Titel: | Neuerungen an Locomotiven. |
Fundstelle: | Band 299, Jahrgang 1896, S. 98 |
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Neuerungen an Locomotiven.
(Fortsetzung des Berichtes S. 76 d.
Bd.)
Mit Abbildungen.
Neuerungen an Locomotiven.
Die von Neilson in Glasgow für die Mexican Central
Railway erbauten grossen Fairlie-Locomotiven mit je sechs Achsen und einem
Dienstgewicht von 93 t gaben nach den Comptes rendus,
Januar 1893 S. 453, vorzügliche Betriebsresultate, doch machten sich wegen der
vielen verwickelten Rohrleitungen Undichtigkeiten sehr häufig bemerkbar, wie auch
bedeutende Steigungen, namentlich diejenige vom Seehafen Tampico nach Mexico, und
eine verhältnissmässig grosse Anzahl Curven von kleinerem Halbmesser erhebliche
Abnutzungen und Reparaturen an Einzeltheilen der Locomotiven im Gefolge hatten. Um
diesen Uebelständen zu begegnen, construirte der Maschinendirector Johnstone der genannten Eisenbahn eine eigenartige
achtachsige Doppeldrehgestellocomotive, welche, da ihr Dienstgewicht von keiner
anderen Locomotive übertroffen wird, als die schwerste Locomotive auf der ganzen
Erde anzusehen ist. Drei derartige Tenderlocomotiven nach „double
ender“-Bauart wurden in den Werkstätten zu Rhode Island (Providence) erbaut. Sie
arbeiten nach dem Verbundsystem mit Hochdruckcylindern, welche, nach Johnstone, concentrisch in die zugehörigen
Niederdruckcylinder hineingelegt sind (1893 287 30).
Die Dampfvertheilung für je zwei zusammengehörige Cylinder bezieh. jeden
Doppelcylinder regelt ein einziger entlasteter Schieber (Amerikanisches Patent Nr.
464175 vom 1. December 1891) von sehr grossen Abmessungen, dessen Beschreibung hier
zu weit führen würde (vgl. Zeitschrift des Vereins deutscher
Ingenieure, Bd. 38 Nr. 17 vom 28. April 1894 S. 522).
Die Locomotiven besitzen zwei von einander getrennte Kessel (keinen Doppelkessel, wie
die Fairlie-Maschinen), die an den Feuerbüchsrückwänden (mit 76 mm Abstand) fest
verbunden sind und auf zwei, aus ⊏-Eisen gebildeten
Längsträgern von je etwa 17 m Länge ruhen, die, durch Querverbindungen gegen
einander versteift, sich mittels Kugelzapfen auf zwei Drehgestelle stützen. Jedes
Drehgestell läuft auf einer Bisselachse und drei gekuppelten Achsen, von denen die
mittlere Treibachse behufs grösserer Curvenbeweglichkeit Räder ohne Spurkränze
zeigt.
Da die Arbeitscylinder bei dieser Locomotive gegenüber dem System Fairlie und analogen Ausführungen nicht mit den
Drehgestellen, sondern mit den Längsrahmen bezieh. dem Kessel verbunden sind, kommen
bewegliche Dampfrohrleitungen in Wegfall, dagegen machte sich behufs Uebertragung
der Kolbenbewegungen auf die Räder der Drehgestelle die Anordnung beweglicher
Gestänge nothwendig (1893 287 30).
Die Schieber werden mittels einer Steuerung, System Heusinger v. Waldegg, bewegt, bei welcher die veränderliche Expansion von
dem um 90 ° voreilenden Kreuzkopf der anderen Maschinenseite abgeleitet ist.
