Titel: | Technische Geheimmittel. |
Autor: | Richard Kissling |
Fundstelle: | Band 298, Jahrgang 1895, S. 163 |
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Technische Geheimmittel.
Von Dr. Richard
Kissling.
Technische Geheimmittel.
Neben den medicinischen gibt es bekanntlich auch zahlreiche technische Geheimmittel
und Specialitäten, deren Erfinder und Compositeure nicht sowohl in dem Wahne
befangen sind, dass ihr Fabrikat zur Erreichung des technischen Zweckes, für welchen
es bestimmt ist, besonders geeignet sei, sondern die vielmehr solche Leute als
Abnehmer zu bekommen hoffen, von denen es heisst, dass sie nicht alle würden.
Da nun ein minderwerthiges Product, welches für den Zweck, dem es dienen soll,
ungeeignet ist, um so mehr wirthschaftlichen Schaden stiftet, je grösser sein
Verbrauch oder, richtiger, die Zahl der dasselbe verbrauchenden Personen ist, so
liegt es im Interesse des allgemeinen Wohls, solche Producte an den Pranger zu
stellen und das Publikum vor dem Verbrauch derselben zu warnen. Auf manchen
Gebieten, wie z.B. dem landwirthschaftlichen und demjenigen der
Nahrungsmittelprüfung, wird in dieser Hinsicht redlich gearbeitet; auch den
medicinisch-pharmaceutischen Geheimmitteln und Specialitäten versucht man
amtlicherseits energisch zu Leibe zu gehen. Dahingegen scheint auf dem rein
technischen Gebiete das Geheimmittelunwesen eher zu-, als abzunehmen; es wäre daher
sehr verdienstlich, wenn auch hier dem in dieser Weise Schaden stiftenden chemischen
Dilettantismus und Pseudochemismus thatkräftig der Krieg erklärt würde.
Leider sind aber, wie es den Schattenseiten der menschlichen Natur entspricht, die
Freunde des Geheimmittelunwesens viel eifriger an der Arbeit als seine Gegner, denn
diese lähmt meistens die vis inertiae, jene treibt die Hoffnung auf Gewinn zu immer
neuen Thaten an. Es gibt sonder Zweifel eine ganze Anzahl Chemiker, deren
eigentliche Lebensarbeit darin besteht, entweder geniale Fälschungsmethoden
aufzufinden oder allerlei eigenartige Präparate herzustellen, die das Gemeinsame
haben, dass die Stoffe, die zu ihrer Bereitung dienen, nicht nach ihrer Wirksamkeit,
sondern nach ihrer Billigkeit ausgewählt sind, und dass dementsprechend zwischen
Werth und Preis des betreffenden Geheim mittels ein ausserordentliches
Missverhältniss besteht.
Bedauerlicher Weise lassen sich auch manche Fachzeitungen – natürlich vorwiegend die
von Empirikern gelesenen – bereit finden, jenem unlauteren Gewerbe ihre
Unterstützung zu leihen und dem pseudochemischen Unwesen ein fadenscheiniges
wissenschaftliches Mäntelchen umzuhängen. Man kann daher nur lebhaft wünschen, dass
die ernsthafte Fachpresse sich zu energischer Bekämpfung dieses Krebsschadens am
freudig grünenden Baume der chemischen Technik aufraffen möge, dann wird der
segensreiche Erfolg nicht ausbleiben.
Um aber nicht nur Worte, sondern auch Thaten sehen zu lassen, seien hier einige rein
sachlich gehaltene Mittheilungen über solche technische Geheimmittel gegeben, bei
denen entweder die Vermuthung nahe liegt, oder die Gewissheit besteht, dass sie
bezüglich ihres Werthes nicht den berechtigten Anforderungen des Publikums Genüge
leisten.
Da ist zunächst die Firma M. v. Kalkstein, chemische
Fabrik in Heidelberg, mit ihren vier Präparaten Thergolith, Robigin, Polysulfin und
Ammonin.
