Titel: | Die Theorie des Krempelns. |
Autor: | Alfred Haussner |
Fundstelle: | Band 305, Jahrgang 1897, S. 84 |
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Die Theorie des Krempelns.
Von Professor Alfred
Haussner in Brünn.
(Fortsetzung des Berichtes S. 58 d.
Bd.)
Mit Abbildungen.
Die Theorie des Krempelns.
2) Gleichgerichtete Kratzenhäkchen.
Gehen wir nun zu der Arbeit über, welche mit gleichgerichteten, d.h. nach derselben
Richtung abgebogenen Kratzenhäkchen in zwei zusammen arbeitenden Kratzenbelegen,
dargestellt durch Fig. 12, geleistet werden kann.
Textabbildung Bd. 305, S. 84
Fig. 12.
Textabbildung Bd. 305, S. 84
Fig. 13.
Textabbildung Bd. 305, S. 84
Fig. 14.
Nehmen wir an, a sei in Ruhe, b bewege sich nach der Pfeilrichtung 1. Dabei
haben wir uns, sofern überhaupt eine Einwirkung auf die Wolle erfolgen soll, wieder
vorzustellen, dass Wolle etwa vom Häkchen A (Fig. 13) und vom Häkchen B erfasst und zwischen A und B Fasern ausgespannt werden. In Folge der für die
auftretende Spannung \overline{AL_1} und
\overline{BL_2} bei A und B ausgeführten Kräftezerlegung erkennen wir wieder bei
jedem der Häkchen Componenten, welche, senkrecht gegen das bezügliche Häkchen
gerichtet, durch die Biegungsfestigkeit aufgehoben werden, während einerseits eine
Componente \overline{AJ_1} das Bestreben hat, die Wolle bei A in den Belag, gegen das Knie zu schieben,
andererseits die Componente \overline{BJ_2} das Bestreben der
Wolle bei B erkennen lässt, von B abzurutschen. Fasst man das Gesagte zusammen, so ergibt sich, dass die
Wolle vom Beleg b weg in den Beleg a eindringt. Praktisch ist dieser Vorgang deshalb nicht
zu verwenden, weil die Wolle in den ruhenden Beleg eindringt, also eigentlich an Ort
und Stelle bleibt.
Bewegt sich dagegen bei ruhendem Beleg a (Fig. 12) der Beleg b gemäss Pfeilrichtung 2,
so wird die Wolle, von zwei Häkchen A und B so erfasst bezieh. ausgespannt, wie es Fig. 14 versinnlicht. Die Faserspannung
\overline{AL_1}=\overline{BL_2} hat wieder die reinbiegenden
Componenten \overline{AK_1} und
\overline{AK_2}, weiters die verschiebenden Componenten
\overline{AJ_1} und \overline{BJ_2}.
\overline{AJ_1} veranlasst, dass die Wolle von A abgleitet, \overline{BJ_2}
verursacht, dass die Wolle gegen das bezügliche Häkchenknie gleitet, wenn eben die
Reibung überwunden werden kann. Gemäss den Auseinandersetzungen, welche ausführlich
beim „Kratzen“ gegeben worden sind, können wir die Reibung, wie dort,
gleichsetzen f\,.\,\overline{BK_2}=R^*=f\,.\,S\,.\,sin\,\alpha so
dass, wenn das Gleiten eintreten soll, mindestens
\overline{BJ_2}=r^*, oder S. cos α = f. S. sin α, somit ctg α =
f, wie bei der Kratzarbeit, sein muss. Uebrigens erkennen wir, dass bei
dieser Bewegungsart die Wolle aus dem ruhenden in den bewegten Beleg übergeht: b kämmt die Wolle aus a aus.
Führen wir nun auch die Bewegung des zweiten Beschlages a ein! Bewegt sich b nach der Pfeilrichtung
1 mit der Geschwindigkeit vb, während a mit der Geschwindigkeit (– va) nach der Richtung 3 (Fig. 12)
fortschreitet, so zeigt sich Folgendes: Wolle wird von zwei Häkchen gefasst und
Fasern zwischen diesen so ausgespannt, wie es Fig. 13
darstellt. Es ist gerade so für die Bearbeitung der Wolle, als ob nur einer der
Kratzenbelege sich mit der relativen Geschwindigkeit vr = (va + vb) bewegen, der andere ruhen
würde. Jedenfalls fliesst die Wolle von B gemäss Fig. 13 ab und geht in den Belag a über. Hier hat das aber eine praktische Bedeutung,
weil a selbst eine Bewegung nach Pfeil 3 ausführt und so die Wolle, welche aus b entnommen, ausgekämmt wurde, wie es gewöhnlich
bezeichnet wird, mit sich fortführt, an eine andere Stelle schafft.
