mehr süss, sondern salzig. Nach gutem
Auswaschen wurde saturirt. Ich erhielt 1,1 g Rohrzucker, im Ganzen also etwa 7,7 g
statt 10 g wieder mit nur minimalen Mengen Invertzucker.
Der Rohrzucker begann in der Schale bereits nach 24 Stunden zu krystallisiren und war
nach wenigen Tagen durch und durch fest.
Dieses Resultat muss in Anbetracht der angewandten kleinen Mengen und des Umstandes,
dass nicht genau äquivalente Mengen Bleioxyd verwendet wurden, als vorläufig
befriedigendWeitere
Untersuchungen über diese Reactionen, welche interessante
Trennungsmöglichkeiten bieten, werden von mir ausgeführt, wie überhaupt auch
die ganze Frage der Zuckergewinnung durch Erzeugung von Bleisaccharaten noch
näher studirt werden soll. gelten.
Für das Molekül der Glykosen würden sich nach meinen Erfahrungen etwa 1½ Mol.
Bleioxyd als ausreichend zur Fällung erweisen, für das Molekül des Rohrzuckers etwas
mehr als 2 Mol. Berücksichtigt man aber, dass in der Melasse oft noch fremde
bleifällende Körper (Säuren in Form von Salzen, Farbstoffe u. dgl.) vorhanden sind,
so wird man je nach Beschaffenheit der zu verarbeitenden Materialien einen mehr oder
weniger grossen Ueberschuss an Bleioxyd wählen
müssen.
Jedenfalls zeigte obiger Versuch die Möglichkeit einer Trennung beider Zuckerarten
an, wie sie für praktische Zwecke genügen dürfte.
Ich komme nun zu dem Schlussteine in dem ganzen hier aufgeführten Gebäude. Das wesentliche Merkmal eines Kreisprocesses ist die
Regenerirbarkeit sämmtlicher Zwischenproducte und Endproducte. Es ist also
noch zu zeigen, dass auch der Saturationsschlamm wieder in das Verfahren
zurückkehrt, nachdem er in Bleioxyd zurückverwandelt wurde.
Diese Operation ist eine sehr einfache. Blosses Glühen
an der Luft bei schwacher Glühhitze bewirkt bereits die Umwandlung, und zwar mit
solcher Leichtigkeit, dass die getrocknete Masse, an einzelnen Stellen zur Glut
gebracht, von selbst weiterglimmt, wenn man nur genügend Luft
zutreten lässt.
Dafür, dass dieser Vorgang in der That stattfinden kann, ist eben die Anwesenheit der
nach der Saturation noch gebundenen organischen
Nichtzuckerstoffe (siehe oben) von Bedeutung. Sie genügen bei der geringen
negativen Wärmetönung des Bleicarbonats während seiner Umwandlung in Oxyd, um durch
das Verbrennen ihres Kohlenstoffes und eventuell auch Wasserstoffes die für die
Regenerirung erforderliche Wärme abzugeben.
Will man aber die Kohlensäure in concentrirter Form aus
dem Saturationsschlamme wiedergewinnen, so muss man die Erhitzung in geschlossenen Behältern, am zweckmässigsten in eisernen
Retorten vornehmen. Das solchergestalt erhaltene Gas bestand nach einer von mir
ausgeführten Untersuchung aus rund
92
Proc.
Kohlensäure,
4
„
Kohlenoxyd,
4
„
Stickstoff.
Es dürfte wohl gelingen, den Stickstoff, falls er nicht aus
stickstoffhaltigem Nichtzucker stammt, ziemlich ganz aus dem Gase, vielleicht durch
Anwendung von Dampf auszuscheiden. Das Kohlenoxyd dagegen könnte man eventuell durch
Passiren eines glühenden, mit Metalloxyden gefüllten Rohres auch noch in Kohlensäure
überführen, so dass man thatsächlich reine Kohlensäure
wiedergewänne.
Nach dem Erhitzen, welches keine hohe Temperatur
erfordert – das Bleicarbonat wird bereits um 250° C. herum zerlegt –, muss man den
Inhalt noch bei Zutritt der Luft weiter erhitzen, um etwa vorhandenen Kohlenstoff
oder reducirtes Blei in die betreffenden Oxyde zu verwandeln. Das Product ist dann
in gemahlenem Zustande wieder von Neuem verwendbar.
Es dürfte vielleicht der Einwand gemacht werden, dass im Verlaufe mehrfachen
Gebrauchs sich das Bleioxyd zu sehr an Schwefelsäure anreichern müsste, so dass
dessen Wirksamkeit eine begrenzte wäre. Hiergegen bemerke ich, dass nach meinen
Beobachtungen der grösste Theil der Schwefelsäure in den Salzlaugen mit entfernt
wird, welche starke Schwefelsäurereaction geben. Die Ursache der Selbstreinigung von Schwefelsäure liegt in der alkalischen Reaction der Salzlaugen, und in alkalischen
Flüssigkeiten wird das Bleisulfat leicht wieder umgesetzt, kann sich dann überhaupt
nicht recht bilden. Dagegen kann wohl mit der Zeit eine Anreicherung des
Fällungsmittels an Kalk stattfinden, wenn solcher in der Melasse enthalten ist. Doch
würde man in solchem Falle nach einer längeren Serie der Benützung das Blei einfach
durch Reductionsmittel ausschmelzen können.
