Titel: | Tractoriograph und Construction der transcendenten Zahlen „π“ und „e“, sowie Construction der n-seitigen, dem Kreise eingeschriebenen regelmässigen Polygone. |
Fundstelle: | Band 305, Jahrgang 1897, S. 235 |
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Tractoriograph und Construction der
transcendenten Zahlen „π“ und „e“, sowie Construction der n-seitigen, dem Kreise
eingeschriebenen regelmässigen Polygone.
Mit Abbildungen.
Tractoriograph und Construction der transcedenten Zahlen „π“
und „e“ u.s.w.
1) Der Tractoriograph.
Schon im J. 1891 habe ich ein sehr einfaches Instrument erfunden, mit welchem man für
alle möglichen ebenen Linien die entsprechenden Tractorien von constanter Distanz –
constanter Tangente – zeichnen kann. Dieses Instrument habe ich
„Tractoriograph“ genannt.Das
Instrument ist in dem mechanischen Institut von Oskar Leuner in Dresden ausgeführt und kostet 22 M.
Textabbildung Bd. 305, S. 234
Fig. 1.Tractoriograph.
Dasselbe besteht aus einer Stange AB (Fig. 1), welche an dem einen Ende mit einem Fahrstift
DK versehen ist, und aus einem scharfrandigen, um
eine wagerechte Achse drehbaren Rädchen T. Diese Achse
ist in dem gabelförmigen unteren Theile einer Hülse gelagert, welche auf der Stange
AB verschiebbar und mittels der Schraube P auf derselben feststellbar ist.
Der in Spitzen auslaufende Fahrstift DK ist leicht
drehbar in dem Rahmen CH angeordnet, welcher auf den
verstellbaren Füssen m und n ruht. Die Ausführung der Füsse als Schraubenmuttern ermöglicht, durch
Drehen in dem erforderlichen Sinne die Fahrspitze K bis
zur leisen Berührung mit der Zeichenebene einzustellen.
Das Instrument ruht somit auf den drei Stützpunkten m, n
und t, dem Berührungspunkte des Rädchens T mit der Zeichenebene, kann also stabil aufgestellt
werden.
Der Querschnitt des Rädchens T ist symmetrisch
keilförmig, seine Symmetrieebene muss stets durch den Berührungspunkt K gehen. Zu diesem Zwecke ist die Drehachse des
Rädchens mit zwei, eine Verschiebung desselben in der Achsenrichtung zulassenden
Justirschräubchen u versehen.
Zum Gebrauche fasst man das Instrument leicht zwischen zwei Fingern und führt die
Spitze des Fahrstiftes leicht auf der aufgezeichneten Curve entlang; der
Berührungspunkt t des Rädchens beschreibt alsdann die
der gegebenen Curve zugehörige oder entsprechende Tractorie mit der constanten
Tangente t=\overline{Kt}, welche gleich der eingestellten Länge
des Instrumentes ist.
Um die Tractorie aber auf dem Papier sichtbar zu machen, dieselbe also aufzeichnen zu
können, ist an der verschiebbaren Hülse pendelartig noch ein mit Nuth versehenes
Rädchen F aufgehängt. In dieser Nuth befindet sich ein
mit Druckfarbe getränkter Filzring, welcher den scharfen Rand des Rädchens T färbt, da ersterer stets mit demselben in Berührung
ist.
Es ist ersichtlich, dass beim Befahren einer Curve mit der Fahrspitze K das Rädchen T die der
Curve entsprechende Tractorie aufzeichnet, wenn die Radebene stets durch den Punkt
K geht. Schliesslich ist noch an der Hülse die
Nadel \overline{Jt} angebracht, um die Länge der constanten
Tangente t=\overline{Kt} abzustecken, für welche die betreffende
Tractorie zu nehmen ist.
2) Differentialgleichung der Tractorie für die constante
Tangente „t“.
CD sei die Tractorie der Linie AB für die constante Tangente t (Fig. 2).
Die Gleichung der gegebenen Curve sei:
F (X Y) =
0 . . . . . 1)
Die Coordinaten der zusammengehörigen Punkte K und T seien X Y und x y, und
\overline{KT}=t=const.
