Titel: | Die Anwendung der quantitativen Reactionen der Fettanalyse in der Untersuchung der Wollfette. |
Autor: | W. Herbig |
Fundstelle: | Band 303, Jahrgang 1897, S. 187 |
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Die Anwendung der quantitativen Reactionen der
Fettanalyse in der Untersuchung der Wollfette.
Von W.
Herbig.
(Herrn Rob. Henriques
zur Entgegnung.)
Die Anwendung der quantitativen Reactionen der Fettanalyse in der
Untersuchung der Wollfette.
In der Chemischen Revue über die Fett- und
Harzindustrie, 1896 S. 245, sieht sich Henriques veranlasst, meine vor Kurzem in diesem JournalD. p. J. 1896 302 17. erschienene Arbeit: „Die
Verwerthung der Jodzahl in der Wollfettanalyse“ einer Kritik zu unterziehen,
die allerdings schon durch die Abfassung der Ueberschrift die Tendenz des Verfassers
leicht erkennen lässt.
Ich würde in Folge dessen wohl kaum Veranlassung genommen haben zu antworten, wenn
nicht andere Gründe zur Befolgung des Gegentheils maassgebend geworden wären, da in
dieser Entgegnung zweifelsohne die Kritik sehr nebensächlich erscheint, obgleich sie
natürlich vom Verfasser an die erste Stelle gesetzt worden ist.
Die Controverse über die am Wollfett anwendbaren Verseifungsmethoden, welche von Lifschütz angeregt und jetzt von Henriques weiter verfolgt wird, tritt, nachdem ich
festgestellt habe, dass zunächst an synthetisch dargestellten Estern die Verseifung
am Rückflusskühler und unter Druck in der von mir verfochtenen Weise verläuft,
nachdem ich ferner gesehen habe, dass an höheren Fettsäureestern die Henriques'sche kalte Verseifung eine nicht vollständig
verlaufende Reaction darstellt, diese Controverse tritt für mich, nachdem auch die
Arbeit V. Rothmund'sZeitschrift f. physik.
Chemie, 1896 Bd. 20 S. 168. unterstützend meinen
Behauptungen beitritt, nunmehr in den Hintergrund. Das Untersuchungsmaterial,
welches an dieser Stelle publicirt werden soll, beseitigt die Bedenken der Gegner
meiner Auffassungen nach fast allen Richtungen.
Nachdem ich Dämlich durch Versuche überzeugt worden bin, dass z.B.
Cerotinsäurecholesterinester schon bei 90°, also bei einem Druck von ungefähr 750 mm
Quecksilbersäule quantitativ verseift wird, nachdem ferner durch Verwendung eines
innen gut versilberten Rohres, wie Schmitz-DumontD. p. J. 1895 290 234. vorschlug, die Einwirkung des
Kalis bei Gegenwart des Kupfers auf den Aethylalkohol der Kalilauge fast ganz
vermieden wird, wie ich ebenfalls später zeigen werde, sind zwei wesentliche Punkte
der gegnerischen Einrede hinfällig geworden, die bislang nicht ganz des Anscheins
der Berechtigung entbehrt haben, wenn auch durch das Experiment, wie ich ebenfalls
eingehender zeigen werde, diesen Behauptungen keine Stützen zugeführt werden
konnten.
Ich sehe deshalb von einer erneuten Erörterung dieser Verhältnisse vorläufig ab, da
ich in abschliessender Weise diese Fragen an anderer Stelle beantworten werde, und
befasse mich nur mit den zwei Hauptpunkten der Henriques'schen Kritik.
