Titel: | Beiträge zur Kenntniss des Schwitzprocesses in der Gerberei. |
Autor: | W. Schmitz-Dumont |
Fundstelle: | Band 300, Jahrgang 1896, S. 140 |
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Beiträge zur Kenntniss des Schwitzprocesses in
der Gerberei.
Von Dr. W.
Schmitz-Dumont.
Mit Abbildungen.
Beiträge zur Kenntniss des Schwitzprocesses in der
Gerberei.
In Nachstehendem mögen einige bakteriologische Beobachtungen mitgetheilt sein, welche
bei Vorversuchen zu einer umfassenden Bearbeitung der in den Gerbereien zum
Enthaaren der Häute durch die „Schwitze“ üblichen Methoden gemacht
wurden.
In der Schwitze liegt ein Fäulnissprocess vor, also ein durch Mikroorganismen,
Bakterien, eingeleiteter und fortgeführter Vorgang. Durch denselben soll die
zwischen Epidermis und der eigentlichen Lederhaut (Corium) liegende, die Haarwurzel
umkleidende und festhaltende Zellschicht, Malpighi'sche Schicht, zerstört werden, so
dass die Haare ihren Halt in dem Hautkörper verlieren und abgeschabt werden können.
Es ist nun die Kunst des Gerbers, den Fäulnissprocess so zu leiten, dass die
gewollte Wirkung erreicht wird ohne eine Schädigung der Haut durch zu weit gehende
Fäulniss. Unter diesem Gesichtspunkte ist man bestrebt, den Verlauf dieses
Enthaarungsvorganges durch gesteigerte oder verminderte Temperatur, Zufuhr von
Feuchtigkeit oder Behandeln der Häute mit antiseptischen Mitteln zu reguliren (vgl.
Eitner:
„Antiseptik in der Gerberei“, Der Gerber, XV).
Obgleich die Fäulniss auf beiden Seiten der Haut entsteht, so ist es doch eine
eigenthümliche Thatsache, dass sie zuerst auf der Haarseite eine merkliche Wirkung
ausübt, und zwar auch dann, wenn auf der Fleischseite nicht durch Einreiben von
Kochsalz oder anderen antiseptischen Mitteln die Fäulniss gehemmt wird.J. T. Wood:„Fermentation in the leather-industry“, The
Leather Manufacturer (New York), 1894 S. 61.
Die Bakterien dringen auf der Haarseite durch die Oeffnungen der Schweiss- und
Fettkanäle ein und verflüssigen vorerst die Malpighi'sche Schicht. Bei den unten
erwähnten Versuchen wurde stets beobachtet, dass, wenn durch den Fäulnissprocess die
Haare gerade so weit gelockert waren, dass sie durch leichten Druck mit einem
Messerrücken entfernt werden konnten, die Epidermis scheinbar unzerstört in Fetzen
mit den Haaren abgeschabt wurde und die Narbe der Haut völlig unberührt sich zeigte.
Auf der Fleischseite dringen die Mikroorganismen wahrscheinlich durch die Blut- und
Lymphgefässe in das Innere der Haut und beginnen von hier aus die Hautsubstanz zu
zerstören. Wenigstens wurde hierauf deutend bei einigen Versuchen, in denen
Hautstücke in feuchter Kammer der völligen Zersetzung überlassen wurden, die
Erscheinung constatirt, dass die Structur der Fleischseite noch keine ersichtliche
Veränderung zeigte, als bereits der Hautkörper stark zusammengefallen und an den
Rändern schmierig ausgelaufen war. Es ist kein Zweifel, dass die Zerstörung der
Hautsubstanz, die einen vortrefflichen Nährboden für Bakterien darstellt, durch eine
grosse Anzahl verschiedener Arten Fäulnisserreger, wenn nicht durch alle, bewirkt
wird. Daher erscheint es zunächst als eine fragliche Behauptung, wenn A. M. VillonTraité pratique de la fabrication des cuirs et du
travail des peaux. Paris 1889. Verlag von Baudry et Cie. S. 484 bis
487. angibt, eine specifische Mikrobe, Bactérie pilline von ihm genannt, aufgefunden zu haben, durch welche die
Enthaarung der Häute bei dem Process des Schwitzens verursacht wird. Villon beschreibt diese Bactérie pilline als eine
Mikrobe vom Genus Bacterium (vgl. Fig. 1 F); sie ist
aerob, lebt von der Haarsubstanz (pilline) und verwandelt dieselbe in Leucin,
Tyrosin, Buttersäure, Margarinsäure und Ammoniak, welch letzterer Coriin lösen und
dadurch die Haut schwellen soll. Sie lebt auf der Oberfläche der Haut und wird fast
nie in der aus der Haut sickernden Flüssigkeit gefunden. Villon hat dieses Bacterium in Reinculturen auf ammoniakhaltiger Gelatine
gezogen – der Ammoniakzusatz sollte die Entwickelung anderer Bakterien verhindern –,
hat mit diesen Reinculturen sterilisirte Hautstücke geimpft und als Folge dieser
Infection Ammoniakentwickelung und Ablösung der Haare von der Haut festgestellt.