Hat nun Beleg b die Geschwindigkeit (+ vb) nach
Pfeilrichtung 1 (Fig.
12) und Beleg a die Geschwindigkeit (+ va) nach Pfeilrichtung 4, so
ist es nothwendig die Grössenverhältnisse von va und vb besonders zu beachten. Ist vb > va, so eilt
Beleg b dem Beleg a mit
der relativen Geschwindigkeit Vr = (vb – Va) vor; die
Wolle wird behandelt, wie es Fig. 13 andeutet. Es ist
also gerade so, als ob b allein sich mit der relativen
Geschwindigkeit vr bewegen würde, es geht die Wolle von b weg
in den Belag a über, wie damals, als wir a in absoluter Ruhe befindlich angenommen haben. Hier
wird nun allerdings, weil a in Bewegung begriffen ist,
die Wolle von a weitergeschafft, doch ist Gefahr
vorhanden, dass die Wolle, weil sie, in der Bewegungsrichtung von a gesehen, frei hängt, nachdem sie von B abgerutscht ist, gestaucht und wieder verknotet wird.
Somit ist auch dieser Arbeitsvorgang praktisch wohl nicht zu empfehlen. Wird va = vb, so haben
wir keine Relativbewegung zwischen den beiden Belegen, daher die Beschaffenheit der
zwischen ihnen befindlichen Wolle nicht verändert wird. Ist endlich va > vb, so eilt a dem Beleg b vor mit der
relativen Geschwindigkeit vr:= (va
– vb). Die
Wolle wird, wie in Fig. 14 dargestellt, so behandelt,
als ob b ruhen und a sich
mit der Geschwindigkeit vr nach Pfeilrichtung 4 allein bewegen würde. Daher kämmt der Beleg b, wie aus der schon oft besprochenen Kräftezerlegung unmittelbar zu
entnehmen ist, die Wolle aus a heraus und führt sie
weiter, wobei für die Wolle die Gefahr der Verknotung wieder eintritt, weil die
Wolle, von B gefasst, in der Bewegung des Häkchens
(Pfeil 2, Fig. 12) mehr weniger frei liegt; also ist
auch dieser Arbeitsvorgang nicht zu empfehlen.
Schreitet b nach Pfeil 2
mit der Geschwindigkeit (– vb) fort, während a gemäss Pfeil 3 in Fig. 12 die Geschwindigkeit (– va) besitzt, so
haben wir wieder auf die Grössenverhältnisse von va und vb besonders zu achten. Ist vb > va, so eilt b dem Beleg a mit der
relativen Geschwindigkeit vr = – (vb
– va) vor. Wir
haben es, wie in Fig. 14, gerade so, als ob die Wolle
bei ruhendem Beleg a von b
mit der eben genannten relativen Geschwindigkeit aus a
herausgekämmt würde. Weil jetzt aber die Fasern, in der Bewegungsrichtung von b gesehen, hinter dem fassenden Häkchen B ausgespannt liegen, so ist die Gefahr der
Wollverknotung hier nicht vorhanden, die Wolle wird von b entsprechend der absoluten Geschwindigkeit weiter geschafft, wie es z.B.
zwischen Wenderwalzen und Tambour stattfindet. Wird vb = va, so haben wir wieder, was
Wollbearbeitung anbetrifft, es gerade so, als ob absolute Ruhe herrschen und nicht
bloss die relative Geschwindigkeit vr
= 0 wäre. Ist endlich va > vb, so eilt a
mit der relativen Geschwindigkeit vr
=– (va
– vb) vor, es
tritt der Fall wie in Fig. 13 ein, so, als ob b absolut ruhig und a mit
der eben genannten relativen Geschwindigkeit sich nach Pfeil 3 bewegen würde. Daher kämmt gemäss Fig. 13
a die Wolle aus b heraus
und führt sie ganz entsprechend, wie in dem unmittelbar vorherbesprochenen Falle,
aber mit der absoluten Geschwindigkeit va weiter.
Wird b nach Pfeil 2 mit der
Geschwindigkeit vb weiter bewegt, während a nach Pfeil 4 in Fig. 12 die
Geschwindigkeit + va besitzt, so eilt b mit der relativen
Geschwindigkeit vr = – (vb
+ va) an a vorüber, die Wolle
wird wie in Fig. 14 so behandelt, als wenn a ruhen und b mit der
relativen Geschwindigkeit vr nach Pfeil 2
die Wolle aus a herauskämmen würde. Dieselbe wird mit
der absoluten Geschwindigkeit vb (die Wolle ist dabei richtig ausgespannt)
weitergeführt.