Dann ist wie bekannt:
x=X+t\,cos\,\alpha
y=Y+t\,sin\,\alpha
. . . . . 2)
\frac{d\,y}{d\,x}=y'=tg\,\alpha
Da aber
cos\,\alpha=\frac{1}{\sqrt{1+y'^2}}
und
sin\,\alpha=\frac{y'}{\sqrt{1+y'^2}}
ist, folgt aus 2)
X=x-\frac{t}{\sqrt{1+y'^2}}
und
. . . . . 3)
Y=y-\frac{t\,y'}{\sqrt{1+y'^2}}
Mithin ergibt sich aus 1)
F\,\left(x-\frac{t}{\sqrt{1+y'^2}},\
y-\frac{t\,y'}{\sqrt{1+y'^2}}\right)=0
als die Differentialgleichung der Tractorie zur Curve 1).
Jedes particuläre Integral der Gleichung 4) ist die Gleichung einer Tractorie der
Linie 1) für die constante Tangente t.
Alle diese Tractorien, also auch alle vorher geschriebenen Integrale, können mit
meinem Tractoriographen gezeichnet – construirt – werden, und zwar entsprechend der
gegebenen Tangente t, welche die augenblicklich
eingestellte Länge des Instruments darstellt. Die Integralconstante ist durch die
Anfangslage des Instruments bedingt bezieh. gegeben.
Textabbildung Bd. 305, S. 235
Fig. 2.
Für die oben gestellte Aufgabe sind von besonderem Interesse nur die Tractorien des
Kreises und die Tractorie der Geraden (Huyghens'sche
Tractorie). Beide kann man mit meinem Instrument zeichnen, wie man einen Kreis mit
einem gewöhnlichen Zirkel zeichnen kann.
Im Folgenden werde ich zeigen, wie mit meinem Instrumente ausgeführt werden kann:
die Construction der Zahl „π“,
die Multisection eines gegebenen Kreisbogens,
die Construction eines dem Kreise eingeschriebenen regulären n-Ecks
und die Construction der Zahl „e“.
3) Die Tractorie des Kreises für die constante Tangente
„t“.
Befährt man mit der Fahrspitze K des Tractoriographen
die Peripherie eines Kreises vom Halbmesser r (Fig. 3) und ist die Länge
\overline{Kt} des Instruments = t, so beschreibt der Berührungspunkt des Schreibrädchens eine
Kreistractorie T0TT1Tn . . ., für welche die jeweilige Richtung KT des Instruments die Tangente der Tractorie im Punkt
T ist.
Textabbildung Bd. 305, S. 235
Fig. 3.
Die Gleichung dieser Tractorie hat auf meine Veranlassung Dr. Koloman v. Szcilly, o. M. und Generalsecretär der ungarischen Akademie der
Wissenschaften, aufgestellt in „Mathematische und naturwissenschaftliche Berichte
aus Ungarn“, und zwar in der ersten Hälfte 1896.
Die Gleichung dieser Tractorie ist:
k . tg α = tg k φ = tg k (ϑ + α) . . .
1)
Hierin bezeichnet:
k=\sqrt{1-\left(\frac{r}{t}\right)^2}=const. . .
. 2)
fα den Winkel, unter welchem die
constante Tangente t vom Mittelpunkt C aus gesehen wird, φ den
dem befahrenen Kreisbogen \overline{K_0\,K} entsprechenden
Centribogen, ϑ den bezüglichen Polwinkel von der
Anfangslage CT0 aus
gerechnet für den Radius vector ρ der Tractorie.
Ferner ist noch
cos\,\alpha=\frac{\rho^2+r^2-t^2}{2\,r\,\rho} .
. . . . 3)
Die allgemeine Tractorie 1) für t > r, also für k < 1, lässt sich unmittelbar zur Multisection
eines gegebenen Kreisbogens \overline{K_0\,K} benutzen. Zu diesem
Zweck setze man in 1) k=\frac{1}{n}, wenn n irgend welche ganze Zahl bezeichnet.
Alsdann wird:
\frac{1}{n}\,tg\,\alpha-tg\,\frac{1}{n}\,\varphi
. . . . . 4)
Wird z.B. n = 3 und r = 1 genommen, so kann die Dreitheilung des
Kreisbogens \overline{K_0\,K} rein geometrisch und constructiv
mittels der gezeichneten Tractorie ausgeführt werden.