Es liegt auf der Hand, dass diese Thatsachen für eine Verbesserung des
Schwitzprocesses von besonderer Bedeutung werden können, sobald sie durch eingehende
und wiederholte Prüfung gegenüber dem einzigen von Villon ausgeführten Versuch bestätigt werden.
Villon sterilisirt die zur Verwendung kommende Haut in
der Weise, dass er haartrockene Hautstücke in einen Glaskolben brachte, den Hals
desselben nach Art der Pasteur-Kolben auszog und das so vorbereitete Gefäss 1 Tag
lang auf 50°, schliesslich 10 Minuten auf 110° C. erhitzte. Nun wurde der Kolben
zugeschmolzen und erkalten gelassen. Unter allen Kautelen wurde kaltes, steriles
Wasser in den erkalteten Kolben gebracht, wodurch die eingetrocknete Haut binnen 8
Tagen wieder zu ihrem ursprünglichen Volum aufquoll. 1 Monat blieb der Kolben bei
20° C. im Brütofen, ohne dass sich Ammoniak entwickelt, die Haare gelockert oder die
Haut verändert hätte. Dass die sterile Beschaffenheit dieses Hautstückes und nicht
etwa eine durch die Erhitzung herbeigeführte Veränderung desselben hier die Fäulniss
ausschloss, bewies Villon durch ein anderes, in
gleicher Weise erhitztes, aber nicht in einem Kolben obiger Art befindliches
Hautstück. Dieses quoll in destillirtem Wasser auf wie das vorerwähnte, und 4 Tage
später löste sich das Haar ab, war Ammoniak in der Flüssigkeit und die Bactérie
pilline lebend auf der Haut vorhanden. Ein wie oben vorbereitetes steriles Hautstück
wurde nach 15tägigem Verweilen in dem zugegebenen sterilen Wasser durch Einbringen
einer Reincultur des Villon'schen Bacteriums in den
Kolben inficirt. Nach 5 Tagen ging das Haar ab und die Flüssigkeit enthielt
Ammoniak.
Gegenüber der grossen Resistenz, welche Fäulnissbakterien bezieh. deren Sporen oder
Dauerformen gegen Hitze zeigen, schien es nicht recht wahrscheinlich, dass das von
Villon angewandte, mit verhältnissmässig schwacher
Hitze wirkende Verfahren stets eine sichere Sterilisirung erzielen kann. Zur Klärung
dieses Punktes wurde dieses Verfahren näher geprüft. An Stelle der Glaskolben wurden
Glasbüchsen von etwa 500 cc Inhalt verwandt. Ihr Hals wurde mit Verbandwatte fest
umwickelt, in solcher Dicke, dass eine passende Glasschale mit flachem Boden und
dazu senkrechter Wandung, zum Verschluss über die Oeffnung geschoben, fest sich an
die Watte Wickelung anschloss. Die Watte wurde überdies noch mit 1procentiger
Sublimatlösung durchtränkt und so ein jede Inficirung der Büchse von aussen
verhindernder, aber der Luft freien Aus- und Eintritt gewährender Verschluss des
Gefässes erreicht.
Derartig hergerichtete Büchsen wurden in grösserer Anzahl mit 300 cc Wasser gefüllt,
an drei auf einander folgenden Tagen je 1 Stunde in strömendem Dampf sterilisirt.