Einmal sucht Henriques darzuthun, dass die Jodzahl
überhaupt nach der von mir eingeschlagenen Richtung nicht verwendet werden könnte,
da, nach seinen Worten: „die Hübl'sche
Jodzahlbestimmung, wie schon oft von Liebermann und
Sachse, Gantter, Fahrion, Holde, Schweitzer und
Lungwitz u.a. betont wurde, kein glatt und
einfach verlaufender Additionsprocess und die Jodzahl selbst daher nur eine
empirisch gefundene Zahl ist, die das Maximum der überhaupt absorbirbaren
Jodmenge angibt.“
Zweitens lässt er sich des Breiteren über eine von mir angestellte Berechnung aus,
die, wie ich von vornherein zugebe, in der von mir eingehaltenen Schlussfolgerung
allerdings fehlerhaft ist, trotzdem aber durchaus am Endergebniss, wie ich zeigen
werde, nichts Wesentliches ändert.
Ehe ich aber auf die Besprechung der beiden Punkte näher eingehe, muss ich
vorausschicken, dass die Art und Weise, wie der Inhalt meiner Publication in dieser
Kritik dargestellt wird, der bis jetzt üblichen Form einer wissenschaftlich
begründeten Entgegnung sich insofern nicht anpasst, als durch Fortlassung ganzer
Stellen und Abschnitte meiner Arbeit in der Henriques'schen Kritik ein durchaus falsches Bild von dem Inhalt der Arbeit
und dem Zweck derselben construirt wird. Es scheint, dass sich Henriques an dem Verfahren anderer Autoren, die sich
zur Kritik der Arbeiten anderer Chemiker gedrungen fühlten, wie ich es früher in
dieser Zeitschrift näher beleuchtet habe, leider ein Vorbild genommen hat.
Am Eingange meiner Arbeit führe ich nämlich wörtlich an: „Der Gedanke, welcher
mich bei Anstellung dieser Versuche leitete, war der, aus der Jodabsorption der
einzelnen Gruppen ein vorläufiges Bild von der Menge bestimmter ungesättigter
Körper erlangen zu können, eventuell, wenn für verschiedene aus Rohwollen
verschiedener Provenienz dargestellte Wollfette die Jodabsorption der einzelnen
Gruppen eine gewisse übereinstimmende Constanz aufweisen würde, weitere
Gesichtspunkte aus diesem Verhalten auch für die analytische Beurtheilung der
rohen technischen Wollfette mit Hilfe der Jodzahl gewinnen zu können,“ und
kurz darauf folgend: „Ich schicke gleich voraus, dass ich, bevor nicht diese
Verhältnisse an mehreren Wollfetten durchgreifend studirt worden sind, den
von mir erhaltenen Zahlenwerthen für die Beurtheilung der rohen technischen
Wollfette und der daraus hervorgegangenen Körper – Adeps lanae – zunächst keine
grundlegende Bedeutung beimesse; wohl aber zeigen die erhaltenen Zahlenwerthe in
höchst charakteristischer Weise die Anwesenheit grösserer Mengen ungesättigter
sowohl freier als mit Fettsäuren zu Estern verbundener Alkohole an.“
Es ist mir, und ich glaube allen objectiv urtheilenden Lesern dieser Arbeit,
unmöglich, den Sinn dieser Worte dahin zu deuten, wie Henriques es in folgenden Worten zu thun beliebt: „Um nun neue Stützen
für seine Auffassung zu gewinnen (nämlich für die des Verseifungsprocesses, der
Verfasser), hat Herbig zur Beurtheilung der
Wollfette die Jodzahl heranzuziehen gesucht.“ Ferner ergibt sich aus der am
Schlusse der Untersuchung befindlichen Zusammenfassung der Resultate deutlich und
unzweifelhaft, welche Zwecke ich dabei verfolgt habe. Daselbst heisst es: „Im
Wollfett sind neben den Fettsäuren fast nur ungesättigte Körper vorhanden. Sind
letztere Alkohole, so deutet die dem Cholesterin sich nähernde Jodzahl auf die
Anwesenheit des letzteren hin. Die von mir nachgewiesene Anwesenheit zweier
Körper in der aus Extract II durch Umkrystallisiren gewonnenen weissen Substanz
vom Schmelzpunkt 127° lässt die Anwesenheit des bereits von Schulze nachgewiesenen Isocholesterins vom
Schmelzpunkt 137° sehr wahrscheinlich werden. Gesättigte höhere Alkohole können
deshalb nicht vorhanden sein, weil diese, wie ich am Cerylalkohol ausprobirt
habe, von den sämmtlichen Lösungsmitteln nur sehr schwer aufgenommen werden
(Chloroform ausgenommen), während diese aus Wollfett erhaltenen sehr leicht
löslich sind. Zweitens aber gibt die Jodzahl selbst den Hinweis auf die
Abwesenheit erheblicher Mengen solcher Körper. Endlich lassen die Beziehungen,
die aus der Jodzahl der verschiedenen Körpergruppen in vorstehender Untersuchung
abgeleitet wurden, erneut erkennen, dass bei den Verseifungen die Zersetzungen
so unerheblich sein müssen, dass zu den Fragen, wo die Anwendung der Verseifung
unter Druck nothwendig erscheint, sie unbedenklich verwendet werden kann.
