Titel: | Neuere Bestrebungen bezüglich des Baues und Betriebes von Schiffahrtskanälen. |
Fundstelle: | Band 302, Jahrgang 1896, S. 256 |
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Neuere Bestrebungen bezüglich des Baues und
Betriebes von Schiffahrtskanälen.
Mit Abbildungen.
Neuere Bestrebungen bezüglich des Baues und Betriebes von
Schiffahrtskanälen.
In der am 31. Mai 1896 stattgehabten Hauptversammlung des Vereins für Hebung der
Fluss- und Kanalschifffahrt in Bayern hielt der königl. Bauamtsassessor Heubach von Speyer über oben angeführtes Thema einen
Vortrag, den wir wegen seines allgemeinen Interesses nach dem uns vom
Vereinsvorstand freundlichst zugesandten Berichte nachstehend dem Hauptinhalte nach
wiedergeben.
Der Vortrag behandelt im ersten Theile die Bewegung von Kanalschiffen, und zwar
bezüglich der auf künstlichen Wasserstrassen vortheilhaftesten Fahrgeschwindigkeit,
der Anwendung von Schleppzügen auf Kanälen und endlich einiger neuen Bewegungsarten
für Kanalschiffe. Der zweite Theil erörtert den Vorschlag einer neuen
Kanalisirungsweise.
Vor einer Besprechung des Schiffszuges auf Kanälen dürfte es angezeigt sein, die
modernen Bewegungsarten auf natürlichen Wasserstrassen kurz zu betrachten. Bei
denselben kommen drei Arten von Motorschiffen in Betracht, nämlich Schrauben-, Rad-
und Kettendampfer.
Textabbildung Bd. 302, S. 256
Fig. 1.Zugleistung von Kettenschiffen, Schleppern und Güterbooten
verschiedener Fahr- und Wassergeschwindigkeit.
Anmerkung zu Fig. 1.
Abscissenmaasstab: 1,2 cm = 1 m/Sec.
Ordinatenmaasstab: 1,2 mm = 1 t.
Nach den Angaben von Deröme für die Seine, den Kanal
St. Quentin, Rhein-Marne-Kanal und Scarpe, und nach den Versuchen von Schnell für den Rhein. (Zeitschrift für Bauwesen, 1891.)
Nach Bellingrath sind bei massigem Gefälle, bis zu 25cm/km, Rad- und
Schraubendampfer, erstere in seichtem, letztere in tiefem Wasser, im Vortheil; bei
einem Gefälle von 30 cm/km sind die eben genannten Motoren und die Kettendampfer gleichwerthig,
während bei höherem Gefälle die letzteren überlegen sind. Hieraus ergeben sich die
natürlichen Verwendungsbezirke jeder Gattung.
Was die Art des Betriebes anbelangt, so befördern Kettendampfer nur Schleppzüge,
vermitteln also nur den langsamen Massengüter verkehr, während Rad- und
Schraubendampfer sowohl Schleppzüge bewegen, als auch ohne Anhang einem rascheren
Stückgütertransporte dienen.
Ueber die mechanische Nutzleistung bei verschiedenen Fahr- und
Wassergeschwindigkeiten gibt die graphische Darstellung in Fig. 1 übersichtliche Auskunft.
Die Fahrgeschwindigkeit zu Berg auf den grössten deutschen Strömen beträgt im
Mittel auf dem Rhein für Schleppzüge 4,5 km/Std., d. i. 1,1 bis 1,4 m/Sec.; auf der Elbe für Schleppzüge 3,5
bis 4,5 km/Std.,
d. i. 0,97 bis 1,23 m/Sec.; auf der Oder für Schleppzüge etwa 4,5 km/Std., d. i. 1,25 m/Sec.
Die Schleppkosten stellen sich je nach den Wasserverhältnissen beim Rhein für Rad-
und Schraubenboote auf 0,21 bis 0,83 Pf./tkm, bei der Elbe bis Dresden aufwärts für
Kettendampfer auf 0,4 bis 0,9 Pf./tkm und bei der unteren Oder für Schraubenboote auf
etwa 0,33 Pf./tkm.
Die Gesammtfrachtkosten, Schleppen und Miethe des Schiffsraumes, jedoch ohne Ein- und
Ausladen und ohne Versicherung der Ladung, sind sehr schwankend, da sie nicht nur
von den Wasserverhältnissen, sondern auch von den Handelsconjuncturen abhängen.
Dieselben betragen auf dem Rhein 0,3 bis 1,0 Pf./tkm, auf der Elbe 0,7 bis 1,0 Pf./tkm. Nach
diesen allgemeinen Angaben kann ich nun zur Schiffsbewegung auf Kanälen
übergehen.
Die Fahrgeschwindigkeit auf Kanälen beträgt bei den älteren Zugsarten im Mittel 0,7
m/Sec. (etwa
2,5 km/Std.). Mit
Recht strebt man eine Steigerung an, um sich die Vortheile grösserer Geschwindigkeit
zu Nutze zu machen. Diese Vortheile sind doppelter Art. Zunächst wird durch erhöhte
Geschwindigkeit die Transportleistung des einzelnen Fahrzeuges und dadurch dessen
Erträgniss vermehrt, ein Umstand, der es ermöglicht, eine gegebene Verkehrsgrösse
mit einer geringeren Zahl von Schiffen zu bewältigen, wodurch der Kanaldienst
entlastet wird. Der zweite Vortheil liegt in der Beschleunigung des Güterumlaufes.
Da jedoch Billigkeit und Schnelligkeit des Verkehrs zwei Forderungen sind, die sich
entgegenstehen und einander begrenzen, so wird man gut thun, auf Kanälen, wo die
Mehrzahl der beförderten Güter in erster Linie Billigkeit des Transportes verlangt,
die Schnelligkeit nicht zu sehr zu betonen. Die vergrösserte Fahrgeschwindigkeit hat
den Nachtheil, dass sie die Frachtkosten beträchtlich erhöht. Will man nun in dem
Streben nach Beschleunigung das richtige Maass nicht überschreiten, so liegt die
Aufgabe vor, die Schnelligkeit nur so weit zu steigern, dass der hieraus sich
ergebenden Erhöhung der Frachtkosten gesteigerte Betriebsvortheile ausgleichend
gegenüberstehen. Um diese Aufgabe lösen zu können, muss man sich zunächst den
Einfluss der Fahrgeschwindigkeit auf Transportleistung der Schiffe, auf
Verkehrsbeschleunigung und auf Frachtkosten klar machen.