Eine andere Anzahl, die ohne Wasser sterilisirt war, wurde mit frischen, gesunden,
das Haar fest haltenden Hautstücken von 10 cm Länge und 5 cm Breite beschickt, dann,
wie von Villon geschehen, 24 Stunden einer Temperatur
von 50° ausgesetzt, schliesslich 10 Minuten auf 110° erhitzt. Die Hautstücke waren
durch diese Behandlung selbstverständlich stark zusammengeschrumpft, hart und hornig
geworden. Sie wurden zu dreien auf sieben der ersterwähnten Büchsen mit sterilem
Wasser vertheilt. Jeder dieser Büchsen wurde vor dem Einbringen der Haut mittels
einer sterilisirten Pipette 1 cc Wasser entnommen und dieses mit 10 cc 15procentiger
Fleischpeptongelatine zu einer Plattencultur verarbeitet, um sich über die
Sterilität des Wassers zu vergewissern. Die Büchsen standen hierbei, um das
Hineinfallen von Keimen möglichst zu vermeiden, unter einer grossen, wagerecht
aufgestellten, mit Sublimatlösung frisch gewaschenen und feucht gelassenen
Glasplatte, wurden zur Einführung der Pipette schräg geneigt und der Deckel nur so
weit, als zur Einführung der Pipette nöthig, gelüftet. Unter den gleichen
Vorsichtsmaassregeln wurden die Hautstücke mit einer frisch ausgeglühten Zange in
die wassergefüllten Büchsen übertragen. Sechs weitere Büchsen wurden in gleicher
Weise geöffnet und je 10 cc Nährbouillon zu dem sterilisirten Wasser gegeben.
Dieselben sollten zur Controle für die Keimfreiheit des Wassers während der
Versuchsdauer dienen, sowie einen Beweis geben, dass die beim Oeffnen der Büchsen
und Einbringen der Hautstücke beobachteten Vorsichtsmaassregeln eine Inficirung bei
diesen Manipulationen verhüten. Bouillon wurde ihnen zugesetzt, um eventuell nicht
abgetödteten Mikroben Nährstoff zur Entwickelung zu bieten, wie dies durch die Haut
in den Versuchsbüchsen geschehen war. Bei Nichteinhaltung dieser Bedingung war
immerhin, wenn auch in sehr geringem Grade, die Möglichkeit gegeben, dass vorhandene
Fäulnisskeime in den Controlbüchsen aus Mangel an Nahrung zu Grunde gingen, während
sie sich in den Versuchsbüchsen entwickeln konnten.
Die sieben Versuchs- und sechs Controlbüchsen wurden nun bei einer Temperatur von 20
bis 26° C. sich selbst überlassen. 3 Tage später drang bei zweien durch die
Wattewickelung ein stark fauliger Geruch hervor. Beim Oeffnen derselben fanden sich
die Hautstücke weich und schwach gequollen vor, in der einen Büchse waren an
sämmtlichen Stücken die Haare gelockert, so dass sie leicht ausgezupft werden
konnten, in der anderen sassen die Haare an zwei Stücken noch fest. Von der Haar-
sowie Fleischseite abgeschabter Schleim Hess unter dem Mikroskop mit Sicherheit zwei
Arten Bakterien, eine kleinere, sehr bewegliche, oft zu zwei und drei an einander
gereihte, und eine sehr grosse, unbewegliche, in Ketten vorhandene, sowie
Mikrokokken verschiedener Grösse, zum Theil sehr beweglich, erkennen.
Plattenculturen Hessen diese Formen noch deutlicher hervortreten. Im Laufe der
folgenden 5 Tage zeigten sich bei weiteren vier Büchsen die gleichen Erscheinungen. Das letzte, bis zu
dieser Zeit geruchlos gebliebene Gefäss wies, nach Verlauf von 10 Tagen geöffnet,
scheinbar noch unveränderte Haut auf; es Hessen sich jedoch in dem von der Haut
abgeschabten Schleim gleichfalls bewegliche Bakterien auffinden. Der Schleim, auf
Gelatine geimpft, lieferte zahlreiche verflüssigende Colonien.
Von den sieben mit Proben des sterilen Wassers angesetzten Plattenculturen waren nach
Verlauf von 10 Tagen drei völlig intact, drei wiesen am Rande ein bis zwei
Schimmelcolonien auf und eine ebenfalls am Rande zwei Bakteriencolonien. Nach diesem
Befund ist das Wasser als steril anzusehen und keinenfalls kann die starke
Bakterienentwickelung auf den Hautstücken auf Inficirung durch das Wasser
zurückgeführt werden. Nun wurden zum Schluss der Versuchsreihe von dem Wasser der
Controlbüchsen je 1 cc zu einer Plattencultur angesetzt. Nach 5 Tagen waren fünf
Platten noch steril, die sechste enthielt zwei randständige Schimmel- und eine
Bakteriencolonie, ein hinreichender Beweis, dass eine nachträgliche Infection durch
das sterile Wasser, sowie durch obige Manipulationen beim Eintragen der Hautstücke
nicht eingetreten war.