Das Thergolith, welches nach Mittheilung von Wick's Gewerbezeitung aus fein
gepulvertem Terrololith (Terra miraculosa
Saxoniae) mit „essigsaurem Natron, welche unter
Zusatz von Crotonöl erhitzt und alsdann abgekühlt verseift werden,“
besteht, ist von Dr. Franz Woldau zur „Entfernung
von Blut, Frucht, Oel, Theer, Harz und Tintenflecken aus Wäsche u.s.w.“
erfunden worden. In dem Prospect wird u.a. gesagt, dass bei Anwendung von Thergolith
die
Schmutztheile „direct von der Stoffaser abgestossen werden“. Begutachtet wird
das Thergolith von Dr. Hanäus, der angibt, dass es
nicht mit Crotonöl (wie in Wick's Gewerbezeitung angeführt), sondern mit Cottonöl
bereitet wird, und von dem Cantonschemiker Dr. Schaffer, der sich dahin äussert, dass das Thergolith den gebräuchlichen
Fleckenreinigungsseifen sehr wohl an die Seite gestellt werden könne, da es bei den
praktischen Versuchen die Flecken „meistens“
völlig entfernt habe.
Das Robigin ist ein von dem vereidigten Chemiker Dr. A. Buecher in Heidelberg erfundenes Präparat zur
Entfernung von Rostflecken aus Geweben. Zur Begutachtung haben sich ein Notar, ein
Kaufmann und ein Consul vereinigt. Eine fachmännische Beurtheilung liegt nicht vor.
In dem einen der Gutachten wird ausdrücklich gesagt, dass man zwecks Entfernung der
Rostflecken „von dem gebräuchlichsten Mittel, dem Kleesalz, gänzlich abgesehen
habe, da dasselbe erfahrungsgemäss die Gewebefasern so stark angreife, dass
binnen kurzer Zeit das Gewebe völlig zerstört sei.“
Von dem Präparate Polysulfin ist kürzlich in der
Fachpresse wiederholt die Rede gewesen (Chemiker-Zeitung, 1894 Bd. 18 S. 2018 und 2066; Chemiker-Zeitung, 1895 Bd. 19 S. 83; Chemiker-Zeitung, Repertorium 1894 Bd. 18 S. 322). J. Brand gibt folgende Zusammensetzung desselben an: 24,3 Proc. Wasser,
72,46 Proc. Natriumcarbonat, 0,84 Proc. freien Schwefel, 1,29 Proc. Gesammtschwefel
und verschiedene Verunreinigungen, und bezeichnet es als unreine, etwas freien
Schwefel enthaltende Soda, die mit Hilfe einer wenig reellen Reclame um den
dreifachen Preis feilgeboten wird. H. Kreis fand
ebenfalls 26,9 Proc. Wasser, 70,5 Proc. Natriumcarbonat, 0,55 Proc. Natriumchlorid,
0,59 Proc. gebundenen und 0,85 Proc. freien Schwefel. Demgegenüber behaupten Dr. A. Dankelmann (Chemiker-Zeitung, 1894 Bd. 18 S. 332) und Dr. Ferd. v. Freilitsch (Wick's Gewerbezeitung, Bd. 59 Nr. 11 S. 88) unter Anführung
von allerhand chemischen Notizen, die augenscheinlich den Eindruck der
Wissenschaftlichkeit machen sollen, aber denjenigen der Unwissenschaftlichkeit
hinterlassen, das Polysulfin sei ein mit Natriumcarbonat „verbundenes“
Gemisch von Polysulfiden der Alkalien, während laut späterer Angabe der Firma M. v. Kalkstein (Chemiker-Zeitung, 1894 Bd. 18 S. 2066) die Oxydationsproducte der
Polysulfide des Calciums im Polysulfin vorhanden sind. Es wird auch ergötzlicher
Weise gesagt, die ausgezeichneten Eigenschaften des keines
wissenschaftlichen Deckmantels bedürfenden Polysulfins hätten Veranlassung