Um noch einmal kurz die einzelnen Phasen des beschriebenen KreisprocessesDas geistige Urheberrecht des hier
mitgetheilten Abscheidungs- und Kreisverfahrens ist in allen Culturstaaten
durch Patentanmeldung geschützt. neben einander zu stellen, so
sind es folgende:
1) Lebhaftes Zusammenrühren bezieh. Suspendirung des Bleioxyds mit Wasser unter
Zufliessenlassen der unreinen Zuckerlösung, Melasselösung, eventuell auch
umgekehrtes Arbeiten.
2) Einleitung oder Unterstützung der Saccharatbildung durch gelindes Erwärmen. Ist die Saccharatbildung eine rasche, namentlich in
concentrirter Lösung, so kann man bereits eine spontane
Erwärmung beobachten.
3) Stehenlassen der breiförmig gewordenen Mischung bis zur völligen Krystallisation.
4) Trennung der flüssig gebliebenen Bestandtheile durch mechanische Mittel. Es
resultirt
a) eine concentrirte Salzlösung,
welche auf Potasche verarbeitet wird;
b) Saccharat, welches noch mehrmals mit Wasser gewaschen wird;
die verdünnten Waschwässer können an Stelle von Wasser zur Herstellung der
Melasselösung dienen.
5) Saturation des dick eingemaischten Saccharats durch
Kohlensäure.
6) Trennung der Zuckerlösung vom Schlamm.
7) Entbleiung der Zuckerlösung mit darauf folgender
Filtration, falls es erforderlich sein sollte (siehe oben).
8) Einkochen der Zuckerlösung.
9) Regenerirung des Bleioxyds und der Kohlensäure aus
dem gewaschenen Saturationsschlamm.
Zum Schluss meiner Ausführung möchte ich noch einem Einwand begegnen, welcher
ängstlichen Gemüthern wohl schon auf den ersten Seiten meiner Abhandlung gekommen
sein wird, nämlich die Frage erörtern, ob es nicht bedenklich sei, mit Hilfe eines
giftigen Stoffes ein zum menschlichen Genüsse bestimmtes Product fabrikmässig
abzuscheiden.
Hierauf ist zunächst zu erwidern, dass unsere Technik Gott sei Dank heutigen Tages so
weit entwickelt ist, dass die Verwendung giftiger Stoffe behufs Erzeugung ungiftiger
Consumartikel gar keine Gefahr mit sich bringt. Was vor 50 Jahren vielleicht noch
bedenklich erschien, ist es dank der inzwischen geschehenen Fortschritte heutigen
Tages nicht mehr. – Tausend Beispiele aus dem Gebiete der Industrie zeigen es.
Zudem ist gerade die Erkennung und die Abscheidung des Bleis aus Flüssigkeiten eine der leichtesten
chemischen Operationen. Ferner ist auch in der jahrelang stattgehabten
Anwendung des gleichfalls giftigen Baryts zur Scheidung des Rübensaftes bezieh. zur
Gewinnung von Zucker aus Melasse ein Jedermann beruhigender Präcedenzfall gegeben. Und doch ist der Baryt bei weitem schwieriger in
seinen letzten Spuren aus Säften zu entfernen als das Blei, für dessen Abscheidung
es ausser der Anwendung von Kohlensäure, Schwefelsäure, Schwefelwasserstoff und
Schwefelverbindungen schliesslich noch den elektrischen Strom gibt.
Und da fast alle Manipulationen des ganzen Verfahrens in feuchter Mischung und ferner in geschlossenen
Behältern vorgenommen werden, so kann auch das Arbeiten nicht als
gesundheitsschädlich angesehen werden; ein Herumstäuben bleihaltiger Substanz ist
eben ausgeschlossen. Freilich ist eine beständige Ueberwachung der Fabrikation und Controle des Fabrikats durch geeignetes
wissenschaftlich und technisch geschultes Aufsichtspersonal geboten. Dieses gibt es
aber in der Industrie, zumal derjenigen Deutschlands, zum Glück jetzt in
ausreichendem Maasse.
Wie wenig Bedenken man im praktischen Leben gegen die Berührung mit Blei hat, zeigt
übrigens auch die Anwendung von Bleiröhren zu
Wasserleitungen. In diesen fliesst das Wasser über eine die Röhren
auskleidende Schicht von Bleisalzen, unter denen auch das basische Bleicarbonat
enthalten ist, derjenige Körper, welcher in obigem Verfahren bei der Saturation im
Schlamm entsteht und durch sorgfältige Klärung und Filtration aus den
Säften entfernt wird.
Somit kann nach meiner Ueberzeugung gegen die Anwendung des vorgeführten
Entzuckerungsverfahrens ein stichhaltiger Einwand nicht erhoben werden.Nachdem vorstehende Arbeit bereits dem Druck
übergeben war, erhalte ich von dem deutschen Patentamt die Mittheilung, dass
Dr. Alfred Wohl in Charlottenburg bereits 1893
eine am 23. September 1895 ausgelegte Anmeldung eingereicht habe, in welcher
ebenfalls die Abscheidung von Zucker mittels Bleisaccharat behandelt wird.
Abgesehen davon, dass diese Anmeldung Wohl's
nicht soweit geht wie meine Ausführungen, so glaube ich doch aus dem
Umstände die wissenschaftliche und technische
Priorität des geschilderten Verfahrens für
mich in Beschlag nehmen zu dürfen, als ich das letztere in allen
seinen Details zum ersten Male in einer
Jedermann zugänglichen und auch im Auslande verbreiteten Zeitschrift publicirt und damit der Allgemeinheit zugeführt
habe. Bekanntlich gilt eine während der Einspruchsfrist im deutschen
Patentamt nur einer beschränkten Zahl von Interessenten auf Befragen zugängliche Patentanmeldung nicht als öffentliche
Druckschrift.