Nach diesen Versuchen war von dem von Villon angewandten
Verfahren keine unbedingte, sichere Tödtung der Fäulnisskeime auf der Haut zu
erwarten, und es wurde nun versucht, dies durch Anwendung von antiseptischen Mitteln
zu erreichen. Für vorliegende Zwecke mussten dieselben, abgesehen von sicherer
Tödtung der Fäulnissorganismen, folgenden Ansprüchen genügen: 1) die Haut in keiner
Weise verändern, 2) leicht aus der Haut auswaschbar sein.
Aus diesen Gründen verbot sich von vornherein Anwendung von Säuren, Alkalien, Salzen
der Schwermetalle und Phenole, dagegen schienen xanthogensaures Kali,
Schwefelkohlenstoff und Toluol recht geeignet. Zunächst wurde xanthogensaures Kali
auf seine Brauchbarkeit untersucht, ausgehend von der Erwägung, dass
Schwefelkohlenstoff, ein starkes Bakteriengift, im xanthogensauren Kali in einer in
Wasser leicht löslichen und leicht abspaltbaren Form enthalten sei.
5 cm breite und 10 cm lange Stücke einer frischen, gut gereinigten, völlig gesunden,
nicht haarlässigen Kuhhaut wurden einerseits in sterilisirten feuchten Kammern bei
Zimmertemperatur sich selbst überlassen, andererseits auf luftdicht verschliessbare
Glasbüchsen mit verschieden starker Lösung von xanthogensaurem Kali vertheilt und
darin während verschieden langer Zeiten belassen. Zur Entfernung der von der Haut
aufgesaugten Salzlösung wurde jedes der letzteren Hautstücke unter Beobachtung aller
Vorsichtsmaassregeln gegen nachträgliche Infection, wie bei den oben beschriebenen
Versuchen angegeben, in eine Glasbüchse mit 500 cc sterilisirtem Wasser gegeben,
unter häufigem Umschwenken 24 Stunden darin belassen und dann in gleicher Weise in
einer zweiten und dritten Büchse mit sterilem Wasser behandelt. Nach diesen
Vorbereitungen wurden sie in sterilisirte feuchte Kammern gebracht.
Die nicht mit xanthogensaurem Kali behandelten Stücke, vier an der Zahl, am 17.
September 1894 in die feuchten Kammern gebracht, verhielten sich wie folgt: Am 19.
September entwickelten sie einen schwachen Geruch, der sich bis zum 21. zu
intensivem Geruch nach faulem Käse verstärkte. Die Haare Hessen sich in diesem
Stadium durch leichten Druck mit einem Messerrücken abschaben. Der Narben erschien
noch unverletzt. Der zwischen den Haaren haftende Schleim enthielt zahllose
Bakterien und Kokken von sehr verschiedener Form und Grösse, zum Theil sehr
beweglich; auf der Fleischseite waren sichtlich weit weniger Mikroorganismen
vorhanden. Die Temperatur hatte in dieser Zeit zwischen 16 und 22° C. geschwankt. Am
24. September begannen die Hautstücke an den Rändern breiig aus einander zu laufen
und bis zum 30. November waren alle völlig verfault. Dies beweist, dass die benutzte
Haut genügend mit Fäulnisskeimen inficirt war, um als Versuchsobject zu dienen.
Es wurden nun drei parallele Versuche angestellt mit Hautstücken, welche 12 bis 48
Stunden in 1-, 0,5- und 0,25procentigen Kaliumxanthogenatlösungen gelegen und wie
oben angegeben ausgewaschen worden waren.
Erster Versuch: Vier mit 1procentiger Lösung 12 Stunden behandelte Stücke wurden am
21. September in feuchte Kammern gebracht; dieselben waren weder aufgequollen, noch
zusammengefallen, sondern sahen wie völlig unveränderte frische Haut aus. Am 3.