Der Vortragende hat versucht, diesen Einfluss theoretisch zu entwickeln; er verkennt
keineswegs die Schwierigkeit dieser Untersuchung, da das rein theoretische Bild
durch die verschiedenartigen, unberechenbaren Einflüsse der Praxis stets
Verschiebungen erfahren wird. Gleichwohl gewährt der Versuch einen Einblick in die
Wirkung der Fahrgeschwindigkeit unter mittleren deutschen Verhältnissen. Das
Ergebniss ist in Fig. 2 enthalten. Die theoretische
Betrachtung erfährt übrigens durch die Versuche des französischen Oberingenieurs de Maas eine schätzbare Bestätigung, wie durch Fig. 3 nachgewiesen ist.
Nach diesen Untersuchungen stellt sich nun die Wirkung einer Geschwindigkeitserhöhung
folgendermaassen dar: Auf die Transportleistung der Schiffe im Massengüterverkehr
künstlicher Wasserstrassen ist der Einfluss gering, und zwar hauptsächlich wegen der
langen Liegezeiten in den Häfen.
Textabbildung Bd. 302, S. 257
Fig. 2.Die Kanalfrachtkosten im Verhältniss zur
Fahrgeschwindigkeit.
Anmerkung zu Fig. 2.
Einfluss der Fahrgeschwindigkeit auf die
Frachtkosten.
Ist v die Fahrgeschwindigkeit und vm
= mittlere Fahrgeschwindigkeit, so ist in Folge der
Aufenthalte an Schleusen u.s.w. vm < v; man
kann also schreiben: vm
= μv, wobei μ <
1; bezeichnet nun L die ganze Transportweite, t die Zeit einer Schiffsdurchschleusung, m die Zahl der Schleusen, so ist:
\mu=\frac{v_m}{v};
v_m=\frac{L}{\frac{L}{v}+m\,t}=\frac{L_v}{L+m\,t\,v};
daher
\mu=\frac{L_v}{L+m\,t\,v}\,.\,\frac{1}{v}=\frac{L}{L+m\,t\,v}.
Rechnet man den Schiffahrtstag zu 15 nutzbaren
Arbeitsstunden, so ist die täglich zurückgelegte Strecke
T = 15.3600.uv
und die Dauer der Gesammtfahrzeit in Tagen
=\frac{L}{T}; die Gesammtdauer einer Reise beträgt somit
einschliesslich der Aufenthalte im Abgangs- und Ankunftshafen (= 2H)
R=2\,\left(\frac{L}{T}+H\right)
Um nun bei der folgenden Betrachtung für Deutschland passende Mittelwerthe zu
erhalten, wird L = 350 km, d. i. der mittleren
(nach Sympher) Wassertransportweite in Deutschland
gesetzt; t kann mit allen Aufenthalten zu 20' =
1200'' und m, die Zahl der Schleusen, bei 5 km
Haltungslänge = 350/5 = 70 angenommen werden.
Die Wasserfrachtkosten – ohne Ein- und Ausladen – setzen sich aus drei
verschiedenartigen Theilen zusammen: 1) den Schleppkosten (= s); 2) der Schiffsmiethe, d. i. dem an den Schiffer
geleisteten Ersatz der Kosten für Verzinsung, Amortisation, Unterhaltung und
Bedienung des Schiffes (= σ); 3) den Kosten für
Versicherung von Schiff und Ladung, den Hafenkosten und den Kanalabgaben.
Die Schleppkosten hängen ab vom Schiffswiderstande, der annähernd mit dem
Quadrate der Fahrgeschwindigkeit wächst. Es wird also auch s einerseits mit dem Quadrate der
Fahrgeschwindigkeit wachsen, andererseits wird aber bei vermehrter
Geschwindigkeit eine Kostenminderung insofern eintreten, als der erhöhte Aufwand
nur kürzere Zeit erforderlich ist. Es wird also
s'=s\,.\,\frac{r^2}{v^2}\,.\,\frac{\mu\,v}{\mu'\,v'}=s\,.\,\frac{v'}{v}\,.\,\frac{\mu}{\mu'}.
Durch die Darstellung in Fig. 2
und 3 ist nachgewiesen, dass bei einer Steigerung der
Fahrgeschwindigkeit von 0,7 auf 1,0, 2,0, 3,0, 4,0 m/Sec. unter mittleren deutschen
Verhältnissen die Jahresleistung eines Schiffes, d.h. die Zahl der jährlich
gemachten Reisen, nur im Verhältniss von 0,7 : 0,76 : 0,89 : 0,94 : 0,96 wächst.
Während also erstere im Ganzen um 470 Proc. stieg, erhöhte sich die letztere nur um
37 Proc.
Textabbildung Bd. 302, S. 257
Fig. 3.Frachtkosten bei Bahn und Kanal im Verhältniss zur
Fahrgeschwindigkeit.
Anmerkung zu Fig. 3.
Die Schiffsmiethe bezieh. die hier einschlägigen Frachtkostenantheile hängen von
der Steigerung der Fahrgeschwindigkeit insofern ab, als diese die Dauer der
einzelnen Reise etwas verkürzt. Dadurch wächst aber entsprechend die Zahl der
jährlich gemachten Reisen und geleisteten Nutztonnenkilometer. Dieser
Kostenantheil vermindert sich also bei wechselnder Fahrgeschwindigkeit in
demselben Maasse, in dem die Dauer der einzelnen Reise abnimmt. Die Reisedauer
besteht aus Hin- und Rückfahrt und den Liegezeiten im Abgangs- und
Ankunftshafen. Wie oben entwickelt, ist
R^v=2\,\left(\frac{L}{T}+H\right).
Man hat also
R^{v'}=2\,\left(\frac{L}{T'}+H\right)
und
\sigma'=\sigma\,.\,\frac{R^{v'}}{R^v}=\sigma\,.\,\phi;
der Coëfficient φ drückt
somit den Einfluss der Fahrgeschwindigkeit auf den zweiten Theil der Kosten aus.