Die Hauptabmessungen der Locomotive sind folgende:
Kleinster Durchmesser jedes Langkessels
1380
mm
Anzahl der Siederohre
402
Aeusserer Durchmesser der Siederohre
50
mm
Länge der Siederohre
4750
mm
Höhe der Kesselmitte über Schienenoberkante
2210
mm
Rostfläche beider Kessel
4,0
qm
Heizfläche der Feuerbüchsen
23,44
qm
Heizfläche der Rohre
299,00
qm
Heizfläche total
322,44
qm
Dampfspannung
13
at
Durchmesser der Hochdruckkolben
330
mm
Durchmesser (äusserer) der Niederdruckkolben
712
mm
Durchmesser (innerer) der Niederdruckkolben
429
mm
Raumverhältniss der Cylinder
1 : 3
Kolbenhub
610
mm
Von Mitte zu Mitte Cylinder
2110
mm
Treibraddurchmesser
1220
mm
Laufraddurchmesser
710
mm
Fester Radstand jedes Drehgestells
2540
mm
Gesammter Radstand
14,000
m
Inhalt der Wasserbehälter
11500
k
Inhalt der Kohlenbehälter
4500
k
Leergewicht
90000
k
Dienstgewicht
113250
k
Adhäsionsgewicht
95000
k
Die Locomotiven sind unter anderem mit der Anfahrvorrichtung System Batchellor (1893 287 49),
mit zwei Injectoren von Sellers und zwei desgleichen
von Friedmann, mit einer Luftdruckbremse und
Dampfsandstreubläsern ausgerüstet.
Wir berichteten 1894 293 28 über neuere
Güterzuglocomotiven der preussischen Staatsbahnen, welche gegenüber der bisherigen
Normalgüterzuglocomotive mit drei vor der Feuerbüchse liegenden Achsen ebenfalls mit
je drei gekuppelten Achsen, ausserdem aber noch mit einer vorderen beweglichen
Laufachse versehen sind. Die Heizfläche dieser Locomotiven beträgt je 138 qm gegen
125 qm bei der Normallocomotive.
Inzwischen ist die preussische Staatsbahnverwaltung, veranlasst durch den grossen
Güterverkehr und starke Steigungen auf mehreren Hauptstrecken, wieder einen Schritt
weiter gegangen und hat fünfachsige, vierfach gekuppelte Verbundgüterzuglocomotiven
in Dienst gestellt, deren Abbildung und ausführliche Beschreibung dem Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens, 1895 1.
Heft S. 3, zu entnehmen ist.
Die ersten derartigen Locomotiven mit je vier gekuppelten Achsen und vorderer
Laufachse wurden nach der genannten Quelle im Herbst 1893 auf der Strecke
Soest-Northeim in Dienst gestellt. Diese Strecke hat von Soest bis Paderborn auf 70
km wechselnde Steigungen und Gefälle bis 4 ‰, dann folgt bis Altenbeken eine 17 km
lange Steigung von 10 ‰, darauf für 31 km Gefälle und ebene Strecke, hiernach eine
zweite 15,2 km lange Steigung von 10 ‰ und schliesslich 22 km Gefälle und ebene Strecke.
Von Soest bis Paderborn befördern die dreiachsigen, dreifach gekuppelten
Normalgüterzuglocomotiven von 39 t Dienstgewicht bei 35 km Grundgeschwindigkeit 105
bis 110, die Verbundlocomotiven gleicher Gattung bis 115 Achsen. Von Paderborn bis
Altenbeken wird eine zweite Locomotive gleicher Art vorgespannt, um die 100 bis 110
Achsen starken Züge die Steigung von 10 ‰ hinauf zu befördern. Da die Wagen bei den
meisten Zügen voll (mit Kohlen) beladen sind, ist für jede Achse 8 bis 9 t
Zuggewicht zu rechnen. Jede der beiden Locomotiven hat auf der Steigung also
durchschnittlich 6000 k Zugkraft am Radumfange zu leisten.
Da die Züge in Soest grösstentheils in der Stärke von 120 bis 150 Achsen ankommen,
mussten sie dort bisher meistens neu zusammengestellt werden, wodurch erhebliche
Verschiebearbeit entstand. Es war daher hier ganz besonders erwünscht, Locomotiven
zu haben, welche die Züge in voller Stärke weiter befördern können. Dieser Forderung
entspricht die neue Locomotive völlig, da sie von Soest bis Paderborn Züge bis zu
150 voll beladenen Achsen, von dort bis Altenbeken unter Beihilfe einer dreiachsigen
dreifach gekuppelten Locomotive 130 Achsen ohne Schwierigkeit befördert.