Fassen wir die Resultate dieser Betrachtungen für Beschläge
mit gleichgerichteten Häkchen zusammen, so bemerken wir, dass zwischen zwei derartigen, zusammen arbeitenden
Krempelbeschlägen dann die Wolle von einem der beiden Belege richtig aus dem
anderen herausgekämmt wird, wenn der erste in der Richtung, nach welcher die
Häkchen geneigt sind, eine absolute und relative Geschwindigkeit gegenüber dem
zweiten Beleg bekommt.
3) Reibung von Gespinnstfasern an Metallflächen.
In beiden Hauptfällen, welche bei der Benützung von Kratzenbelegen vorkommen,
erkannten wir die Wichtigkeit, welche gerade hier der Grösse der Reibung zwischen
Faser und Häkchen zukommt. Deshalb wurden Gleitungsversuche mit Fasern auf ebenen
Flächen ausgeführt. Die eine der beiden Flächen war gehärtet und spiegelnd polirt,
so dass man auch mit der Loupe nur vereinzelt Spuren des vorangegangenen Schleifens
entdecken konnte. Die zweite Fläche war sehr schön geschliffen, aber mit deutlichen,
nach einer Richtung laufenden Schleifstrichen versehen. Was die Ausführung der
Versuche betrifft, so wurde eine Wollflocke mit einem Gewichtchen belastet und die
Fläche so lange geneigt, bis der dann darauf gegebene Wollflocken gerade noch ins
Gleiten kam. Die Herkunft der Baumund Schafwolle konnte nicht ermittelt werden. Die
Neigungswinkel wurden durch einen amerikanischen Winkelmessapparat mit Libelle
bestimmt und sind die gefundenen Werthe in die Tabelle eingetragen. Die
Reibungscoëfficienten f sind gleich den Tangenten
dieser Winkel eingesetzt.
Als besonders auffallend sei hervorgehoben, dass auf schön polirten Flächen das
Einfetten der Wolle anscheinend keine wesentliche Verminderung der Reibung bewirkt,
wie für gewaschene und gefettete Wolle zahlenmässig in der Tabelle angegeben ist,
dass weiters bei bloss geschliffenen (nicht polirten) Flächen die Reibung wesentlich
grösser wird, insbesondere senkrecht gegen den Strich, und dass hier das Einfetten
entschieden günstig wirkt. Auf einer geschabten, gusseisernen Richtplatte wurde für
Baumwolle sogar 0,27
als Reibungscoëfficient gefunden. Daraus Schlüsse zu ziehen, sei dem Weiteren
vorbehalten.
Art des
Fasermaterials
Polirte Stahlplatte
Geschliffene Plattein der Richtung
desSchleifstrichs
Geschliffene Plattesenkrechtzum
Schleifstrich
Anmerkung
Reibungs-
Reibungs-
Reibungs-
Winkel
Coëfficient f
Winkel
Coëfficient f
Winkel
Coëfficient f
Baumwolle
6½°
0,11
12½°
0,22
nicht untersucht
Streckband
Flachswerg
8½°
0,15
13½°
0,24
17½°
0,32
Schafwolle, gewaschenSchafwolle, gefettet
5½° 5½°
0,100,10
15½°11½°
0,280,20
nicht untersuchtnicht untersucht
Wolle derselben Her- kunft
Schafwolle, Krempelpelz
5½°
0,10
12½°
0,22
16°
0,29
Für blaues Militärtuch
Florettseide
10½°
0,19
12½°
0,22
16½°
0,30
4) Das Schleifen der Beschläge.Die Fig. 15 bis 18
wurden nach dem bereits Eingangs erwähnten Buche von Dobson, in welchem sich mikrophotographische Bilder über
Krempelhäkchen befinden, und nach eigenen Beobachtungen
gegeben.
Der Werth und die Art und Weise, wie geschliffen werden
sollte, dürften nun, nachdem die ausschlaggebende Wichtigkeit desjenigen Winkels
nachgewiesen worden ist, welchen die Krempelhäkchen mit der Richtung einschliessen,
nach welcher bei irgend einer der Krempelarbeiten die Wollfasern ausgespannt werden,
verhältnissmässig einfach festzulegen sein.
Textabbildung Bd. 305, S. 86
Fig. 15.
Textabbildung Bd. 305, S. 86
Fig. 16.
Textabbildung Bd. 305, S. 86
Fig. 17.
Textabbildung Bd. 305, S. 86
Fig. 18.