Es wird sich zeigen, dass dieser Einfluss sehr gering ist. Nach den Bestimmungen
des deutschen Binnenschiffahrtsgesetzes sind die Liegezeiten beträchtlich und
man kann für 2H nicht weniger als im Mittel 30 Tage
setzen.
Der dritte Theil der Frachtkosten ist von der Fahrgeschwindigkeit vollständig
unabhängig. Diese Kosten fallen für jede Reise in gleicher Höhe an, gleichviel
ob die Reise rasch oder langsam gemacht wird (c).
Für die in neuerer Zeit angestrebten grösseren Kanalfahrzeuge und bei einer
Fahrgeschwindigkeit v = 0,75 m/Sec.
betragen die Frachtkosten auf Kanälen etwa 0,75 Pf./tkm, wovon je 0,25 Pf./tkm auf
die Abtheilungen 1, 2, 3 derselben entfallen.
Die vorgeführten Ableitungen sind in Fig. 2
dargestellt.
Das untere Diagramm II zeigt die grundsätzliche Verschiedenheit von Bahn und
Kanal als Transportmittel. Erstere wird bei wachsender Fahrgeschwindigkeit
verhältnissmässig billiger, letzterer theuerer.
Die Schnelligkeit des Güterumlaufes, d.h. der Zeitraum zwischen Absendung und Ankunft
der Waare, wird durch die Beschleunigung der Fahrt wesentlich stärker beeinflusst.
Lässt man hier wieder die letztere wie 0,7, 1,0, 2,0, 3,0, 4,0 m/Sec. zunehmen,
so wächst die Verkehrsbeschleunigung wie 0,7 : 0,89 : 1,50 : 1,92 : 2,26; die
Gesammtzunahme beträgt somit hier 470 bezieh. 224 Proc.
Den stärksten Einfluss übt die Fahrgeschwindigkeit auf die Frachtkosten aus.
Zunächst dürfte es angezeigt sein, diese Kosten einer kurzen Betrachtung
hinsichtlich des Verhaltens ihrer einzelnen Bestandtheile gegenüber der
Fahrgeschwindigkeit zu unterziehen.
Die Frachtkosten auf Kanälen setzen sich aus drei verschieden gearteten Theilen
zusammen. Den ersten Theil bilden die Schleppkosten, welche der Hauptsache nach vom
Zugkraftbedarfe abhängen. Da der Schiffswiderstand annähernd mit dem Quadrate der
Fahrgeschwindigkeit wächst, werden auch die Schleppkosten in ähnlichem Maasse
zunehmen. Diese Zunahme erleidet jedoch dadurch wieder eine Beschränkung, als der
grössere Kraftaufwand bei gesteigerter Schnelligkeit für ein und dieselbe Strecke
nur auf kürzere Zeit benöthigt wird.
Weiterhin bestehen die Frachtkosten aus der Entschädigung, welche dem Schiffsbesitzer
für Benützung des Schiffsraumes gewährt wird und welche diesem die Verzinsung,
Amortisation, Unterhaltung, Bedienung und Versicherung des Schiffes ermöglichen, ihm
ferner die Auslagen für Hafenkosten und Kanalabgaben ersetzen und einen angemessenen
Reingewinn bieten sollen.
Diese Ausgaben des Schiffes sind grösstentheils Jahreskosten, d.h. sie vertheilen
sich über den Zeitraum des ganzen Jahres. Hierher gehören insbesondere Verzinsung,
Amortisation und Unterhaltung des Schiffes. Diese zweite Abtheilung der Frachtkosten
hängt nur insofern von der Fahrgeschwindigkeit ab, als diese einen geringen Einfluss
auf die Zahl der jährlich gemachten Reisen äussert. Da also eine Erhöhung der
Fahrgeschwindigkeit die Zahl der Reisen und damit die Transportleistung etwas
vergrössert, vertheilen sich die gleichen Jahreskosten auf eine grössere Anzahl von
Transporteinheiten, wodurch diese Abtheilung des Frachtaufwandes massig verbilligt
wird.
Die dritte Abtheilung, zu welcher Kanal- und Hafenabgaben, Schiffs- und
Ladungsversicherung gehören, ist von der Fahrgeschwindigkeit vollkommen unabhängig,
denn diese Kosten entfallen für jede einzelne Reise in gleicher Höhe, gleichgültig,
ob dieselbe langsam oder rasch zurückgelegt wird.
Der Verlauf der Frachtkostencurve in Fig. 2 und 3 lässt erkennen, dass, wenn die Fahrgeschwindigkeit
unter 0,4 m/Sec.
fällt, die Fracht wegen schlechter Ausnützung des Schiffes sehr rasch steigt, dass
ferner bei einer Steigerung der Fahrgeschwindigkeit von 0,4 bis 1,0 m/Sec. (1,4 bis
3,6 km/Std.) die
Frachtkosten massig, bei weiterer Steigerung aber rasch und mit stets zunehmender
Beschleunigung wachsen. Lässt man auch hier die Fahrgeschwindigkeit wie 0,7 : 1,0 :
2,0 : 3,0 : 4,0 m/Sec. steigen, so wachsen die Frachtkosten wie 0,7 : 0,775 : 1,195 : 1,75 :
2,460; Gesammtzunahme somit 470 bezieh. 252 Proc.
Nachdem nunmehr das Verhalten der maassgebenden Factoren gegenüber einer
Beschleunigung der Fahrt klar gestellt ist, kann man an die Ermittelung der
vortheilhaftesten Fahrgeschwindigkeit gehen. Wägt man hierbei ab, bei welcher
Steigerung der ursprünglichen Schnelligkeit sich Betriebsvortheile und
Kostennachtheile ausgleichen, so ergeben sich zwei Hauptunterscheidungen.
Einmal kann man den Charakter des Verkehres roher Massengüter überwiegen lassen, wird
also die Billigkeit in erster Linie stellen und dieselbe nur mit der, ebenfalls auf
Billigkeit der Fracht hinwirkenden Transportleitung der Schiffe vergleichen
(Curven A und C der Fig. 4), während die Verkehrsbeschleunigung
zurückstehen muss. Geht man hierbei von der Geschwindigkeit 0,7 m/Sec. aus und
erhöht dieselbe bis auf 1,0 m/Sec., so findet man, dass sich sowohl Frachtkosten
als auch Transportleistung um etwa 10 Proc. steigern. Die Erhöhung bis hierher ist
also wirthschaftlich gerechtfertigt, während bei weiterer Vergrösserung der
Geschwindigkeit die Kosten rasch steigen, die Leistung dagegen nur langsam
zunimmt.