Die Laufachse hat nach amerikanischem Muster nur 6,1 t Belastung, d.h. 1/9,4 des
Gesammtgewichtes, und auf jeder Seite 75 mm Spielraum. Um auch die vordere,
unverschiebbar gelagerte Kuppelachse vom Seiten drucke zu entlasten, ist die zweite
Kuppelachse in den Achs- und Kuppelstangenlagern um 8 mm nach jeder Seite
verschiebbar gemacht, so dass sie sich in Krümmungen von mehr als 500 m Halbmesser
selber führt. Die Dampfcylinder mussten in 1/20-Steigung gelegt werden, um die Umgrenzungslinie
einzuhalten.
Die Hauptabmessungen der Locomotive sind folgende:
Cylinderdurchmesser
530750
mmmm
Kolbenhub
630
mm
Treibraddurchmesser
1250
mm
Dampfüberdruck
12
at
Heizfläche (innere)
144
qm
Rostfläche
2,28
qm
Dienstgewicht
57,8
t
Die grösste Zugkraft am Radumfange, welche die Locomotive mit Verbund Wirkung leisten
kann, beträgt hiernach \frac{75^2\,.\,630\,.\,6}{2\,.\,1250}=8500\mbox{
k} oder = ⅙ der Treibachsbelastung von 51,2 t.
Um auch auf Steigungen die voll belasteten Züge sicher und gleichmässig anziehen und
im Nothfalle eine grössere Zugkraft ausüben zu können, ist die Locomotive, behufs
Zuführung von Frischdampf in beide Cylinder, mit einem Wechselventil (System v. Borries) versehen. (Organ
für die Fortschritte des Eisenbahnwesens, 1893 1. Heft S. 24.)
Die Highland Railway Company in England hat nach den Engineer, Decbr. 1894 S. 534, entnommenen Mittheilungen
bei Sharp, Stewart and Co. in Glasgow 15 Stück
fünfachsige, dreifach gekuppelte Güterzuglocomotiven mit vorderem, zweiachsigem
Drehgestell bauen lassen. Die nach Plänen des Maschinendirectors Jones der genannten Eisenbahn ausgeführten Locomotiven
haben Aussencylinder, Treibräder ohne Flanschen und einen aus Flusseisen gefertigten
Kessel von 1419 mm Durchmesser mit 211 Stück kupfernen gezogenen Siederohren
von je 51 mm äusserem Durchmesser, welche in der Feuerbüchsenrohrwand mit stählernen
Brandringen versehen sind.
Weitere Hauptabmessungen der Locomotiven sind folgende:
Cylinderdurchmesser
508
mm
Kolbenhub
660
mm
Durchmesser der Treibräder
1612
mm
Durchmesser der Laufräder
978
mm
Gesammter Radstand
7620
mm
Heizfläche in der Feuerkiste
10,54
qm
Heizfläche in den Siederohren
144,83
qm
Gesammte Heizfläche
155,37
qm
Rostfläche
2,10
qm
Dampfspannung
12,3
at
Dienstgewicht
56,8
t
Die Locomotiven sind für den schweren Güter- und Personenzugsdienst der
Highlandeisenbahn bestimmt. Ueber vergleichende Versuche zwischen einer gewöhnlichen
vierachsigen, vierfach gekuppelten Güterzuglocomotive und einer dreicylindrigen
Verbundlocomotive, System Webb, welche im April 1894
auf der Strecke Crewe-Stafford der London- and North-Western Railway angestellt
wurden, berichtet Engineering vom 10. August 1894 S.
193 (vgl. 1893 287 26).
Die beiden Versuchszüge, aus je 53 beladenen Kohlenwagen und 3 Bremswagen bestehend,
wurden, wie dies bei derartigen Versuchen in England häufig geschieht, in Crewe
neben einander aufgestellt, dann mit gleicher Geschwindigkeit bis Stafford und nach
Umsetzen der Locomotiven daselbst wieder zurück nach Crewe befördert. Darauf
erfolgte eine Auswechselung der Locomotiven gegen einander, und es wurden beide Züge
nochmals von Crewe bis Stafford und zurück befördert. Die Messungen wurden mit
grosser Sorgfalt vorgenommen und zur Feststellung des Kohlenverbrauchs Kohlensäcke
mit je 38 k Inhalt verwendet.