Gelingt es auch für andere Wollfette, in der verfolgten Richtung
übereinstimmende Verhältnisse aufzufinden, so dürfte die Verwendung der Jodzahl
zur analytischen Beurtheilung der rohen technischen Wollfette um deswillen
besonders vortheilhaft sein, weil die Fettsäuren des von den Seifenfettsäuren
freien Wollfettes eine so geringe Jodabsorption, also auch nur einen sehr
geringen Gehalt von ungesättigten Fettsäuren aufweisen, während die Jodzahl des
mit Seifenfettsäuren belasteten Wollfettes bedeutend höher liegen muss. Man wird
also, immer vorausgesetzt, dass die Jodzahlen sowohl der reinen Wollfette als
auch die der daraus zu isolirenden Körpergruppen eine gewisse Constanz erkennen
lassen, was einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben möge, durch
Abscheidung der Fettsäuren aus dem verseiften technischen Wollfett, ferner aus
der Bestimmung der Jodzahl des rohen Wollfettes und derjenigen der Fettsäuren
gewisse Anhaltspunkte gewinnen können, welche in Streitfällen die aufklärenden
Versuche der fractionirten Verseifung sehr wirkungsvoll unterstützen
können.“
Henriques hätte aus diesen Sätzen bei objectiver
Betrachtung der Verhältnisse herausnehmen müssen, dass das Wesentliche der Arbeit
nicht in der von mir angestellten Berechnung liegt – diese ist, wie aus der Abhandlung
zu ersehen, nur ganz beiläufig ausgeführt worden und hätte, ohne den Inhalt der
Arbeit wesentlich zu verändern, ebenso gut unterbleiben können. Diese Fortlassung
der von mir citirten Stellen ist eben für die Art und Weise der Kritik äusserst
charakteristisch. Wer die Entgegnung von Henriques
liest, kommt zu der Meinung, dass ich aus der Jodzahl die Zusammensetzung des
Wollfettes quantitativ hätte erschliessen wollen, während bei aufmerksamer Lectüre
meiner Arbeit eine derartige Verwerthung meiner Berechnungen an keiner Stelle zu
finden ist. Auffällig sind die Beziehungen, welche diese Kritik mit den früheren
Auslassungen des Herrn Lifschütz über Verseifung des
Wollfettes verbinden. Damals, und diese Ansicht wurde sogar von Henriques unterstütztZeitschrift für
angewandte Chemie, 1896 S. 423. 425., sollte überhaupt
die Verseifungszahl für das Wollfett als quantitative Reaction unbrauchbar sein –
weil sogar beim Kochen auf dem Wasserbad neben den Verseifungs-Zersetzungsproducte
auftreten sollten – jetzt ist auf einmal die Jodzahl zur Beurtheilung dafür
unbrauchbar, zu entscheiden, ob bestimmte ungesättigte Körper vorhanden sind oder
nicht, weil neben der Addition noch Substitutionen stattfänden. Entgegen seinen
früheren BehauptungenZeitschrift für angewandte Chemie, 1896 S. 423.