Textabbildung Bd. 302, S. 258
Fig. 4.Ermittelung der vortheilhaftesten Fahrgeschwindigkeit.
Anmerkung zu Fig. 4.
Die Curven A, B und C
stellen unter mittleren Verhältnissen das Verhalten von Transportleistung der
Schiffe, Verkehrsbeschleunigung und Frachtkosten dar, wenn man die ursprüngliche
Fahrgeschwindigkeit – 0,7 m/Sec. – allmählich erhöht (Fig. 3). Die Curven A
und B geben die aus der Geschwindigkeitserhöhung zu
erwartenden Vortheile, Curve C den Nachtheil dieser
Steigerung. Die letztere ist nur so lange vortheilhaft, als Kosten, d. i.
Nachtheilscurve und Vortheilscurve einigermaassen gleichmässig steigen. Sobald
die Curve des Vortheils unter jener des Nachtheils zurückbleibt, ist die weitere
Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit unvortheilhaft.
Für Massengüter ist vor allem Billigkeit des Transportes nöthig, während die
Schnelligkeit zurückstehen muss. Hier sind also nur die Curven A und C zu betrachten.
Diese steigen bis zum Punkt M annähernd
gleichmässig; von da an bleibt A stark unter C zurück. Daraus folgt, dass eine
Geschwindigkeitserhöhung über M hinaus
unvortheilhaft ist.
Bei höherwerthigen Gütern soll die Beförderung rascher und darf etwas theuerer
werden. Man hat also einerseits A und B, andererseits C zu
vergleichen. Da indessen die Vortheilscurven A und
B verschiedenartige Interessen vertreten – A jene der Schiffer, B
jene der Handelskreise – die in einem gewissen Gegensatze zu einander stehen und
zwischen denen man möglichst zu vermitteln hat, so ist die Mittellinie zwischen
A und B mit C zu vergleichen. Man ersieht, dass die Steigerung
der Fahrgeschwindigkeit nur bis zum Punkte N, d. i.
bis 1,8 m/Sec.
vortheilhaft ist.
Folgerung: Unter mittleren Verhältnissen ist die vortheilhafteste
Fahrgeschwindigkeit auf Kanälen (mit Kammerschleusen) für Massengüter 1 m/Sec. = 3,6
km/Std.;
für Stückgüter 1,8 m/Sec. =6,5 km/Std.
In zweiter Linie wird man auch den Verkehr höherwerthiger Güter in Betracht ziehen.
Diese vertragen theureren Transport und verlangen beschleunigte Beförderung. Hier
sind somit bei einer Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit die vermehrten Frachtkosten
mit den vereinigten Vortheilen der Transportgeschwindigkeit und der vergrösserten
Transportleistung zu vergleichen (Curven ½[A + B] und C der Fig. 4). Räumt man jedem der beiden letztgenannten
Factoren gleiche Bedeutung ein, so ergibt sich, dass hier bei einem Anwachsen der
Schnelligkeit von 0,7 bis 1,8 m/Sec. die Mehrung sowohl der Frachtkosten als auch
der Vortheile etwa 60 Proc. beträgt. Jede weitere Steigerung würde auch hier wieder
rascheres Wachsen der Nachtheile gegenüber dem zu erwartenden Gewinn zur Folge
haben. Die letztere Untersuchung ist in graphischer Weise in Fig. 4 durchgeführt und daselbst näher erläutert.
Es erübrigt noch, die Frage erhöhter Fahrgeschwindigkeit in bautechnischer Hinsicht
zu besprechen. Es ist dies eine reine Geldfrage. Macht man ein Kanalprofil
hinreichend gross und bildet die Böschungen für starken Wellenschlag aus, d.h. macht
sie möglichst steil und stellt sie aus festem Material her, so kann jede von den
Motoren erreichbare Schnelligkeit zugelassen werden. Die Anlagekosten solcher
Schnellbetriebskanäle werden sich allerdings hoch stellen.In neuerer Zeit auf holländischen Kanälen
gemachte bemerkenswerthe Beobachtungen zeigten, dass für jedes Fahrzeug in
einem bestimmten Kanalprofile eine grösste Geschwindigkeit besteht, die sich
nicht steigern lässt. Jede Erhöhung der maschinellen Kraft wirkt, sobald
diese Grenze erreicht ist, lediglich auf Verstärkung der Wellen- und
Wirbelbildung hin.
Aus den bisherigen Betrachtungen und aus den Fig. 2
bis 4 ergeben sich nun nachstehende Folgerungen:
1) Für die überwiegende Mehrheit der Kanalmassengüter ist die vortheilhafteste
Fahrgeschwindigkeit die etwa von 1,0 m/Sec. Eine Erhöhung über diese Grösse hinaus ist
unwirthschaftlich.
2) Sollte sich auf einzelnen Kanälen für werthvollere Güter ein beschleunigter
Transport als wünschenswerth erweisen, so kann man auf demselben Kanal, auf dem die
Rohgüterkähne langsam fahren, durch kleinere Schiffe einen Eildienst versehen
lassen. Diese Transportart erweckt nicht die, einer beträchtlichen Beschleunigung
des Massenverkehres entgegenstehenden Bedenken, da bei Stückgüterbooten die lange
Liegezeit in den Häfen wegfällt und auch mehr auf lohnende Rückfracht gerechnet
werden kann. Die vortheilhafteste Fahrgeschwindigkeit für diesen Eildienst ist die
von etwa 1,8 m/Sec. (6,5 km/Std.).
3) Endlich ist noch ein beachtenswerther Schluss aus den Berechnungen (vgl. Fig. 2 und 3) der, dass
dieselbe Wirkung auf die Transportleistung der Schiffe im Kanalmassenverkehr, wie
sie eine Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit von 1,0 auf 1,5 m/Sec., also um 50
Proc., zur Folge hätte, durch eine massige Verkürzung – um etwa 12 Proc. – der
langen Liegezeiten erreicht werden kann. Diese Verkürzung dürfte einfacher und
besonders billiger zu erlangen sein, als eine hohe Fahrgeschwindigkeit.