Es ergab sich mit der Verbundlocomotive eine Kohlenersparniss von
23,38 Proc.
bei Berechnung aus der während der Fahrtenselbst gebrauchten
Kohlenmenge,
19,84 Proc.
bei Berechnung aus dem Gesammtkohlenverbrauche,
23,2 Proc.
bei Berechnung aus der auf 100 t/km ver-brauchten Kohlenmenge
(ausschliesslich An-heizung),
19,7 Proc.
der auf 100 t/km verbrauchten Kohlenmenge(einschliesslich
Anheizung).
Der Wasserverbrauch der Verbundlocomotive betrug 24,5 Proc. weniger als der der
gewöhnlichen Locomotive. Nachdem die Verbundlocomotive in regelmässigen Dienst
gestellt, ergaben sich auch hier bedeutende Ersparnisse an Kohlen und Wasser
gegenüber den gewöhnlichen Locomotiven, weshalb neun weitere Verbundlocomotiven nach
dem Muster der Versuchslocomotive seitens der Verwaltung der genannten Eisenbahn in
Auftrag gegeben wurden..
Abbildung und Beschreibung dieser Locomotiven sind Engineering vom 8. November 1895 gegeben.
Die Räder von je 1359 mm Durchmesser sind sämmtlich gekuppelt; die Entfernung
zwischen den Mitten eines jeden Räderpaares beträgt 1,752, der gesammte Radstand
demnach 5,256 m. Um ein bequemes Durchfahren von Curven zu ermöglichen, haben
Vorder- und Hinterachse etwa 13 mm seitliches Spiel.
Alle drei Cylinder arbeiten auf dieselbe Achse – die zweite von vorn – und zwar
sind die Kolben der beiden aussenliegenden Hochdruckcylinder von je 381 mm
Durchmesser mit in den Treibrädern befestigten, um 90° gegenseitig versetzten
Kurbelzapfen, der zwischen den Rahmen unmittelbar unter der Rauchkammer liegende
Niederdruckcylinder von 762 mm Durchmesser mit der nach Art der Schiffskurbelwellen
aus drei Theilen zusammengesetzten Treibachse verbunden, deren mit beiderseitigen
Gegengewichten aus einem Stück gefertigter Kurbelzapfen einen Winkel von 135° mit
den Hochdruckkurbeln bildet. Der gemeinschaftliche Hub der Kolben beträgt 610
mm.
Sämmtliche Cylinder sind durch Schraubenbolzen mit einander verbunden; ihre Mitten
liegen in einer gemeinschaftlichen, gegen die Horizontale um einen gewissen Winkel
geneigten Ebene. Die seitlich angeordneten Vertheilungsschieber der
Hochdruckcylinder werden durch eine gewöhnliche Coulissensteuerung, System Stephenson, bethätigt, während der in einem auf dem
Niederdruckcylinder befindlichen Schieberkasten gleitende Schieber seine Bewegung
mittels eines einzigen Excenters erhält (1893 287 27).
Die Federn der ersten drei Achsen sind durch ungleicharmige Hebel so mit einander
verbunden, dass ihre Belastungen nahezu übereinstimmen; die Hinterachse hat eine
gewöhnliche Querfeder.