425. Ich citire im Folgenden die beiden Stellen:„Als Resultat dieser Versuche setze ich das folgende Ergebniss an die
Spitze: Die Wollfette erleiden durch Behandeln mit alkoholischem Kali,
sei es in der Kälte oder in der Wärme, unter gewöhnlichem oder erhöhtem
Druck ausser der Esterspaltung noch weitere, tiefer greifende
Veränderungen, und zwar um so grössere, je energischer die Behandlung
erfolgt. Es lässt sich schon in der Kälte eine vollkommene Verseifung
erzielen. Keine Methode zur Bestimmung der Verseifungszahl aber gibt die
Garantie, dass einerseits sämmtliche Ester verseift sind, andererseits
keinerlei secundäre Reactionen stattgefunden haben.“ Diese beiden
letzten Sätze enthalten eine vollkommene contradictio in adjecto. Ferner S.
425: „Diese Versuche scheinen mir klar und eindeutig zu beweisen, dass
der unverseifbare Theil der Wollfette, die Alkohole also, durch Alkali
allmählich, wahrscheinlich im Sinne einer Spaltung, angegriffen
werden.“ gibt jetzt Henriques zu, dass zwei dieser aus Wollfett isolirten Alkohole, das
Cholesterin und noch ein anderer unbeschriebener gesättigter Alkohol, gegen
alkoholisches Kali sowohl beim Kochen am Rückflusskühler als bei langem 8 tägigem
Stehen in der Kälte unempfindlich sind. Ich habe aber auch experimentell
nachgewiesen und werde noch mehr Material dafür beibringen, dass Cholesterin, unter
Druck mit alkoholischem Kali behandelt, intact bleibt, ebenso wie aus verschiedenen
Wollfetten isolirte ungesättigte Alkohole von verschiedenen Schmelzpunkten bei
derselben Behandlung nicht angegriffen werden. So wie Henriques von dieser damals behaupteten tiefer gehenden Zersetzung bei der
Verseifung jetzt zur gegentheiligen Ansicht gekommen ist, so wird er, bei
eingehender Prüfung der Jodabsorption der im Wollfett vorkommenden Körper,
schliesslich auch von den in seiner Kritik erörterten Nebenreactionen abstehen
müssen. Seine Auffassung, dass die Jodzahl nur eine empirisch gefundene Zahl sei,
die das Maximum der überhaupt absorbirbaren Jodmenge angebe, theile ich keineswegs.
In einer Fussnote führt Henriques an, „dass Hübl in seiner ersten grundlegenden Arbeit (D. p. J. 1884 253 281)
die Jodzahl reiner (?) Oelsäure, der Theorie entsprechend, zu etwa 90 fand, darf
nach neueren Arbeiten als Zufallsbefund gelten (vgl. z.B. Helfenberger Annalen, 1895 Nr. 7).“
Ich sehe, zumal da die Helfenberger Annalen mir
nicht zugänglich sind, von dem Studium der daselbst niedergelegten Befunde ab und
verlasse mich lieber auf eigene Erfahrungen, die sowohl bei Olivenöl wie bei
Oelsäure auch bei verschieden lang andauernder Einwirkung der Jodlösung nur ganz
geringe Differenzen zeigten, so dass die theoretische Jodzahl zu erhalten war,
Nebenprocesse also nicht stattgefunden haben konnten.