zu seiner Darstellung gegeben, ganz abgesehen von den Bedenken, die „sich vom
theoretischen Standpunkte möglicher Weise ergeben“ könnten. Trotzdem wird
von den begutachtenden Chemikern eine Theorie über die Wirkung des Polysulfins
aufgestellt; es wird nämlich gesagt, „dasselbe verseife die der Stoffaser
anhaftenden Fettstoffe nicht direct auf der Faser und erzeuge so eine auf
derselben haftende, schwer zu entfernende Schmiere, sondern es löse die Fette
von der Faser und suspendire dieselben emulsionsartig.“ Dr. v. Freilitsch drückt sich noch eigenartiger aus, er
sagt: Das Polysulfin hat „die Eigenschaft, die Alkalität des Kaliums und Natriums
herunter zu ziehen und dadurch eine directe
Verseifung der an der Stoffaser anhaftenden Fette und Schmutztheile so zu
verhindern, dass sich die sonst halb verseifte Schmiere nicht mehr an der
Stoffaser festsetzen kann und unlösliche Seifen bildet.“ Von irgend
welchen bestimmten analytischen Daten findet man in den Auslassungen der Firma M. v. Kalkstein und ihrer Gewährsmänner natürlich keine
Spur. Das einzige Thatsächliche findet sich in einer Beurkundung eines Heidelberger
Notars, Namens Lugo, der bescheinigt, dass ein Paar
Manschetten, ein Hemdenkragen, ein Paar Unterhosen, eine Küchenschürze, ein Paar
wollene Socken und etwas rohe Schafwolle mit einer verdünnten Polysulfinlösung rein
gewaschen sind, ohne dass das Gewebe dadurch angegriffen
wäre.
Am bekanntesten ist wohl das vierte Präparat, das Ammonin, geworden. In der
unverdächtigen Litteratur finden sich darüber folgende Angaben:
Namen der Analytiker
Natrium-carbonat
Kalk-carbonatund
Thon-erdesilicat
Kalk-phosphat
Wasser
Calcium-undEisen-sulfid
Proc.
Proc.
Proc.
Proc.
Frühling (Zeitschrift für
angew. Chemie, 1889 S. 151)
20,4
64,4
1,4
13,8
geringe Mengen
Ziegelbauer (D. p. J. 1891 279 95)
21,0
65,0
–
–
–
Frühling bezeichnet das von ihm untersuchte Ammonin als
eine Mischung von 1 Th. calcinirter Soda und 4 Tb. Scheuersand. Klinger und Bujard (Zeitschrift für angewandte Chemie, 1890 S. 716) fanden
nur 9,7 Proc. Soda und 2,7 Proc. Aetznatron neben grossen Mengen Sand, Von diesem
sandreichen Ammonin kostete 1 k 60 Pf., während der Werth kaum 6 Pf. beträgt. Der
Preis des von Frühling untersuchten Ammonins stellte
sich dagegen auf etwa 5 M.Jetzt wird das
Ammonin mit 14 bis 16 M. für 100 k ausgeboten. bei einem Werthe
von 25 bis 30 Pf. Die Fabrikantin M. v. Kalkstein
(Inhaber dieser Firma sind die in Papierfabrikantenkreisen sattsam bekannten Gebrüder v. Schenk; M. v. Kalkstein ist der Name ihrer
Grossmutter) behaupten dagegen, Ammonin bestehe „aus kohlensaurem und
kieselsaurem Natron, welchen eine bestimmte Menge
Kohlenstoff in Form von Schwefelammon beigegeben ist,“ und fügen
stolz hinzu: „Neben dem Chemiker Dr. Brandenburg
arbeitet (bei uns) eine bewährte Kraft, ein alter erfahrener Papiertechniker,
ehemaliger Papierfabrikant, Ad. Voelter. Beide Herren
lassen nicht die geringste Ungenauigkeit aufkommen!“ Kann man sich
eine grössere Ironie denken?