Die unter 3) angeführte Schlussfolgerung beweist die Richtigkeit der von Bellingrath aufgestellten Forderung: Man solle weniger
auf die Vergrösserung der Fahrgeschwindigkeit als auf die Vermehrung und
Verbesserung der Lade- und Entladevorrichtungen hinwirken.
Eine für den Schiffszug auf Kanälen belangreiche Frage ist die, ob der Verkehr von
Schleppzügen, der auf freien Strömen sehr vortheilhaft wirkt, auf Kanälen möglich
und empfehlenswerth sei?
Zunächst widerstreitet die beim Passiren von Kammerschleusen oder Hebewerken
erforderliche Theilung der Züge, das Einzeldurchschleusen und Aufeinanderwarten
der Schiffe der Anwendung, von Schleppzügen. Dieser Nachtheil lässt sich indessen
unter Umständen ausgleichen. Denn da solche Züge durch grosse, also billig
arbeitende Motoren bewegt werden, kann man ihnen trotz des grösseren
Schiffswiderstandes, den sie im engen Kanäle erfahren, bei gleichem Kostenaufwande
eine grössere Geschwindigkeit ertheilen, als einzeln fahrenden Schiffen. Bei
beträchtlicher Länge der Haltungen – wenigstens 7 km – kann somit ein Schleppzug,
obwohl er an den Schleusen viel Zeit verliert, im Ganzen ebenso rasch und selbst
rascher von der Stelle kommen, wie das langsamer fahrende Einzelschiff.
Wenn nun auch der Verkehr ganzer Schiffszüge auf Kanälen eine Verbilligung der
Frachtkosten nicht erwarten lässt, so bietet er doch für den Betrieb den Vortheil,
dass auf offener Strecke an Stelle einer grossen Anzahl von Einzelschiffen eine
bedeutend geringere Zahl von Zügen fährt, wodurch sich unter anderem auch die Zahl
der störenden Kreuzungen entsprechend vermindert.
Eine sichere Folge des Verkehrs von Schiffszügen wäre auch eine grössere
Regelmässigkeit im Kanalbetriebe als bei der Einzelfahrt, da die Schiffe gezwungen
wären, sich an die Abfahrtszeiten der Züge zu halten.
Es ist noch zu untersuchen, wie sich in engen Kanalprofilen der Widerstand eines
Schiffes im Schleppzuge zu jenem eines ebenso grossen Einzelschiffes unter sonst
gleichen Umständen verhält. Die Litteratur enthält wenig zur Beurtheilung dieser
Frage. Werthvolles Material geben die planmässig auf dem Kanal St. Martin in
Frankreich angestellten Versuche, über welche Derôme
auf dem internationalen Binnenschiffahrtscongress zu Paris 1892 berichtete.
Der Vortragende hat sich bemüht, durch Umformung dieser französischen Ergebnisse eine
Spur des gesuchten Gesetzes zu finden. Dieser Versuch wird durch Fig. 5 und 6 erläutert.
Er deutet durch den Verlauf der Curven das Vorhandensein eines Gesetzes unverkennbar
an und lässt ersehen, dass unter mittleren Verhältnissen der Widerstand des Schiffes
im Zuge um etwa 30 Proc. grösser ist als beim Einzelschiff und dass diese
Vergrösserung hauptsächlich durch das Verhältniss des Wasserquerschnittes zum
eingetauchten grössten Schiffsquerschnitt beeinflusst wird.
Dieses Resultat mag auf den ersten Blick gegen den Betrieb mit Schleppzügen auf
Kanälen sprechen. Allein die Sache liegt deshalb nicht so schlimm, weil die
Fortbewegung solcher Züge entweder durch starke Schleppschiffe oder an der Kette
geschieht, besonders die letztere aber auf Kanälen einen so günstigen Nutzeffect
gewährt, dass der Nachtheil des grösseren Schiffswiderstandes mehr als ausgeglichen
wird.
Für einzelne Schiffe kann dagegen die Aufgabe, dieselben billig an der Kette
fortzubewegen, noch nicht als vollkommen gelöst gelten, und die Beförderung
einzelner Kanalfahrzeuge durch Dampf ist wegen der Kleinheit der erforderlichen
Maschinen so unökonomisch, dass sie nicht einmal mit einem wohleingerichteten
Pferdezugbetrieb concurriren kann.
Für letztere Behauptung liefert der Seitenkanal der Oise ein interessantes Beispiel.
Dort besteht eine gut eingerichtete Pferdezugunternehmung, welche billige
Schleppgebühren von 0,25 bis 0,29 Pf./tkm erhebt und günstige finanzielle Erfolge
erzielt. Es versuchte nun eine andere Gesellschaft, dem Pferdezug durch freie
Dampfschlepper Concurrenz zu machen. Dieser Versuch misslang indessen finanziell
vollständig und musste bald aufgegeben werden. Aus dem über den Schleppzugverkehr
Gesagten ergibt sich, dass diese Verkehrsart auf Kanälen bei langen Haltungen
vortheilhaft ist und die Anwendung mechanischer Zugkraft in günstiger Weise
gestattet. Nachtheilig ist die Theilung der Züge an den Schleusen. Dieser Umstand
schliesst Schleppzüge bei kurzen Haltungen aus, zeigt aber andererseits, dass es
sehr vortheilhaft wäre, Schleusen anzuwenden, welche von Schleppzügen ohne Theilung
und ohne Aufenthalt passirt werden können. (Anlagen dieser Art werden im zweiten
Theile angedeutet.)
Textabbildung Bd. 302, S. 260
Schiffswiderstand von Schleppzügen und Einzelschiffen.
Anmerkung zu Fig. 5 und 6.
Maasstäbe
für
die
w-
Curven:
1 mm
= 1 k
„
„
„
v-
„
1 cm
= 0,5 m
„
„
„
n-
„
2 mm
= 1.
v =
Fahrgeschwindigkeit in m/Sec.
w =
Schiffswiderstand für 1 qm
1) bei Einzelschiffen: des grössten eingetauchten Querschnittes;
2) bei Schleppzügen: des arithmetischen Mittels aus der Summe der grössten
eingetauchten Querschnitte sämmtlicher Schiffe.