Wie sich Cholesterin gegenüber der Jodabsorption verhält ist überhaupt, so viel ich
weiss, noch nicht festgestellt worden, und wenn ich an chemisch reinem Cholesterin
die Bedingungen festzustellen gesucht habe, unter denen die Jodabsorption
theoretisch quantitativ verläuft, so ist die Benutzung der dabei erhaltenen
Erfahrungen bei der Bestimmung der Jodzahl anderer ungesättigter Alkohole ohne jeden
Einwurf statthaft. Henriques sucht hier gegen ein
Verfahren zu Felde zu ziehen, wie es beim Studium eines Körpers von unbekannten
Eigenschaften allgemein angewendet wird. Wenn nach 10stündiger Einwirkungsdauer der
Jodlösung die theoretische Jodzahl des Cholesterins bei bestimmtem Jodüberschuss
festgestellt worden ist, so ist mir unverständlich, warum ich dann bei ähnlich
constituirten Körpern anders verfahren soll. Eine einfache Willkür würde es sein,
wenn ich diese Erfahrung nicht verwerthet hätte und statt 10 Stunden 24 Stunden oder
30 Stunden Reactionsdauer angenommen hätte. Aus den Versuchen Nr. 30 bis Nr. 54 ist
ausserdem ersichtlich (ich hebe diese Thatsache ausdrücklich hervor), dass die
Addition bei 18 oder bei 24 Stunden sich absolut nicht vergrössert, dass demnach die
Versuchsdauer von 16 Stunden ihre volle Berechtigung hat. Die zwei Versuche Nr. 12
und 13, in denen bei 18 stündiger Einwirkung der Jodlösung auf Cholesterin die
theoretische Jodzahl von 68 auf 73 steigt, scheinen mir, unter Beziehung auf die
eben erwähnte Thatsache, für eine anzunehmende Substitution doch nicht beweiskräftig
genug zu sein. Die ganze Substitutionsfrage, die jetzt neuerdings bei der
Jodzahlbestimmung von verschiedenen Autoren zur Erklärung abweichender Jodzahlen
herangezogen wird, ist lange noch nicht so spruchreif, wie Henriques es auf Grund der Arbeiten von Schweitzer und Lungwitz hinstellen möchte.
Ich selbst habe auch das Auftreten von Substitutionen in meiner Arbeit erst als
möglich hingestellt, nachdem die Addition beendet ist. Unverständlich bleibt mir,
warum man nach Feststellung der Vollendungszeit der einen Reaction überhaupt der
Bedingungen des quantitativ verlaufenden Processes nunmehr diese Erfahrung nicht
verwenden soll, um Substitutionen zu vermeiden; denn das war eben der Zweck der
Versuche. Der gleichzeitige Verlauf beider Reactionen neben einander hat wenig
Wahrscheinlichkeit für sich und mir scheint hier der Vergleich der Jodeinwirkung auf
ungesättigte organische Körper mit der Einwirkung von Säure auf ein Gemisch von
Aetzalkalien und kohlensauren Alkalien nahezuliegen, wie er zur quantitativen
Bestimmung dieser letzteren Körper nach dem Verfahren von Warder unter Zuhilfenahme von Phenolphtaleïn als Indicator verwendet wird.
Auch hier wirkt die zugesetzte Säure nicht sofort auf das kohlensaure Alkali ein,
sondern erst nach Neutralisation des Aetzkalis tritt die Umsetzung zwischen Säure
und kohlensaurem Alkali zu saurem kohlensaurem Salz ein. Ebenso ist es mehr wie
wahrscheinlich, dass die Substitution erst nach vollendeter Addition vor sich geht,
so dass
experimentell die Bedingungen festgelegt werden können, unter denen eben nur die
eine Reaction verläuft, zumal da der Substitutionsvorgang schon an und für sich eine
träge verlaufende Reaction darstellt, während die Addition bekanntlich sehr leicht
stattfindet.
Der von Henriques geforderte Nachweis der Abwesenheit
von Jodwasserstoffsäure nach dem Verfahren von Lungwitz
und Schweitzer als Beweis dafür, dass keine
Substitution stattgefunden habe, ist ohne jede Beweiskraft. Denn die
Jodwasserstoffsäure kann auch entstanden sein durch Einwirkung der Jodlösung auf den
Alkohol der Hübl'schen Lösung. Es ist durchaus nicht
nothwendig, und ich halte es für unwahrscheinlich, dass die entstandene
Jodwasserstoffsäure ihre Entstehung der Substitution von Jod in das Molekül der
angewendeten Substanzen bei Bestimmung der Jodzahl verdanken soll. Einwandsfrei
könnte diese Frage nur beantwortet werden, wenn man die in das Molekül des
verwendeten Körpers eingetretene Jodmenge quantitativ so bestimmt, dass man nach
Isolirung der jodirten Substanz das Jod quantitativ wieder ausscheidet und misst.
