Titel: | Ueber die Leistungen der elektrischen Locomotive der Baltimore-Ohio-Eisenbahn. |
Fundstelle: | Band 305, Jahrgang 1897, S. 16 |
Download: | XML |
Ueber die Leistungen der elektrischen Locomotive
der Baltimore-Ohio-Eisenbahn.
Ueber die Leistungen der elektrischen Locomotive der
Baltimore-Ohio-Eisenbahn.
Unter den Anwendungen der Elektricität für Zugförderungszwecke ist jene im
Hovard-Tunnel der Baltimore-Ohio-Eisenbahn (vgl. D. p.
J. 1895 297 240 und 1896 299 121) vorläufig noch immer die bedeutendste. Diese
Bahnverwaltung hatte sich 1894 anlässlich der Herstellung einer neuen Zufahrtstrecke
verpflichtet, den Zugverkehr in dem genannten, genau unter den Strassen Baltimores
hinlaufenden, 2445 m langen Tunnel möglichst ohne Rauchbelästigung abzuwickeln und
behufs Erfüllung dieser Verbindlichkeit in dieser Vollbahnstrecke theilweise
elektrischen Betrieb eingeführt. Die daselbst am 4. August 1895 in Dienst gestellte
elektrische Locomotive, deren regelmässige Aufgabe vorerst darin bestand, sämmtliche
Lastzüge durch den Tunnel zu schleppen, wurde zur Feststellung ihrer
Leistungsfähigkeit und Geschwindigkeit mannigfachen und eingehenden Prüfungen
unterzogen, über welche Dr. Julius Lefèvre in Le Génie civil, S. 361, Mittheilungen macht.
Danach haben einige mit Personenzügen vorgenommene Versuche erwiesen, dass sich die
gewöhnliche, 48 Std./km betragende Fahrgeschwindigkeit dieser Züge, so lange sie kein grösseres
Gewicht besitzen als 500 t, ohne Schwierigkeit auf 56 bis 64 Std./km erhöhen
lässt. Das Aeusserste, was bei den Geschwindigkeitsversuchen durch die leer fahrende
Locomotive auf der Steigung von 8 ‰ erreicht wurde, ohne dass sich Störungen oder
Anstände an den Zuleitungen, den Stromabnehmern und den Motoren ergaben, belief sich
auf 98 Std./km.
Unter den Belastungsversuchen bestand der bemerkenswertheste darin, dass man der
Maschine zwei Güterzüge, wovon der eine mit Langholz,
der andere mit Kohle beladen war, anhängte. Der auf diese Weise zusammengestellte
aussergewöhnliche Zug war 1900 t schwer, hatte also das gewöhnliche Gewicht von 52
beladenen Güterwagen und trotzdem geschah die Fortbewegung leicht und gleichmässig
bis zum Beginn der Steigung (8 ‰), wo die mangelhafte Kuppelungskette eines der
ersten Wagen hinter der Locomotive abgerissen wurde. Sobald dieser Schaden wieder
behoben war, zog die elektrische Locomotive den ganzen Zug anstandslos die Steigung
empor und erreichte dabei eine Geschwindigkeit von ungefähr 19 Std./km. Der
Ampèremeter zeigte beim Annehmen der Steigung zunächst des Gefällsbruches etwa 2200
Amp., während der stetigen Fahrt auf der Steigung jedoch nur mehr 1800 Amp.; die
Spannung betrug 625 Volt. Dabei waren die vier Motoren der Locomotive in Reihe
geschaltet und belief sich die rechnungsmässig festgestellte Zugkraft der Locomotive
im Mittel auf 27300 k.