Diagramm I.
1) Bei Fahrgeschwindigkeiten von 0,7 bis 1,2 m/Sec. darf ein Schiff im Schleppzuge,
wenn es denselben Widerstand wie ein gleich grosses Einzelschiff erfahren soll,
nur mit 62 bis 92 Proc., im Mittel mit 77 Proc. der Geschwindigkeit des
Einzelschiffes fahren, wenn n = 4–5 ist.
2) Wenn der Wasserquerschnitt gleich oder grösser als der 6fache grösste
eingetauchte Schiffsquerschnitt ist, so ist der Widerstand im Zuge nicht mehr
merklich grösser als jener des Einzelschiffes.
3) Für n = 4, wie es bei Kanälen meist gegeben ist,
darf die Geschwindigkeit des Schleppzuges nur 62 Proc. der Geschwindigkeit des
Einzelschiffes betragen, wenn der Widerstand gleicher Schiffe gleich sein
soll.
Diagramm II enthält dieselben Versuchsresultate wie 1, nur in anderer Weise
aufgetragen.
Diagramm II.
Wenn dasselbe Schiff im Schleppzuge und allein mit gleicher Schnelligkeit fährt,
so ist der Schiffswiderstand im ersteren Falle etwa um 30 Proc. grösser als beim
Einzelschiff.
Erläuterung: Die ausgezogenen Linien beziehen sich auf
Schleppzüge von etwa drei Schiffen, die punktirten Linien auf Einzelschiffe.
Es erübrigt noch, die neueren Vorschläge für die Fortbewegung von Kanalschiffen einer
kurzen Betrachtung und Würdigung zu unterziehen. Gegen das System des Schiffszuges
durch Locomotiven vom Ufer aus machten sich vor allem die Bedenken geltend,
dass die Anlagekosten für die Eisenbahn hoch sind und dass die plötzlichen
Höhenänderungen an den Kammerschleusen ungünstige Neigungsverhältnisse für die Bahn
bedingen. Ausserdem ist zu erwähnen, dass diese Art der Fortbewegung, wenn auch nur
die Kraft kleiner Locomotiven ausgenützt werden soll, nur für Schleppzüge angewendet
werden kann. Dieser Vorschlag setzt also voraus, dass Schleppzüge überhaupt
verwendbar sind.
Die königl. preussische Regierung hat auch mit diesem System eingehende Versuche
anstellen lassen. Die Versuchsstrecke war 5 km lang und befand sich 4 Monate lang in
Betrieb. Um das System unter schwierigen Verhältnissen zu erproben, hatte man eine
Strecke mit möglichst vielen Krümmungen gewählt. Da sich das Anbringen des Zugseiles
direct an der Maschine wegen der schiefen Zugrichtung als ungünstig erwies, wurde
noch ein besonderer Zugwagen eingeschaltet. Was den Betrieb selbst in technischer
Hinsicht betrifft, so fielen die Versuche günstig aus. Es kam weder Betriebsstörung
noch Unfall vor, nur zeigte sich, dass man die Züge nicht zu lang machen dürfe, weil
in diesem Falle die Steuerung der letzten Schiffe unsicher wurde. Als zweckmässigste
Geschwindigkeit stellte sich die von 1 m/Sec. heraus.
Leider sind aber sowohl die Anlage- als auch die Betriebskosten zu hoch. Letztere
betrugen etwa 0,7 Pf./tkm, also fast das Dreifache dessen, was ein gut eingerichteter Pferdezug
kostet. Dieser Umstand dürfte den Schiffszug vom Ufer aus in dieser Form unmöglich
machen.
In Frankreich war diese Zugweise auf einigen Kanälen praktisch eingeführt. Man
verwendete Locomotiven von 14 t Dienstgewicht, die mit 0,4 m/Sec.
Geschwindigkeit in der Regel zwei Schiffe zogen. Die Schleppreise betrugen 0,22 Pf./tkm, waren
aber offenbar viel zu nieder, weil die Gesellschaft bald in Liquidation treten
musste.
Ein anderer Vorschlag geht dahin, dass längs der Kanalufer, und zwar auf jedem Ufer
in entgegengesetzter Richtung, auf Rollen oder ähnlichen Stützpunkten ein von einer
feststehenden Maschine bewegtes Seil ohne Ende läuft und dass die Kanalschiffe sich
an dieses Seil – das Wandertau – anhängen und von demselben fortziehen lassen.
Dieses System soll in Frankreich zur Anwendung auf einer Versuchsstrecke in Aussicht
genommen sein.
Die preussische Regierung hat diese Zugsweise während einer Zeit von 5 Monaten auf
einer 4,5 km langen Kanalstrecke eingehend geprüft. Die Bewegung des Seiles wurde
durch zwei Locomobilen von zusammen 28 vermittelt. Als grösste
Schwierigkeit erwies sich die Befestigung der Zugseile an dem Wandertau, und zwar
besonders wegen der Drehungen dieses Taues, welche bei Spannungsänderungen und
Betriebsunterbrechungen eintreten und mit solcher Kraft wirken, dass sie die
Zugseile aufwickeln und dadurch die Schiffe an das Land ziehen.
Ein anderer Nachtheil liegt darin, dass der Nutzeffect mit wachsender Betriebslänge
rasch abnimmt; derselbe beträgt bei
5
km
Länge
60
Proc.
10
„
„
35
„
20
„
„
13
„
der angewendeten Maschinenkraft.
Unökonomisch erscheint der Umstand, dass das Wandertau auch dann in Betrieb gehalten
werden muss, wenn nur wenige oder keine Schiffe dasselbe benützen.
Als zweckmässigste Geschwindigkeit erwies sich die von 0,8 m/Sec.; grösser
als 1 m/Sec. kann
dieselbe jedenfalls nicht werden, weil sonst der Geschwindigkeitsunterschied
zwischen Wandertau und anzuhängendem Schiffe zu gross und das Anhängen schwierig
wird.
Die Schleppkosten stellen sich nach den deutschen Versuchen auf 0,17 Pf./tkm, nach
französischen Angaben sogar nur auf 0,14 Pf./tkm. Diese verlockenden Zahlen setzen indessen, wie
Fig. 9 zeigt, grossen Güterverkehr voraus.