Das Verfahren von M. C. SchuytenChemisches
Centralblatt, 1895 II S. 250. dürfte vielleicht dazu
brauchbar sein, obgleich meine orientirenden Versuche darüber nur qualitativen Werth
haben. Für den vorliegenden Fall tritt aber die Schwierigkeit hinzu, dass das
addirte Jod äusserst lose gebunden ist, so dass während der Procedur der Abscheidung
des jodirten Cholesterins nennenswerthe Jodverluste auftreten können. Ich halte
deshalb die Bestimmung etwa vorhandener Jodwasserstoffsäure für kein ein Spruch
freies Kriterium eingetretener Substitutionsvorgänge, welches das Resultat der
quantitativen Jodaddition an ungesättigte Körper bis jetzt zu einem unzweifelhaft
fragwürdigen gestalten könnte. Wenn übrigens Substitutionsvorgänge so leicht
stattfinden können, warum tritt diese dann nicht bei der Einwirkung Hübl'scher Jodlösung auf gesättigte Alkohole ein, wie
ich an mehreren VersuchenD. p. J. 1891 301
114 u. f. am Cerylalkohol nachgewiesen habe? Obgleich daselbst
die Jodlösung 16 Stunden auf den rohen Alkohol reagirte, war die Jodzahl in zwei
Versuchen 1,48 und 1,8!
Was den zweiten Punkt der Henriques'schen Kritik
betrifft, so hätte auch hier bei sorgfältigerer Prüfung der von mir gemachten
Angaben das Endergebniss zu einer anderen Ansicht führen müssen. Ich gebe zu, dass
allerdings die Art und Weise der Berechnung einen Fehler einschliesst. Allein die
von mir auf Grund der Jodzahlen angestellte Berechnung, wonach 44,5 Proc. Ester und
55,5 freies Cholesterin in dem nach der Verseifung am Rückflusskühler erhaltenen
Acetonextract (Er bezeichnet) sein sollen, wird erfolgreich gestützt dadurch, dass
die Verseifungszahl dieses Extractes theoretisch 32,61 sein müsste und gefunden
wurde 32,45. Ich lasse die erhaltenen Zahlenwerthe folgen und bemerke,D. p. J. 1896 299 233. 256. 301
114. dass die Abweichung von drei Einheiten von der theoretischen
Zahl den bei der Verseifung unter Druck auftretenden Versuchsfehlern zur Last
geschoben werden muss:
Angewend. Ester
Angewend. KOH
Absorb. KOH
Verseifungszahl
0,9147
3,0165
0,03245
35,47
1,2377
3,0441
0,04266
34,47
1,0368
3,0165
0,03364
32,45
Wenn der aus der Jodzahl erschlossene Procentgehalt an Ester und Alkohol ein
anderer wäre, so würde die durch Versuch gefundene Verseifungszahl des Extractes I
kaum mit der aus den Zahlenwerthen der Jodaddition berechneten übereinstimmen
können. Aber gerade diese Stelle, in der ich diese Uebereinstimmung als wesentlich
hinstelle, übergeht Henriques mit Stillschweigen,
obgleich ich diesen Befund mit den Worten hervorhebe: „namentlich unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass bei der quantitativen Verseifung des
Extractes unter Druck die Verseifungszahl 32,45 erhalten wird, während unter
Zugrundelegung der aus der Jodzahl erschlossenen Zusammensetzung des Extractes
I, welcher demnach aus 44,5 Proc. Cerotinsäurecholesterin und 55,5 Proc. freiem
Cholesterin besteht, die erhaltene Verseifungszahl sein müsste 32,61.“
Darauf lege ich aber besonderen Werth, dass diese Uebereinstimmung besteht, und von
diesem Gesichtspunkte aus ist plötzlich die drehende Bewegung, welches Henriques in Folge der Nachrechnung meiner Versuche an
mir zu bemerken glaubte, in einer ihm jedenfalls unerwünschten Weise nicht mehr
sichtbar. Ferner übersieht Henriques, dass die
Differenz der Jodzahlen des Extractes En, enthaltend nur Alkohol, und des Extractes
Err, enthaltend Alkohol + Ester, sich wesentlich verschiebt je nach der Menge des
vorhandenen Esters. Ist wenig Ester vorhanden, so ist natürlich die Differenz sehr
klein; bei grösseren Mengen von Cholesterin- oder anderen Estern muss diese
Differenz wachsen.