Die Unterlagen für derartige Berechnungen der Zugkraft wurden mit Hilfe des
dynamometrischen Wagens der Pennsylvania-Eisenbahngesellschaft gewonnen, der für
eine Reihe von Versuchen leihweise zur Verfügung stand, und der in ganz ähnlicher
Weise wie die bekannten Messwagen der französischen Eisenbahnen mittels eines
Registrirapparates genaue Aufzeichnungen über die während der Fahrt an jeder
Bahnstelle bestandene Zugkraft, dann über die Bahnlänge, die laufende Zeit und die
Zahl der Radumdrehungen, d.h. über die jeweilige Fahrgeschwindigkeit, gewinnen
lässt. Eine letzte Schaulinie des Registrirapparates entspricht der jeweilig von der
Locomotive aufgewendeten Stromstärke. Bei den zu Messzwecken unternommenen
Probefahrten stellte man diesen Wagen stets unmittelbar hinter der Locomotive in den
Zug ein, dessen Gewicht vorher genau ermittelt wurde. Die Aufzeichnungen auf dem
sich mit \frac{1}{1219} der Zugsgeschwindigkeit abwickelnden Papierstreifen
des Messwagens lassen genau ersehen, wie sich die Zugkraft bei der Fahrt in den
Tunnel (im Gefälle) verringert, wie sie dann beim Gefällsbruch allmählich zunimmt
und schliesslich fast unverändert bleibt, so lange der Zug die gleiche Steigung von
8 ‰ befährt. Dabei zeigen sich die Schwankungen in den Schaulinien, insoweit sie
nicht durch die Schwingungen des Messwagens selbst herbeigeführt werden, wesentlich
geringer als bei den Messungen an Zügen, die durch Dampflocomotiven gezogen werden,
ein Umstand, welcher zweifelsohne davon herrührt, dass die Leistung der elektrischen
Locomotive durch den directen Angriff der Kraft an die Radachsen wesentlich stetiger
ist, als jene der Dampflocomotive.
Gelegentlich der ersten Reihe von Probefahrten, welche schon im September 1895
stattfanden, wurde die mittlere Zugkraft für 1 t Zuggewicht mit 9,778 k ermittelt,
wovon 7,057 k auf die Steigung abfallen, so dass sich der Zugswiderstand für die
Fahrt in der wagerechten Gerade mit 2,721 k für 1 t Wagengewicht herausstellt, was
mit den für ähnliche Verhältnisse geltenden Annahmen ziemlich übereinstimmt. Bei
einer zweiten Reihe von Versuchsfahrten, die erst später während des Winters
ausgeführt worden sind, stellte sich diese Ziffer um 20 bis 30 Proc. höher, offenbar
nur zufolge der Verdickung der Schmiermittel und der daraus hervorgegangenen
grösseren Reibungen in den Wagenachsen. Um die Anzahl der auf 1 Ampère Stromstärke
entfallenden Zugkraftkilogramme bestimmen zu können, wurde jede Probefahrt durch
eine zweite ergänzt, bei welcher der Zug um sechs Wagen, deren Gewicht gleichfalls
genau bekannt war, weniger erhielt als bei der ersten Fahrt. Bei beiden Fahrten
erhielt man die Stromstärken für den ganzen Zug, die Locomotive mit inbegriffen, und die Zugkraft für den Zug ausschliesslich der Locomotive. Die Differenz dieser
bei den beiderlei Fahrten gewonnenen Ziffern ergab jedoch ersichtlichermaassen ganz
genau die Ampères und Zugkraftkilogramme für das Gewicht der abgestellten sechs
Wagen; durch einfache Division der Zugkraftkilogramme durch die Ampères ist also die
erstrebte Zahl gefunden. Auf diese Weise hat sich ergeben, dass auf 1 Amp. 13 k
Zugkraft entfallen; es konnte nun weiter leicht ermittelt werden, wie viel
Stromstärke für die Bewegung der Locomotive allein verbraucht wird. Zu dem Zwecke
war es bloss nöthig, die bei einem der Versuche gefundene Gesammtzugkraft durch 13
zu theilen und das Ergebniss von der beim gleichen Versuche beobachteten Ampèrezahl
abzuziehen. Bei beiden Versuchsreihen hat sich der auf diesem Wege berechnete
Strombedarf für die Locomotive mit 144 Amp. herausgestellt. Durch die Feststellung
dieser Ziffern ist man mithin in der Lage, für jede Fahrt (mit in Reihe geschalteten
Motoren) sofort die Zugkraft in Kilogramm berechnen zu können, indem man von der
durch das Ampèremeter angezeigten Zahl 144 abzieht und den Rest mit 13
multiplicirt.