Mindert sich dieser, so steigen die Schleppkosten sehr rasch. Da es indessen nicht
unwahrscheinlich ist, dass die jetzt noch bestehenden Nachtheile dieses Systems ganz
oder theilweise durch Verbesserungen aufgehoben werden, kann man den Schiffszug
durch das Wandertau jedenfalls als vielversprechend bezeichnen.
Der Vortragende kommt nun zu den Versuchen, die Fahrt an der Kette auf künstlichen
Wasserstrassen allgemein zur Anwendung zu bringen.
Bekanntlich liegt ein Hauptnachtheil der Fahrt an der Kette auf fliessenden Gewässern
darin, dass die Kette in der Regel nur auf der Bergfahrt ausgenützt wird. Dieser
Nachtheil fällt auf Kanälen ganz weg, da hier ein Unterschied in der Strömung bei
Berg- und Thalfahrt im Allgemeinen nicht besteht, somit die Kette in beiden
Fahrtrichtungen gleichmässig verwerthet werden kann. Noch ein anderer Umstand ist
der Schleppschiffahrt auf Kanälen günstig. Die Fahrt an der Kette ist nämlich dort
am vortheilhaftesten, wo der Zugkraftbedarf sehr gross wird. Grosse Zugkraft ist nun
besonders dann nothwendig, wenn das Gefälle sehr stark oder wenn der
Wasserquerschnitt sehr klein ist. Letzteres trifft bei fast allen künstlichen
Binnenwasserstrassen zu. Wir finden deshalb auch auf französischen Kanälen vielfach,
besonders an schwierigen Stellen, wie Tunnels mit sehr verengtem Wasserquerschnitt,
die Kettenschleppschiffahrt in Zügen mit Vortheil verwendet, aber nur für einzelne
Haltungen. Der Grund, weshalb man diese Beförderungsart nicht auf durchlaufende
Kanallinien übertrug, liegt darin, dass auf den meisten Kanälen die Haltungen so
kurz sind, dass Schiffszüge unmöglich werden. Will man also die Kettenschiffahrt auf
durchgehende Kanallinien mit Kammerschleusen und Hebewerken anwenden, so liegt meist
die Aufgabe vor, das einzelne Schiff an der Kette fortzubewegen. Die Lösung dieser
Aufgabe ist deshalb nicht leicht, weil einzelne Schiffe nur einer geringen
motorischen Kraft bedürfen, diese Kraft aber gerade auf Kanälen sehr billig sein
muss.
Die Dampfkraft ist bekanntlich bei der Anwendung in kleinem Maasstabe theuer, ein
Umstand, der es vollkommen erklärt, dass das in Frankreich vorgeschlagene System,
welches die einzelnen Fahrzeuge vorübergehend mit Locomobilen versehen wollte,
welche die Ketten trommeln in Bewegung setzten, nicht über ein Stadium der Versuche
hinaus gelangte.
Verbesserungen bietet der Vorschlag, kleine, leicht transportable Erdöl- oder
Elektromotoren für die Dauer der Fahrt auf den einzelnen Fahrzeugen anzubringen.
Diese Maschinen bewegen die Kettentrommel und dadurch das Schiff. Die Elektromotoren
erhalten den erforderlichen Speisestrom von einer Uferleitung aus durch Contactwagen
o. dgl. Die Adhäsion zwischen Kette und Trommel wird hier noch auf mechanischem Wege
durch Reibung erzielt.
Bemerkenswerth ist, dass die königl. preussische Regierung wegen grosser
Bedenken gegen dieses Zugsystem von praktischen Versuchen mit demselben absah.
Galliot schlug ein Project für Einführung der
elektrischen Kettenschiffahrt in der Scheitelhaltung des Kanals von Burgund vor.
Dasselbe wurde später ausgeführt und wirkte, wie Oberingenieur Hirsch berichtete, auf die Regelmässigkeit im
Kanalbetriebe sehr vortheilhaft ein. Leider schweigt der Bericht über die
Betriebskosten vollständig.
Textabbildung Bd. 302, S. 261
Fig. 7.Querschnitt einer magnetischen Touagerolle nach de Bovet.
Textabbildung Bd. 302, S. 261
Fig. 8.Steigerung des Schiffswiderstandes bei zunehmender
Fahrgeschwindigkeit.
Die Ordinaten geben den Schiffswiderstand in k für 1 qm des grössten
eingetauchten Schiffsquerschnittes. Die Versuche wurden in demselben Kanalprofil
(29,53), bei verschiedenen Tauchtiefen 1,00 m (n =
5,9), 1,30 m (n = 4,52) und 1,60 m (n = 3,68) vorgenommen.
Zum Vergleich ist der Zugwiderstand des gleichen Fahrzeuges im offenen Strom (n = ∞) durch die gestrichelte Linie angegeben.
Die Curven legen dar, dass auf Kanälen eine wesentliche Steigerung der
Fahrgeschwindigkeit über 1 m/Sec. hinaus ungünstig wirkt und der Natur dieser
Verkehrswege mit engem Wasserquerschnitt widerspricht.
Maasstab der Abscissen:
6 mm = 0,25 m/Sec.
Maasstab der Ordinaten:
0,6 mm = 1 k/qm.
Von der Société du touage de la Seine inférieure et de
l'Oise wurden mehrfache Versuche angestellt, um Dampf oder comprimirtes
Wasser zur Fortbewegung einzelner Schiffe an der Kette nutzbar zu machen. Alle aber
erwiesen sich als fruchtlos, bis de Bovet, der Director
genannter Gesellschaft, an Stelle der mechanischen Reibung zwischen Kette und
Trommel die magnetische Adhäsion anwendete (Fig. 7).
Er ordnete eiserne Rollen an, welche durch elektrische Ströme stark magnetisirt
werden, so dass eiserne Ketten fest an dem Rollenumfange haften. Wird nun eine
derartige Rolle durch irgend eine äussere Kraft gedreht, so wird die Kette an der
Rolle aufgewunden und dadurch das Schiff fortbewegt. *
Praktische Versuche lieferten überraschend günstige Resultate. Bei 3700
Ampèrewindungen und einem Strom von 48 Ampère bei 70 Volt, der durch eine Maschine
von 4,5 erzeugt wurde, nahm eine schadhafte, alte Kette einen Zug von 6500
k auf, wenn sie eine Rolle von 1 m Durchmesser auf drei Viertel des Umfanges
berührte. Zur Beurtheilung dieser Zahl sei angefügt, dass z.B. Finowkanalschiffe von
4,6 m Breite und 1,75 m Tiefgang mit 175 t Ladung bei 0,9 m/Sec.