Allen Unverfrorenheiten setzt aber entschieden eine von dem vielgeschäftigen
Seifen-„Sachverständigen“
Alwin Engelhardt verfasste Broschüre: „Die Anwendung des Ammonins“ die Krone auf.
Zunächst wird das hilflose Publikum der nicht chemisch gebildeten Seifenfabrikanten
darüber belehrt, worauf es beim Ammonin ankomme, nämlich darauf, dass eine
Ammoninlösung durch Nitroprussidnatrium roth und durch salpetersaures Silber schwarz
gefärbt wird und beim Ansäuern nach Schwefelwasserstoff riecht. Das sind die
Identitäts- und Qualitätsreactionen! Ueber die Wirkungsweise des Ammonins bei der
Seifenbildung hat nun der genannte „Forscher“ eine Theorie aufgestellt, die
einen Begriff davon gibt, wessen sich die Fabrikanten zu versehen haben, die eines
solchen Mannes Rath einholen. Es heisst da u.a.: „Wenn man gelöste Oele, Fette
oder Harze unter dem Mikroskop genau untersucht, so bilden die einzelnen
Bestandtheile kleine geschlossene Kügelchen, welche mit vielen Tausenden feiner
Röhrchen in Gestalt von Fäden durchzogen sind. Diese Fäden sind die Molekular-
bezieh. Capillaritätsgefässe des Oeles. Der natürliche und grösste Feind dieser
Kügelchen und der darin enthaltenen Röhrchen ist die kaustische Lauge. Bringt
man diese in Atomtheilen zu den Kügelchen, so ziehen sich diese zuerst fest
zusammen – sie wehren sich gegen ihren Feind –; dieser ist aber stärker, er
zerfrisst die Kügelchen, und diese chemische Umsetzung nennt man Saponificiren
oder Verseifen. Durch die gewaltsame Thätigkeit der kaustischen Lauge werden
aber die Molekular- bezieh. die Capillaritätsgefässe der Oele, Fette und Harze
vernichtet. Weil aber von keinem atomistischen Physiker
die Molekularkräfte unterschätzt werden können (sie bewirken einzig im
Inneren der Körper Cohäsion, Adhäsion und Krystallisation, sowie Anziehung und
Abstossung der Moleküle), darum wird von jedem Fachmann das grösste Augenmerk
auf die Erhaltung derselben zu richten sein. Kein natürlicher Vorgang darf mit
Gewalt erzwungen werden, oder es ist zum Schaden des Einen wie des Anderen – so
auch hier. Es kann den Seifenfabrikanten daher durchaus nicht gleichgültig sein,
ob die Capillaritätsgefässe in seinem ihm so theueren, werthvollen Material
enthalten bleiben, oder ob dies nicht der Fall ist. Die Erhaltung derselben ist
eine grosse Hauptsache, denn durch die Capillaritätsgefässe bildet sich das
Krystallwasser auch in der Seife. Uebrigens ist das Wasseraufnahmebestreben
durch diese vielen Tausende von kleinen Röhrchen eine natürliche, leicht
begreifliche, für die Seifenfabrikanten vortheilhafte Sache, die zu einem
gesunden Aufbau seines Fabrikats gehört und dasselbe schön aussehend, voluminös
erscheinen lässt und fest erhält. Wenn hingegen die Molekulargefässe vernichtet
sind, so wird zwar auch Wasser aufgenommen, dieses aber ist ein freies und kein
Krystallwasser.... Wenn man zu diesen erstgenannten Kügelchen statt der
kaustischen, Atomtheile einer Ammoninlauge bringt, so geht, geradezu gesagt, das
Entgegengesetzte mit dem Oel, Fett, Fettsäuren oder Harz vor sich. Die Kügelchen
schliessen sich auf, d.h. sie gehen willig aus einander und bilden Flächen,
worin die Capillaritätsgefässe viel stärker erscheinen. Nimmt man nun Atomtheile
kaustischer Lauge hinzu, so geht die Saponification viel schneller, leichter und
inniger vor sich, die Capillaritätsgefässe werden chemisch umgesetzt, aber nicht
zerfressen. Die in der Ammoninlauge enthaltenen Schwefelverbindungen hindern die
kaustische Lauge, ihr Zerstörungswerk durchzuführen.“ In dieser Weise geht
es noch weiter fort.