October tritt bei drei Stücken Ammoniakgeruch auf; am 5. October ist derselbe
wesentlich stärker geworden, bei gelüftetem Kammerdeckel lassen sich von drei
Stücken mittels eines ausgeglühten Platinspatels die Haare leicht abstreichen; das
vierte, kaum merkbar nach Ammoniak riechende hält die Haare fest. Die abgeschabten
Haare sind völlig unverletzt; die Haarzwiebel lässt unter dem Mikroskop keine
Beschädigung erkennen; stellenweise haften an den Haaren grössere Fetzen der
Epidermis. Der mit den Haaren abgekratzte Schleim (die zerstörte Malpighi'sche
Schicht) enthält zahlreiche, sehr bewegliche Mikroorganismen, scheinbar alle von
gleicher Art. Der Versuch blieb nun bis zum 30. November unberührt stehen. An diesem
Tage war von Ammoniakgeruch nichts mehr zu merken; die Haut schien sich nicht weiter
verändert zu haben, verhielt sich gegen Druck elastisch wie frische Haut; der Narben
hatte intactes Aussehen bewahrt, nur am Rande waren die Stücke sehr schwach graulich
verfärbt; Bakterien waren nur spärlich auf den Stücken vorhanden. Als bis zum 17.
December keine sichtliche Veränderung an diesen Hautstücken auftrat, wurde dieser
Versuch aufgegeben.
Zweiter Versuch: Vier Hautstücke, 48 Stunden in 0,5procentiger Lösung belassen,
wurden wie im ersten Versuch ausgewaschen und am 21. September in feuchte Kammern
gebracht. Es traten genau dieselben Erscheinungen wie oben ein. Am 3. October konnte
Ammoniakgeruch deutlich constatirt werden, der sich in den nächsten Tagen
verstärkte; zwischen dem 5. und 8. October wurden die Haare abschabbar, dann verlor
sich der Ammoniakgeruch und am 17. December, dem Ende des Versuches, zeigte die Haut
gleichen Befund wie im ersten Versuch; von dem Narben nun abgeschabte Theilchen auf
Fleischpeptongelatine übertragen gaben nur in einem von zwölf geimpften Röhrchen
(von jedem Hautstück drei Röhrchen abgeimpft) nach 5 Tagen eine schwache
Bakteriencultur.
Dritter Versuch: Derselbe wurde in gleicher Weise angestellt mit vier in
0,25procentige Lösung eingelegten Hautstücken, wovon zwei 48, die anderen beiden nur
12 Stunden mit der Flüssigkeit in Berührung gewesen waren. Dieser Versuch nahm
bei drei Hautstücken ganz den nämlichen Verlauf wie bei den vorhergehenden. Das
vierte zeigte am 5. October deutlichen Fäulnissgeruch und ergab bei mikroskopischer
Untersuchung die Anwesenheit verschiedenartiger Bakterien und Kokken. Dieses Stück
wurde aus dem Versuche ausgeschaltet, da bald Verfall und Verflüssigung desselben
eine misslungene Tödtung der die Haut zerstörenden Fäulnisskeime anzeigte. Die
übrigen hielten sich in den feuchten Kammern, abgesehen von den entfernten Haaren,
unverändert. Am 17. December wurden von ihnen von dem Narben, sowie von der
Fleischseite abgeschabte Theilchen auf zwölf Röhrchen mit Fleischpeptongelatine
übertragen; nach 5tägigem Stehen bei 20° C. waren in keinem derselben Bakterien oder
Schimmelbildungen entstanden.
Eine weitere Anzahl Hautstücke blieb in den verschiedenen Lösungen von
xanthogensaurem Kali vom 17. September 1894 bis zum 3. Februar 1895, vier sogar bis
zum 2. März 1896 liegen, ohne dass die Haut äusserlich erkennbare Veränderungen
erlitten hätte. Sie zeigte noch rein weisse Farbe, die Haare sassen fest, sie fühlte
sich voll und elastisch an, ohne merklich geschwellt zu sein. Am 4. Januar 1895
wurde eine Anzahl dieser Hautstücke wie oben ausgewaschen und in feuchte Kammern
gebracht; am 3. Februar waren sie noch völlig unverändert und es Hessen sich mit
Hilfe des Mikroskopes auf ihnen keine lebenden Mikroorganismen mehr auffinden.