Für jedes Gleis der Doppelbahn besteht die Stromzuleitung (Oberleitung), welche
beiläufig folgenden -Querschnitt aufweist, aus zwei Z-förmigen Blechen, die
symmetrisch und derart an ein Gurtblech genietet sind, dass sie nach unten einen
Schlitz für die Zuführung des Stromabnehmers offen lassen. Das Gewicht dieses
Leitungsschlauches beträgt für 1 m annäherungsweise 45 k. Innerhalb des Tunnels
sind die Stromzuleitungen für beide Gleise gemeinsam an ⌶-förmigen, von 5 zu 5 m angebrachten, in die Tunnelwände eingelassenen
Querträgern befestigt; ausserhalb des Tunnels ist dasselbe der Fall, doch folgen
sich hier die Querträger nur in Abständen von beiläufig 50 m. Dieselben werden von
Gelenkstangen getragen, die auf eigenen, die Gleise überbrückenden Gitterträgern
hängen. Auch liegt die ganze Oberleitung ausserhalb des Tunnels um etwa 1,4 m höher
als im Tunnelinneren. Zur Vermittelung des Stromübertritts sind an den Stellen, wo
die etwa 9 m langen Z-Eisen an einander stossen, kupferne Verbindungsbänder
angenietet und ebenso ist in sämmtlichen vier Schienensträngen der Eisenbahngleise,
welche als Rückleitung dienen, der Contact an den Schienenstössen durch
übergreifende Kupferkabel gesichert. Der zwischen den beiden Z-Eisen laufende Theil
des Stromabnehmers hat beiläufig die Form eines Weberschiffchens und der zugehörige
Trolleyhalter jene eines Parallelogramms, das ausziehbar angeordnet ist, um dem
Höhenunterschiede der Leitung in- und ausserhalb des Tunnels folgen zu können. Diese
Anordnung hat hinsichtlich des im Freien befindlichen Theils der Oberleitung
keinerlei Anstände ergeben; sie verträgt die Temperaturunterschiede ganz gut und die
Innenflächen des Leitungsschlauches sind nur im geringen Maasse dem Verrosten
ausgesetzt, weshalb der Stromabnehmer in der Regel funkenlos arbeitet. Im Inneren
des Tunnels stehen hingegen die Verhältnisse keineswegs ebenso günstig. Da vorläufig
noch immer die Beförderung der Personenzüge durch Dampflocomotiven geschieht, welche
mit Koks geheizt werden, so setzen die im Tunnel sich anhäufenden Verbrennungsgase
und Wasserdämpfe auf die Isolatoren und Leitungsbleche, Schienen u.s.w. einen
schlammigen Niederschlag ab. Auch leidet ungefähr die Hälfte der Strecke sehr stark
durch Sickerwasser, das unausgesetzt von der Wölbung tropft. Als ungefähr 3 Monate
nach der Vollendung des Tunnels zum erstenmal der elektrische Strom durch die
Oberleitung geleitet worden war, belief sich der Verlust durch die Erde anfänglich
auf 21 Amp., minderte sich jedoch schon nach 1 oder 2 Tagen auf 4 Amp. und ist
seitdem auf diesem Werthe stehen geblieben. In dieser ersteren Zeit waren die
Innenflächen des Leitungsschlauches stets mit einer starken Rostschicht, sowie mit
feuchtem Schmutz bedeckt und der Stromabnehmer sprühte zahllose Funken. Man sah sich
gezwungen, die Innenflächen des Leitungsschlauches in regelmässigen Zeitabständen
mit Erdöl (Kreosine) einzureiben, nachdem sie vorher mit Hilfe von besonderen, auf
Rollen angebrachten Kratzbürsten abgescheuert wurden. Seitdem treten die angeführten
Anstände weniger auf, so dass es hinreichen würde, bloss einen Stromabnehmer anzuwenden; aus Vorsicht werden jedoch deren zwei benutzt, wodurch der Stromübertritt gleichmässiger
und sicherer erfolgt. Das Abbürsten der Oberleitung und nachherige Einreiben mit
Erdöl geschieht alle 3 Wochen, was genügt, eine allzu arge Funkenbildung
hintanzuhalten und die Leitung trocken zu erhalten, bis auf eine ungefähr 60 m lange
besonders preisgegebene Strecke, die unausgesetzt feucht bleibt. Die weiter oben
erwähnten Querträger und Klammern, durch welche die beiden Oberleitungen im Tunnel
getragen werden und die verzinkt und angestrichen sind, leiden in keiner Weise; es
scheint überhaupt, dass sich auch hinsichtlich der Leitungsschläuche eine
Anordnung hätte wählen lassen, welche weniger dem Verrosten ausgesetzt gewesen wäre,
als die bestehende.