Sollte man es für möglich halten, dass jemand es wagt, solches Zeug zu schreiben und
zu veröffentlichen? Um das Maass voll zu machen, lässt Alwin
Engelhardt fünf Abbildungen folgen, welche den Seifenfabrikanten die
mikroskopischen Ermittelungen einer „513“ maligen Vergrösserung eines
Moleküls Leinöl zeigen, und zwar wird gezeigt 1) ein Molekül Leinöl
„naturell“ mit den als unregelmässige Striche erscheinenden
Capillaritätsgefässen; 2) ein einzelnes Capillaritätsgefäss; 3) ein Molekül Oel,
„dem Atomtheile kaustischer Lauge zugeführt sind, dasselbe hat sich um 8
Proc. seines ursprünglichen Umfanges zusammengezogen und die Capillaritätsfäden
sind vollständig bei der Verseifung zerstört;“ 4) ein Molekül Oel mit
Atomtheilen Ammoninlauge, das sein Volumen um 4 Proc. vergrössert hat; 5) das
nämliche Oelmolekül unter Zusatz von kaustischer Lauge mit um 10 Proc. vergrössertem
Volumen. „Damit jeder Techniker sich von der Richtigkeit dieser Annahme
überzeugen kann“, gibt Alwin Engelhardt
„die mikroskopische Berechnungsform der 513maligen Vergrösserung“. –
Weiterhin wird noch eine mit A. Kläger unterzeichnete
Analyse, die Engelhardt aus dem Heidelberger Universitätslaboratorium erhalten haben will, mitgetheilt,
nach welcher eine Londoner weisse Kernseife einen Fettsäuregehalt von 66 Proc., eine Alwin
Engelhardt'sche weisse Kernseife mit 10 Proc. Ammoninzusatz einen
Fettsäuregehalt von 63 Proc. besass. Weiter steht nichts da!
Wie ist es nur möglich, möchte man fragen, dass ein MannUeber die Anschauungen dieses Publicisten gibt
besonders folgende Stelle der Broschüre überraschenden Aufschluss: „Wir
stehen nicht in fremdem Sold und haben keinen Grund, weder gegen eine
Neuerung anzukämpfen, noch eine solche todtzuschweigen, sondern wir
halten es vielmehr für unsere Pflicht, alle Neuerungen zu prüfen und zu
untersuchen, ob selbige auch für die Seifenfabrikation von Nutzen
ist....“ Die Frage: „Was ist Ammonin? Woraus besteht es?.... zu
beantworten, sind wir weder berechtigt noch verpflichtet“ (sic!), der ein solches
Geschreibsel in die Welt zu senden wagt, bei einem Theile der Seifenfabrikanten,
natürlich bei dem in wissenschaftlichen Dingen völlig urtheilslosen Theile, auch nur
für einige Zeit als technischer Beirath fungiren kann? Und welches Unheil mag durch
solch unverantwortliches Gebahren schon angerichtet sein?
Wie man sieht, reden die sämmtlichen vorgeführten Thatsachen eine Sprache, welche die
von der Firma M. v. Kalkstein in den Handel gebrachten
Präparate in einem ausserordentlich ungünstigen Lichte erscheinen lässt. Jedenfalls
dürfen sich die Chemiker, welche die Erzeugnisse der genannten Firma begutachten
oder ihre Erfindungen derselben zur Ausbeutung übergeben, nicht beklagen, wenn ihnen
ein gewisses Misstrauen entgegengebracht wird.