Bereits oben wurde erwähnt, dass die durch xanthogensaures Kali bei 12- bis
48stündiger Einwirkung nicht abgetödteten Bakterien scheinbar alle der gleichen Art
angehörten. Es bestätigte sich dies durch Culturen, welche von den verschiedenen
Hautstücken abgeimpft wurden, sobald die Haare abgeschabt werden konnten. Mit der
Platinöse wurde von dem auf dem Narben bezieh. zwischen den Haaren sitzenden Schleim
in 12procentige Fleischpeptongelatine übertragen. Die einzelnen Colonien der
Plattenculturen zeigten unter dem Mikroskop mit sehr seltenen Ausnahmen das gleiche
Gesammtbild, im Anfangsstadium runde bis ovale, in auffallendem Licht weissliche, in
durchfallendem schwach bräunlich gefärbte Gebilde, die sich sowohl im Innern als auf
der Oberfläche der Gelatineplatte entwickelten. Die im Innern liegenden Colonien
zeigten sich ab und zu, besonders bei Temperaturen unter 20° C, in eigenthümlicher
Wurst- oder Darmform (Fig. 1B). Weiter wachsend
trieben die punktförmigen Colonien vom Rande aus, an der Oberfläche der Gelatine
schnell, im Innern langsam ästig verzweigte Kanäle (Fig.
1A), von denen aus die Verflüssigung des Nährbodens schnell erfolgte. Bei
Temperaturen über 20° ging die Bildung dieser Kanäle oft so rapide vor sich, dass
über Nacht die ganze Platte mit einem dichten Netzwerk (Fig. 1C) bedeckt bezieh. durchzogen wurde und dann schnell sich
verflüssigte. Unter dem Mikroskop mit starker (800- bis 1000facher) Vergrösserung
betrachtet, zeigten diese Kanäle sich als neben einander liegende Ketten von kleinen
Kokken (Fig. 1D). Sobald die Gelatine verflüssigt
oder Theile einer solchen Kette in Wassertropfen gebracht wurden, zerfielen diese
Ketten in kürzere Glieder von zwei bis zehn und mehr Kokken (Fig. 1E). Während die einzelnen Kokken sich lebhaft
wirbelnd bewegten, war bei den Ketten eine schlängelnde oder hin und her wackelnde
Vorwärtsbewegung vorhanden, die bei Complexen von zwei bis fünf noch recht
lebhaft war, dann aber mit zunehmender Länge der Kette sich schnell verlangsamte.
Die lebhafte Vorwärtsbewegung der meist zu zwei und drei an einander gereihten
Kokken erweckte den Eindruck, als lägen hier Stäbchenformen vor; unter der
Oelimmersion lösten sich dieselben jedoch zu Kokkenformen auf. Villon gibt nicht an, welche Vergrösserung der
Abbildung seiner Bactérie pilline zu Grunde liegt. Dieselbe (Fig. 1F) zeigt punktförmige Gebilde (Kokken), sowie
Stäbchen und Fäden. Vielleicht hätten sich die letzteren beiden bei stärkerer
Vergrösserung auch zu Ketten von Kokken aufgelöst. Die Identität der hier
beobachteten, als ein Streptococcus zu bezeichnenden Form mit der Bactérie pilline
ist demnach nicht ausgeschlossen. Villon gibt zwar an,
dass seine Mikrobe im Gegensatz zu den Fäulnissbakterien von der Haarsubstanz lebt,
während im vorliegenden Falle die Haare unberührt blieben und die Malpighi'sche
Schicht das ausschliessliche Nährsubstrat zu sein schien; doch belegt er seine etwas
unwahrscheinliche Angabe durch keine diesbezüglichen Beobachtungen oder Versuche. Im
Uebrigen stimmen die Lebensfunctionen der beiden Formen überein.
Textabbildung Bd. 300, S. 142
Fig. 1.
Die Resultate der vorstehenden Versuche fassen sich nun zu Folgendem zusammen:
Durch verdünnte Lösungen von xanthogensaurem Kali (1 bis 0,25 Proc.) werden die auf
der behaarten Haut vorhandenen Mikroorganismen bei längerer Einwirkung sämmtlich
getödtet, ohne dass die Haut selbst bei halbjährigem Verweilen in der Flüssigkeit in
merklicher Weise verändert würde. Auch bei kürzerer Einwirkung dieses Antisepticums,
12 bis 48 Stunden, werden die Fäulnisskeime vernichtet; doch bleibt in diesem Falle
ein Streptococcus lebensfähig, welcher durch Zerstörung der Malpighi'schen Schicht
die Haare aus dem Hautkörper löst. Diese Art entwickelt Ammoniak ohne merkliche
Mengen anderer riechender Körper und stirbt wahrscheinlich, ohne den Hautkörper
anzugreifen, in den Zersetzungsproducten der Malpighi'schen Schicht ab. Die
Identität dieses Mikroorganismus mit einer bereits bekannten Form (abgesehen von der
Bactérie pilline) zu prüfen, muss weiteren Versuchen überlassen werden. So weit die
bezüglichen Veröffentlichungen verfolgt werden konnten, ist dieser Streptococcus
durch die auffallende Entwickelung seiner Colonien zu einem vielfach verschlungenen
Netzwerk von den bekannten Arten verschieden.