Was nun die wirthschaftliche Seite der Anlage betrifft, so hat es natürlich seine
Schwierigkeiten, nach verhältnissmässig so kurzer Betriebszeit in bestimmten Ziffern
anzugeben, wie sich die Kosten des elektrischen Betriebes zu jenen des
Locomotivbetriebes stellen. Für die Zugförderung im Tunnel ist ja schon die
Rauchlosigkeit der elektrischen Locomotive ein werthvoller Vorzug, der sich jedoch
schwer in Mark und Pfennig ausdrücken lässt. Indessen können zu einer beiläufigen
Vergleichung die nachstehenden, über die Kosten des elektrischen Betriebes bei der
Baltimore-Ohio-Eisenbahn bekannt gewordenen Daten einen Anhalt bieten:
Im Durchschnitte verkehren monatlich
353
Züge
mit einem mittleren Bruttogewicht von
1110
t
mit einer Fahrzeit von je
20
Minuten
bei einer durchschnittlichen Stromstärke von
986
Ampère
in einer Fahrstreckenlänge von
6137
m.
Die monatlichen Dienstkilometer belaufen sich sonach durchschnittlich auf 2272 und
die Gesammtdienstzeit auf 118 Stunden. Innerhalb derselben Zeit stellen sich die
Kosten
für
Arbeit
auf
7382,80
M.
„
Kohle (5,20 für 1 t)
„
1603,84
„
„
Verschiedenes
„
605,04
„
„
Wasser
„
202,64
„
„
Unterhaltung
„
101,68
„
„
Maschinenführer
„
800,00
„
„
Oel
„
48,64
„
––––––––––––––––––
Zusammen
10744,64
M.
Ohne eine nähere rechnerische Entwickelung vorauszuschicken, beziffert Dr. Lefèvre die Kosten für einen Locomotivkilometer mit
105,12 Pf., wenn nur eine, mit 68,12 Pf., wenn zwei, und mit 56,08 Pf., wenn drei
elektrische Locomotiven in Verwendung stehen. Dementgegen werden die Kosten einer
amerikanischen, aber nicht mit Namen genannten Eisenbahn für das
Dampflocomotivenkilometer für Personenzüge mit 43,36 Pf., für Güterzüge mit 64,96
Pf., für Arbeitzüge mit 39,12 Pf. und für Rangirmaschinen mit 58,40 Pf.
angegeben.
Bis der elektrische Betrieb im Hovard-Tunnel sich auch auf sämmtliche Personenzüge
erstrecken wird, werden sich seine Leistungen verdreifachen und daher die Kosten
wesentlich verringern. Ausserdem ist eine Einrichtung bereits in Ausführung
begriffen, vermöge welcher die Kraftstation auch während der Ruhepausen der
Locomotiven nutzbringend verwendet wird, was eine weitere namhafte Herabminderung
der Zugförderungskosten mit sich bringt. Man hofft, schliesslich mindestens 60 bis
65 Proc. der indicirten Kraft in Nutzarbeit umsetzen zu können, anstatt 45 bis 55
Proc. welche die Dampflocomotiven von ihrer indicirten Kraft für die Fortbewegung
der Züge zur Verwerthung bringen.