Noch auf ein anderes Gebiet, welches für die Entwickelung des Geheimmittelunwesens
einen geeigneten Boden zu bieten scheint, sei ein kurzer Streifzug unternommen. Es
ist das Gebiet der Erdölbeleuchtung. Nur einfach erwähnt seien zwei Präparate, von
denen das eine („Petroliumreinigungspulver von Heinr. Josef“) vorwiegend aus entwässertem
unreinen Glaubersalz besteht, während das andere („Mehr
Licht“) hauptsächlich Soda enthält.
Weit raffinirter zusammengesetzt ist das neuerdings mit enormer Reclame eingeführte
„Petrolith“ der Firma Schewe und Co. in Köln. Dieses Geheimmittel, welches
übrigens – unter Anwendung eines bekannten Kniffes der Geheimmittelfabrikanten – zur
Irreführung der untersuchenden Chemiker bald so, bald anders hergestellt wird,
enthält Soda, Kochsalz, Glaubersalz, Alaun, Nitronaphtalin, Kampher u.s.w., und zwar
sind 30 bis 35 Proc. organische und 65 bis 70 Proc. mineralische Bestandtheile
vorhanden. Der reelle Verkaufswerth beträgt höchstens 10 Pf., der Preis 80 Pf. Nach
der Reclameschrift sollen dem Petrolith folgende Eigenschaften zukommen: 1) soll es
die Leuchtkraft erhöhen, 2) ein ruhiges, weisses, reines Licht geben, 3) eine
bedeutende Ersparniss an Erdöl ermöglichen, 4) das Schwitzen der Lampen aufheben, 5)
das Russen derselben verhindern, 6) den „üblen“ Geruch des Erdöls verdecken,
7) die Explosionsgefahr beseitigen und 8) die
Wärmeproduction fast ganz unterdrücken. Das genügt allerdings!
Exacte Versuche haben nun Folgendes ergeben: Das mit Petrolith versetzte Erdöl
hatte (selbstverständlich) genau den gleichen Entflammungspunkt, ist also genau so
explosionsgefährlich wie ein ohne Petrolithzusatz gelassenes Erdöl der nämlichen
Herkunft. Unter besonders günstigen Bedingungen wurden von dem ersteren Erdöl (mit
Petrolith) 443 g, von dem letzteren (ohne Petrolith) 453 g in der Stunde verbraucht,
um die Lichtstärke von 100 Normalkerzen zu erzeugen. Das sind so geringe
Unterschiede, dass sie praktisch nicht in Betracht kommen. Der Kamphergehalt des
Petroliths mag eine kleine Erhöhung der Leuchtkraft herbeiführen, aber aus diesem
Grunde letzteres zu verwenden, würde eine unsinnige Verschwendung bedeuten.
Die auf dem Prospecte sich findende Bemerkung, dass „die Salze des Petroliths vom
Erdöl resorbirt, und durch die Capillaren des Dochtes zum Glühen gebracht“
würden – das urtheilslose Publikum soll bei diesem Passus an das Auer'sche Gasglühlicht denken – ist natürlich nichts
als sinnloses Gerede, denn erstens sind die Salze völlig unlöslich im Erdöl, können
also auch nicht in den Docht dringen, und zweitens würden sie, wenn sie in den Docht
gelangten, an der Dochtmündung ausgeschieden werden und die Lampe zum Verlöschen
bringen. Jeder Sachverständige weiss ja, wie wichtig es für die Brennfähigkeit des
Erdöls ist, dass sein Gehalt an Mineralbestandtheilen ein verschwindend geringer
sei.