Die durch den Versuch festgestellte Differenz der Jodzahlen der beiden Extracte Er
und Err beträgt nun Er 27,56 – Err 51,71 = 15,85. Dieselbe Differenz stellt sich
aber nur ein bei einem ganz bestimmten Gehalt des Extractes Er an Ester und an
Alkohol und zwar ist für die berechnete Zusammensetzung des Extractes I diese
Differenz ebenfalls sehr nahe diesem Werth gelegen.
Meine Annahme, dass der nach der Verseifung am Rückflusskühler erhaltene Extract I
aus freiem Cholesterin und unverseiftem Fettsäurecholesterinester besteht, während
nach der Verseifung dieses Extractes Er unter Druck der dann erhaltene Extract Err
nur aus Cholesterin oder anderen Alkoholen besteht, wird dadurch bestätigt, dass
sowohl der rohe Extract Err wie die daraus durch Umkrystallisation erhaltenen
Alkohole beim Behandeln mit alkoholischer Kalilauge unter Druck keine nennenswerthen
Kalimengen beanspruchen.
Roher Extract II
Angewend.Kali
Absorb. Kali
Verseifungs-zahl
1,3329
3,2799
0,00302
2,2
Reiner Alkohol vom Schmelz-punkt 137°, jedenfalls
Iso-cholesterin
1,7708
3,1321
0,00301
1,7
Alkohol vom Schmelz-punkt 65°
1,6976
3,61285
0,00582
3,4
Zum Ueberfluss habe ich aber ferner noch erfolgreich versucht, den im Extract Er
vorhandenen Ester von dem mit anwesenden Alkohol zu trennen. Ich habe nämlich
festgestellt, dass sowohl Palmitinsäurecholesterinester, wie
Cerotinsäurecholesterinester in siedendem Methylalkohol fast ganz unlöslich sind.