Weitere Hauptabmessungen der Locomotive sind nachstehend angegeben:
Zwischen den Rahmen
1270
mm
Länge des Kessels
4725
mm
Mittlerer Durchmesser des Kessels (aussen)
1295
mm
Anzahl der Siederohre
210
Durchmesser der Siederohre (aussen)
47,6
mm
Zwischen den Rohrwänden
4065
mm
Heizfläche in der Feuerbüchse
10,66
qm
Heizfläche in den Rohren
127,67
qm
Gesammte Heizfläche
138,33
qm
Rostfläche
1,90
qm
Verhältniss der Rost- zur Heizfläche
1 : 72,6
Dampfdruck
12
at
Belastung der Vorderachse
12,7
t
Belastung der Treibachse
14,6
t
Belastung der Zwischenachse
12,9
t
Belastung der Hinterachse
9,8
t
Totalgewicht der betriebsfähigen Locomotive
50,0
t
Gewicht des Tenders (betriebsfähig)
27,0
t
Wasserinhalt des Tenders
9,0
cbm
Der Generaldirector Vauclain der Baldwin Locomotive Works in Philadelphia äusserte sich in einer der
letzten Monatsversammlungen der A. S. M. E. nach American
Maschinist vom 23. Mai 1895 S. 410 über die mit Verbundlocomotiven der
Pike's Peak Railroad gegenüber gewöhnlichen Locomotiven erzielten Resultate. Die
bisherigen Locomotiven verrichteten auf der etwa 15 km langen Strecke mit
andauernden Steigungen von 7 Proc. bis 25 Proc. den regelmässigen Dienst zur
Zufriedenheit, doch war ihr Wasser- und Kohlenverbrauch ein ganz bedeutender, so
dass die Bergfahrt in Folge des zur Aufnahme von Wasser bezieh. Kohle nothwendigen
öfteren Anhaltens unverhältnissmässig viel Zeit erforderte. Den in den letzten
Jahren eingetretenen Verkehrssteigerungen waren diese Locomotiven nicht mehr
gewachsen und es wurden deshalb Verbundlocomotiven derselben Grösse und Bauart wie
die bisherigen Locomotiven in Dienst, gestellt (1894 292
157).
Diese von den Baldwin Locomotive Works erbauten
Locomotiven erzielten gegenüber den gewöhnlichen Locomotiven eine Ersparniss an
Brennmaterial von 35 bis 38 Proc. und der Verbrauch an Wasser stellte sich um
25 bis 28 Proc. niedriger als bei den letzteren, so dass die zur Aufnahme von
Kohle und Wasser nöthigen Aufenthalte verringert werden konnten. Aber auch die
Geschwindigkeit der Locomotive konnte auf der Bergfahrt erhöht, und zwar die
Fahrzeit von 2½ Stunden mit den gewöhnlichen Locomotiven auf 1 Stunde und 50 Minuten
mit den Verbundlocomotiven herabgesetzt werden. Diese Ergebnisse veranlassten die
Verwaltung der genannten Eisenbahn, sämmtliche Locomotiven in Verbundlocomotiven
umbauen zu lassen.
Von Interesse dürfte sein, dass die Baldwin Locomotive
Works bereits über 500 Verbundlocomotiven ihres Systems (viercylindrig)
erbaut haben.
Vauclain sprach sich in der Versammlung
selbstverständlich sehr zu Gunsten dieses Systems aus und äusserte sich namentlich
auch über die ökonomischen Vortheile, welche mit Kolbenschiebern, wie sie allgemein
bei den Locomotiven der Baldwin Locomotive Works zur
Verwendung kommen, gegenüber gewöhnlichen Flachschiebern erreicht worden sind. Als
Beispiel führte Vauclain an, dass T. W. Worsdell, seiner Zeit einer der eifrigsten
Verfechter für Einführung der zweicylindrigen Verbundlocomotive, eine grosse Anzahl
der letzteren für die North-Eastern Railway in England in Auftrag gegeben und diese
sämmtlich wieder in einfache Expansionsmaschinen mit Cylindern von gleichem
Durchmesser und Kolbenschiebern umgebaut habe. An diesen Maschinen abgenommene
Indicatordiagramme sollen einen günstigeren Verlauf der Schaulinien gezeigt haben,
als je an Locomotiven mit einfacher Expansion des Arbeitsdampfes und Flachschiebern
beobachtet werden konnte. Durch einen zur Prüfung des Verhaltens der
Verbundlocomotiven eingesetzten Ausschuss wurden schliesslich die folgenden Punkte
zum Beschluss erhoben:
1) Es gibt Verbundmaschinen, welche bezüglich des Wasser- und Kohlenverbrauchs weit
ökonomischer arbeiten, als gewöhnliche Maschinen von denselben Abmessungen,
vorausgesetzt, dass beide Maschinengattungen gleiche Arbeiten verrichten.