Interessant ist es nun, dass sich drei Chemiker (Dr. Scholz,
„pr. Chemiker“ – soll wohl heissen: praktischer Chemiker – in Köln, Dr. Kaysser, vereidigter Gerichts- und Sanitätschemiker in
Dortmund, und Max Bendig, Chemiker der Centralorgane
der Innungen deutscher Bäcker, Conditoren, Gerber, Schuhmacher und Tischler u.s.w.
in Köln) haben bereit finden lassen, das Petrolith günstig zu begutachten. Dr. Scholz, der am Schlusse seines wunderlichen Gutachtens
versichert, dass er die „Untersuchungen nach bestem
Wissen unter Zugrundelegung der neuesten und besten Methoden
ausgeführt“ habe, und „deren Richtigkeit
bescheinigt“, kommt zu dem Ergebniss, dass „der
Entflammungspunkt des mit einer gewissen Menge Petrolith versetzten Erdöls
verschiedenen Ursprungs durchaus innerhalb der Grenzen der vom deutschen
Reichsgesundheitsamt festgesetzten Zahlen liege“, unterlässt aber
hinzuzufügen, dass dies vor dem Petrolithzusatz auch schon der Fall gewesen sei.
Sieht das nicht einer absichtlichen Irreführung verzweifelt ähnlich?Neuerdings hat Dr. Scholz ein Gutachten abgegeben, laut welchem ein Zusatz von 5
Proc. Petrolith den Entflammungspunkt des Kaiseröls von 54 auf 60°,
denjenigen des gewöhnlichen Erdöls von 27 auf 32° erhöhen soll. C. Engler hat Veranlassung genommen, die Scholz'schen Versuche zu wiederholen, und
gefunden, dass beim Schütteln von 5 Proc. Petrolith mit Erdöl in einer
verschlossenen Flasche beim Kaiseröl eine Erhöhung des Entflammungspunktes
um 0,5°, beim gewöhnlichen Erdöl um 1° stattfand. Das Nämliche trat aber
auch ein, wenn das Erdöl ohne Petrolithzusatz ebenso lange geschüttelt
wurde. Verfährt man genau nach Vorschrift, schüttet man also das Petrolith
einfach in den Lampenbehälter, so ist natürlich nicht die geringste
Aenderung des Entflammungspunktes nachzuweisen. Im günstigsten Falle hat
sich demnach Dr. Scholz eines ungewöhnlichen
Mangels an Umsicht bei seiner Versuchsanstellung schuldig
gemacht. Dr. Kaysser hat
herausgerechnet, dass das Petrolith die Leuchtkraft um das l,09fache erhöhe und eine
Ersparniss an Erdöl von 25 Proc. bewirke. Soll man diese Zahlen wirklich ernst
nehmen, so kann die Sache nur so erklärt werden, dass bei der
Leuchtkraftbestimmung nicht der Oelverbrauch und bei der Bestimmung des
Oelverbrauches nicht die Leuchtkraft bestimmt wurde. In analoger Weise scheint auch
Max Bendig bei seinen Versuchen verfahren zu
sein.
Dagegen hüten sich die beiden letztgenannten Chemiker, über den wichtigsten Punkt,
die Erhöhung des Entflammungspunktes durch Petrolithzusatz, irgend ein Wort zu
sagen. Aus dem einfachen Grunde natürlich, weil sie sonst bescheinigen müssten, dass
in dieser Beziehung das Petrolith nicht die geringste Wirkung äussert, dass also die
Behauptung der Firma Schewe und Co., Petrolith
beseitige die Explosionsgefahr, auf Unwahrheit beruhe! Und wie denken sich denn die
drei Chemiker eigentlich die durch Erhöhung der Leuchtkraft und Erniedrigung des
Erdölverbrauchs herbeizuführende enorme Ersparniss? Nach der Vorschrift soll man
alle 4 Wochen 6,5 g (= ¼ Schachtelinhalt) Petrolith in den Lampenbehälter geben. In
dieser Zeit verbraucht eine 12'''-Brenner-Lampe bei einer 5stündigen täglichen
Brennzeit etwa 5 . 40 . 28 = 5600 g = etwa 7 l Erdöl. Da nun vom Petrolith nur etwa
20 Proc. im Erdöl löslich sind, so würde 1 l Erdöl höchstens 0,2 g Petrolith
enthalten. Dass eine solch winzige Menge auch nicht annähernd die angegebene Wirkung
äussern kann, muss doch wohl jedem einleuchten.