Ferner habe ich gefunden, dass die Essigsäureester der Wollfettalkohole ebenfalls
nur zum Theil in siedendem Methylalkohol sich lösen. Unter Benutzung dieser
letzteren Erfahrung gelingt es leicht, drei Gruppen von Essigestern der Alkohole zu
isoliren, deren Schmelzpunkte bei 52°, bei 78° und bei 88°, bei allerdings bis jetzt nur
orientirenden Versuchen, liegen. Die Trennung der aus den rohen Alkoholen durch
Ueberführung in Essigester mittels Essigsäureanhydrid erhaltenen Körper mittels
Methylalkohol gelingt äusserst glatt. Ich werde später eine darauf begründete
Scheidung der Wollfettalkohole beschreiben. Mit Hilfe von Methylalkohol lässt sich
aber auch die Trennung der im Wollfett vorhandenen freien Alkohole von den
vorhandenen Estern vortheilhaft durchführen. Kocht man Wollfett wiederholt mit
Methylalkohol aus, so gehen nur freie Alkohole und geringe Mengen niedriger
Fettsäureester in Lösung. Die Ester krystallisiren zuerst aus. In der Mutterlauge
findet sich die Hauptmasse der freien Alkohole. Der in kochendem Methylalkohol
unlösliche Rückstand enthält dann nur Ester; diese werden in Aether oder Chloroform
gelöst und mit Methyl- oder Aethylalkohol fractionirt gefällt. Auf diese Weise
lassen sich sehr leicht verschiedene Gruppen von Körpern erhalten, deren
Untersuchung in Angriff genommen werden soll, namentlich in Bezug auf ihr Verhalten
gegenüber der fractionirten Verseifung und gegenüber der Jodabsorption. Aus Extract
Er lässt sich so mittels Methylalkohol ein darin löslicher Körper, das ist der
Alkohol, und ein unlöslicher, das ist der Ester, trennen. Aus Aceton umkrystallisirt
erhält man eine weisse Masse aus den Alkoholen, die in Folge ihres zwischen 76° und
95 ° liegenden Schmelzpunktes als Gemisch zu betrachten sind, deren Trennung dann
mittels der verschiedenen Löslichkeit ihrer Essigsäureester in Methylalkohol
durchzuführen ist. Der in Methylalkohol unlösliche Ester wurde aus Aceton
umkrystallisirt und schmolz bei 74° C. Derselbe wurde unter Druck verseift, und zwar
nachdem ich, wie schon erwähnt, die höheren Ester schon bei einem geringeren Drucke
vollständig verseifen konnte, bei 90–95°. Diese Temperatur und den dazu gehörigen
Druck habe ich in der Folge für schwer verseifbare Substanzen angewendet, nachdem
ich die Beziehungen zwischen Druck und Temperatur und den Fortschritt der
Verseifung mit Hilfe eines Apparates, der diese Grössen zu messen gestattet, genau
verfolgt habe.
Angewend.Ester
Angewend.Kali
Absorb.Kali
Verseifungs-zahl
TheoretischeVersifungszahldes Esters
0,9242
3,0057
0,070414
76,2
74,07
Sowohl der Ester wie der Alkohol geben mit CHCl3 und
concentrirter Schwefelsäure geschüttelt, nach Hager-Salkowski, eine intensive Cholesterinreaction. So viel mir bekannt,
hat man bis jetzt nur am freien Cholesterin diese charakteristische Reaction
wahrnehmbar verfolgt. Reiner Palmitinsäure- und Cerotinsäurecholesterinester geben
aber, wie meine Versuche zeigten, die Hager'sche
Reaction ebenso intensiv, wie das freie Cholesterin. Ferner sind im Wollfett
Alkohole enthalten, und zwar ungesättigte, welche, obgleich der niedrige
Schmelzpunkt, etwa 65°, durchaus nicht auf Cholesterin hinweist, dennoch eine
deutliche Rothfärbung nach dieser Reaction zu geben vermögen. Es scheint demnach,
eingehendere Versuche sollen später darüber veröffentlicht werden, als ob diese
Reaction auch anderen ungesättigten Alkoholen zukommt.
Zurückgreifend bemerke ich nochmals, dass die von mir angestellte Berechnung, welche
sich übrigens auf die in Benedict, Analyse der Fett- und
Wachsarten, 1892 S. 133, zu findenden Angaben stützt, zweifelsohne
Gültigkeit hat, wenn mit den am Schlusse meiner ausgeführten Berechnungen gezogenen
Folgerungen die Verseifungszahl des Extractes I nebst den hier angegebenen
Versuchsergebnissen, welche als gegebene Grössen damals aufzustellen unterlassen
worden ist, in Verbindung gebracht werden.
Ich fühle mich Henriques insofern zum Danke
verpflichtet, als er durch seine Kritik dazu beigetragen hat, dass die von mir
früher als nur beiläufig erwähnten Beziehungen zwischen Verseifungszahl und Jodzabl
in der Wollfettanalyse durch die in der Folge von mir ausgeführten Versuche jetzt
als sehr wahrscheinliche anzusehen sind.