Denn die der erforderlichen Tractorie entsprechende Tangentenlänge t ergibt sich aus Gleichung 2) zu:
t=\frac{n\,r}{\sqrt{n^2-1}} . . . . . 5)
Die mit t für den Kreisbogen
\overline{K_0\,K} gezeichnete Tractorie wird vom Endpunkte
K mit einem Kreisbogen vom Halbmesser = t im Punkte T geschnitten.
Die für den Winkel TCK = α in K construirte trigonometrische Tangente wird in n gleiche Theile getheilt.
Textabbildung Bd. 305, S. 235
Fig. 4.
Die Verbindungslinie des ersten Theilpunktes, von K aus
gerechnet, mit dem Kreismittelpunkt C schneidet auf dem
gegebenen Kreisbogen \overline{K_0\,K}, von K aus gerechnet, ein Bogenstück von der Länge
\frac{1}{n}\,K_0\,K ab, wie aus Gleichung 4) hervorgeht.
Also, ist die Tractorie für ein bestimmtes r und n gezeichnet, so ist die Theilung eines Bogens
\overline{K_0\,K} des Grundkreises sehr einfach und sehr kurz
mittels Zirkel und Lineal auszuführen.
Die sogen. allgemeine Tractorie 1) des Kreises ist eine mehrfach blätterartige Linie,
wie Fig. 4 zeigt, und hat eine gewisse Anzahl von
Rückkehrpunkten R0, R1, R2 u.s.w., für welche α
= π ist. Die Anzahl dieser Punkte ist von der Zahl k abhängig und durch diese bestimmbar.
Die Tractorien des Kreises sind geschlossene Linien für
k=\frac{m}{2+m} und für
k=\frac{m}{1+m},
wenn m irgend welche ganze
positive Zahl bezeichnet, und zwar ist für den ersten Fall die Anzahl der
Rückkehrpunkte m, für den zweiten 2 m.
Ferner ist leicht einzusehen, dass die Verbindungslinien der Rückkehrpunkte mit dem
Mittelpunkte des Grundkreises den Umfang des letzteren im ersten der beiden
vorerwähnten Fälle in m, im anderen in 2 m gleiche Theile theilen. Es ergibt sich daraus, dass
man die Rückkehrpunkte dazu benutzen kann, in einem Kreise ein m-seitiges reguläres Polygon einzuzeichnen; doch werden
wir später eine einfachere Methode kennen lernen.
4) Rectification der Kreisbögen und Construction der
Ludolph'schen Zahl „π“.
Gleichung 1) des vorigen Abschnittes stellt die allgemeine Tractorie des Kreises dar.
Hier soll die ganz specielle Tractorie untersucht werden, für welche
t = r . . . . . 1)
ist. Für dieselbe ist
k = 0
und
. . . . . 2)
cos\,\alpha=\frac{\rho}{2\,r}
Gleichung 1) des vorigen Abschnittes geht dann über in
tg α = φ . . . . . 3)
In dieser Gleichung ist die Rectification des befahrenen
Kreisbogens schon deutlich definirt, da eine Strecke tg
α gleich ist dem Kreisbogen φ für den
Halbmesser r = 1.
Textabbildung Bd. 305, S. 236
Fig. 5.
Nun ist aber
φ = ϑ +
α . . . . . 4)
und nach Gleichung 2) auch
tg\,\alpha=\sqrt{\left(\frac{2\,r}{\rho}\right)^2-1} . . . .
5)
Demnach geht Gleichung 3) nach entsprechender Substitution
über in
\sqrt{\left(\frac{2\,r}{\rho}\right)^2-1}=\varphi+art\,tg\,\left(\sqrt{\left(\frac{2\,r}{\rho}\right)^2-1}\right)
6)
und ist diese die eigentliche Polargleichung der genannten
Tractorie für die Polachse CT0 und für den Radius vector
\rho=\overline{C\,T} mit dem Pole in C (Fig. 5).
Diese specielle Tractorie 3) und 6) ist eine Spirale, welche sich asymptotisch dem
Punkte C nähert. Letzterer ist zugleich der zweite
Rückkehrpunkt der Tractorie, während der erste im Punkt T0 der Polachse liegt.Diese Spirale
ist beschrieben in „Sammlung von Aufgaben und Lehrsätzen aus der
analytischen Geometrie von Ludwig Immanuel
Magnus, 1833“ S. 555 Aufgabe 207.