Auf eines sei schliesslich noch hingewiesen: Es ist durchaus nicht gleichgültig, ob
diejenigen, welche das Petrolith gekauft haben und benutzen, in den Glauben versetzt
werden, das mit dem Geheimmittel versetzte Erdöl neige viel weniger dazu, mit der
Luft ein explodirbares Gasgemenge zu bilden, als das gewöhnliche Erdöl des Handels.
Hierin liegt doch entschieden eine gewisse Gefahr für die Allgemeinheit, denn das
Publikum wird das mit Petrolith versetzte Erdöl nunmehr für eine völlig
ungefährliche Waare halten und dementsprechend mit demselben verfahren. Folgerichtig
werden sich also die zuständigen Behörden die Frage vorlegen müssen, ob der Vertrieb
des Petroliths aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zu verbieten sei.
Wie aus dem im Eingang dieser Ausführungen Gesagten hervorgeht, ist der Hauptzweck
derselben, darauf hinzuwirken, dass dem immer aufdringlicher hervortretenden Unwesen
der technischen Geheimmittel thatkräftig entgegengearbeitet werde. Und das kann nur
geschehen, wenn die Mehrzahl der anständigen technischen Chemiker sich an diesem
Kampfe, in dem das Banner der Aufklärung vorangetragen wird, mit That und Wort
betheiligt, ein jeder auf dem ihm nächstliegenden Gebiete. Und in diesem Kampfe ist
unentwegte Ausdauer nöthig, denn diejenigen, deren Treiben bekämpft werden soll,
wissen aus Erfahrung, dass ihre Gegner meistens sehr bald des Haders müde sind.
Deshalb lassen sie dieselben ruhig eifern und predigen; sie stellen sich taub und
schreien dagegen an, da ja das liebe Publikum auf ihre Stimme viel aufmerksamer
achtet, als auf diejenige der einzelnen, Wahrheit verkündenden Wüstenprediger. Wird
der Kampf dagegen von allen Seiten mit Ausdauer und Energie geführt, so gelingt es
allmählich, der Wahrheit zum Siege zu verhelfen und die Dunkelmänner in ihr Nichts
zurückzuscheuchen.
Uebrigens ist es auch für das Ansehen des Chemikerstandes durchaus nicht
gleichgültig, ob sich in seinen Reihen zahlreiche Persönlichkeiten befinden, deren
Gebahren zum
mindesten an den Pranger der Wissenschaft gestellt werden muss, und deren
Veröffentlichungen auch nicht die allerschonendste Kritik vertragen.
Vor allen Dingen aber muss die Presse, und zwar nicht allein die
wissenschaftlicheEs wäre zu wünschen,
dass sich auch die vielverbreitete und daher hierzu besonders berufene „Chemiker-Zeitung“ an dem auf diesem
Sondergebiete geführten Aufklärungskampfe in Zukunft thatkräftig
betheilige. und die Tagespresse, sondern auch die niedere
Fachpresse ihren Stolz darin erblicken, für Verbreitung von Wahrheit und Aufklärung
thätig zu sein. Und wenn ihr nur von allen Seiten das nöthige Material zufliesst, so
wird sie sich im Allgemeinen auch nicht spröde verhalten. Jedenfalls muss und wird
es gelingen, eine von der segensreichsten Wirkung begleitete Scheidung des
anständigen von dem nicht anständigen Theile der zahlreichen, dem Boden der Empirie
entsprossenen Fachzeitschriften herbeizuführen. Jetzt, da der Erlass eines Gesetzes
gegen den unlauteren Wettbewerb in greifbare Nähe gerückt ist, scheint der Zeitpunkt
für ein entschiedenes Vorgehen gegen die Fabrikanten technischer Geheimmittel und
ihre Helfershelfer besonders günstig gewählt zu sein.