Wollen wir die Krempelhäkchen oben flach und eben anschleifen, wie es die Fig. 5 ersehen lässt, so werden die Bedingungen
bezüglich des eben wieder erwähnten, hervorragend wichtigen Winkels offenbar am
besten erfüllt. Nun ist aber bei diesem Anschleifen kaum zu vermeiden, dass die
Rückenfläche des Häkchens wie in Fig. 15 nach der
Linie A B abgerundet ausfällt. Weil dabei der Winkel
α, maassgebend für die Anspannung der Faser nach
der Richtung A E gegenüber dem vollständig ebenen
Anschliff, nicht geändert wird, so entspricht auch dieses Häkchen vollkommen. Was
die Form A B unmittelbar anbelangt, so erinnern wir
uns, dass nach den vorangegangenen Betrachtungen die Rückenfläche des
Krempelhäkchens nur dann in Frage kommt, wenn die Wolle von ihr abrutschen, aus dem
bezüglichen Beleg herausgekämmt werden soll. Für diesen Arbeitsvorgang ist offenbar
die gekrümmte Fläche B A ganz vorzüglich geeignet, so
dass also diese Art des Anschliffes nach allen Richtungen befriedigen kann. Aehnlich
steht es mit Fig. 16, in welcher bei A in Folge des Andruckes beim Schleifen ein Grat
umgebogen worden ist.
Fig. 17 hingegen zeigt ein Häkchen, welches oben
konisch, dem sogen. „nadelspitzen“ Zuschliff sich nähernd, hergestellt worden
ist. Hierbei hat sich der Winkel α in den Werth α1 verändert, und
reicht Winkel α zum Einwärtsgleiten der Fasern noch
aus, so kann hierfür ganz leicht Winkel α1 nicht mehr genügen, oder auch, anders gesagt, bei
nadelspitzem Zuschliff müssen die Häkchen stärker abgebogen werden unter sonst
gleichen Bedingungen, gegenüber den ganz cylindrischen Häkchen. Berücksichtigen wir
nun, dass durch seitlichen Zuschliff, natürlich auch bei einem so energischen, wie
wir ihn bei Fig. 10 bereits betrachtet haben, die
Seitenflächen immer rauherAus den
erwähnten Dobson'schen Bildern ist sofort die
grössere Rauhigkeit der seitlich angeschliffenen Häkchen zu
erkennen. werden, als bei den aus polirtem bezieh. bei den den
höchsten Grad von Glätte besitzenden, aus cylindrischem, glatt gezogenem Draht
hergestellten Häkchen, die nur oben flach zugeschliffen werden, so scheint mir
nachgewiesen, dass der seitliche und nadelspitze Zuschliff für Krempelhäkchen nicht
bloss unnütz, sondern direct verwerflich ist, weil er mehr Arbeit zu seiner
Herstellung verbraucht und unter sonst gleichen Umständen nicht bloss nicht so viel
leistet wie der rein cylindrische Draht, sondern in Folge grösserer Rauhigkeit (man
vergleiche die vorangeschickte Tabelle) der seitlich und nadelspitz zugeschliffenen
Umfläche die Wolle beim Vorübergleiten unter verhältnissmässig bedeutendem Andruck
mehr angreift. Diese in Folge Vergrösserung des Reibungscoëfficienten f auftretende grössere Reibung hat dann zur Folge, dass
ausser der wegen geometrischer, unmittelbar aus Fig.
17 zu entnehmender Gründe nothwendigen stärkeren Knickung des Häkchens,
auch wegen der Reibung das Häkchen mehr abgebogen werden muss. Denn wir fanden in
Gleichung 7: ctg α = f. Wird also f grösser, so wird Winkel α kleiner, d.h. das Häkchen muss auch aus diesem Grunde mehr geneigt
gestellt werden.
Endlich bemerken wir in Fig. 18 ein entweder
ungeschickt von allen Seiten zugeschliffenes oder eigentlich wahrscheinlicher ein
stumpfgewordenes Häkchen. Warum dieses beim Kratzen nicht wirkt, kann nach dem
Vorausgegangenen wohl unschwer begründet werden. Die Kräftezerlegung gemäss Fig. 2, wie eine solche der allgemeinen Lage des
Häkchens entsprechen würde, ergibt hier wegen der Krümmung A
D in der Nähe der Spitze nicht bloss keine Componente, welche die Wolle
einwärts gegen das Knie zu schieben sucht, sondern eine nach aussen, vom Knie
abgekehrte Theilkraft, was übrigens schon eine flüchtige Betrachtung dieser Form der
Häkchenspitze ergibt. Die Krümmung A B gegen den
Häkchenrücken wäre allerdings dann, wenn aus dem Belage, zu welchem dieses Häkchen
gehört, die Wolle herausgekämmt werden sollte, nicht schädlich, wie schon bei
Besprechung von Fig. 15 bemerkt worden ist.
(Fortsetzung folgt.)