2) Die geringste Ersparniss der Verbundlocomotiven gegenüber gewöhnlichen Locomotiven
hat sich zu etwa 15 Proc. herausgestellt. Es ist wahrscheinlich, dass ungefähr zwei
Drittel dieses Betrages durch vollkommenere Expansion des Arbeitsdampfes und
ungefähr ein Drittel durch geringere Condensationsverluste erreicht wird.
3) Die Verbundlocomotiven sind erst zu kurze Zeit in Dienst, um bezüglich ihrer
Reparaturkosten ein endgültiges Urtheil abgeben zu können, doch sind letztere nach
den bisherigen Erfahrungen nicht höher als bei gewöhnlichen Locomotiven von gleichen
Abmessungen und derselben Arbeitsleistung.
Ueber die Leistungen (Geschwindigkeiten und Traingewicht) von Locomotiven fast
sämmtlicher englischen Eisenbahngesellschaften gibt Charles
Rous-Marten im The Engineer vom 11. October
1895 S. 351 sehr übersichtliche Mittheilungen.
3) Locomotiven für aussergewöhnliche Eisenbahnen.
Die ersten amtlichen Versuchsfahrten mit der Heilmann'schen elektrischen Locomotive, über deren Bauart wir 1894 291 * 277 berichteten, fanden nach dem Centralblatt der Bauverwaltung vom 9. Mai 1894 S. 189
bezieh. dem Bulletin de la Société des Ingenieurs civils de
France,Mai
1894, am 10. Februar 1894 auf der Strecke Le Havre-Beuzeville der französischen
Westbahn statt. Während der Fahrt wurden von Beamten der Westbahngesellschaft in
einem hinter der Maschine mitgeführten Wagen genaue dynamometrische und andere
Messungen vorgenommen. Fig. 23 veranschaulicht den
Höhenplan der Versuchsstrecke mit einer Verzeichnung der jeweilig bei der Berg- und
Thalfahrt erreichten Geschwindigkeiten. Die voll ausgezogene Linie gibt den
Längenschnitt der Bahn, die – – – Linie die Geschwindigkeit auf der Hinfahrt von
Havre nach Beuzeville und die –⋅–⋅–⋅ Linie diejenige auf der Rückfahrt an. Bei der
Versuchsfahrt wurden nur sieben von den vorhandenen acht Räderpaaren elektrisch
angetrieben und eine grösste Kraftleistung der Dampfmaschine von 800 ind.
entwickelt. Die Maschine wiegt leer 80, in vollem Dienstgewicht 118 t; bei dem
Versuch betrug das Gewicht im Ganzen 105 t, d.h. rund 13 t auf die Achse und 92 t
Reibungsgewicht. Die Zugkraft war etwa gleich 1/6,5 bis 1/7 des Reibungsgewichtes. Das
Traingewicht setzte sich aus dem erwähnten Versuchs-, zwei Gepäck- und fünf
Personenwagen zusammen; bei der Thalfahrt ergab sich eine mittlere Geschwindigkeit
von 60 km in der Stunde und eine höchste Geschwindigkeit auf einem nahezu 11 km
langen Gefälle mit 8 ‰ von 97 km. Bei der Bergfahrt betrug die Geschwindigkeit auf
der vorgenannten grössten Steigung 55 km in der Stunde, während die fahrplanmässigen
schnellsten Züge hier nur mit 45 bis 48 km Geschwindigkeit befördert werden. Der
Kohlenverbrauch soll nur 7 k für das Kilometer betragen haben, während die
gewöhnlichen Maschinen der Westbahn bei gleicher Leistung 12 k verbrauchen. Der
Anlauf der Maschine scheint sich noch etwas langsam zu vollziehen, während im
Uebrigen das Ergebniss der Probe ein befriedigendes, insbesondere der Gang der
Locomotive sehr ruhig und frei von störenden Bewegungen jeder Art gewesen sein
soll.