Für den gegebenen Kreis vom Halbmesser \overline{C\,K_0}=r ist die
Tractorie T0TT' . . . für t=r=\overline{K_0T_0}
mit meinem Instrument gezeichnet (Fig. 5).
Es sei nun ein beliebiger Bogen \overline{K_0K} des Grundkreises
gegeben, dessen Länge rectificirt werden soll mit dem gleichfalls gegebenen
Centriwinkel
K0CK = α + ϑ = φ.
Die Tractorie liege gezeichnet vor.
Von dem Endpunkt K des zu rectificirenden Kreisbogens
bestimme man den entsprechenden Punkt T der Tractorie,
nämlich KT = r = t. Winkel TCK ist = α. Die in K an dem Grundkreise errichtete Tangente wird durch den radialen Strahl
CT in E
geschnitten.
Nunmehr ist nach Gleichung 3)
\overline{K_0K}=\overline{KE} . . . . . 7)
wenn der Halbmesser r als Einheit
genommen wird.
Der Punkt E ist folglich ein Punkt der Kreisevolvente
des Grundkreises.
Der Flächeninhalt des rechtwinkeligen Dreiecks CKE ist,
wie leicht einzusehen, gleich dem Flächeninhalt des Kreissectors K0CK. Und hiermit ist die Quadratur eines gegebenen
Kreissectors ausgeführt.
Ist der Centriwinkel des zu rectificirenden Kreisbogens
\frac{\pi}{2}, so findet man nach Bestimmung des zugehörigen
Tractorienpunktes T_{\frac{\pi}{2}} die Tangente
\overline{K_{\frac{\pi}{2}}E_{\frac{\pi}{2}}}, und es ist
\overline{K_{\frac{\pi}{2}}E_{\frac{\pi}{2}}}=\overline{K_0K_{\frac{\pi}{2}}}
. . . . . 8)
Für r = 1 ist dann
\overline{K_0K_{\frac{\pi}{2}}}=\frac{\pi}{2}
Es ist also nach Gleichung 8):
\frac{1}{2}\,\pi=\overline{K_{\frac{\pi}{2}}E_{\frac{\pi}{2}}}
und
. . . . . 9)
\pi=2\,\overline{K_{\frac{\pi}{2}}E_{\frac{\pi}{2}}}
Folglich ist „π“ mittels der gezeichneten speciellen
Tractorie des Kreises rein constructiv bestimmt.
Auf analoge Weise findet sich für r = 1:
„\pi“=\overline{K_\piE_\pi}=\overline{K_0K_\pi}
. . . . . 10)
Wie leicht einzusehen, kann die Gleichung 6) noch in folgender Form geschrieben
werden:
\varphi=\sqrt{\left(\frac{2\,r}{\rho}\right)^2-1} . . . . .
11)
Mithin gilt für π noch der
Ausdruck:
\pi=\sqrt{\left(\frac{2\,r}{\rho_pi}\right)^2-1}
. . . . . 12)
wenn ρπ = CTπ ist (Fig.
5).
Aus Gleichung 11) folgt noch, dass
ρ2+ (ρ φ)2
= (2 r)2 . . . . . 13)
d.h. die Summe der Quadrate von zwei im Allgemeinen
transcendenten Grössen ist gleich einer algebraischen constanten Grösse, nämlich für
r = 1 ist dieselbe gleich 4. Sind ρ und ρ' Radii vectores
der Tractorie bezieh. der Kreisevolvente des Grundkreises für den nämlichen
Polwinkel ϑ, so ist leicht zu beweisen, dass
ρρ' = 2 r2 = const.
. . . . . 14)
ist.
Die Tractorie und die Evolvente eines und desselben Grundkreises sind zu einander inverse Gebilde in Beziehung zu dem Mittelpunkt C.
Für den Schnittpunkt Ti der Tractorie mit der Kreisevolvente ist ρ
= ρ', also
\rho=\rho'=\overline{CT_1}=2\,\sqrt{2}
Ti ist zugleich der Inflexionspunkt der
Tractorie und beträgt die Länge des Kreisbogens \overline{K_0K_i}
die Einheit, wenn r = 1
genommen wird, wie sich leicht aus der Betrachtung des rechtwinkeligen Dreiecks TiCK1 unter
Berücksichtigung der letzten Gleichung ergibt.
(Schluss folgt.)