Ob nur dieser einen Form die zerstörende Wirkung auf die
Malpighi'sche Schicht ohne Verletzung der übrigen Hautbestandtheile eigenthümlich
ist, oder ob auch andere Bakterien eine derartige, speciell dem Schwitz verfahren
günstige Rolle spielen können, bleibt noch zu untersuchen, desgleichen ob wirklich
nur die Malpighi'sche Schicht das Nährsubstrat für diesen Streptococcus abgibt, oder
ob ein Aufzehren der übrigen Haut durch Absterben dieser Bakterie in ihren
Stoffwechselproducten -verhindert wird.
Noch sei auf ein anderes Verfahren aufmerksam gemacht, das gegenüber der Abtödtung
der Mikroorganismen auf der Haut durch xanthogensaures Kali für Herstellung steriler
Hautstücke sich als weit geeigneter erwies. Man setzt die entsprechend gereinigten
Stücke in feuchten Kammern den Dämpfen von Schwefelkohlenstoff aus. Hier wurde
folgende Vorrichtung benutzt. Eine grosse Glasschale mit flachem Boden wurde 1 cm
hoch mit Wasser gefüllt, dem 2 Proc. Schwefelsäure zur Abtödtung aller
hineingelangenden Keime zugesetzt war. Ein aus Glasstäben angefertigter, mit vier
etwa 5 cm hohen Füssen versehener Rost wurde hineingestellt, in die Mitte desselben
ein Schälchen mit Schwefelkohlenstoff und darum herum die Hautstücke gebracht. Eine
übergestülpte, in dem Wasser stehende Glasglocke mit weitem Tubus schloss den
Kammerraum ab. In den Tubus war ein drei Glasröhren und ein Thermometer tragender
Gummistopfen gesetzt. Die eine dieser Röhren reichte in das Schälchen und
ermöglichte Füllung und Entleerung desselben ohne Lüftung der Glocke. Die zweite
schnitt dicht unter dem Stopfen ab und setzte sich in eine mit Watte dicht gefüllte
Röhre fort. Die dritte erstreckte sich bis unter den Rost und war ausserhalb der
Glocke mit zwei 2 m langen, zu je einer Spirale von 15 cm Höhe aufgewundenen
Glasröhren verbunden. Die der Glocke zunächst liegende Spirale befand sich in einem
als Wasserkühler dienenden Glasgefäss, die andere, 1 mm weite, aus schwer
schmelzbarem Glas in einem kupfernen Luftbade. An die letztere schloss sich noch
eine als Luftfilter dienende, mit Watte dicht gefüllte Röhre an. Diese Vorrichtung
diente dazu, sterile Luft durch Ansaugen an der zweiten Röhre in die feuchte Kammer
zu führen. Nachdem die Hautstücke 8 Tage in der Kammer der Wirkung der
Schwefelkohlenstoffdämpfe ausgesetzt gewesen, wurde das Luftbad über 300° erhitzt
und der Wasserkühler in Thätigkeit gesetzt, um die beim Durchstreichen durch die
heisse Spirale sterilisirte Luft wieder auf gewöhnliche Temperatur zu bringen. Nun
wurde durch die erste Röhre, bei geschlossener zweiter, der Schwefelkohlenstoff aus
dem Schälchen entleert und dann nach Verschluss der ersten Röhre anhaltend ein
langsamer Luftstrom durch die Kammer gesaugt, um die Schwefelkohlenstoffdämpfe zu
entfernen. Während eines Monates veränderten sich die Hautstücke in der Kammer in
keiner erkennbaren Weise, ein genügender Beleg für die völlige Abtödtung der
Fäulnisskeime durch dieses Verfahren. Einige der Hautstücke, nun in eine zahlreiche
Bakterien enthaltende Flüssigkeit (aus einem Fauläscher) getaucht und dann in
feuchte Kammern gebracht, wurden schon nach 2 Tagen von rapider Fäulniss ergriffen.