Fahrgeschwindigkeit einen Zugwiderstand von etwa 300 k leisten, während bei gleicher
Geschwindigkeit
Kähne von 1000 t Tragfähigkeit, bei 8 m Breite und 2,25 m Tiefgang einer Zugkraft
von etwa 1500 k bedürfen. Es kann also die durch 4,5 erzeugte magnetische
Adhäsion den Zugwiderstand von etwa 22 Finowkanalschiffen und von mehr als vier
1000-t-Kähnen aufnehmen.
Der Vortheil dieses Systems liegt vor allem darin, dass die an der Rolle
aufgewickelte Kettenlänge sehr gering ist und nur etwa drei Viertel des
Rollenumfanges beträgt, wodurch das sogen. Wandern der Kette sehr vermindert und die
Möglichkeit, die Kette rasch abwerfen zu können, wesentlich erhöht wird.
Textabbildung Bd. 302, S. 262
Fig. 9.Abhängigkeit der Schleppkosten vom Gesammtverkehr.
Was nun die Bewegung der magnetisirten Rolle betrifft, so kann diese entweder – bei
grossen Verhältnissen – durch Dampf erfolgen oder man wird bei der Bewegung
einzelner Schiffe eine Kraft anwenden, welche in grossen Centralen billig erzeugt
und nach Bedarf an verschiedene, bewegliche Verbrauchsstellen vertheilt werden kann.
Diesen Forderungen entspricht am besten die elektrische Kraftübertragung.
Auf solchen Kanälen, welche Schleppzüge nicht zulassen, ist bei diesem System somit
jedes einzelne Schiff mit einem kleinen, leicht anzubringenden und zu beseitigenden
Elektromotor zu versehen, welcher eine magnetische Kettenrolle in Bewegung setzt.
Die Stromzuführung zu Motor und Rolle erfolgt von einer Uferleitung aus. Eventuell
könnten auch Accumulatoren in Frage kommen.
Nach Molinos hat das Project der magnet-elektrischen
Kettenschiffahrt für einen Kanal mit starkem Verkehr ergeben, dass dieses System
eine merkliche Vergrösserung der Geschwindigkeit und eine geringe Verbilligung der
bisherigen Frachtkosten gewähren würde. Ein allgemeines Urtheil desselben Ingenieurs
über die von den. neueren Schiffzugssystemen auf Kanälen zu erwartenden Vortheile
dürfte hier noch von Interesse sein. Mit wenigen Worten lässt sich dasselbe dahin
zusammenfassen: Grössere Billigkeit als beim gut eingerichteten Pferdezug scheint
schwer erreichbar zu sein, wohl aber grössere Regelmässigkeit und grössere
Geschwindigkeit.
Vergleicht man nun die verschiedenen Zugsysteme hinsichtlich ihrer wichtigsten
Eigenschaften, so ergibt sich Folgendes: Die grösste Billigkeit verspricht nach den
vorliegenden Erfahrungen bei sehr starkem Verkehr das Wandertau. Etwa gleichwertig
hinsichtlich der Zugkosten dürften elektromagnetische Ketten Schiffahrt, Ketten
Schleppschiffahrt und gut eingerichteter Pferdezug sein. Geradezu unmöglich
wegen der hohen Betriebskosten ist der Locomotivzug.
Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass dies nur bei starkem Verkehr gilt. Fig. 9 zeigt, dass sämmtliche neueren Zugsysteme nur
dann billig sind, wenn der jährliche Gesammtverkehr sehr gross ist. Wird dieser
kleiner, so steigen die Zugkosten rasch, und zwar in einem Maasse, dass bei einem
Verkehr, der 1000000 t im Jahre nicht erreicht, an die Anwendung des Wandertaues und
der elektrischen Zugsweisen nicht gedacht werden kann. Die Kettenschleppschiffahrt
ist etwas weniger abhängig von der Verkehrsgrösse. Verhältnissmässig unabhängig von
der Grösse des Verkehrs sind dagegen die älteren Zugsarten durch Pferde und durch
Remorqueure, weil beide keine umfangreichen Nebenanlagen erfordern und die
Möglichkeit bieten, bei zu- oder abnehmendem Verkehre die Zahl der Motoren dem
Bedarfe anzupassen. Hinsichtlich der Fahrgeschwindigkeit haben die Versuche
übereinstimmend ergeben, dass dieselbe am zweckmässigsten bei allen neueren Systemen
0,8 bis 1,0 m/Sec.
beträgt, während sie beim Pferdezug 0,7 m/Sec. nur selten überstieg. Fragt man nach der
Möglichkeit, eine centrale, also billige Kraftquelle zu benützen, so dürften in
erster Linie die elektrischen Zugsmethoden stehen, da bei ihnen die
Entfernungsverluste viel geringer sind als beim Wandertau. Sind Schleppzüge
zulässig, so befördern auch Kettenschiffe und grosse Remorqueure billig.
Sehr wichtig ist ferner die Frage, ob das Fahrzeug die Zugkraft jederzeit rasch in
Benutzung nehmen und bei Bedarf ebenso wieder abgeben kann. In dieser Hinsicht
entspricht am meisten die magnetelektrische Touage, die sofortiges Ingangsetzen und
Halten, sowie rasches Abwerfen der Kette gestattet.
Ferner bedarf der Umstand der Erwähnung, ob der Motor für die Dauer der Fahrt
beibehalten werden kann oder öfters gewechselt werden muss. Ersteres lässt sich bei
den verschiedenen Arten der Kettenschiffahrt ermöglichen, sowie bei dem Schleppen
durch Remorqueure. Das Wandertau dagegen verlangt bei der beschränkten Länge der
einzelnen Seilstrecken den öfteren Uebergang des Schiffes von dem einen Seil auf das
nächste.
(Schluss folgt.)