Textabbildung Bd. 299, S. 100
Fig. 23.
Höhenplan. Maasstäbe: Längen 1 :
25000. Höhen 1 : 2000, Geschwindigkeiten 1 mm = 2 km in der Stunde.
Weitere Versuche wurden nach Engineering vom 28.
September 1894 S. 429 mit der Locomotive auf der etwa 58 km langen Strecke Paris
(St. Lazare)-Mantes der französischen Westbahn angestellt. Auch hier machte sich ein
äusserst ruhiger Gang der Locomotive selbst bei der festgesetzten
Höchstgeschwindigkeit von 100 km in der Stunde bemerkbar. Die Ersparnisse an
Brennmaterial betrugen gegenüber den Schnellzuglocomotiven der Westbahn 15 Proc.
Diese günstigen Ergebnisse waren um so bemerkenswerther, als sie auf einer Strecke
mit vielen Steigungen von 1/200 bis zu 1/150 und leichtem Schienenprofil erhalten wurden; sie
veranlassten die Westbahngesellschaft, zwei weitere Locomotiven, System Heilmann, zur Beförderung des Expresszuges zwischen
Paris und Trouville mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 100 km in der
Stunde in Auftrag zu geben.
Diese mit verschiedenen Verbesserungen, nach Angabe des Maschinendirectors Mäzen der Westbahn, versehenen Locomotiven besitzen wie
die erste Locomotive ein Dienstgewicht von je 110 bis 120 t und setzen sich wieder
aus zwei achträdrigen Truckgestellen mit acht elektrischen Motoren zusammen, von
denen das eine Truckgestell den Kessel, das andere die Dampfmaschine und Dynamo
trägt. Im Uebrigen unterscheidet sich die neue Locomotivtype von der alten dadurch,
dass an Stelle eines sogen. ankerlosen Kessels der Bauart Lentz (1890 277 * 441 bezieh. 1894 291 150 * 221) ein gewöhnlicher Locomotivkessel, wie ihn
die Schnellzuglocomotiven der Westbahn bereits besitzen, Verwendung findet. Die
wagerechte 800pferdige Verbunddampfmaschine, welche nicht nur sehr schwer und
bedeutenden Platz zu ihrer Aufstellung erforderte, sondern auch mit zu kleinem
Kolbenhub arbeitete, wird durch eine stehende Willans-Maschine (1893 288 * 220) mit einer Leistung von 1500 ersetzt.
Die von der Maschine direct betriebene Dynamo (C. E. L.
Brown's Type) leistet in gleicher Weise 1500 oder bis zu 1100
Kilo-Watt und jeder der acht über den Achsen der Locomotive liegenden Elektromotoren
mit 460 minutlichen Umdrehungen, entsprechend der Geschwindigkeit von 100 km in der
Stunde, 125 (anstatt nur 75 ), so dass sich eine Gesammtleistung
von 1000 anstatt von nur 600 effect. der ersten Locomotive ergibt. Bei
gleichem Dienstgewicht werden hiernach die neuen Locomotiven ungefähr die doppelte
Leistung der ersten Locomotive entwickeln. Die 75pferdigen Elektromotoren der ersten
Locomotive mit Gramme'schem Ringanker wiegen 2,7 t oder
36 k auf die Pferdekraft, während die neuen Motoren ein Gewicht von je 3,3 t oder
von nur 26 k auf die Pferdekraft haben. Ferner war bei der ersten Locomotive der
Ringanker jedes Motors auf einem Stahlrohr befestigt, welches an den Enden von auf
der Radachse sitzenden Ringen getragen wird und an dem einen Ende mit dem Radarme
verschraubt ist. Diese immerhin starre Verbindung genügte für eine durchschnittliche
Geschwindigkeit von etwa 65 km in der Stunde, nicht aber für höhere
Geschwindigkeiten, weshalb bei den neuen Locomotiven das Stahlrohr unabhängig von
der Radachse angeordnet ist und die Bewegungsübertragung direct mit Hilfe einer
elastischen Kuppelung auf die Räder erfolgt.
(Schluss folgt.)