Die Haut hatte also durch die Einwirkung des Schwefelkohlenstoffes nichts an
ihrer günstigen Beschaffenheit als Nährboden für Bakterien verloren. Dass die Haut
vor obiger Behandlung reichlich Fäulnisskeime enthielt, zeigten andere Stücke,
welche gleichzeitig in feuchten Kammern durch Fäulniss zerstört wurden.
Leider konnten die gewonnenen Resultate anderer Arbeiten halber nicht weiter verfolgt
werden. Sie bringen indess schon auf dieser Anfangsstufe eine weitere Stütze für die
Richtigkeit der Beobachtung Villon's, dass durch
bestimmte Bakterien (ob durch eine oder mehrere Arten ist, wie gesagt, noch zu
entscheiden) die Haare aus der Haut gelöst werden.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass weitere Versuche schliesslich die Einführung von
Reinculturen dieser enthaarenden Bakterien in den Schwitzprocess zur Folge haben
werden. Jedenfalls werden sie aber dem Gerber durch eine rationelle Desinfection der
Häute Mittel an die Hand geben, die eigentlichen Fäulnisserreger abzutödten bezieh.
so in ihrem die Haut zerstörenden Wachsthum zu schwächen, dass die Haarung auch ohne
die bisher erforderliche sorgfältige Ueberwachung des Schwitzens durch jene
gutartigen Bakterien sich fehlerlos vollzieht. So könnten zum Beispiel die in den
Schwitzkammern aufgehängten Häute durch Dämpfe von Schwefelkohlenstoff oder
ähnlichen in Dampfform wirkenden antiseptischen Stoffen sterilisirt und nach
Verdrängung dieser Dämpfe durch sterile Luft mit in Wasser vertheilten Culturen der
enthaarenden Bakterien überrieselt werden. Bei der Sterilisation, wie bei dem
Haarungsprocess würde die Kammertemperatur auf dem Optimum des Bakterienwachsthums
zu halten sein, wodurch sowohl die Abtödtung der Fäulnisskeime als auch der Verlauf
des Haarungsprocesses durch die betreffenden Bakterien wesentlich beschleunigt
würde.
Textabbildung Bd. 300, S. 143
Fig. 2.
Die Einrichtung eines diesem Zwecke dienenden Schwitzraumes Hesse sich nach dem
Principe der oben beschriebenen feuchten Kammer ohne grosse Schwierigkeiten und
Kosten bewerkstelligen, etwa wie Fig. 2 im
Querschnitt zeigt. A ist ein Kasten aus Eisenblech,
dessen Dimensionen der Anzahl zu schwitzender Häute anzupassen wäre. Dieser Kasten,
durch geeigneten Anstrich luftdicht gemacht, wird durch Flaschenzüge gehoben, um die
Häute auf Rahmen B aufzuhängen. Zum Abschluss der
Aussenluft senkt sich der Kasten in die Rinne C ein.
Dieselbe wird mit Wasser, welches ein Antisepticum enthält, gefüllt; zugleich erhält
dies Wasser in der Kammer die nöthige Feuchtigkeit. Die Rinne sowohl wie der
Kammerboden wären aus wasserdichtem Material (Cementboden, der zweckmässig mit zähem
Mineralöl gut durchtränkt werden könnte) zu fertigen. Durch D würde die sterile Luft an- und durch E
abgesaugt werden; zwecks schnellerer Wirkung des Luftstromes würde auf D ein wagerechtes Siebrohr aufzusetzen sein. Die Sterilisirung der
vorher durch ein geeignetes Luftfilter streichenden Luft Hesse sich in einem
Röhrensystem erreichen, welches in die Heizung des Dampfkessels bezieh. in dessen
Mauerung eingelassen würde. Der Schwefelkohlenstoff würde am besten in einer dem
Kammerraum entsprechenden Menge durch eine Zerstäubungsvorrichtung von aussen in die
geschlossene Kammer vertheilt. Die Inficirung der sterilisirten Häute schliesslich
mit den betreffenden Reinculturen geschähe in der Weise, dass die Culturen, in
Wasser vertheilt, mit Hilfe eines über den Häuten angebrachten Röhrensystems F auf diese niedergerieselt würden.